Drogen

Die komplexe Beziehung zwischen Drogen, Sex und Konsens

Eine wissenschaftliche Studie hat zum ersten Mal untersucht, wie einvernehmlich Sex auf Drogen sein kann – und warum bestimmte Menschen öfter Sex auf Drogen haben.
Simon Doherty
London, GB
Ein Pärchen, das Händchen hält
Alle Fotos: Emily Bowlet

"Wenn jemand zu viel hatte und die Hemmungen gesunken sind, ist nichts davon wirklich einvernehmlich", wird eine Person in der ersten wissenschaftlichen Studie zitiert, die sich mit sexuellem Konsens unter Drogeneinfluss befasst. "Andererseits geschieht aber auch nichts davon gegen ihren Willen."

Hauptautorin der Studie, die vor Kurzem in der Fachzeitschrift The Journal of Sex Research erschienen ist, ist Lauren Smith, eine 27-jährige Psychologie-Dozentin an der Leeds Beckett University. Zu Alkohol und Konsens beim Sex, insbesondere im Kontext sexualisierter Gewalt, gibt es bereits zahlreiche Untersuchungen. Andere Substanzen wurden von der Wissenschaft in diesem Kontext bislang kaum behandelt. Dabei haben Menschen ständig Sex unter Drogeneinfluss – und konsumieren sogar bewusst, um anschließend zu vögeln.

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"Wir wissen, dass Drogen die motorischen und kognitiven Fähigkeiten beeinflussen", erklärt Smith. "Ich war entsprechend überrascht, dass sich bislang kaum Studien damit auseinandergesetzt haben, inwiefern Drogen die Konsensfähigkeit von Menschen beim Sex beeinflussen – sei es verbal oder nonverbal."

Aus rund 19.000 Studien zu Sex und Einvernehmen wertete Smith am Ende 21 Arbeiten aus, die ihrer Fragestellung gerecht wurden.

Eine Frau in Unterwäsche und Strapsen

Natürlich könnte man einfach sagen: Unter Drogeneinfluss ist echtes Einvernehmen niemals möglich. Smiths Studie suggeriert allerdings, dass viele Menschen illegale Drogen konsumieren, um die Grenzen ihrer Sexualität auf eine Art zu erweitern, die für sie nüchtern niemals möglich wäre. "Ich habe gerne regelmäßig Sex, wie ich ihn mir vorstelle", sagte ein Teilnehmer der zitierten Studien, "und dafür brauche ich Drogen."

Drogen helfen nicht nur Singles, sich leichter auf One-Night-Stands einzulassen: Eine Teilnehmerin sagte, dass Substanzen das Sexleben in der Beziehung mit ihrem Partner nachhaltig verbessert hätten – auch lange nachdem die Wirkung schon wieder verflogen war. "Wir stellen oft fest, dass die Sachen, die wir high miteinander gemacht haben, in unser nüchternes Sexleben einfließen", sagte sie.

Studienautorin Smith glaubt, dass das mit der Wirkung von Drogen auf unsere Sinne zu tun haben könnte – zum Beispiel auf unser Schmerzempfinden. Darüber hinaus spiegelt der Konsum von Drogen zum Sex auch wider, wie die Gesellschaft die Sexualität bestimmter Gruppen kontrolliert, insbesondere schwuler und bisexueller Männer sowie heterosexueller Frauen. Die Ächtung bestimmter Formen von Sexualität kann bei Betroffenen zu einem geringen Selbstwertgefühl und genereller Unsicherheit beim Sex führen: "Die Sexualität von Homosexuellen und Frauen ist oft verbunden mit Risiko und Gefahr", sagt Smith. Dazu zählt sie drohende Geschlechtskrankheiten, ungewollte Schwangerschaften oder die Gefahr sexueller Ausbeutung.

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"Wir haben festgestellt, dass Drogen diesen Menschen geholfen haben, sich sexuell besser auszudrücken. Sie kriegen das Gefühl, den Sex haben zu können, den sie sich nüchtern vielleicht wünschen", sagt Smith weiter. "Mich hat nicht gewundert, dass vor allem schwule und bisexuelle Männer sowie Frauen davon berichten. Für diese Personengruppen gibt es nicht so viele Narrativen sexueller Lust. Diese Narrativen müssen wir bereitstellen, damit Menschen das Gefühl haben, guten Sex ohne Drogenkonsum haben zu können."

Aber: Oft sind Drogen und Sex auch eine problematische Mischung – vor allem, wenn es darum geht, ob beide wollen, was passiert, wenn sie high Sex haben. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass vor allem bestimmte Drogen mit einer verminderten Konsensfähigkeit in Zusammenhang stehen. Dazu gehören GBL/GHB, Crystal Meth und Mephedron, die heilige Dreifaltigkeit des Chemsex.


