Viele Rechtsextreme verstehen ihre eigenen T-Shirts nicht, sagt diese US-Soziologin
Ein Shirt einer identitären Modemarke in Aktion bei einer Demo | Foto: imago | Rolf Kremming

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Mode

Viele Rechtsextreme verstehen ihre eigenen T-Shirts nicht, sagt diese US-Soziologin

Im VICE-Interview erzählt Cynthia Miller-Idriss, was passiert, wenn deutsche Neonazis und Identitäre versuchen, hip zu sein.

1933, als die Nazis nach der Macht griffen, trugen sie Hakenkreuzbinden. Anfang der 90er, als Neonazis Pogrome und Attentate in ganz Deutschland verübten, kombinierten sie Glatzen mit Springerstiefeln. Heute, sagt die Soziologin Cynthia Miller-Idriss von der American University, Washington, D.C., sind Rechtsextreme und -radikale weniger leicht zu erkennen.

Die amerikanische Wissenschaftlerin hat seit 1992 immer wieder mehrere Monate am Stück in Hamburg und Berlin verbracht. Auch für ihr neues Buch The Extreme Gone Mainstream. Miller-Idriss analysiert ihre Frisuren, Tattoos und wie Rechte ihre Hass-Botschaften codieren, damit sie sie legal auf T-Shirts drucken können.

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Miller-Idriss hat jugendliche Träger gefragt, ob sie überhaupt verstehen, was sie da anhaben.

VICE: Sie sind US-Amerikanerin, forschen aber zu Rechtsextremen in Deutschland, warum?
Cynthia Miller-Idriss: In den USA gibt es nur wenige Organisationen, die die Alt-Right beobachten und Strategien gegen sie entwickeln. In Deutschland hingegen gibt es in jeder Stadt mehrere. Deutschland ist der beste Ort der Welt, um Rechtsextremismus zu studieren, die besten Experten leben dort.

Was unterscheidet die Auseinandersetzung mit Rechten in den USA von der in Deutschland?
Bei uns wird Extremismus vor allem ideologisch angegangen, so gut wie niemand betreibt Präventionsarbeit. Jahrelang hat man sich nur auf radikale Islamisten konzentriert. Erst seit Charlottesville rückt auch der Rechtsextremismus stärker ins Blickfeld.

Für Ihr neues Buch haben Sie die Mode von rechten deutschen Jugendlichen untersucht. Welche Bedeutung hat die?
Einige Kollegen meinten, es wäre doch nur Mode, die Jugendlichen würden ihr entwachsen. Aber Mode hat eine viel emotionalere Komponente. Erstens verstärken T-Shirts rassistische und antisemitische Einstellungen, wenn sie Geflüchtete, Migranten oder Juden abwerten. Zweitens ist Mode ein Einfallstor in die rechte Szene, zu noch extremeren Personen. Meine Interviewpartner sind durch bestimmte Shirts und Accessoires auf geheime Hinterhofkonzerte gelangt, sie konnten Gleichgesinnte durch Symbole und Kleidung erkennen. Die Mode macht die Szenen cool für junge Menschen – da unterscheidet sich der Neonazismus nicht vom radikalen Islam und vom IS. Fashion does matter.

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Auch bei VICE: Unterwegs bei Europas größtem Nationalisten-Treffen


Können Sie sich an den ersten Rechtsradikalen erinnern, den Sie hier getroffen haben?
Ich kann nicht mehr sagen, wie er aussah, aber ich weiß, dass ich noch lange über seine Wut nachdenken musste. Er war der erste Berufsschüler, den ich für mein damaliges Forschungsprojekt über die Identität junger Deutscher interviewt habe. Die Wiedervereinigung lag noch nicht so lange zurück, die Euro-Einführung stand bevor. Ich wollte wissen, ob sich die Jugendlichen als Europäer, Deutsche oder Berliner fühlten. Ich weiß nicht, ob er als Neonazi politisch aktiv war, aber kein anderer Schüler hatte so extrem fremdenfeindliche und rassistische Ansichten wie dieser junge Mann. Das hat mich schockiert.

Sie haben dann 2009 das Buch Blood and Culture über rechtsextreme deutsche Jugendliche veröffentlicht. Seitdem sind die Botschaften in der rechten Mode codierter und subtiler geworden.
Mit wenigen Ausnahmen wie dem Hakenkreuz gilt: Kein Symbol allein kann heute eindeutig für eine Ideologie stehen. Man braucht den Kontext und eine Summe von Symbolen. Lehrer, Direktoren und Mitschüler haben es viel schwerer, Rechtsradikale und Rechtsextreme zu erkennen. Was ich aber auch bemerkt habe: Nur die wenigsten Rechten selbst verstehen alle Symbole, das betrifft gerade die eher historischen und komplexeren Anspielungen.

Sie schreiben, dass rechte Marken dafür auch auf andere Sprachen zurückgreifen.
Es gibt eine Jacke, auf deren Rücken der Ausdruck svastika steht (Anm. d. Redaktion: So wird "Swastika" in den skandinavischen und baltischen Sprachen geschrieben). Das erkennt niemand, der nicht den Kontext kennt. 92 Prozent der Jugendlichen, die ich für die Studie befragt habe, konnten nicht mal die Bedeutung von svastika erklären. Im Online-Shop steht dann der Hinweis "Rechtlich unbedenklich". Die Legalität wird Teil des Marketings, viele Leute tragen das Shirt, auch ohne es zu verstehen.

