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Interviews

Das unendliche Adriatique-Interview findet ein Ende

Vor gefühlten Jahrtausenden haben wir Adriatique Fragen zu Zürcher Techno, der Street Parade und Hatern gestellt. Hier sind die letzten Antworten.
Alle Fotos: Jojo Schulmeister

2016 habe ich eine Interview-Trilogie mit Adriatique begonnen, doch sie nie zu ende gebracht. Deswegen wurde ich immer und immer wieder genervt – wie wohl Gabe Newell nach Half-Life 3 oder George R. R. Martin nach den letzten zwei Song of Ice & Fire-Büchern. Pünktlich zur Street Parade habe ich mir aber ein Herz gefasst und den letzten Teil der Reihe niedergeschrieben und von Adrian und Adrian noch Antworten zu aktuellen Themen wie der Aufnahme der Zürcher Technokultur als Kulturerbe eingeholt. Und weil ich so nett bin, habe ich das grosse Finale wiederum nicht wie Hollywood-Schreiberlinge in zwei supergypte Teile unterteilt.

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Teil eins und zwei zum Nachlesen.

Noisey: Was denkt ihr, wie lange wird die elektronische Musik im Mainstream- und Underground-Bereich noch populär sein?
Schweizer: Sie wird immer aktuell bleiben, weil diese Art von Musik so vielseitig ist. Synthesizer und Drum-Machines sind gar nicht mehr wegzudenken, sie gehören zum täglich Brot beim Musikproduzieren. Deswegen glaube ich, dass die elektronische Musik nie verschwinden wird. Egal in welcher Form die elektronische Musik existiert.
Shala: Wir sind immer noch ein sehr junges Musikgenre, wenn man uns mit manch anderen vergleicht.

Die elektronische Musik wird sich wahrscheinlich einfach immer weiter verändern, oder?
Shala: Klar. Sie wird sich verändern, sich neu erfinden und immer wieder selbst remixen. Aber sie wird sich auch immer wieder auf die Anfänge und die klassischen Elemente berufen. Trotz des EDM-Erfolgs ist es immer noch eine Subkultur und vor allem eine Clubkultur, welche an Professionalität gewonnen und dadurch für viele auch an Originalität verloren hat.
Schweizer: Elektronische Musik ist in unserem Fall oft Tanzmusik und das wird sich nicht ändern. Die Leute werden immer in den Ausgang gehen, tanzen, und sich fallen lassen wollen.

Geht ihr euch eigentlich nie auf den Sack? Wie schafft ihr es, zusammen Musik zu machen und zusammen zu wohnen?
Shala: Das können wir nur, weil wir uns auf den Sack gehen. Das ist ganz wichtig und es hat sich mittlerweile wie zu einer Geschwisterbeziehung entwickelt. Wir sind oft einer Meinung, das ist aber auch mal nicht der Fall. Dann diskutieren wir das und ab und zu knallt es halt. Dann brauchst du vielleicht kurz Abstand, aber dann finden wir wieder zusammen.
Schweizer: Meistens kommt es aber gar nicht zu dieser Eskalation. Ich meine damit den Extremfall, bei welchem man dann wirklich nichts mehr miteinander zu tun haben will, auch wenn nur für eine gewisse Zeit. Das gibt es bei uns nicht. Wir sind oft mal ein Ventil für einander.

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Konntet ihr euch vorstellen, dass ihr so eng aneinanderwächst, als ihr angefangen habt, zusammen zu arbeiten?
Shala: Ich glaube, dies zeichnete sich bei uns relativ früh ab. Spätestens als ich von Österreich in die Schweiz gezogen bin, wussten wir beide, dass wir es ernst meinen. Es war für uns immer schon eine Leidenschaft, welche mit gewissen Zielen verbunden war, auch wenn wir dafür nie eine Strategie oder einen Plan hatten. Als wir dieses Projekt gegründet haben, sind wir einfach darauf los. So ist es in manchen Situationen heute immer noch, irgendwie naiv aber originell.



Wie seht ihr die Schweiz im Moment auf der Weltkarte der elektronischen Musik und wie wichtig ist euch Zürich als Homebase?
Schweizer: Ich muss ehrlich sagen, die Schweiz ist ein bisschen underrated, was Clubbing anbelangt. Es ist hier halt alles ein wenig eigen, so wie die Schweiz halt in vielen Sachen eigen ist. Die Insel von Europa.
Shala: Das macht die Schweiz auch aus.
Schweizer: Die Qualität, welche die Schweiz in ihre Uhren steckt, steckt sie auch in ihre Clubs – sei es der Sinn fürs Clubbing, gute Soundanlagen, kreative Dekoration und gutes Licht. Trotzdem haben viele Acts und die Crowd aus dem Ausland die Schweiz gar nicht auf der Karte. Man darf ruhig selbstbewusster erscheinen. Agi [Isaku] vom Nordstern ist für mich ein Mensch, der genauso tickt und das schätze ich an ihm. Er redet von grossen Zielen und hat diverse Projekte, um die er sich kümmert. Kompromisslos und zielstrebig.
Shala: Uns fehlt hier natürlich auch die mediale Power: Radio, Magazine oder Festivals. Hier überall tut sich aber auf jeden Fall etwas. Ich habe das Gefühl, es gibt mehr Open Airs zum Beispiel.
Schweizer: Zürich geht auch in Richtung Berlin – einfach viel kleiner.

