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Von Korsetts bis zu den Kardashians: Die Geschichte der weiblichen Silhouette

Passt sich Mode unserem Körper an oder wir unseren Körper an die Mode? Eine Frage, die in der Geschichte der "perfekten" Figur immer wieder auftaucht.
Photos via Instagram / Wikimedia Commons

Bei der diesjährigen Fashion Week in Paris sagte Rei Kawakubo, die Designerin von Comme des Garçons, ihre neue Kollektion drehe sich um "die Zukunft der Silhouette". Anschließend präsentierte sie eine Reihe von Frauen, deren Form mit Isolierschaum komplett verschleiert wurde. Die Kollektion brachte sogar die amerikanische Modekritikerin Cathy Horyn dazu, sich die Frage zu stellen: "Möchte Kawabuko damit sagen, dass wir in Zukunft alle schrecklich unförmig sein werden?"

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Sie stellte allerdings die falsche Frage. Die Frauen im Auge von Kawabukos trashigen Zyklonen sind nach wie vor gertenschlanke Models – sie betonen ihre eigentliche Figur nur nicht mehr. Man kann nur vermuten, dass unter dieser weißen Wolke mit denselben Haaren wie die Puppe Cynthia aus den Rugrats eine Frau steckt, deren oberste Priorität es nicht ist, ihre weiblichen Reize zur Schau zu stellen.

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Von den ausladenden Reifröcken von Marie Antoinette über das Skelett-Kleid von Elsa Schiaparelli und Salvador Dali bis hin zu Rihanna bei der Met Gala 2015 – viele der großen Momente der Modegeschichte drehen sich um die Silhouette der Frau. Dabei geht es nicht unbedingt um die tatsächliche Form des weiblichen Körpers, sondern vielmehr darum, wie viel Raum die Frauen einnehmen. Denn jede Veränderung der Silhouette spiegelt auch die Zeit wider, aus der sie stammt. "Im 20. Jahrhundert hat sich die Form der Silhouette mehrmals verändert", sagt Nancy Diehl, Direktorin des Master-Studiengangs Kostümbild an der New York University. "Die Damenmode spiegelt definitiv auch gesellschaftliche Schwerpunkte wider."

Die erste große Veränderung hinsichtlich der weiblichen Silhouette wurde aus der Not heraus geboren. Vor dem Ersten Weltkrieg wurden Frauen generell in die Form gezwängt, die eben gerade Mode war. Im Jahr 1917 wurden sie hingegen dazu aufgefordert, sich keine Korsetts mehr zu kaufen, da der Stahl, der in den Korsetts verarbeitet war, zu Kriegszwecken benötigt wurde. Laut dem amerikanischen Nachrichtensender NPR sparte man sich auf diese Weise genug Stahl, um zwei komplette Kriegsschiffe zu bauen. Hinzu kam, dass es die Frauen sichtlich genossen, zur Abwechslung mal frei atmen zu können. Das dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, warum sie knapp zwei Jahrzehnte lang nicht mehr zu dieser Mode zurückgekehrt sind.

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Coco Chanel vertrat die Meinung, Frauen hätten es verdient, genauso unbeschwert zu leben wie Männer und setzte sich dafür ein, die moderne Frau mit legerer Kleidung zu versorgen. "Ich habe Frauen ein Gefühl von Freiheit verliehen", sagte sie. "Ich habe ihnen ihren Körper zurückgegeben – Körper, die bis dahin schweißgebadet waren, wegen all dem Prunk, der Spitze, den Korsetts, den Unterkleidern und den Polstern, die damals Mode waren." Chanel kreierte zwei maßgebliche Outfits: den Damenanzug und das kleine Schwarze, die beide locker die weibliche Figur umhüllten. Diehl sieht in dem damaligen Kleidungsstil allerdings eine der größten Ironien der Modewelt der 20er-Jahre: Eigentlich würde man davon ausgehen, dass Frauen in einer Zeit, in der sie mehr Rechte erlangten und unabhängiger wurden, ihre weibliche Figur gefeiert hätten. Doch obwohl die Frauen in den 1920er-Jahren "in der Öffentlichkeit viel selbstbewusster auftraten", wie Diehl sagt, "trugen sie Kleider, die die Wirklichkeit des weiblichen Körpers verneinten".

Ein "Bar-Anzug" aus dem Jahr 1947 von Christian Dior. Foto: Shake | Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0

Das könnte auch daran gelegen haben, dass Coco Chanel ihren eigenen Komfort immer an erste Stelle stellte – was auch ihre geheime Zusammenarbeit mit den Nazis erklären könnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm dann Christian Dior ihren Platz in der französischen Modewelt. Mit Gürteln um die Taille, Mänteln mit weichen, schrägen und femininen Schultern und einem weiten Rock wurde Diors "neuer Look" zu einem riesigen Skandal. Das lag vor allem an seiner unverhohlenen Missachtung strenger Stoffrationierungen. Als er seine Kollektion 1947 vorstellte, war der Krieg zwar schon seit zwei Jahren vorbei, doch die Sparmaßnahmen waren immer noch in Kraft. Dior prophezeite einen Wohlstand, der erst noch bevorstand: Frauen, die in einem einzigen Outfit, das ihnen von ihren Ehemännern gekauft wird, wortwörtlich meterweise Stoff tragen, weil sie ja glücklicherweise endlich nicht mehr arbeiten müssen.

