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Reisen

Pilze, Pillen, Rave und Totschlag – 30 Jahre Full Moon Party

Wie aus einem kleinen Hippie-Treffen das heutige Massengelage wurde.
Feiernde bei der Full Moon Party auf Ko Pha-ngan, Thailand | Foto: Dan Vincent | Alamy Stock Photo

Bereits nach wenigen Minuten sind alle meine Hoffnungen auf eine ausgelassene Party zerstört. Es ist Freitagnacht 23 Uhr und ich winde mich durch die Touristenmassen am Haad-Rin-Strand auf Ko Pha-ngan. Die thailändische Insel ist Heimat der legendären Full Moon Party und genau die ist gerade um mich herum in vollem Gang.

Eine Kakophonie sich gegenseitig überschneidender Beats dröhnt von den vielen Strandbars rüber und die frische Seeluft ist erfüllt vom widerlich-süßlichen Geruch der billigen Schnapspanschereien, die hier in buchstäblichen Eimern verkauft werden. Als ich an einer Gruppe vollbetankter und neonbemalter Jungs vorbeikomme, die für Instagram vor einem brennenden Reifen posieren, frage ich mich, was ich hier überhaupt gesucht habe. Meine Art Hedonismus ist das hier jedenfalls nicht.

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Ein paar Meter weiter stehen in einem Halbkreis Mädchen mit gezückten iPhones. Sie alle warten gebannt darauf, was wohl der nächsten Person passiert, die es wagt, über ein brennendes Seil zu springen. Spoiler-Warnung: Sie verbrennt sich.

Ein Feuerreifen am Strand von Ko Pha-ngan | Foto: Russell Kirby | Alarmy Stock Photo

Dieses Strandgelage hat absolut nichts mehr mit dem Freie-Liebe-Hippietreffen zu tun, mit dem das hier alles vor 30 Jahren angefangen hat.

Damals, 1988, waren die Strände so sauber, dass Meeresleuchten das Wasser bei Nacht erhellte, wenn man mit der Hand durchging. Tagsüber schimmerte es in den verschiedensten Türkistönen. So ähnlich beschreibt es jedenfalls Colin. Der heute 54-Jährige lebte damals auf der nahegelegenen Insel Ko Samui. "Wenn du mit dem Fuß gegen das Wasser getreten hast, war das, als würden Saphire oder Diamanten durch die Gegend fliegen", erzählt er mir per Skype mit einem schweren schottischen Akzent.

In den 1980ern seien vor allem Alleinreisende auf die thailändischen Inseln gekommen, berichtet Colin. "Du hast zwei Tage gebraucht, um auf Samui zu kommen. Erst musstest du den Nachtzug aus Bangkok nach Surat Thani nehmen und dann mit einem langsamen Schiff übersetzen. Größere Reisegruppen gab es also kaum."

Außerdem gab es abends keine Elektrizität und so sammelten sich nach Einbruch der Dunkelheit Rudel wilder Hunde an den Ufern. Die "irgendwie unheimliche Dunkelheit" tat ihr Übriges, um die Menschen von den Stränden fernzuhalten. Deswegen begannen die Menschen, bei Vollmond zu feiern, erklärt er. Wenn der Mond rauskam, habe er den ganzen Strand erleuchtet und die Hunderudel hätten sich zurückgezogen: "Plötzlich liefen bei Nacht Hunderte Menschen die Strände hoch und runter."

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Ein paar Hippies, eine Kiste Bier und Haufenweise Pilze

Im Oktober 1988 kamen zwei niederländische Kiffer, die damals in Colins Bungalow wohnten, auf die Idee, ein paar Freunde zusammenzutrommeln und zum Vollmond die kurze Strecke zur spärlich besiedelten Nachbarinsel Ko Pha-ngan rüberzusegeln. Am Ende kletterten zehn von ihnen mit einer Kiste Bier, einer Kiste Cola und einem Haufen Gras und Pilze in ein Boot und fuhren los.