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Was bei uns wahrscheinlich fehlt, sind die Freiheit und die Freiräume.
Schweizer: Das ist halt die Politik. In unserer Politik sitzen Leute, die nicht gerade die tatkräftigen Unterstützer unserer Kultur sind. Zumindest fühlt sich das so an. Wie es wirklich ist, wissen wir nicht, da wir nicht wirklich involviert sind.

Wird sich etwas ändern, wenn unsere Generation irgendwann die Politik übernimmt?
Shala: Die Frage ist, wie aktiv sind wir? So Leute wie Agi, Dominik oder Alex Dallas (Anm. d. Red. Dominik Müller und Alex Dallas sind Betreiber der Zukunft) betreuen alle Clubs, sind aktiv und beteiligen sich an diesen Diskussionen. Diese Personen machen auch alles dafür, dass diese Kultur lebt und sich weiterentwickelt. Mittlerweile gibt es schon die nächste Generation an Clubbetreibern und Promotern, die das weiterführen sollen. Diese Leute benötigen ein Sprachrohr und genau die soll man reden lassen.

Die Zürcher Technokultur wurde kürzlich zum Schweizer Kulturerbe erklärt. Was haltet ihr davon?
Shala: Das ist sicher eine tolle Nachricht. Hier geht es zwar nicht darum, die Bestimmungen für Veranstaltungen unter freiem Himmel zu lockern. Dafür wird sichergestellt, dass dieses Kulturgut nicht nur von Generation zu Generation weitergegeben, sondern verfestigt wird. Das vermittelt eine gute und wichtige Message. Klar wissen wir alle, wie wichtig das ist, aber mit so einem Statement kommt man auch an die Skeptiker ran.

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Einen Bärenanteil daran hatte sicher auch die Street Parade. Wenn ich aber mit Leuten im Ausland spreche, fällt mir immer wieder auf, dass die meisten die Parade nicht auf dem Schirm haben.
Schweizer: Diese scheint sich ja wieder mehr zu ihren Anfängen zurück zu entwickeln.
Ich habe etwas von "kein EDM" gelesen – finde ich gut.



Die Stages sind ja mittlerweile kuratiert und dafür, dass keine Gage gezahlt wird, ist da Line-up doch recht geil.
Shala: Das finde ich auch gut. Leider haben wir es die letzten Jahre nicht ganz mitgekriegt. Aber so wird der Kern des Technos wieder ein bisschen verfolgt. Die Street Parade ist ja als Demo entstanden. Als wir das letzte Mail auf der Mainstage gespielt haben, war nach uns Robin Schulz dran, der sich noch erinnern kann.

Wie sieht es bei euch eigentlich mit Hatern aus? Kriegt ihr das mit?
Shala: Klar kriegst du das mit. Es kommt halt immer darauf an, wie du selbst damit umgehst. Je länger du Musik machst und je weiter du kommst, desto mehr Zuspruch und Hate bekommst du. Das ist etwas ganz Normales. Man kann es schon aussprechen, wenn man unsere Musik nicht gut findet. Dann stört uns das trotzdem, weil es nicht an uns vorbeigeht.
Schweizer: Ich finde das sowieso ein bisschen übertrieben, wie du heutzutage deine Meinung über Social Media mitteilen kannst. Ich spreche hier natürlich nicht von der Meinungsfreiheit, sondern vom Haten, wie du sagst. Als Künstler stehst du halt manchmal nackt auf einem Podest. Du wirst dabei präsentiert und kritisiert und genau mit diesen Gedanken im Hinterkopf gehst du schlussendlich an deine Selbstvermarktung. Wenn du ein Bild postest, überlegst du dir zweimal, ob du es jetzt postest oder nicht, weil du nicht weisst, was passieren wird. Gibt es einen Shitstorm, weil irgendwas auf dem Bild nicht richtig ist? Eine negative Meinung wird zehnmal höher gewichtet als alle positiven Meinungen. Das ist echt mühsam und das ist die Power des Internets. Du machst dir Gedanken, wie viele Likes, Comments und Reaktionen deine Sachen haben und das ist echt scheisse.
Shala: Genau von dem musst du dich versuchen zu lösen. Das ist die Schwierigkeit dieser Generation. Der Sinn von Social Media sollte eigentlich sein, aufzuklären und Informationen auszutauschen und dann auch über die Richtigkeit zu diskutieren.

Schliessen wir zum Schluss noch den Kreis: Im ersten Interview haben wir uns vor allem über Siamese unterhalten. Es ist bald ein Jahr her, dass ihr euer Label lanciert habt. Seid ihr mit der Entwicklung zufrieden, und wie geht's in Zukunft weiter?
Shala: Stimmt, ja, wir sind zufrieden. Wir hatten jetzt eine Sommerpause, da wir selber sehr viel unterwegs waren und doch vieles, was das Label angeht, selber machen wollen. Wir freuen uns auf den Winter, da wir einige tolle Releases auf dem Plan haben. Zusätzlich werden wir im Village Underground in London und in der Marktkantine Amsterdam sowie im Volt Milano Siamese Events veranstalten.

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