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Während der Weltwirtschaftskrise wurden Frauen zu wichtigen Arbeitskräften und der Zweite Weltkrieg zwang viele von ihnen, männerdominierte Berufe in Munitionsfabriken, beim Geheimdienst oder im Sport zu übernehmen. Als der Krieg dann vorbei war, sehnten sich die Menschen nach einfacheren Zeiten. "Man liest in den Magazinen der damaligen Zeit ganz häufig: 'Die Frauen werden wieder auf einen Podest gehoben'", sagt Diehl. Der neue Look von Dior war eigentlich nichts weiter als eine wieder aufgewärmte Mode und brachte Unterkleider und Konstruktionen wieder, die man eigentlich schon in den 30er- und 40er-Jahren aufgegeben hatte. Dior selbst nannte seine Arbeit "die Rückkehr zum Ideal zivilisierten Glücks". Chanel war mit ihrer Einschätzung hingegen weniger großzügig. Sie war der Meinung: "Dior zieht Frauen nicht an. Er polstert sie aus."


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Die nächste große Veränderung hinsichtlich der weiblichen Silhouette kam nicht aus Paris, sondern aus New York – oder zumindest aus der Hollywood-Adaption von New York. Vor der amerikanischen Dick Van Dyke Show war man immer davon ausgegangen, dass Frauen Beine unter ihren Kleidern hatten und ihr Hintern direkt über den Beinen saß. Doch Beweise gab es dafür keine – zumindest nicht in Form einer bekannten Fernsehshow. Mit der Schauspielerin Mary Tyler Moore hat sich das geändert. "Ich habe all die anderen Schauspielerinnen gesehen, die in kurzen geblümten Hauskleidern und High Heels staubsaugten", sagte Moore 1995 gegenüber Terry Gross in der Radiosendung Fresh Air, als sie danach gefragt wurde, was sie über die 60er-Jahre denkt. "Ich habe das nicht so gemacht und ich kannte auch niemanden, der so staubsaugte. Deswegen habe ich mich gefragt, warum wir nicht zeigen, wie es wirklich aussieht. Ich wollte mich in der Sendung so anziehen, wie ich es auch im wirklichen Leben tun würde." Die Sponsoren verloren fast den Verstand. "Sie sprachen immer davon, 'unten noch mehr abzuschröpfen'", sagte Moore. "Ich nehme an, dass sie damit mein Sitzfleisch meinten und dass man ein wenig zu viel davon sah."

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Der Showrunner Carl Reiner handelte schließlich einen Waffenstillstand zwischen Moores Hintern und den Sponsoren aus: Laura Petrie würde nur einmal pro Folge Hosen tragen. Doch nachdem die Gesellschaft nicht unter dem Gewicht des Hinters einer Hausfrau zusammengebrochen war, erlaubten sie Moore, auch öfter Hosen zu tragen. "Letztendlich trug ich nur noch Hosen", sagte Moore 2004 gegenüber einer Fernsehzeitschrift.

In ihrer eigenen Sendung in den 1970er-Jahren präsentierte sich Mary Tyler Moore noch etwas rebellischer. Darin spielte sie eine Frau, die in der Nachrichtenredaktion eines Fernsehsenders arbeitete. Frauen in Arbeitskleidung wurden damals ein immer wichtigeres Thema. John T. Molloy beschrieb in seinem 1975 erschienen Bestseller Dress for Success unterdessen, wie sich eine erfolgreiche Frau anzuziehen hatte. Zuvor waren breite Schultern und auffällige Krawatten immer das Markenzeichen von erfolgreichen Männern, doch im Verlauf der 80er-Jahre ersetzen Frauen die Krawatte einfach durch auffälligen Schmuck oder einen Schal von Hermès. Ursprünglich hatten Schulterpolster, die als Wattierung in Militäruniformen dienten, einen ganz praktischen Hintergrund. Doch schon seit Ende der 30er- und Anfang der 40er-Jahre wurden sie auch bei Damenanzügen angebracht. Als die Frauen in den 80er-Jahren dann zu arbeiten begannen, kehrten auch die breiten Schultern zurück. "In den 1980er-Jahren drehte sich alles um Volumen", sagt Diehl. "Die Röcke waren voluminös, genau wie die Schultern und die Haare." Die Schulterpolster der Frauen imitierten den breiten Schnitt italienischer Herrenanzüge. Um in der männerdominierten Geschäftswelt Erfolg zu haben, mussten Frauen also einfach nur ein wenig männlicher aussehen.