Colin folgte ein paar Tage später, pünktlich zum Vollmond. Er beschreibt die Szenerie, die er bei seinem Eintreffen am Strand vorfand, als eine Art Höhlenmenschen-Versammlung. "Überall saßen bärtige Typen in Sarongs und machten Gras mit Kokosnussschalen klein", erzählt er lachend. Unter den Palmen hatten sie Zelte aufgestellt, im Hintergrund hörte man ständig Bongo-Trommeln und eine Akustikgitarre, auch ein Lagerfeuer brannte durchgehend.

Als sich schließlich die Nacht um sie legte und der Mond hell zu scheinen begann, entfalteten die mitgebrachten Pilze ihre volle Wirkung. Die Gruppe saß stundenlang herum und unterhielt sich über die existenziellen Dinge, über die man sich auf Pilzen eben unterhält. Danach zogen sich alle aus und gingen nackt ins Meer.

Es dauerte jedoch nicht lange und mit der Idylle war es vorbei. In den nächsten Wochen bemerkte Colin, wie Revierkämpfe die Inseln in Beschlag nahmen. Der Auslöser war die bevorstehende Eröffnung eines neuen Flughafens auf Samui – die Grundstückspreise stiegen.

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"Die Gewalt kam aus dem Nichts", sagt er. "Menschen wurden erschossen. Es hat mich richtig schockiert, als ich gemerkt habe, dass jede einzelne Person, die ich dort kannte, eine Knarre hat und auch nicht davor zurückschreckt, sie einzusetzen. Ein paar Freunde, die auf Pha-ngan angefangen hatten, LSD und andere Drogen zu verkaufen, bekamen richtige Probleme mit den einheimischen Jungs. Die wurden mit Macheten vom Strand gejagt. Wenn es hier Drogen zu verkaufen gab, dann wollten die Einheimischen das Geschäft kontrollieren."

Den Vollmondpartys schadete das offensichtlich nicht.

Eine ältere Full Moon Party | Foto: parasola.net | Alamy Stock Photo

Die Vertreibung aus dem Paradies

Im April 1989 hielten dann Elektrizität und Ecstasy auf den Inseln Einzug und beförderten das einstmalige Hippietreffen in gewaltigere und lautere Dimensionen. Mit der Zeit wuchsen daraus die lukrativen Riesenveranstaltungen, die heute bis zu 30.000 Menschen anziehen – an Silvester sogar doppelt so viele. Der Strand von Ko Pha-ngan gleicht heute mehr einem gigantischen Open-Air-Club, auf dem Partytouristen die gleichen Touristenpartys feiern wie auf Ibiza oder Mallorca – komplett losgelöst von dem Ort oder selbst dem Land, in dem sie stattfinden.

Leider war und ist auch Gewalt eine natürliche Konsequenz der Alkohol-, Drogen- und Geldströme, die mit den Menschenmassen Einzug gehalten haben.

Es war in einer Bar in Ko Pha-ngan, in der ein 22-jähriger Brite 2013 durch eine verirrte Kugel starb, als er zwischen zwei sich streitende Gangs geriet. Ein anderer Brite wird seit einer Full Moon Party von vor zehn Jahren vermisst, die Ermittlungen laufen noch. 2007 wurde ein Israeli im Vorfeld einer Party in einer Bar von einheimischen Jugendlichen erstochen und erschlagen.

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Wenn du von derartigen Vor- und Todesfällen aus irgendeinem Grund nichts gehört hast, dann bekommst du spätestens eine Ahnung, wenn du an den vielen Notfallkliniken vorbeikommst. Allein in direkter Strandnähe habe ich vier davon gezählt. Als ich eine betrete, um zu fragen, wie geschäftig es hier zu den Full Moon Partys wird, fängt eine Ärztin nur laut an zu lachen. "Sehr", sagt sie, die Augen über ihrem Mundschutz hat sie weit geöffnet.

Ihr Lachen ist bezeichnend für die Zwielichtigkeit, ja Rechtsfreiheit, die hier greifbar über allem schwebt. Es ist etwas, vor dem mich Einheimische immer wieder warnen. "Sei vorsichtig, mit wem du sprichst"; "Pass auf, was du sagst." Das sind die kriminellen Strukturen deren Entstehung Full-Moon-Veteran Colin vor so vielen Jahren erlebt hat.

