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Sex

Ein Blick in die Facebook-Gruppe, in der Männer Nacktfotos ihrer Dates teilten

Meine Tinder-Bekanntschaft war Mitglied in einer Gruppe, in der sich Tausende Männer Dating-Tipps geben – und intime Bilder ihrer neuesten Eroberungen bewerten.
Mann vor Computerbildschirm
Foto: imago | Ralph Peters || Bearbeitung: Viktoria Grünwald 

Vor meinem Date mit Tom wäre ich nie auf die Idee gekommen, mich zu fragen: "Wird mein Foto im Internet landen, falls ich mit ihm schlafe?" Doch bis vor Kurzem hätte das durchaus passieren können. Denn von 2016 bis zu diesem Oktober bewerteten und kommentierten über 7.000 Männer auf der ganzen Welt in einer Facebook-Gruppe Fotos von Frauen, mit denen andere Nutzer geschlafen hatten.

Tom sah gut aus und war schlagfertig – der 29-Jährige wirkte wie ein ganz normaler Typ. Doch nachdem wir eine halbe Stunde nervösen Smalltalk betrieben hatten, erwähnte er eine Facebook-Gruppe, bei der er Mitglied ist. Dort geben sich Männer gegenseitig Tipps, wie man ein erfolgreiches Dating-Profil erstellt. Er verglich die Gruppe mit dem Buch The Game, in dem der Autor seinen Aufstieg in der Pick-up-Artist-Szene beschreibt – eine Community voll von Männern mit Ziegenbärtchen, die es als sportliche Herausforderung ansehen, Frauen aufzureißen, und dabei sehr fragwürdige Taktiken anwenden.

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Nach unserem Date suchte ich sofort nach der Facebook-Gruppe. Sie wurde von dem 28-jährigen Alex Vilenchik gegründet, der auf der Website für das Sopot Summit 2018 – ein "episches Pickup-Event" in Polen – als "Online Game Coach" bezeichnet wird. Das Ziel der Facebook-Gruppe ist simpel: Männer sollen hier lernen, wie sie beim Online-Dating Erfolg haben. Erfolg bedeutet in dem Fall: mit so vielen Frauen wie möglich schlafen.

Die Gruppe ist Teil eines 150 Euro teuren Angebots, einem "umfassenden Guide", der Männer beibringen soll, wie sie Frauen mit Hilfe von Tinder und anderen Apps flachlegen. Die Männer geben einander Tipps für die besten Profilbilder, Pick-up-Lines und Gesprächsthemen. Einige teilen auch Bilder von nackten oder leicht bekleideten Frauen mit geblurrten Gesichtern. Die Frauen posen für Fotos, die wahrscheinlich nicht für die Augen von 7.000 Fremden bestimmt waren. Noch verstörender sind die Fotos, die von der Seite oder von hinten aufgenommen wurden, von deren Existenz die Frauen möglicherweise nicht einmal wissen.

Als ich Vilenchik frage, ob er weiß, ob die Mitglieder seiner Gruppe das Einverständnis der Frauen hätten, die Fotos aufzunehmen und zu posten, antwortet er, dass es "eine große und kreative Gruppe" sei. Sie hätten kürzlich damit begonnen, sich bestimmte Posts genauer anzuschauen. "Nacktbilder werden automatisch von Facebook geflaggt, also gibt es hier keine Nacktbilder", fügt er hinzu. Auch Vilenchik hat bereits Fotos von Frauen gepostet, mit denen er Sex hatte – er behauptet, dass "fast alle" das in Ordnung gefunden hätten.

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Beinahe alle Kommentare, die sich unter den Posts finden, bewerten oder kritisieren die Körper der Frauen. "Damn this girl came to get fucked", schreibt ein Nutzer unter ein Foto von einer Frau in Tanktop und kurzem Rock, das im August gepostet wurde. "She got fuckt yeah", antwortet der Mann, der das Foto hochgeladen und nach eigenen Angaben mit der Frau geschlafen hat – ein polnischer Justin-Bieber-Verschnitt, der Instagram 35.000 Follower hat. Ich bin erleichtert, dass ich keine Aufnahme von mir finde. Mein Date Tom hat im Februar das letzte Mal etwas geschrieben und bisher keine Bilder gepostet.

Als ich die Facebook-Gruppe gefunden habe, rufe ich Tom an, um mit ihm darüber zu sprechen. Er sieht ein, dass die Gruppe eine klare Grenze überschreitet. Doch als ich ihn frage, warum er die Gruppe nicht verlassen oder gemeldet hat, reagiert er gleichgültig. Er versteht zwar, warum Menschen von der Seite geschockt sein können, sieht aber offenbar nicht die Verbindung zwischen den krassen Verletzungen der Privatsphäre und den Schaden, den diese Fotos anrichten könnten.

"Ich glaube, das liegt daran, dass wir die Folgen nicht sehen", sagt Tom. "So weit ich weiß, hatten die Fotos bisher keine Konsequenzen. Ich kenne keine Frau, die davon negativ betroffen war. Wenn ich der Moderator der Gruppe wäre, würde ich das vielleicht anders sehen, aber es ist wie auf Instagram oder Twitter: Manchmal siehst du Dinge, denen du nicht zustimmst, aber du hast nicht das Bedürfnis, einzuschreiten und das zu melden."

