"Es ist nicht einfach, Frau zu sein": Joy Denalane über weibliche Solidarität
Foto: Eva Baales | Universal Music

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Musik

"Es ist nicht einfach, Frau zu sein": Joy Denalane über weibliche Solidarität

Seit fast zwei Jahrzehnten thematisiert die Berlinerin in ihren Songs soziale Ungerechtigkeit. Wir haben mit ihr über Flüchtlinge in Deutschland, Frauenfeindlichkeit und den Wunsch nach mehr Zusammenhalt gesprochen.

Für manche ist sie wichtige Mitbegründerin des deutschsprachigen Soul, für andere auf ewig Teil des Traumpaars der deutschen Musikindustrie. Doch auch wenn Joy Denalane mit der Freundeskreis-Kollabo "Mit Dir" der Durchbruch gelang, sie auf die Rolle der Frau an der Seite von Max Herre zu reduzieren, würde ihr nicht im Ansatz gerecht. Allen voran ist die Berlinerin nämlich eine Frau, die in über rund 20 Jahre in der Musikbranche hinweg ihren Weg verfolgt hat, sich darin nie beirren ließ – und die sich ganz nebenbei auch noch für Organisationen wie die Deutsche AIDS-Hilfe oder Terre des Femmes einsetzt.

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Auch auf ihrem am 3. März erscheinenden Album Gleisdreieck nimmt sich Joy den großen und kleinen Problemen unserer Welt an, dieses Mal allerdings mit der klaren Erkenntnis, nicht auf alles eine Antwort haben zu müssen. Wir haben die 43-jährige Vollblutmusikerin in Berlin getroffen und uns erklären lassen, wieso sich Weiblichkeit nicht in Schubladen pressen lässt, welche gesellschaftlichen Entwicklungen ihr Sorgen machen und warum es so wichtig ist, dass Frauen zusammenhalten.

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Broadly: Du hast in einem relativ aktuellen Interview gesagt, dass Girl Power für dich ist, wenn man sich von den ganzen weiblichen Attributen lösen kann.
Joy Denalane: Girl Power oder Frau sein bedeutet für mich die Freiheit, zu sein, wer man sein will – ungeachtet dieser klassischen weiblichen Attribute. Ich will sie nicht ganz ausschließen, weil ich auch gerne Dinge mache, die als klassisch weiblich betrachtet werden könnten. Nur wenn sie mir auferlegt werden und ich dort verweilen muss, um gesellschaftlich akzeptiert zu werden als Frau, dann will ich das nicht.

Wenn ich auf der Bühne stehe, bin ich glaube ich sehr authentisch. Wenn ich wütend bin und das dann vielleicht etwas burschikos rüberkommt, ist es halt so. Du bekommst immer die ungefilterte Joy und wirst nie erleben, dass ich darüber nachdenke, wie ich den nächsten Schritt mache. Deswegen finde ich es umso unverschämter, wenn Leute nach einer Show zu mir kommen, um mir zu sagen, ich soll doch mal ein bisschen auf meine feminine Art achten oder so ein bisschen mehr darauf achten, nicht zu sehr über die Stränge zu schlagen. Das ist nicht nur einmal passiert, das ist immer wieder passiert und es waren natürlich nur Männer, die mir das angeraten haben.

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Sehr verwirrend eigentlich immer noch, eine Frau zu sein und beruflich Fuß zu fassen, ohne sich ständig infrage zu stellen. Ich will mich klar und sortiert ausdrücken. Ich will nicht verschreckend wirken. Ich will nicht zu bossy sein, aber auch nicht zu lieb …

Haben solche Ereignisse dazu geführt, dass du dich bewusst so viel für Frauenrechte einsetzt? Bist du dadurch politischer geworden?
Ich tu mich immer ein bisschen schwer mit dem "politisch." Ich mache mir schon Gedanken über die Gesellschaft. Worin einen wir uns, worin unterscheiden sich Menschen innerhalb von Gesellschaften, was passiert und was hat das für Auswirkungen auf die Lebensqualität aller? Ich bin insofern wahrscheinlich eher gesellschaftskritisch interessiert als politisch im klassischen Sinne. Das hat natürlich auch irgendwo eine politische Komponente, aber ich würde jetzt nicht sagen, dass ich eine politische Künstlerin bin.

