Als er seine Familie nicht mehr ernähren konnte, beschloss Gilberto Ysaias, sein Land zu verlassen. Die immer heißeren Sommer in Honduras hatten die Ernte des indigenen Bauern massiv verkleinert. Hinzu kam der Druck durch die kriminelle Bande MS-13, die ihn erpresste. Weil er nicht genug Geld aufbringen konnte, versuchte die Gang, seinen 11-jährigen Sohn zu rekrutieren. Doch Ysaias hatte gehört, dass Menschen in den USA Asyl erhalten können, also packten er und sein Sohn ihre Taschen und wanderten zur texanischen Grenze: mehr als 3.200 Kilometer zu Fuß.
Im März erreichten Vater und Sohn US-amerikanischen Boden. Sie wurden in Gewahrsam genommen, sollten abgeschoben werden. Inzwischen sind die beiden bei einem Bürgen untergekommen und warten. Ein Gericht soll entscheiden, ob die Bandengewalt in Honduras ihnen ein Recht auf Asyl gewährt. Um Ysaias und seine Familie zu schützen, haben wir seinen Namen geändert
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Es klingt absurd, aber ohne die kriminelle Bande wären Ysaisas und sein Sohn vermutlich schon zurück nach Honduras geschickt worden. Denn die Klimakrise, die Ysaisas Ernte zunichte gemacht hat, ist in keinem Land der Welt ein anerkannter Grund für Asyl."Letzten Sommer gab es einen extrem heißen Monat, die Hälfte aller Pflanzen starb", schreibt Ysaias in einer Stellungnahme. "Aufgrund der Hitze pflanzen Bauern immer weniger Früchte an, sondern Gras für Rinder." Dadurch gebe es weniger Arbeitsplätze.Das Verteidigungsministerium der USA bezeichnet den Klimawandel als "Bedrohungsmultiplikator". Das heißt, er kann bestehende Probleme verschlimmern, zum Beispiel Armut, gewaltsame Konflikte und politische Instabilität. Forschende der Stanford University schätzen: Die Schere zwischen den reichsten und ärmsten Ländern der Welt wäre ohne die Klimakrise um ein Viertel geringer. Viele Menschen werden wegen der Klimakrise ihre Heimat verlassen müssen.
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Es klingt absurd, aber ohne die kriminelle Bande wären Ysaisas und sein Sohn vermutlich schon zurück nach Honduras geschickt worden. Denn die Klimakrise, die Ysaisas Ernte zunichte gemacht hat, ist in keinem Land der Welt ein anerkannter Grund für Asyl."Letzten Sommer gab es einen extrem heißen Monat, die Hälfte aller Pflanzen starb", schreibt Ysaias in einer Stellungnahme. "Aufgrund der Hitze pflanzen Bauern immer weniger Früchte an, sondern Gras für Rinder." Dadurch gebe es weniger Arbeitsplätze.
Schätzungen reichen von 25 Millionen bis 1,5 Milliarden Flüchtlinge
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Die Internationale Organisation für Migration gehört zu den Vereinten Nationen und hat Schätzungen über die Anzahl der Klimaflüchtlinge ausgewertet. Einem Bericht aus dem Jahr 2014 zufolge schwanken die Schätzungen stark. Bis zum Jahr 2050 können es demnach zwischen 25 Millionen und 1,5 Milliarden Menschen sein. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace schätzt, es könnten 200 Millionen Klimaflüchtlinge bis zum Jahr 2040 sein.Ein Grund für die starken Unterschiede in den Schätzungen: Es ist kaum seriös abzuschätzen, welche Folgen allein Dürren und Wassermangel nach sich ziehen können. Wird es dadurch Bürgerkriege geben? Und wie viel können technologische Gegenmaßnahmen bewirken? Klar ist: Viele Klimaflüchtlinge werden aus den ärmsten Staaten der Welt kommen, die am wenigsten Schuld an der Klimakatastrophe tragen.Gianvito Grieco ist Anwalt am texanischen Refugee and Immigrant Center for Education and Legal Services (RAICES) und hat an Ysaias' Fall gearbeitet. "Diese Menschen kommen vordergründig wegen Ursachen, die als Asylgrund anerkannt sind", sagt er gegenüber VICE. "Doch die Wurzel des Ganzen ist eigentlich der Klimawandel."Obwohl das Wort "Klimaflüchtling" längst durch die Nachrichtenmedien geistert – im internationalem Recht gibt es diese Bezeichnung nicht. Grundlage ist das UN-Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951, auch bekannt als Genfer Flüchtlingskonvention. Sie definiert einen Flüchtling als eine Person, die das Land ihrer Staatsbürgerschaft verlässt, und zwar "aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung". Die Flüchtlingskonvention hilft Menschen, die politisch verfolgt werden. Sie hilft aber nicht Menschen, deren Ernten vertrocknen oder deren Häuser durch Überschwemmungen zerstört werden.
