Junge Menschen demonstrieren in London
Junge Menschen demonstrieren in London | Foto: Chris Bethell

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Klimawandel

Wie sich #FridaysForFuture zur weltweiten Protestbewegung entwickelt hat

Alles fing an mit Greta aus Schweden, inzwischen beteiligen sich auf der ganzen Welt zehntausende Schüler und Schülerinnen an den Demonstrationen gegen den Klimawandel. Eine Analyse.

So langsam weiß es jeder, wir haben noch elf Jahre. Wenn wir es in diesem Zeitraum nicht schaffen, die globale Erwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius zu beschränken, sind wir am Arsch. Dann lässt sich eine verheerende Klimakatastrophe quasi nicht mehr abwenden.

Man sollte meinen, dass bei diesen düsteren Aussichten alles getan wird, um das gesteckte Ziel zu erreichen. Falsch gedacht. Die Regierungen und großen Konzerne dieser Welt sind eher der Meinung, dass kollabierende Ökosysteme und steigende Meeresspiegel egal sind. Und Delfine, die wegen der steigenden Temperaturen immer weiter nach Norden schwimmen und dort von Eisbären gefressen werden, ignorieren sie auch.

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Zum Glück gibt es Menschen, die das interessiert: Im August 2018 entschloss sich die 15-jährige Greta Thunberg eines Freitags dazu, die Schule zu schwänzen und lieber vor dem schwedischen Parlament gegen den Klimawandel zu demonstrieren. Die junge Schwedin – die jetzt für den Friedensnobelpreis nominiert wurde – hat ihren freitägigen Protest bis heute immer wieder durchgezogen und damit die internationale "Fridays For Future"-Bewegung losgetreten: Auf der ganzen Welt lassen junge Menschen am Freitag ihre Federmäppchen und Taschenrechner im Rucksack und gehen auf die Straße, um die Regierungen ihrer Länder dazu zu bringen, endlich etwas für die Rettung unseres Planeten zu tun.

Auch 15. März nahmen wieder zehntausende Schüler und Schülerinnen aus 80 Ländern an den Protesten gegen den Klimawandel teil. Deswegen blicken wir zurück auf die Schlüsselmomente und -figuren, durch die sich #FridaysForFuture zu einer so mächtigen Bewegung entwickelt hat.


Aus dem VICE-Universum: Der 20-Jährige, der die Weltmeere vom Plastikmüll befreien will


Großbritannien

Oberflächlich betrachtet ist die Klimapolitik Großbritanniens gar nicht mal so schlecht. Bereits im Februar haben wir darüber berichtet, dass die Treibhausgase dort im Vergleich zu 1990 fast halbiert wurden. Und bis 2050 soll der Wert noch weiter fallen. Aber: Die Regierung findet Fracking total geil, die dortige Landwirtschaft tut der Umwelt überhaupt nicht gut und abgesehen von den Uber-Fahrern steht in Großbritannien niemand auf Elektroautos.

Zwei junge Gruppierungen wollen gegen diesen Status quo ankämpfen: das UK Student Climate Network und die UK Youth Climate Coalition. 2018 waren beide noch relativ unbekannt. Bei ihrer großen Demonstration im Februar wirbelten sie allerdings ordentlich Staub auf und sind dem konservativen Teil der britischen Gesellschaft jetzt ein großer Dorn im Auge.

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Foto: Chris Bethell

Wer führt die Proteste an?

Die bisher einzige große Aktion in Großbritannien war der #YouthStrike4Climate-Protest im Februar. Dabei schwänzten tausende junge Briten und Britinnen die Schule, um gegen den Klimawandel zu demonstrieren. In London sagte die 17-jährige Mitbegründerin des UK Student Climate Networks, Anya Taylor: "Es liegt jetzt an uns, die Erde vor dem Klimawandel zu schützen."

Wie ist es bis jetzt gelaufen?

Ziemlich gut. An dem Protest im Februar haben viel mehr Leute teilgenommen, als das Organisationsteam erwartet hatte. Und es kam nur zu wenigen Festnahmen.

Welche Reaktionen gab es?

Die britische Regierung kritisierte die Aktion; es sei wertvolle Unterrichtszeit verschwendet worden. Als ob Integralrechnung wichtiger ist als die Zukunft unseres Planeten. Vor dem Protest sprachen wir mit einigen Lehrkräften, die es aber alle mehr oder weniger gut fanden, dass ihre Schüler und Schülerinnen dem Unterricht fernbleiben, um ihrer Wut Luft zu machen.

