Darum ist Japan so verrückt nach bizarren Maskottchen
Alle Fotos: bereitgestellt von Chris Carlier

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Entertainment

Darum ist Japan so verrückt nach bizarren Maskottchen

Niedliche Intimduschen und Hepatitis-Elefanten: In diesem Land gibt es für fast alles einen flauschigen Vertreter.

Mit flauschigen Köpfen, großen Augen und niedlichen Gesten machen sie Werbung, unterhalten kleine Kinder oder winken bei hochoffiziellen Anlässen in die Kamera. Während wir in der westlichen Welt bei Maskottchen zuerst an Sportmannschaften und Freizeitparks denken, sind sie in Japan noch viel weiter verbreitet. Manche davon scheinen einigermaßen sinnvoll, wie etwa die animierte U-Bahn-Mitarbeiterin, die einem in Tokio durch das Metro-System hilft, oder der fröhliche Akkubohrer, der die Firma Hitachi Power Tools vertritt. Es geht aber auch anders – viel bizarrer.

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Zum Beispiel: Benki-Shiroishi, ein Blues-Sänger mit Kloschüssel-Kopf, der für eine Desinfektionsmittel-Firma wirbt. Oder Kanzou-kun, eine Kreuzung aus Elefant und Leber, die in Tokio zu Hepatitis-Tests aufruft. Oder Madori-kun, einen Wrestler mit Grundrissplan-Gesicht, der als Maskottchen für ein Immobilienunternehmen auftritt.


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Chris Carlier lebt seit 16 Jahren in Japan. In dieser Zeit hat sich der Engländer zu einem Maskottchen-Experten entwickelt. Er dokumentiert die verschiedenen Charakter für seine "Mondo Mascots"-Website und -Social-Media-Accounts. Maskottchen, sagt er, gebe es in Japan schon seit einer Weile, aber erst in den letzten fünf Jahren sind sie so beliebt geworden. Verantwortlich für diese Entwicklung war Hikonyan, das Samurai-Katzen-Maskottchen einer Burg in der Stadt Hikone, das der Touristenattraktion einen Beliebtheitsschub und mehr Merchandise-Verkäufe bescherte.

Derzeit gibt es Tausende solcher Maskottchen in ganz Japan. Wir haben mit Carlier telefoniert, um mehr darüber zu erfahren, welche Auswüchse der Maskottchen-Wahn angenommen hat.

Kan-chan, eine Mischung aus Einlauf und Pinguin, die Werbung für ein Einlauf- und Abführmittel-Unternehmen macht

VICE: Warum interessierst du dich so für Maskottchen?
Chris Carlier: Als ich nach Japan zog, konnte ich die Schrift noch nicht wirklich lesen und musste mich deshalb auf die verschiedenen Figuren und Schilder in den Läden und Restaurants verlassen. Dann stieß ich zufällig auf eine Veranstaltung in Tokio, für die sich gut hundert Maskottchen in einem Park versammelt hatten. Dort macht ich viele Fotos und lud sie bei Instagram hoch. Und vor vier oder fünf Jahren ging der Maskottchen-Hype dann richtig los und plötzlich waren sie auch im Fernsehen zu sehen, sie vollführten Stunts, gingen tauchen oder fallschirmspringen.

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Gibt es noch mehr solche Fans wie dich?
Jedes Maskottchen hat eine eigene Fangemeinde. Wenn ich zu den Events gehe und Bilder mache, treffe ich immer die gleichen Menschen – oft Frauen über 60 oder mittelalte, zurückgezogen lebende Typen mit teurem Fotoequipment.

Wie viele Maskottchen laufen in Japan rum?
Schwer zu sagen. Es gibt Datenbänke, in denen mehr als 3.000 Stück aufgeführt sind. Beim jährlichen Yuru-chara Grand Prix wird das beliebteste Maskottchen des Landes gewählt, es nehmen immer um die 1.500 Leute teil.

Letztes Jahr hat eine Kreuzung aus Flugzeug und Aal namens Unari-kun gewonnen, das Maskottchen der Großstadt Natira. Vor gut 100 Maskottchen wird dann der Gewinner verkündet. Leider war ich da noch nie dabei, weil das Ganze immer an sehr obskuren Orten stattfindet.