Selbst wenn du über die Gewalt hinwegsehen kannst – passiert schließlich überall, nicht wahr? –, die Schäden an der Umwelt sind offensichtlich. Kein Wunder, wenn sich jeden Monat Tausende Menschen auf einem verhältnismäßig kleinen Strandabschnitt tummeln – einem Ort, an dem das Meer nicht nur als Abfalleimer für Plastikbecher und kaputtes Glas, sondern auch als Klo herhalten muss.

Foto: 500px | Alamy Stock Photo

Ein Partygänger lacht, als er mir davon berichtet, wie ein betrunkenes Mädchen mit ihrem Bikinihöschen zu kämpfen hatte, bevor sie sich hingehockt hat, um ins Meer zu Pinkeln. Ein einheimischer Barmitarbeiter sagt: "Wenn das Wasser hoch an den Strand kommt, lässt es den ganz Müll oben. Da ist überall so viel Dreck und auch Kotze."

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Anpassen, Aufräumen, Ausschlachten

Trotzdem, wenn es nach ihm geht, würde er die Partys hier gerne weiter haben. Der wirtschaftliche Nutzen für die Einheimischen ist immens. Eine Taxifahrerin verdeutlicht mir das ganze in Zahlen. Während einer typischen Full Moon Party verdient sie bis zu 6000 Baht, umgerechnet 155 Euro. In einer normalen Nacht sind es nur 150 Baht, keine 4 Euro. Ein Ladenbesitzerin am Strand sagt, dass sie während einer Party genug verdiene, um ihre Familie für den Rest des Monats zu versorgen. Gegen solche Argumente lässt sich kaum etwa sagen.

An anderer Stelle erzählt mir ein örtlicher Reiseveranstalter, dass die Polizei versuche, "Pha-ngans Ruf zu verbessern". In den vergangenen Monaten habe es eine Reihe Drogenrazzien gegeben. So wurde im Dezember die Bar Reggae House und einen Monat später die Bello Bar von der Polizei durchsucht, sowie mehrere illegale Hostels geschlossen.

Der Barmitarbeiter, der sich über den vollgekotzten Strand beklagt, sagt, überall würden Polizisten herumstehen und nur darauf warten, Störenfriede für die Nacht wegzusperren. Außerdem seien die 100 Baht Eintritt, die Besucher für die Full Moon Party bezahlen, für die Reinigung am nächsten Tag gedacht. Diese wird von einer lokalen Geschäftsvereinigung verschiedener Strandbar-Besitzer organisiert.

Andere sind weniger von einer Besserung der Lage in Pha-ngan überzeugt. Immer wieder höre ich, dass die Polizei mit lokalen Gangs unter einer Decke stecken soll.

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Foto: Chris McLennan | Alamy Stock Photo

Ein paar Tage nach der Party kehre ich zum Strand zurück und schaue mir die Aufräumarbeiten an. Ein Team aus Einheimischen geht mit Rechen durch den Sand und leert Mülleimer, während ein Elektrobohrer die akustische Untermalung für die paar übriggebliebenen Partygäste liefert, die jetzt unter der thailändischen Sonne braten. Über allem hier liegt eine gewisse Katerstimmung und Erschöpfung. Irgendwo dazwischen kommt ein Typ gerade von seinem mehrtägigen Speed-Trip runter. Auch ohne Full Moon Party ist das hier eindeutig ein Strand, der die Wodka-Energie-Massen anzieht.

In 30 Jahren hat sich hier einiges verändert. Von den entspannten Anfängen ist auf Ko Pha-ngan nichts mehr zu sehen. Aber wie ich festgestellt habe, haben sich die Einheimischen gut auf den Touristenschlag eingestellt, den diese Gelage anziehen – im Guten wie im Schlechten.

Und hey, wenn das alles schon irgendwo passieren muss, warum dann nicht den ganzen Wahnsinn auf diesen einen Strand begrenzen, anstatt das Chaos auch auf den Rest des Landes loszulassen?

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