Die Mitte-Rechts-Fraktion Großbritanniens hielt es indes für eine gute Idee, sich über die Proteste lustig zu machen, weil … alle Teenager und Teenegerinnen dumm sind? Der berüchtigte Journalist Rod Liddle nutzte seine Kolumne in der Zeitung Times sogar dazu, um seine eigene Tochter explizit abzuwatschen. Vernünftige Medienvertreter fassten die Demonstration hingegen richtig auf: Die von den älteren Generationen enttäuschte jüngere Generation setzt ein Zeichen.

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Was kommt als Nächstes?

Derzeit nicht viel. OK, heute finden in ganz Großbritannien wieder Proteste statt und die radikale Organisation Extinction Rebellion hat vor kurzem die Gründung einer Jugendabteilung angekündigt. Wirklich greifbare Veränderungen oder einen konstruktiven Dialog mit der Regierung gibt es allerdings nicht. Vielleicht kommt das ja, wenn das ganze Brexit-Fiasko geklärt ist.

Deutschland

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Foto: imago | IPON

Angela Merkel lässt sich gerne "Klimakanzlerin" nennen, in Wirklichkeit läuft Deutschland unter ihrer Regierung beim Klimaschutz mittlerweile hinterher. Und während die Grünen immer wieder als "Verbotspartei" gebrandmarkt werden, verschläft die Regierungen wichtige Infrastrukturmodernisierungen, etwa im Bahnverkehr.

Wer führt die Proteste an?

Junge Frauen, wer sonst? Luisa Neubauer, 22 aus Göttingen; Julia Oepen, 17, aus Hamburg; und Lilli Meister, 18, aus Castrop-Rauxel.

Wie ist es bis jetzt gelaufen?

Die Proteste begannen im September 2018 und haben sich seitdem im ganzen Land ausgebreitet. Allein am 15. Februar zählten die Organisierenden 30.000 Studierende, Schülerinnen und Schüler, die sich am Streik beteiligten. Selbst als am 8. März Feiertag in Berlin war, kam noch eine größere Gruppe zum Protest zusammen. Die deutsche Seite von "Fridays for Future" listet mittlerweile Termine in 186 Städten.

Welche Reaktionen gab es?

Viele deutsche Wissenschaftler unterstützen die Bewegung, Angela Merkel hat die Schülerinnen zuletzt gelobt. Aber es wäre nicht Deutschland, wenn sich nicht die Hälfte der Bevölkerung lieber darum scheren würde, warum die jungen Menschen an einem Unterrichtstag demonstrieren, statt in der Schule zu lernen, wie man neue Techniken entwickelt, um das Klima zu schützen (als ob diese dort gelehrt würden …). Ganz vorne mit dabei: Liberalen-Chef Christian Lindner, der sagte, von Kindern und Jugendlichen könne man nicht erwarten, dass sie "bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen. Das ist eine Sache für Profis." Das ist besonders zynisch, weil Lindner selbst noch in der Schule eine professionelle PR-Firma gegründete hatte und im Anzug den 18-jährigen Geschäftsmann gab.

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Was kommt als Nächstes?

Mit etwas Glück sitzen die jungen Demonstrierenden von heute in 20 Jahren irgendwo, wo sie selbst über Gesetze mitentscheiden dürfen. Bis dahin dürfen sie vom aktuellen Politikpersonal nicht allzuviel erwarten. Selbst eine wahrscheinliche schwarz-grüne Koalition dürfte eher wirtschaftliche und staatliche Interessen schützen. Mit Trump im White House und dem Brexit-Herumgeeiere glaubt auch kaum jemand mehr daran, dass sich noch einmal eine große Koalition mehrerer Regierungen bilden kann, die die Krise wirklich angeht.

Belgien

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Foto: Kubranur Mayda

Lange Zeit galt Belgien in Sachen Klimapolitik als besonders vorbildlich. Als das Land im Dezember 2018 beim Klimapaket von Katowice nicht mitzog, wurde in der Bevölkerung allerdings ein Schalter umgelegt: In Brüssel gingen über 70.000 Menschen auf die Straße. Und in diesem Jahr organisierten Schüler und Schülerinnen bereits zehn Proteste gegen den Klimawandel.

Wer führt die Proteste an?

Die 17-jährige Anuna De Wever und die 20-jährige Kyra Gantois stehen hier ganz vorne. De Wever ist das Gesicht und die Sprecherin der Bewegung Youth for Climate. Zwar haben die beiden Tipps von Greenpeace und Klimaexperten bekommen, aber ansonsten organisiert das Schülernetzwerk fast alles selbst.

Wie ist es bis jetzt gelaufen?

Die Proteste fingen in Brüssel an, inzwischen haben sie sich auf ganz Belgien ausgebreitet. Und sie sind wohl die größten in ganz Europa: Jede Woche gehen zehntausende junge Belgier und Belgierinnen auf die Straße. Am 24. Januar demonstrierten in Brüssel 35.000 Schüler und Schülerinnen – ein Rekord. Eine Woche später waren es 12.500 in Brüssel, 15.000 in Liège und 3.500 in Leuven.

