10 Fragen an eine Epileptikerin, die du schon immer stellen wolltest
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10 Fragen

10 Fragen an eine Epileptikerin, die du schon immer stellen wolltest

Wie gehst du feiern? Was war die peinlichste Situation, in der du jemals einen Anfall hattest? Hast du während der Anfälle Halluzinationen?

Was Epilepsie wirklich bedeutet, wissen nur die, die direkt von ihr betroffen sind. Für alle anderen ist nur schwer vorstellbar, was genau diese neurologische Erkrankung, die oft als "Gewitter im Kopf" bezeichnet wird, für Einschränkungen mit sich bringt oder was bei einem epileptischen Anfall wirklich passiert.

In Österreich sind rund 80.000 Menschen betroffen. Und weil wir schon mal direkt an der Quelle sitzen, haben wir einfach Hanna Herbst aus unserer Wiener Redaktion zur Seite genommen und ihr 10 Fragen gestellt, die uns interessieren und die man Fremden so vielleicht nicht so schnell stellen würde. Sie bekam mit Anfang 20 die Diagnose, hat hier schon darüber geschrieben, hier erklärt, was im Falle eines Anfalls zu tun ist, und geht offen mit ihrer Krankheit um.

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VICE: Wie gehst du feiern?
Hanna: Ich gehe ganz normal feiern. Ein Neurologe hat mir mal gesagt, er würde sich wünschen, dass ich schnell erwachsen werde und damit aufhöre, aber er könne natürlich verstehen, wenn ich noch nicht so weit bin. Ich sollte danach halt wirklich ausschlafen und auf mich schauen. Es gibt natürlich auch Leute, die nicht fortgehen können. Blinkendes Licht ist bei mir zum Beispiel egal und kein Trigger. Alkohol auch nicht. Dafür (psychischer) Stress, also Streit zum Beispiel. Aber den gibt's nüchtern auch.

Was war dein schlimmster Anfall?
Schlimmster ist schwierig. Es gibt die, die einfach beschissen sind: Kopf gegen die Badewanne, gegen das Waschbecken, die Heizung. Einmal habe ich mein Gedächtnis ein bisschen verloren und wusste nicht mehr, dass ich gerade Ferien hatte und wo ich war. Ich hatte auch ein neues Armband und war völlig überfordert, weil ich nicht verstanden habe, was das für ein Armband war und wie es an meinen Arm gekommen ist. Ich konnte mich einfach nicht mehr an die Tage davor erinnern.

Auf eine andere Weise schlimm war, als mir drei Menschen dabei zugesehen haben, wie ich einen Anfall hatte und nichts getan haben. Da ging es mir ein paar Wochen richtig schlecht, ich hatte Angst vor dem Rolltreppenfahren oder davor, am U-Bahn-Gleis zu stehen, weil ich dachte, es könnte sein, dass ich da jetzt runterfalle und niemand reagiert.

Was war die peinlichste Situation, in der du jemals einen Anfall hattest?
Vor Fremden ist es halt oft unangenehm. In einem Geschäft oder auf der Straße. Das Peinlichste war wahrscheinlich während dem Rumknutschen beim Fortgehen. Aber er hat ganz lieb reagiert, mich nach Hause gebracht und dann noch gesagt, ich soll ihm schreiben, wenn ich im Bett liege.

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Macht man sich bei Anfällen auch mal in die Hose?
Gibt's auch. Passiert mir zum Glück quasi nie. Einmal bin ich die Treppe runtergefallen, da ist es passiert. Aber da hatte ich zusätzlich Nierensteine und 41 Grad Fieber. Fieber ist bei Epilepsie generell ziemlich gefährlich und löst Anfälle aus.

Hast du währenddessen Halluzinationen?
Ja, das ist wie träumen. Meistens handeln sie von meinem Bruder.

Wie machen sich Anfälle bemerkbar?
Es gibt da dieses Gefühl vor einem Anfall. Es nennt sich Aura und ist bei jedem anders. Mir wird ganz heiß, aber dann ist es auch schon zu spät, um zu reagieren. Ein paar Mal hab ich es geschafft, mich sofort auf den Boden fallen zu lassen, als ich es gefühlt habe. Weil ich so kontrolliert auf den Boden falle und nicht erst dann, wenn ich das Bewusstsein verloren habe.