Mit dem Sündenfall aus der Bibel wurde ja schon irgendwie besiegelt, dass die Frau die Schuld hat und die ganze Last der Welt auf ihren Schultern trägt.

Trotzdem arbeitest du eng mit Terre des Femmes zusammen. Wie ist es dazu gekommen?
Die sind vor zwei Jahren auf mich zugekommen. Eine sehr liebe Freundin von mir, die Kunstvermittlerin ist und bei Sotheby's in Berlin arbeitet, hat für Terre des Femmes eine Kunstauktion ins Leben gerufen und mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, mitzumachen. Das habe ich gemacht, mich mehrfach mit der Geschäftsführerin unterhalten und schließlich haben wir beschlossen: Lasst uns doch weiter zusammenarbeiten. Die Gelder, die sie durch die Kunstaktion eingespielt haben, wollen sie nämlich dazu nutzen, um geflüchteten Frauen dabei zu helfen, ein Leben aufzubauen. Das wird eine neue Säule, innerhalb der sie sich engagieren wollen. Sobald sich ein Dolmetscher gefunden hat, würde ich mich da sehr gerne einklinken. Ich glaube, dass das ein Punkt ist, wo man sehr viel machen kann. Das Thema ist wahnsinnig aktuell und greift eine Auseinandersetzung auf, die hier bei uns gerade stattfinde. Für mich ist es völlig absurd, dass die Frage, wie man mit diesen geflüchteten Menschen umgeht und was ihnen zusteht, das Land so ein bisschen spaltet.

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Foto: Eva Baales | Universal Music

Man muss auch sehen, dass Frauen auf der Flucht, die in der Nähe von Schleusern über Ländergrenzen gebracht werden, viel größeren Gefahren ausgesetzt sind. Es gibt Berichte von Hilfsorganisationen, dass oftmals nur dadurch bekannt wird, dass es auf der Flucht zu sexuellen Übergriffen kam, weil sich dann im neuen Land rausstellt, dass die geflüchteten Frauen von ihren Vergewaltigern schwanger sind.
Das finde ich definitiv ein Thema, das so gut wie gar nicht angesprochen wird. Ich muss sagen, dass ich die Vorstellung, dass Leute hierher kommen, um uns was wegzunehmen, allgemein absolut perfide finde. Wenn man sich vorstellt, was diese Leute auf sich nehmen … Ich meine, ich gehe doch nicht freiwillig von zu Hause weg. Ich gehe doch nur weg, wenn ich weg muss, weil mein oder das Leben meiner Familie bedroht ist. Wer steigt denn sonst freiwillig in so ein Boot, wenn er weiß, dass er da womöglich nie wieder aussteigt?

Da muss erst ein kleiner Junge an Land gespült werden, damit die Weltgemeinschaft mal kurz den Atem anhält – nur um dann anschließend weiter draufzuhauen. Der Rechtsruck in Deutschland, aber auch in der ganzen Welt, ist ein Ausdruck davon, dass die Aufmerksamkeitsspanne so kurz ist, dass nicht einmal solche Bilder nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Deswegen denke ich, dass es auch Aufgabe der Politik, an dieser Stelle in Kommunikation mit der Gesellschaft zu gehen und sich klar zu positionieren. Und das nicht wie ein Björn Höcke, der von einem „Mahnmal der Schande" spricht.

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Frauen können, wenn sie sich miteinander solidarisieren, wahnsinnig eng zusammenarbeiten. Und das muss mehr passieren.