Warum Klimawandel kein Asylgrund ist
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"Die aktuelle Definition umfasst keine Fälle, in denen das Heimatland einfach zu heiß geworden ist oder die Ernten zu klein ausfallen", sagt Grieco. Deshalb stoßen sich auch viele Juristinnen und Juristen an der Bezeichnung "Klimaflüchtling". Auch legt das Wort einen Fokus auf Menschen, die in ein anderes Land migrieren – dabei bewegen sich viele Betroffene auch innerhalb der Grenzen ihres Landes."Juristisch gesehen gehen mit der Bezeichnung 'Flüchtling' gewisse Rechte und Vorteile einher", schreibt Phillip Dane Warren, Jurist an der Columbia University, 2016 in der Columbia Law Review. "Doch fast alle Klima-Migranten sind vom konventionellen Flüchtlingsstatus ausgeschlossen."
Inzwischen gehen Aktivistinnen gegen die enge Definition der Bezeichnung "Flüchtling" vor. Ein Vorreiter ist Ioane Teitiota, ein Bürger des mikronesischen Inselstaats Kiribati. Er bat im Jahr 2014 Neuseeland um Asyl – als weltweit erster Mensch, der die Klimakrise als Asylgrund angab. Der Inselstaat Kiribati wird nämlich voraussichtlich durch den steigenden Meeresspiegel verschwinden. Doch das Oberste Gericht von Neuseeland wies Teitiota ab – und berief sich dabei auf die Genfer Flüchtlingskonvention. Teitiota wurde wieder nach Kiribati abgeschoben."Es ist ein zweischneidiges Schwert", sagt der texanische Anwalt Grieco. "Wollen wir das Gesetz ändern und Zugeständnisse riskieren – oder suchen wir im jetzigen Rechtssystem einen Platz für die Klimaflüchtlinge?""Migration ist das menschliche Gesicht des Klimawandels"
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George Benson ist Stadtplaner im kanadischen Vancouver und möchte kanadische Städte auf Klimaflüchtlinge vorbereiten. Gemeinsam mit drei Kollegen gründete er das "Climate Migrants and Refugees Project". Eine Herausforderung für Benson und seine Mitstreiter: Viele Menschen, die vor widrigen Umweltbedingungen fliehen, nennen sich noch nicht "Klimaflüchtlinge". Es sei schwierig, sich für eine Gruppe Menschen einzusetzen, die selbst nicht wisse, dass sie existiert, sagt Benson."Klimamigration ist das menschliche Gesicht des Klimawandels", sagt Ama Francis, die an der Columbia University zu Klimarecht forscht. "Im Vordergrund steht die Frage, wie man Migrantinnen und Migranten das Leben erleichtern und ihnen rechtliche Lösungen bieten kann." Francis stammt aus dem kleinen Inselstaat Dominica in der Karibik, wo zunehmend Hurrikane wüten. "Man nennt Dominica auch 'die Naturinsel der Karibik', und diesen Titel halte ich für wohlverdient", sagt Francis. "Mehr als die Hälfte der Insel steht unter Naturschutz, aber der Klimawandel ist für uns eine neue Herausforderung."
Neun von zehn Häusern wurden zerstört, als Hurrikan Maria 2017 über Dominica hinwegfegte | Foto: Michael Lees
Wie auch Puerto Rico wurde Dominica im Jahr 2017 von Hurrikan Maria verwüstet. Der Premierminister Roosevelt Skerrit bezeichnete seinen Staat als "Kriegsgebiet". Neun von zehn Wohnhäusern wurden zerstört, jede fünfte Person verließ nach dem Sturm die Insel. "Meine eigene Mutter musste auf die Nachbarinsel St. Kitts migrieren", sagt Francis. "Meine Oma blieb in ihrem Haus, obwohl es kein Dach mehr hatte." Francis' Mutter zog schließlich von St. Kitts in die USA und schließlich nach Barbados.
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