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Welche Reaktionen gab es?

Am Anfang waren alle noch ganz begeistert von der Entschlossenheit, der Eloquenz und den Organisationsfähigkeiten, die De Wever, Gantois und andere wichtige Mitglieder von Youth for Cimate an den Tag legen. Das ist auch kein Wunder, schließlich stieg die Zahl der protestierender Schüler und Schülerinnen innerhalb von nur zwei Wochen von 7.000 auf 35.000 an. So waren die beiden Anführerinnen in jeder Zeitung zu sehen.

Dann leakte jedoch eine Rede von Joke Schauvliege, der flämischen Umweltministerin. Bei einem Treffen mit einem Landwirtschaftsverband behauptete sie, dass die Demonstrationen eine von linken Umweltgruppen organisierte Verschwörung gegen sie seien. Diese Information soll sie vom belgischen Geheimdienst erhalten haben. Der bestritt diese Behauptung sofort und Schauvliege trat einen Tag später zurück.

Jetzt sorgen die Proteste in Belgien für immer mehr Gesprächsstoff. Im Vorfeld eines #FridayForFuture-Marsches in Antwerpen verurteilte der dortige Bürgermeister Bart De Wever die Aktion und sagte, dass die Teenager und Teenagerinnen lieber in die Schule gehen und ein wenig mehr Vertrauen in die Wissenschaft haben sollten.

Was kommt als Nächstes?

De Wever und Gantois wollen die Proteste laut eigener Aussage bis zu den Wahlen am 26. Mai fortführen. Zwar haben sie es geschafft, auf der politischen Agenda der belgischen Regierung ganz oben zu stehen, aber es wird schwierig, diesen Schwung bis Ende Mai mitzunehmen.

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In den kommenden zweieinhalb Monaten kann viel passieren. Die Klimademos verändern dabei unter Umständen die gesamte Politlandschaft Belgiens: Dank Youth for Climate redet dort gerade niemand mehr über Themen wie Immigration und es besteht die Chance, dass die Umweltparteien nach der Wahl eine Koalitionsregierung bilden können.

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Foto: Christopher Pugmire

Frankreich

Ende August 2018 trat der frühere Fernsehmoderator und damalige Umweltminister Nicolas Hulot von seinem Amt zurück. Er begründete seinen Schritt damit, dass er nicht länger mittragen könne, dass die Umwelt nicht die Priorität der Regierung sei. Offensichtlich hat Frankreich in Sachen Umwelt noch einiges aufzuholen, aber das könnte sich bald ändern. Zwei Millionen Menschen haben eine Petition unterschrieben, den französischen Staat für seine Untätigkeit in Sachen Klimaschutz zu verklagen.

Wie ist es bis jetzt gelaufen?

Die Jugendbewegung bekam am 8. Februar Zulauf, als Schüler sich den Protesten anschlossen. Seitdem haben sie jeden Freitag friedlich in Paris und anderen Städten demonstriert. Es scheint sich eine richtige Bewegung zu entwickeln. Eine Sprecherin sagte, dass sie heute 500.000 Schüler in 150 Städten auf den Straßen erwarten. Das klingt ambitioniert, aber nicht unmöglich. Wir in Frankreich lieben Proteste. Unser Bildungsminister hat versucht, die Demonstrationen zu stören, indem er an einem Freitag Umweltdebatten in den Schulen organisiert hatte. Youth for Climate schmetterte seine Veranstaltung als "verzweifelten Versuch" ab.

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Wer führt die Proteste an?

Wir hatten bislang keine Greta, aber es gibt zahlreiche NGOs und Jugendorganisationen, die sich engagieren: YouthForClimate France, Fridays For Future und On est prêts (We are ready) zum Beispiel. Letztere ist eine Initiative, bei der YouTuber einfache Tipps zur Bekämpfung des Klimawandels, wie Werkzeuge mit Nachbarn teilen, Müll aufsammeln oder Geld in nachhaltige Energieformen investieren.

Welche Reaktionen gab es?

Ein paar Erwachsene machen sich im Internet natürlich über die Studierendenproteste lustig. Wir haben ein kleines Video darüber gemacht.

Was kommt als Nächstes?

Die Politik hat bislang nicht viel getan – wahrscheinlich, weil sie mit den Gelbwesten alle Hände voll zu tun hatte, aber vielleicht auch, weil sie glauben, dass sich die Proteste mit der Zeit von selbst erledigen. Aber der Druck wächst. Wir wissen, dass sich Emmanuel Macron am 22. Februar mit Greta Thunberg getroffen hat, aber wir wissen nicht, ob er den Entschluss gefasst hat, sich einen Tesla zu kaufen oder weniger Fleisch zu essen.

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