Ein Paar umarmt sich. In dem Artikel geht es um das Beenden einer Beziehung.
Illustration: Djanlissa Pringels
Menschen

Ich bereue, dass ich meine Beziehung nicht früher beendet habe. Ist es jetzt zu spät?

"Er hat meinen Geburtstag vergessen und mit meinen Freundinnen geflirtet. Jetzt hat er sich geändert, aber ich bin immer noch wütend darüber, wie er mich behandelt hat."

"Frag VICE" ist eine Artikelreihe, bei der uns Leserinnen und Leser bitten, ihnen bei verschiedenen Problemen zu helfen – egal, ob es sich um Beziehungsprobleme oder den Umgang mit nervigen Mitbewohnern handelt. Dieses Mal hoffen wir, einer Leserin zu helfen, die nicht sicher ist, ob sie mit ihrem Freund Schluss machen soll.

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Hi VICE,

ich bin mit meinem Freund zusammen, seit ich 16 bin. Na ja, ich sage zwar "zusammen", aber es gab von Anfang an Probleme. Ich weiß, dass jede Geschichte zwei Seiten hat, aber wenn ich ganz ehrlich bin, lag es meistens an ihm.

Es fiel ihm zum Beispiel eine ganze Weile lang schwer, in der Öffentlichkeit zuzugeben, dass ich seine Freundin bin. Vor Freundinnen stellte er mich als seine Cousine vor. Er meinte, das sei ein Scherz, aber er hat ihn sehr lange aufrechterhalten und nie laut gesagt, dass wir zusammen sind.

Und das ist nur die Spitze eines Eisbergs aus Warnsignalen. Fast jedes Jahr vergaß er meinen Geburtstag, flirtete mit meinen besten Freundinnen und lud mich nie ein, mitzukommen, wenn er mit seinen Leuten unterwegs war. Die Hälfte der Zeit wusste ich nicht, wo er war, und es kursierten Gerüchte, dass er mit anderen Frauen Sex hatte.

Seltsamerweise brachten mich all diese Dinge nur dazu, noch härter für unsere Beziehung zu kämpfen. Je schlechter er mich behandelte, desto mehr wollte ich ihn davon überzeugen, dass ich es wert bin, geliebt zu werden. Weil wir so jung zusammengekommen und zusammen erwachsen geworden sind, hatte ich außerdem das Gefühl, dass ich uns nicht einfach aufgeben kann. Es klingt wie ein Klischee, aber ich dachte, ich könnte ihn ändern. Und er hat sich auch geändert.

Vor vier Jahren sind wir zusammengezogen, das hat alles leichter gemacht. Ich wusste immer noch nicht genau, was er so trieb, aber immerhin kam er jeden Abend zu mir ins Bett. Als die Pandemie anfing, konnte ich mich endlich entspannen. Ich nahm alte Hobbys wieder auf, fand trotz der Krise einen guten Job und fing an zu trainieren. Ich nahm mir mehr Zeit für mich und war viel weniger von unserer Beziehung besessen. Auch mein Freund wurde ruhiger. Er war viel öfter zu Hause und nahm sich plötzlich Zeit, über sein Verhalten nachzudenken.

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Eine gute Nachricht, könnte man meinen. Aber je mehr ich mein eigenes Leben lebe und für mich selbst einstehe, desto wütender werde ich über die Art, wie er mich früher behandelt hat. Tatsächlich habe ich ihn irgendwie satt und finde ihn abstoßend. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass es jetzt zu spät ist, um Schluss zu machen. Er ist endlich die Person geworden, die ich mir die ganze Zeit gewünscht hatte. Dafür hat er hart gearbeitet, also kommt es mir unfair vor, ihn für sein früheres Verhalten zu verurteilen.

Außerdem haben wir zusammen ein Haus und alle Möbel gemeinsam gekauft. Wir haben einen gemeinsamen Freundschaftskreis an einem Ort, wo jeder jeden kennt und man nicht einfach plötzlich neue Leute findet, mit denen man abhängen kann (und das würde ich auch nicht wollen). Es scheint jeden Tag schwerer zu werden, ihn zu verlassen. Ich bereue, es nicht früher getan zu haben, als ich das Recht hatte, wütend zu sein, und unsere Leben noch nicht völlig miteinander verstrickt waren. Es beunruhigt mich auch, dass ich so viel mehr Leidenschaft empfunden habe, als es zwischen uns nicht gut lief – das scheint nicht gesund zu sein.

Sollte ich abwarten, ob meine Gefühle für ihn zurückkehren? Oder ist anhaltende Traurigkeit ein legitimer Grund, die Sache zu beenden, auch wenn es logistisch schwierig ist?

Danke,

P.


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Liebe P.,

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das Ende einer Beziehung ist selten angenehm. Der Trauerprozess, den wir dabei durchlaufen, ähnelt dem nach dem Verlust einer Person. Wenn man länger mit jemandem zusammen ist, verstrickt man sich langsam aber sicher mit diesem Menschen, sowohl emotional als auch praktisch. Wenn es zu Ende geht, müssen all diese Verstrickungen gelöst werden. Das ist nicht einfach, aber du wärst mit dieser Erfahrung nicht allein.