Welche Maskottchen sind bei deinen Followern besonders beliebt?
Das sind die, die in der Realität niemand wirklich gut findet – also die besonders bizarren. Momiji-chan ist zum Beispiel ein rosafarbener Rehbock, der mit einer Schrotflinte und einer "Jagen oder gejagt werden"-Attitüde herumläuft. Und in letzter Zeit geht der Otter Chi-tan auch richtig ab, er macht die ganze Zeit irgendwelche Stunts.

Was ist das bizarrste Maskottchen, das du je gesehen hast?
Da gibt es Kan-chan, das Maskottchen einer Firma, die Abführmittel und Einläufe auf Feigenbasis herstellt. Dementsprechend ist die Figur eine Mischung aus Feige und Einlauf mit einem Pinguingesicht. Bei einem Pharma-Event hüpfte Kan-chan dann vor einem Warenautomaten herum, auf dem ein Darmtrakt abgebildet war.

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Melon Kuma ist fast schon beängstigend, ein Bär mit Melone als Kopf. Oftmals sind die Maskottchen verniedlichte Kreuzungen aus Früchten und Tieren, aber Melon Kuma ist mit seinen Klauen und Reißzähnen da viel zu realistisch. Bei den Events rennt er auch immer herum und greift die anderen Maskottchen an.

Und welches ist dein Lieblingsmaskottchen?
Ich mag den bereits erwähnten Otter Chi-tan, weil der jeden Tag etwas Neues macht. Ich muss aber auch dem Maskottchen der Stadt, in der ich lebe, treu bleiben: Das ist Sanchawan, einen Hund mit Teeschüssel als Kopfbedeckung. Und dann gibt es da noch das Maskottchen des Baseballteams von Chiba, ein mysteriöser Fisch-Mensch, aus dessen Maul ein Skelett krabbeln kann. Richtig cool.

Waka-P, das Maskottchen des Frauengefängnisses der Präfektur Wakayama, und Pourisu-kun, ein Jurastudium-Maskottchen

Gibt es Menschen, die sich zu den Maskottchen hingezogen fühlen?
Nicht, dass ich wüsste. Es gibt aber viele exzentrische Menschen, die sich quasi selbst zu Maskottchen machen, indem sie Kostüme basteln oder online bestellen und dann darin durch die Stadt laufen. Sie treffen sich auch, aber ich weiß nicht genau, was bei diesen Zusammenkünften abgeht. Geläufig ist das alles aber nicht.

Ich habe auch schon geschaut, ob irgendwelche Porno-Unternehmen oder Bordelle Maskottchen haben – ohne Erfolg. Ich glaube, das Ganze ist eher ein asexuelles Ding.

Aber es gibt doch Maskottchen, die ganz bewusst auf sexy gemacht sind.
Manche sind auf eine komische Art und Weise sexy, zum Beispiel Marimokkori mit seiner riesigen Beule in der Hose. Der Sinn dahinter basiert auf einem Wortspiel: "Marimo" ist eine Algenart und "Mokkori" ist ein Klangsymbolwort dafür, wenn sich etwas ausbeult – in anderen Worten: für eine Erektion.

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Und dann gibt es noch Paiko-chan, einen Vogel mit riesigen Brüsten. Das ist das Maskottchen eines Ramen-Restaurants in Tokio, dessen Betreiberin wohl einen großen Busen hat. Mir fällt spontan aber kein Maskottchen ein, das wirklich attraktiv sein soll. Normalerweise sind sie eher ziemlich hässlich.

Chicchai Ossan, das Maskottchen der Stadt Amagasaki

Ich habe gelesen, dass du deine eigenen Maskottchen gestalten willst?
Ja. Bei vielen kleineren Städten ist es so, dass die Bürger selbst Vorschläge einreichen können und die Verantwortlichen wählen dann das beste Design aus. Leider hatte ich bis jetzt noch keinen Erfolg. Vielleicht lasse ich mir irgendwann einen meiner Entwürfe einfach so als Kostüm anfertigen. Ich habe da schon einige Ideen, man darf also gespannt sein.

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