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"Man denkt: 'Ich werde diesen Orgasmus haben und das ist alles, worauf es ankommt'", gab ein Studienteilnehmer an. "Ich denke nicht darüber nach, was ich mir einfangen könnte." Andere Befragte sprachen von "teilweiser oder totaler Ahnungslosigkeit" über das Geschehen um sie herum, als sie auf diesen Drogen Sex hatten. "Ich denke mir dann: 'Wer zur Hölle ist das?' Wenn ich wieder klar werde, höre ich auf", sagte ein Befragter. Manchmal sei er aber so high, dass ihm alles egal ist.

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Eine heterosexuelle Frau berichtete von einer ähnlichen Erfahrung. "Er liebte es, wenn ich high war", sagte sie. "Wir hatten Sex, wie ich ihn eigentlich nicht haben will. Zum Beispiel mag ich keinen Analsex, aber wenn ich high bin, kann ich es machen."

Andere wiederum gaben an, dass die Drogen ihre Entscheidungen in keiner Weise beeinflussten. Ein Mann berichtete von Situationen, in denen er sich trotz des Rauschzustands weiterhin der Risiken bewusst war. Zu seinem Partner sagte er: "'Ohne Kondom bekommst du das hier nicht' und ich zeigte auf mein Arschloch. Er hat dann widerwillig ein Kondom übergezogen."

Bei etwa einem Fünftel der ausgewerteten Studien gaben die Befragten an, dass Drogen ihren Entscheidungsprozess sogar verbessert hätten. "Ich würde sagen, dass man auf MDMA mehr Kontrolle hat, als wenn man besoffen ist", sagte einer. "Ich denke, man ist sich sehr viel mehr darüber bewusst, was man tut."

Insgesamt waren die Ergebnisse gemischt. Einige Befragte fühlten sich auf Drogen durchaus im Stande, ihr Einvernehmen zu geben, andere waren sich da nicht so sicher. Dazu kam in einigen Fällen auch die verbreitete Vorstellung, dass jemand, der high ist, automatisch geil und dementsprechend "sexuell verfügbar" sei. Aber natürlich ist sexuelle Lust nicht das gleiche wie Konsens.

In den verschiedenen Studien wurden unterschiedliche Substanzen in unterschiedlichen Kombinationen behandelt. Da viele Menschen mehrere Drogen gleichzeitig konsumieren, oft kombiniert mit legalen Substanzen wie Alkohol, braucht es in diesem Bereich noch weitere Untersuchungen.

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Ein Tisch mit Wodka, Wein und Kokain

Und was heißt das jetzt, wenn du jemanden im Club oder auf einer Party aufgegabelt hast und ihr beide high seid?

Das Modell des "affirmativen Konsens", sich also bei jedem Schritt ein eindeutiges verbales "Ja" einzuholen, von der ersten Berührung, über Oralverkehr bis hin zur Penetration, gilt weitestgehend als eins der sichersten Konsensmodelle. Die Studie kam allerdings zu dem Schluss, dass dieses Modell bei Sex unter Drogeneinfluss unzureichend ist. Schließlich könnte jemand verbal seine Zustimmung äußern, während die Person kognitiv so von der Realität entfernt ist, dass sie nicht wirklich weiß, worauf sie sich einlässt.

"Einige Menschen geben ihre Einwilligung, aber kann man wirklich von Einwilligung sprechen, wenn die Person kurz vor der Bewusstlosigkeit steht?", sagte ein Mann in einer Studie, der auf Chemsex steht.

Smith argumentiert, dass wir unsere Definition von Konsens überarbeiten müssen. "Das Modell des affirmativen Konsenses setzt sich aktuell durch, aber ich würde sagen, dass wir in diesem Kontext einige Schritte zurück machen müssen. Der Mental Health Capacity Act von 2005, ein britisches Gesetz zum Umgang mit Menschen mit verminderter Einwilligungsfähigkeit, stützt sich auf ganz grundlegende Fragen: Kann die Person Informationen aufnehmen und verarbeiten? Kann die Person Risiken und Konsequenzen effektiv evaluieren? Kann sie ihre Entscheidung richtiggehend kommunizieren?"

Die Beziehung zwischen sexueller Einwilligung und illegalen Drogen bleibt also weiterhin kompliziert. Immerhin ist Smiths Studie eine erste konkrete Auseinandersetzung mit dem Thema, die schon längst überfällig ist.

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