Die Geschichte eines 24-Jährigen, der seit sieben Monaten in Serbien feststeckt
"Wir treten an Ort und Stelle" – Zarar (mitte) ist aus Pakistan geflohen und steckt jetzt schon seit sieben Monaten in Serbien fest | Alle Fotos von Klaus Petrus

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Auf der Flucht

Die Geschichte eines 24-Jährigen, der seit sieben Monaten in Serbien feststeckt

Im Frühjahr 2016 ist Zarar aus Pakistan geflohen. Inzwischen lebt er in einem Flüchtlingslager in Serbien.

Sie sind ein halbes Dutzend und machen sich in der Nacht auf den Weg an die Grenze. Dort suchen sie nach Schlupflöchern oder nach Leuten, die bereit sind, sie für ein wenig Geld rüberzubringen. So schätzen sie die Situation vor Ort immer wieder aufs Neue ein und senden ihre Information zurück in die Flüchtlingslager. In den vergangenen Wochen seien das vor allem schlechte Neuigkeiten gewesen, sagt Zarar. "Unsere Chancen werden immer schlechter: Die Grenzen sind dicht und die Polizisten auf der Hut."

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Es ist Mai und ich treffe den 24-jährigen Zarar nahe der serbisch-kroatischen Grenze. Er ist im Frühjahr 2016 aus Pakistan geflohen und nun schon seit sieben Monaten in Serbien. Zuerst war er in einem Lager in Šid an der kroatischen Grenze, dann für Monate in Subotica nahe der ungarischen Grenze, daraufhin im Belgrader Vorort Obrenovac, später in den Baracken von Belgrad selbst und jetzt wieder im Norden Serbiens, in einem Lager bei Sombor. Wie über 7.000 Menschen aus Afghanistan, Irak, Pakistan und Syrien sitzt Zarar in Serbien fest. Er kommt nicht mehr voran, doch zurück kann er genauso wenig. Zu gefährlich ist zuhause das Leben für einen, der sich aus politischen Gründen in den Westen aufgemacht hat. "Ich trete an Ort und Stelle."

Das Schlimmste, sagt Zarar, sei das Nichtstun, tagein, tagaus. "Wir sitzen herum, kochen, reden, manchmal spielen wir Fussball, die meiste Zeit aber sind wir allein: mit unseren Gedanken, Erinnerungen, Ängsten. Wir werden noch verrückt." So tönte Zarar bereits im Februar dieses Jahres, als ich ihn in einer verlassenen Ziegelei bei Subotica im Norden Serbiens kennenlernte. Fast ein halbes Jahr hauste er dort zusammen mit zweihundert jungen Männern, ohne Strom, Toilette und fliessend Wasser. Da sie sich aus Angst vor einer Ausschaffung nicht registrieren lassen wollten, galten sie als "illegale Flüchtlinge". Sie durften keine staatliche Hilfe in Anspruch nehmen und waren entsprechend auf die Unterstützung von selbstorganisierten Gruppen wie Fresh Response oder auf die lokale Bevölkerung angewiesen.

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Zarar bei unserem letzten Treffen im Februar 2017 in einer verlassenen Ziegelei nahe der ungarischen Grenze. Hier lebte er während Monaten mit 200 Geflüchteten; fliessendes Wasser, Strom oder Toiletten gab es keine.

Das war im Winter und die Temperaturen sackten während Wochen in den Minusbereich ab. Auch das politische Klima an der serbisch-ungarischen Grenze wurde in dieser Zeit immer frostiger. Bereits 2015 begann der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán mit einer gezielten Hetze gegen die Geflüchteten. So liess er im ganzen Land Plakate aufhängen, auf denen Migranten kriminalisiert und zu einer Gefahr für die "christliche Identität Europas" erklärt wurden. Später setzte er im Parlament ein neues Einwanderungsgesetz durch und liess an der Grenze zu Serbien einen Zaun bauen, 175 Kilometer lang und drei Meter hoch. Seit Januar dieses Jahres häuften sich dann die Berichte über ungarische Grenzpolizisten, die buchstäblich Jagd auf Geflüchtete machen, sie malträtieren und wieder nach Serbien zurückschaffen.

Auch Zarar wollte über die Grenze nach Ungarn in die EU gelangen, insgesamt hat er es über ein dutzend Mal versucht, aber vergeblich: "Die ungarischen Grenzjäger sind brutal, sie haben uns geschlagen und ihre Hunde auf uns gehetzt. Manchmal mussten wir uns nackt ausziehen, sie gossen kaltes Wasser über uns, dann fotografierten sie uns und grölten."

Im April dieses Jahres wurde die Ziegelei geräumt. Wie auch wenige Wochen später die Baracken hinter dem Belgrader Bahnhof mit Bulldozern niedergerissen wurden. 1.500 Menschen hatten sich dort aufgehalten. Vor einigen Monaten noch kursierten weltweit hunderte Berichte und Bilder von den Geflüchteten, wie sie bei Minustemperaturen in diesen Lagerhäusern ausharrten. Jetzt aber scheinen sie – bis auf wenige Ausnahmen – in Vergessenheit zu geraten. Der serbischen Regierung dürfte das nur recht gewesen sein, denn so konnte sie die Geflüchteten ohne viel Aufhebens aus Belgrad wegschaffen. Auch Zarar hielt sich zu diesem Zeitpunkt in den Baracken auf, wie er mir erzählte: "Plötzlich kamen die Polizisten in die Lagerhallen, wir mussten die Sachen packen und unsere Namen in eine Liste eintragen. Tags darauf kamen sie mit Bussen und wir wurden in die Lager gebracht."

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Mai 2017: Bis vor kurzem lebten in den Baracken hinter dem Belgrader Bahnhof noch 1.500 Geflüchtete, die Bilder gingen um die Welt. Jetzt wurden die Lagerhallen niedergerissen und die Menschen in Camps geschafft. Darüber berichtet hat kaum jemand.

Derzeit gibt es in Serbien 18 offizielle Lager. Über das Leben in diesen Camps ist nur wenig bekannt. Die serbische Regierung gibt sich nach wie vor flüchtlingsfreundlich – und will sich damit auch von der rigiden Einwanderungspolitik Orbáns abgrenzen. Die Flüchtlingsorganisation Are You Syrious? spricht dagegen von "unmöglichen Zuständen" in den staatlichen Lagern. Einige seien hoffnungslos überfüllt, weswegen die Menschen keine Privatsphäre hätten; auch werde dadurch das Konfliktpotenzial unter den Geflüchteten erhöht. In anderen Camps seien die hygienischen Verhältnisse schlicht unzumutbar.

Nach Einschätzung von "Are You Syrious?" ist die Situation in den offiziellen Lagern schon seit längerem prekär. Doch jetzt habe sich die Lage zugespitzt und werde jeden Tag schlimmer. Einige Hilfsorganisationen vermuten dahinter ein System: Die serbische Regierung unterlasse bewusst Hilfe, um die Geflüchteten rasch wieder loszuwerden. Oder wie sich Aleksandar Vučić bereits vor seiner Wahl zum serbischen Präsidenten im April dieses Jahres auszudrücken pflegte: "Serbien darf kein Parkplatz für Flüchtlinge werden."

Auch für Zarar lautet die Frage nicht: "Will ich in Serbien bleiben?", sondern: "Wann komme ich endlich von hier weg?" – und: "Wohin soll ich dann gehen?" Vielleicht nach Kanada? In Europa, sagt mir Zarar beim Abschied, fühle er sich jedenfalls nicht mehr willkommen.

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