Bevor du dir aber Gedanken über Liebeskummer machst, solltest du erst einmal entscheiden, ob das der Weg ist, den du gehen möchtest. Eines steht fest: Deine Gefühle sind berechtigt. Auch wenn dein Partner sich inzwischen anders verhält, darfst du eine Beziehung immer beenden. Das ist kein bindender Vertrag. Man muss dafür auch nicht in einer schrecklichen Beziehung sein oder einen klaren Grund haben. 

Aber nur weil du sie beenden kannst, heißt das nicht, dass du es solltest. Und auch nicht, dass dir die Entscheidung leichtfallen muss. Aber niemand außer dir kann sie treffen. Als ersten Anhaltspunkt kannst du dir selbst einige Fragen beantworten: Weißt du, was du von einem Partner erwartest und kannst du ihm das mitteilen? Was bedeutet Liebe und Verbundenheit für dich, und findest du das in dieser Beziehung? Hast du das Gefühl, dass du Raum beanspruchen darfst? Was macht deine Beziehung schön?

"Zuallererst einmal möchte ich sagen, wie beeindruckt ich bin, dass du auf dein Bauchgefühl gehört und angefangen hast, aktiv deinen eigenen Weg zu gehen", sagt die Paartherapeutin Joey Steur aus Amsterdam. Jetzt, wo du dein Leben für dich selbst lebst, bestehe der nächste wichtige Schritt darin, deine Gefühle über das frühere Verhalten deines Partners zu verarbeiten, sagt Steur. Das werde dir den mentalen Raum geben, den du brauchst, um gut durchdachte Entscheidungen zu treffen.

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"Hast du deine Gefühle deinem Partner gegenüber in Worte gefasst?", fragt Steur. "Du hast sehr für diese Beziehung gekämpft. Kann es sein, dass du deine Traurigkeit zumindest anfangs dadurch ausgedrückt hast, dass du immer härter gekämpft hast? Und dass du dich mehr und mehr darum bemüht hast, deinem Partner zu gefallen, anstatt zu sagen, dass du traurig bist?"

Laut Steur ist es wichtig, mit ihm darüber zu sprechen, was genau dich verletzt hat: "Kamst du dir vielleicht unwichtig vor? Wolltest du das Gefühl haben, dass er stolz auf dich ist, auch vor anderen? Möchtest du, dass er zugibt, dich verletzt zu haben und erkennt, wie unangenehm das für dich war? Sprich das offen an und trau dich, verletzlich zu sein, auch wenn sich die Dinge inzwischen geändert haben."

Wenn du denkst, dass sich dein Partner wirklich verändert hat und du dich sicher fühlst, kannst du die Unterhaltung damit beginnen, das anzuerkennen. Dann kannst du deine Gefühle mitteilen und nach Anknüpfungspunkten suchen. "Könnt ihr dem Schmerz, der zurückgeblieben ist, gemeinsam einen Platz geben? Das kann helfen, eure Beziehung zu vertiefen – wenn es das ist, was du möchtest", sagt Steur. 

Wenn ihr es nicht gemeinsam klären könnt, empfiehlt Steur, an deinen eigenen Gefühlen zu arbeiten, vielleicht in Verbindung mit einer Therapie. Ob du dich entscheidest, die Beziehung fortzusetzen oder nicht, unverarbeiteter Schmerz kann wieder auftauchen, wenn man es nicht erwartet, und auch in späteren Beziehungen Probleme verursachen. Bei einer Therapie könntest du außerdem deinem Gefühl von etwas Ungesundem auf den Grund gehen, weil du deinem Partner gegenüber leidenschaftlicher warst, als es zwischen euch Probleme gab. So könntest du herausfinden, woher deine eigenen Muster stammen.

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Laut Steur solltest du dich nicht zu sehr mit der Überlegung quälen, ob du dich trennen solltest oder nicht. "Nimm dir Zeit, alles zu verarbeiten", erklärt sie. "Vielleicht fühlst du dich danach wohler mit dem Gedanken, deine Beziehung zu beenden, oder du merkst, dass du ihr noch eine Chance geben willst."

In diesem Fall kannst du Schritt für Schritt mitteilen, was dir wichtig ist und auf eine Annäherung hinarbeiten. Dabei liegt es an deinem Partner, dir zuzuhören und dich zu respektieren. "Das kann natürlich nervenaufreibend sein", sagt Steur. "Wenn man sich verletzlich zeigt, besteht immer die Gefahr, dass man verletzt wird."

In der Praxis treffe Steur oft auf Paare, die in jungen Jahren zusammengekommen sind und sich irgendwann aus den Augen verloren haben. "Manche finden wieder zusammen, indem sie lernen, zu kommunizieren und Wege finden, verbunden zu bleiben", sagt sie. "Aber natürlich gibt es auch Menschen, die bemerken, dass ihre Bedürfnisse nicht mehr mit denen der anderen Person übereinstimmen."

Am Ende erzählst du von deinen Sorgen über deine Wohnsituation. Diese Probleme sind absolut real: Besonders in Ballungsräumen werden Trennungen durch die Wohnungsnot zunehmend erschwert. Lass diese praktischen Überlegungen aber nicht zu sehr in deine Entscheidung einfließen. "Sie spielen natürlich eine Rolle, aber am Ende geht es um dein emotionales Wohlergehen", sagt Steur.

Solange du deine Entscheidung nicht aus Angst oder Unsicherheit triffst, sondern weil sie dich letztendlich glücklicher machen wird, kannst du dir sicher sein, dass es die richtige ist.

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