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Historische Anspielungen im Stile von "Festung Breslau" verstand im Schnitt nur jeder zehnte von Miller-Idriss' Interviewpartnern. Die Männer auf den Fotos hat sie nicht interviewt | Links: Eva L. Hoppe || Rechts: Grey Hutton

Viele rechte Trends, sei es identitärer HipHop oder die schwarze Kleidung von Autonomen Nationalisten, stammen aus anderen Milieus. Hinken die Rechten nicht ihrer Zeit hinterher?
Absolut. Um ihre Symbolik zu codieren und Verbote etwa an Schulen zu umgehen, bedienen sie sich bewusst der Symbolik von Linken – vom Schwarzen Block bis hin zu Flüchtlingshelfern. Denken Sie an die Refugees-Welcome-Shirt-Replik "Islamists not welcome". So haben heute weder die Linken noch die Rechten einen einheitlichen Look. Mit der sogenannten Flüchtlingskrise haben außerdem abweisende Sprüche wie "Grenzen hoch und Schotten dicht" und "Islamists Go Home" stark zugenommen.

Was ist Ihnen noch aufgefallen?
Es gibt einen Unterschied zwischen den Sachen für Männer und denen für Frauen. Das T-Shirt "Kontaktfreudig und erlebnisorientiert" beispielsweise gibt es in zwei Ausführungen. Bei den Männern sind rote Blutspritzer zu sehen, bei den Frauen geschürzte rote Lippen – das eine verherrlicht Gewalt, das andere sexualisiert seine Trägerinnen.

Für Ihre Analyse haben Sie Tausende Fotos von fünf deutschen Fotografen und Journalisten ausgewertet, die die rechte Szene beobachten. Und Sie haben mit 51 Berufsschülern gesprochen. Was waren das für Menschen?
Diese Jugendlichen entstammten der rechtsextremen Szene oder hatten Aktivisten als Freunde, Verwandte, Klassenkameraden. Sie waren wütend. Als Berufsschüler fürchteten sie, abgehängt zu werden und prekär leben zu müssen. In den Interviews habe ich gelernt, dass es ihnen am wichtigsten ist zu provozieren, egal ob es Eltern, Lehrer oder Polizisten trifft. Schriftzüge wie "Fuck Your Society" sind gang und gäbe. Genauso oft habe ich allerdings "You’ll Never Walk Alone" gesehen: Die Jugendlichen suchten Anschluss – und den finden sie in der Szene.

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T-Shirt-Stand bei einem Thüringer Neonazikonzert. Das Shirt rechts unten zeigt eine Aneignung eines bekannten antifaschistischen Logos || Foto: Grey Hutton

In Deutschland wird die Liste verbotener Symbole und Zeichen beständig erweitert, zur selben Zeit entstehen immer neue Codes. Wie sinnvoll sind Verbote überhaupt?
In den USA wird an vielen Universitäten darüber diskutiert, ob man bestimmte Gruppen und Symbole auf den Campussen verbieten sollte. Gegner dieses Vorschlags argumentieren, dass die Verbote nur noch mehr Spielräume für Rechtsradikale bieten und sie weniger erkennbar würden. Das Spiel mit Verboten macht zu einem gewissen Teil auch die Anziehung für Jugendliche aus. Sie testen ihre Grenzen, genauso wie die Hersteller. Und was bedeutet es, wenn auf einem Shirt "HKNKRZ", statt "Hakenkreuz" steht? Ist es dann noch ein Wort?

Sie sind dennoch nicht gegen Verbote. Warum?
Selbst wenn sie nicht wirken, so haben sie doch eine symbolische Wirkung für die gesamte Gesellschaft. Sie zeichnen eine Linie in den Sand, die klarmacht, was erlaubt ist – und was nicht. Das hilft Minderheiten ein Stück weit, sich sicherer zu fühlen.

Welche Rolle spielt die rechte Mode aus dem deutschsprachigen Raum im Ausland?
Die Innovationen der deutschen Rechten haben sich in ganz Europa verbreitet. Eine Marke wie "Doberman's Aggressive" aus Polen etwa bedient sich ähnlichen Codes und einer ähnlichen Ästhetik.

Gibt es ähnliche Trends in den USA?
Die Modelabels der sogenannten Patriotic Wear richten sich nicht direkt an Rechtsextreme, sondern an Veteranen und "Patrioten". Mit ihren T-Shirts verherrlichen sie Waffen und Gewalt und stellen sich gegen die Regierung und die "Eliten". Ich habe Menschen mit solchen Shirts am Spielplatz meiner Kinder und im Aufzug meines Hauses getroffen. Die Grenze zum Rechtsextremismus ist allerdings fließend, denn einige dieser Marken verbreiten auch misogyne, islamophobe und rassistische Sprüche. Eine von ihnen wirbt mit dem Spruch "Forcing hipsters into their safe space, one shirt at a time".

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Cynthia Miller-Idriss || Foto: La'Nita Johnson

Wie sieht es in anderen Milieus aus?
Anhänger der Alt-Right in den USA und Rechtsextreme in Deutschland ziehen sich immer öfter "normal" oder "traditionell" an, etwa mit Anzug oder Trachtenjacke. Auch Firmen wie New Balance, deren Vertreter in der Vergangenheit Trump unterstützt haben, sind in der Szene beliebt, obwohl sie sich keiner entsprechenden Symbolik bedienen.

Welche Rolle spielen die Medien im Umgang mit der rechten Szene?
In den USA war es lange Konsens, dass man der extremen Rechten keine Aufmerksamkeit und Titelstorys gibt. Seit einem Jahr ist das anders. Aber als die New York Times ein Porträt über einen "Nazi-Sympathisanten von nebenan" veröffentlichte, beschwerten sich mehrere Leser, dass der Journalist nicht genug Distanz gezeigt hätte. So oder so glaube ich, dass wir am besten eingreifen können, wenn wir uns mit Dingen befassen. Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.

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