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Eine der Frauen, die diesen Kleidungsstil perfektionierte, war Margaret Thatcher. Sie nutzte die kastigen Anzüge, um sich – genau wie Lady Macbeth – vollkommen geschlechtslos zu machen. Rosa Schiller Crawhurst beschrieb Thatcher in Oxford Student als "eine Frau, die es ihre gesamte Karriere hinweg schaffte, ihre Kleidung und ihre Accessoires als cleveres Medium zu nutzen, um ihre Macht zu kommunizieren". Außerdem wurde Thatcher regelmäßig dabei abgelichtet, wie sie sich mit Ronald Reagan einen Wettkampf darum lieferte, wer die breiteren Schultern hatte.

Während die Frauen der 80er-Jahre ihrem Geschlecht abschwörten, um an die Macht zu kommen, boten die 90er wieder mehr Möglichkeiten, um sich selbst mit seiner Kleidung in Form zu bringen. Madonna beispielsweise betonte ihre weiblichen Reize, um ihre Silhouette in Szene zu setzen. Jean Paul Gaultiers Kegel-BH, der 1990 für Madonnas Blonde-Ambition-Tour entworfen wurde, wurde bei einer Auktion 2012 für umgerechnet rund 48.800 Euro versteigert. Dieser Trend hat sich zwar nie wirklich durchgesetzt, allerdings ist der Kegel-BH nur eine von vielen Kollaborationen der Sängerin mit dem Designer, der sich mit seiner Arbeit vor allem auf ihre Brüste konzentrierte. Im Jahr 1992 lief Madonna bei einer Benefizveranstaltung von Gaultier neben anderen in Latex gekleideten Stars oben ohne über den Laufsteg. "Heute Abend geht es um Schutz", sagte Gaultier zu Beginn der Show. "Verwendet Kondome und schützt euch!" Gaultiers Bustier muss also immer vor dem Hintergrund der damaligen AIDS-Epidemie betrachtet werden. Als Kind fand ich Madonnas kegelförmige Brüste ziemlich erschreckend, was die allgemeine Haltung gegenüber Sex zu Beginn der 90er-Jahre ziemlich gut zusammenfasst.

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Was die weibliche Silhouette betrifft, überlässt die aktuelle Mode zwischen Sport- und Freizeitbekleidung nicht mehr viel der Fantasie: Bodycon-Bandage-Kleider haben Lycra den Weg in die Alltagsmode gebahnt und der Hintern kam im neuen Jahrtausend voll zur Geltung. Dank Kim Kardashian wissen wir mittlerweile alle, was Waist Trainer und Butt Pads sind und dank Remy Ma wissen wir, dass Nicki Minaj Po-Implantate hat – und genau hier schließt sich der Kreis. Die weibliche Figur wird damit soweit übertrieben, dass man sich an die Silhouette von viktorianischen Frauen erinnert fühlt, mit dem einzigen Unterschied, dass der ganze Stoff und Tüll von damals durch Kollagenspritzen ersetzt wurde. Doch obwohl diese Körperform laut Diehl "nicht der Mode entspricht", ist sie trotz allem allgegenwärtig. Was Stars auf Instagram präsentieren, hat mittlerweile denselben Einfluss auf die Modewelt wie das, was in Magazinen abgedruckt wird.

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Am anderen Ende der Skala gibt es aber auch viele Menschen, die sich komplett außerhalb aller modischen Normen anziehen. "Das ist in vielen Fällen so eine Art antibürgerliche Rebellion", sagt Diehl. "Die alten Regeln, die festgeschrieben haben, was vorteilhaft aussieht und was nicht, werden damit infrage gestellt." Fat Positivity, nicht-binäre Geschlechteridentitäten und andere progressive Ideologien suchen sich darüber ihre eigenen ästhetischen Ausdrucksformen. "Ich bin mit einem Stylisten befreundet, der mir erzählt hat, dass man niemandem mehr sagen kann: 'Das steht dir nicht'", sagt Diehl.

In anderen Worten: Die Zukunft der Silhouette wird in Zukunft sehr viel diffuser sein als bisher. Während sich die Gesellschaft immer weiter in sehr spezifische Subkulturen aufspaltet, wird auch Weiblichkeit nicht mehr länger nur durch eine einzige Form definiert werden können. In diesem Jahr werden bei der Met Gala alle Augen auf Kawakubo und Comme des Garçons gerichtet sein. Das alles wird den Moment markieren, in dem einer der größten modischen Regelbrecher wieder einmal Geschichte schreiben wird.


Fotos: Khloe Kardashian | Instagram / Haabet | Wikimedia Commons | Public Domain