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Tom erklärt mir, was ihm an der Gruppe gefällt: "Ich fand es interessant, dass es einen Ort gibt, an dem Leute offen über ihre Erfahrungen reden und an sich arbeiten können. Ist doch klar, dass Typen, die neu in der Szene sind, online gehen und fragen: 'Mache ich etwas falsch?' Ich finde es OK, dass Männer eine Gruppe haben, in der sie über diese Dinge reden können und analysieren, was sie richtig und falsch gemacht haben."

Für Tom ist die Gruppe ein Raum, in dem Männer ihre Unsicherheiten äußern können, ohne verurteilt zu werden. Das ist verständlich. Trotzdem sollte es möglich sein, sich gegenseitig Ratschläge zu geben, ohne dabei Fotos von einer jungen Frau zu teilen, die nackt auf deinem Bett liegt.

In der Liste der Administratoren und Moderatoren der Facebook-Gruppe finden sich Männer, die allem Anschein nach erfolgreich und beliebt sind. Einer von ihnen ist ein Pianist, der mit einem Grammy ausgezeichnet wurde und über 4.000 Follower auf Twitter hat. Ein anderer ist ein italienischer DJ, der auf seiner Facebook-Seite mit Shakira und David Guetta posiert.

Screenshot von Kommentaren auf Facebook

Kommentare unter einem der Fotos in der Facebook-Gruppe | Screenshot Facebook

Es liegt zumindest nahe, dass sich diese Männer von sogenannten Incels unterschieden – also Männern, die unfreiwillig Jungfrau sind, Sex aber als ihr natürliches Recht und Frauen als minderwertige Wesen betrachten.

Als ein Nutzer in einem Thread schreibt, dass Frauen beim Sex nur da seien, um den Mann zu befriedigen, bekommt er Gegenwind. Vilenchik bezeichnet seine Ansichten als "ungesund" und ein anderer Administrator kommentiert, der Nutzer sei "verbittert und unsicher". Ein weiterer Nutzer schreibt: "Das ist eine absolut lächerliche Ideologie. So werden Vergewaltiger geboren."

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"Ich habe schon gemeinsam mit Frauen Webinare für die Facebook-Gruppe gegeben", schreibt mir Vilenchik in einer E-Mail. "Ich kann dir Links zu feministischen Gruppen mit über hunderttausend Followern schicken, wo sie Nacktbilder von Männern, private Unterhaltungen und die Gesichten der Männer posten. Aber das scheint von Facebook, Journalisten und Medien wie VICE akzeptiert zu werden."

Ich bat Vilenchik, mir die Namen dieser Gruppen zu schicken, damit ich die Sache untersuchen kann. Bisher hat er noch nicht auf diese Anfrage aus dem September geantwortet.


Auf Broadly: Der qualvolle Kampf gegen Rachepornos


Die Gruppe wurde 48 Stunden, nachdem sie gemeldet wurde, von Facebook gesperrt. Außerdem wurden beide Konten von Vilenchik gelöscht sowie die von vier weiteren Administratoren – doch die sechs Moderatoren der Gruppe sowie die aktivsten Nutzer sind noch immer online.

Facebook stand bereits öfter dafür in der Kritik, Nutzer nicht ausreichend zu schützen und nicht hart genug gegen Gruppen vorzugehen, die schädliche Inhalte wie Kinderpornografie verbreiten. Die Facebook-Gruppe, in der Tom Mitglied war, konnte zwei Jahre lang unbehelligt Fotos von Frauen teilen.

Auf unsere Anfrage zu dem Thema antwortete ein Facebook-Sprecher: "Wir wissen, dass intime Bilder manchmal ohne das Einverständnis der abgebildeten Person geteilt werden. Das verstößt gegen unsere Werte und Regeln. Wir haben diese Gruppe entfernt und die Administratoren permanent gesperrt. Wir haben viel in die Entwicklung von Tools investiert, darunter Bilderkennungstechnologie, die verhindern soll, dass intime Bilder ohne Einverständnis auf Facebook, dem Messenger oder Instagram geteilt werden. Wir arbeiten außerdem weiterhin mit Experten und Organisationen zusammen, um Menschen zu unterstützen, denen dieses Verhalten geschadet haben könnte."

Ich weiß nicht, ob Tom sich weiter an die Ratschläge von Vilenchik halten wird, nachdem er das hier gelesen hat und ob der Artikel angehende Pick-up-Artists davon abhalten wird, ihm nachzueifern. Ich weiß nur, dass Tom und 7.319 andere Männer nichts dagegen unternommen haben, dass Mitglieder der Gruppe Nacktbilder von Frauen ohne deren Einverständnis posteten.

*Name wurde geändert.

Sollten Nacktbilder von dir im Netz gelandet sein, solltest du sofort die entsprechende Plattform kontaktieren. Die Cyber Civil Rights Initiative hat eine Anleitung zusammengestellt, wie man Bilder bei verschiedenen Diensten melden kann. Außerdem solltest du illegal gepostete Nacktbilder bei der Polizei melden. Der einfachste Weg dazu ist eine Online-Anzeige, die dann auch direkt an die entsprechenden Experten für Internet-Ermittlungen weitergeleitet wird. Auch Zusammenschlüsse von Revenge-Porn-Opfern wie die Badass Army können dir helfen, deine Accounts zu schützen und juristische Anfragen zu verschicken.

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