Und oft fällt man bei Anfällen gar nicht um. Manchmal hat man sie zum Beispiel nachts und bekommt sie gar nicht mit, vielleicht merkt man am nächsten Tag, dass man Muskelkater oder einen zerbissenen Mund hat. Dann gibt es noch Absencen, da ist man einfach für ein paar Sekunden aus der Welt, fällt aber eher nicht um, außer man stolpert. Da ist man einfach kurz weg. Dabei bin ich dann auch schonmal gegen eine Wand gelaufen, weil man für ein paar Sekunden eben nicht mitbekommt, was passiert. Oft merkt man nicht einmal, dass man eine Absence hatte. Man sitzt in einer Runde, alle reden, man ist weg und steigt wieder ein, ohne mitbekommen zu haben, dass man einen Teil des Gesprächs verpasst hat. Das merkt oft niemand. Auch man selbst nicht.

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Hattest du schon mal einen Anfall während dem Sex oder irgendwelche Probleme beim Sex wegen deiner Krankheit?
Nie. Man muss je nach Medikament schauen, dass es da mit der Verhütung keine Probleme gibt. Und spannend wird es halt dann, wenn man Kinder will. Da gibt's Medikamente, bei denen das Kind schwer behindert zu Welt kommen kann. Das muss man dann betreut machen, ist aber auch eigentlich kein Problem.

Geht man Sachen bewusst aus dem Weg? Schaust du zum Beispiel keine Action-Filme oder Musikvideos?
Das muss ich zum Glück nicht tun. Ich bin da völlig uneingeschränkt. Einmal war ich auf einem Festival, auf dem es riesige Leinwände gab, die die ganze Zeit geblinkt haben. Kurz hatte ich da das Gefühl, jetzt ist es zu viel. Ich hab mich umgedreht und ein Freund hat mich kurz festgehalten. Dann war wieder alles gut. Aber es gibt eben auch Menschen, die das nicht können und wirklich aufpassen müssen.

Darfst du Fahrrad- und Autofahren?
Ich weiß ganz ehrlich nicht, ob ich Fahrrad fahren darf. Autofahren darf ich nicht. Ich war nur einmal lange genug anfallsfrei, um wieder Autofahren zu dürfen, aber das waren in den vergangenen fünf Jahren nur zwei oder drei Monate. Schwimmen, Snowboarden, Badewanne und so sind auch gefährlich. Ich muss halt dann abwägen, was für mich gefährlich ist und ich einfach trotzdem machen möchte oder durch was ich andere gefährde. Wenn man andere gefährden kann, also zum Beispiel beim Autofahren, muss man sich dann natürlich ganz klar einschränken.

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Nicht mehr Autofahren zu dürfen war das Schlimmste an der Diagnose. Da wird einem etwas geraubt, das mal ein großer Schritt zum Erwachsenwerden war. Man fühlt sich dann irgendwie wieder wie ein Kind, das die Mama bitten muss, es vom Bahnhof abzuholen.

Hältst du dich an alle Anweisungen, die dir Ärzte geben?
Bedingt. Aber ich sage auch offen, wenn ich mich an etwas nicht halte oder gehalten habe. Bei meinen letzten Anfällen bin ich immer zum Neurologen danach und er hat gefragt:

"Drogen?" – "Nein."
"Tabletten vergessen?" – "Nein."
"Alkohol?" – "Ja."
"Zu wenig Schlaf?" – "Ja."
"Na, da hast du es eh."

Verträgt sich die Krankheit mit Kiffen?
Da kann man drüber streiten. Die einen sagen, THC und CBD sind super. Die anderen meinen, nur CBD ist super. Und dann gibt es genug, die sagen, dass beides nicht gut ist. Ob Epileptiker Kiffen vertragen oder nicht, kann man wahrscheinlich so wenig verallgemeinern wie bei allen anderen Menschen.

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