Ist das was, was dir auch hinsichtlich der Bundestagswahl Sorgen macht? Ich meine, es hat vorher kaum jemand damit gerechnet, dass Donald Trump wirklich gewählt wird und jetzt ist der mächtigste Mann der Welt ein Rassist, dem unter anderem auch Frauenrechte total egal sind.
Hast du dich schon mal gefragt, wie das mit dem Sündenfall aus der Bibel zusammenhängt? Damit wurde ja schon irgendwie besiegelt, dass die Frau die Schuld hat und die ganze Last der Welt auf ihren Schultern trägt, weil sie den armen, unwissenden, lieben Mann dazu verführt hat, vom Apfel zu essen. Ich habe das Gefühl, dass mit diesem Bild eine gewisse Indoktrination stattgefunden hat und die Sicht auf Frauen schon auch irgendwo damit verknüpft ist.

Gleichzeitig ist es auch ein sehr widersprüchliches Bild. Wie kann legitimiert werden, dass der Mann als Teil des starken Geschlechts immer in Entscheiderpositionen sein muss, wenn die Frau gleichzeitig seine Schwäche ist? Ich habe das Gefühl, dass Frauenfeindlichkeit gerade wieder beinahe gesellschaftsfähig wird.
Es geht ganz klar um Herrschaftsverhältnisse. Ich habe ein Buch gelesen, Meine geniale Freundin von Elena Ferrante, dass das sehr gut aufgreift. Es geht um zwei Mädchen in einem ärmlichen Vorort von Neapel in den 50er Jahren. Wie sie eigentlich noch vollkommen "unbeschrieben" als Menschen in die Welt steigen und über die Jahre zurechtgestutzt werden und die Erwartungen erfüllen müssen, die an Frauen gestellt werden. Zwischendrin entfernen sie sich aber auch immer wieder davon, weil sie merken, dass da Dinge passieren, die sie eigentlich gar nicht wollen. Es zeigt auch sehr schön, was für eine Anstrengung es sein kann, eine Frauenfreundschaft zu führen. Weil sie gespickt ist von Liebe und Zuwendung, aber auch von Neid und Eifersucht – was natürlich auch mit der Vorstellung zu tun hat, dass man einem Mann gefallen möchte oder irgendwo Anerkennung sucht. Das hat mir auch nochmal zu denken gegeben. Es ist schon nicht so einfach, eine Frau zu sein.

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Ich glaube schon, dass es teilweise einen größeren Konkurrenzkampf zwischen Frauen gibt, man muss sich aber natürlich auch angucken, wo das herkommt. Wenn ich weiß, dass es in der Chefetage nur Platz für eine Frau gibt, dann ist eine andere Frau die größere Bedrohung für mich. Dann habe ich das Gefühl, dass sie mir was wegnimmt. Das sind Mechanismen, die oft als gegeben hingenommen werden, anstatt sie zu hinterfragen und mit denen man dann natürlich auch unterbewusst interagiert.
Absolut, ich sehe das genauso wie du und es ist natürlich auch irgendwie schade. Trotzdem gibt es eine Qualität, ich nenne es mal Solidarität, die ich schon sehr oft unter Frauen erlebt habe. Meine Beobachtung – und das ist jetzt wirklich nur mein Eindruck, da will ich keine These draus machen – ist, dass Männer untereinander eher Allianzen schmieden. Die sind dann für einen gewissen Zeitraum für beide gut und funktionieren auch, sie nähern sich aber nicht unbedingt weiter an. Das können Frauen nicht so gut, dafür entstehen aber echte solidarische Verbindungen. Ich weiß nicht, ob es vielleicht daran liegt, dass man anthropologisch Kinder bekommt oder ähnliches Leid durchmacht, aber Frauen können, wenn sie sich miteinander solidarisieren, wahnsinnig eng zusammenarbeiten. Und das muss mehr passieren.

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Titelfoto: Eva Baales | Universal Music