Menschen

Filler und aufgespritzte Lippen: Die Schönheitsideale von 2010 bis heute

Vor 10 Jahren wollten alle aussehen wie Cara Delevingne. Heute gelten Kylie Jenner und ihr "Instagram Face" als das Nonplusultra.
Nana Baah
London, GB
Das Model Cara Delevingne und die Influencerin Kylie Jenner
Cara Delevingne und Kylie Jenner | Fotos: Alamy Stock

Patientinnen, die 2010 zu Schönheitschirurgen gingen, interessierten sich meist für ähnliche Dinge: subtile Eingriffe, die leichte Falten verschwinden ließen, oder die ihnen anderweitig eine "strahlende", jugendlich aussehende Haut verschafften. Ein Look, den der renommierte britische Schönheitschirurg Tijon Esho als "essentiell parisisch" bezeichnet.

Zu Beginn des Jahrzehnts war Cara Delevingne unter den gefragtesten Supermodels, so gewann sie 2012 und 2014 den Titel "Model des Jahres" bei den British Fashion Awards, lief für alle von Stella McCartney bis Chanel und war das Gesicht einer großen Burberry-Kampagne. Kaum eine Marke oder Zeitschrift warb nicht irgendwann mit ihrem markanten, leicht androgynen Gesicht mit den buschigen Augenbrauen. 2016 erklärte der Guardian Augenbrauen zur "Beauty-Obsession des Jahrzehnts", mit Delevingne als Trendsetterin nummer eins. Andere Models, die um diese Zeit beliebt wurden, passten in die Schablone: Daphne Groeneveld, Karlie Kloss und Miranda Kerr, um nur ein paar zu nennen.

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Spulen wir vor ans Ende dieses Jahrzehnts, sieht das in den Medien gehypte Ideal ganz anders aus. Dank des wachsenden Einflusses von sozialen Medien und Reality-TV-Stars sind nicht-chirurgische Eingriffe zur Norm geworden. Sie verändern das Gesicht weitaus drastischer, als es ein Augenbrauenstift je könnte. Bella Hadid, das Model, das heute etwa dasselbe Maß an Erfolg genießt wie Cara Delevingne damals, soll angeblich unter anderem Botox und Filler nutzen, auch wenn sie das beharrlich abstreitet. Viele behaupten, Kylie Jenner, das Nesthäkchen des Kardashian-Clans, habe ein ähnlich stark bearbeitetes Gesicht. Ihr Schmollmund und ihre vollen Wangen fungieren als Markenzeichen, die ihre Make-up-Marke Kylie Cosmetics zum Milliardengeschäft gemacht haben. Der Filler-Trend ist um die Welt gegangen, inzwischen gibt es gefühlt kaum einen weiblichen Promi, der sich nicht die Lippen oder andere Teile des Gesichts "aufspritzen" ließ.

Im Oktober ernannte ein Chirurg Bella Hadid zur "schönsten Frau der Welt", nachdem er angeblich ihre Erscheinung mit sogenannter Gesichts-Mapping-Technologie analysiert hatte. Solche Methoden mögen in Wirklichkeit alles andere als wissenschaftlich sein, aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Hadid, Jenner und andere Influencerinnen einen völlig neuen Look popularisiert haben: das "Instagram Face".

Nicht-chirurgische Eingriffe sind inzwischen offensichtlich ein integraler Bestandteil des vorherrschenden Schönheitsideals: Bei einer Snapchat-Umfrage von VICE gaben 59 Prozent der Befragten an, sie sähen Filler und Lippeninjektionen auf einer Stufe mit althergebrachten Beauty-Prozeduren wie einem neuen Haarschnitt.

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Der Chirurg Tijon Esho sieht den Grund dafür in einer regelrechten Angebots-Explosion auf dem Ästhetikmarkt. "Vor zehn Jahren waren kosmetische Eingriffe etwas sehr Teures, von dem niemand offen sprach", sagt er. "Weil solche Eingriffe viel erschwinglicher geworden sind, haben wir es heute mit einer neuen Generation zu tun, die ganz offen davon erzählt."

Die Patientinnen wollen heute nicht mehr den parisischen Delevingne-Look. Esho, der selbst Schwarz ist, sagt, stattdessen seien inzwischen Gesichtszüge gefragt, die er als "pan-afrikanisch" bezeichnet. "Das sind volle Lippen mit einem deutlich definierten Amorbogen und einem leichten Schwung in der Unterlippe." Hinzu kämen ein dunklerer Hautton und ein markanter Kiefer. "Die Leute sagen: 'Doktor, ich hätte gern Ihre Lippen.' Ich antworte dann: 'Wenn ich jetzt ein Foto von meinen Lippen ausschneiden und auf Ihr Gesicht kleben würde, denken Sie, das würde Ihnen stehen?'"


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Der ethnisch uneindeutige Look steht auch in der Kritik. Letztes Jahr gab es einen Shitstorm um die schwedische Instragammerin Emma Hallberg. Man warf ihr vor, eine schwarze Identität durch die Wahl ihrer Frisur, ihrer Kleidung und ihres künstlich hergestellten Hauttons zu inszenieren. Doch viele sehen Filler-Injektionen und Selbstbräuner, genau wie Fett-Transplantate in Po und Hüfte, nicht als eine Form der ethnischen Aneignung: Man folge damit lediglich den gängigen Schönheitstrends, wie sie auf Instagram zu sehen sind.

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Instagram hat inzwischen selbst auf seine Rolle in der Herstellung von Schönheitsidealen reagiert. Im Oktober gab die Plattform bekannt, sie werde Filter, die kosmetische Eingriffe imitieren, abschaffen. Mit diesen Filtern lassen sich Fotos so bearbeiten, dass es aussieht, als habe man Lippen- und sonstige Filler injiziert bekommen oder ein Lifting durchführen lassen. Die Entscheidung war eine Reaktion auf die Kritik, derartige Filter könnten zu Minderwertigkeitskomplexen führen. Doch die meisten Kamera-Apps für Smartphones haben nun Funktionen, mit denen sich etwa die Haut glätten oder aufhellen lässt. Für manche kann es heutzutage ein kleiner Schock sein, wenn sie ein völlig unbearbeitetes Foto von sich selbst sehen.

Die 20-jährige Helena – wir haben ihren Namen geändert, um ihre Anonymität zu wahren – sieht ein, dass die Gesichter auf Instagram nicht echt sind. Sie zeigt einen Post von Anastasia Karanikolaou, einer guten Freundin von Kylie Jenner, auf einer Halloween-Party mit Playboy-Motto. Karanikolaou posiert mit den Influencerinnen Kelsey Calemine und Sydney Carlson sowie der Sängerin Olivia O'Brien, alle tragen Playboy-Bunny-Outfits. Ihre Gesichter – Schmollmund, volle Wangen, falsche Wimpern – sehen verstörend ähnlich aus. "Ich kann es nicht fassen. Es ist, als würden sie das selbst gar nicht bemerken", sagt Helena. "Sie haben vermutlich denselben Chirurgen, aber es ist trotzdem verrückt, dass ihre Gesichter quasi identisch sind."

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Einerseits findet Helena das Instagram Face lächerlich, andererseits sagt sie, diese Frauen seien für sie der Inbegriff von Schönheit.

"Es gibt heute zwei Schönheitsideale", sagt der Chirurg Esho. "Eins für die Realität und eins für die sozialen Medien." Esho sieht unsere von der Technik vereinnahmte Wahrnehmung auch als eine der Ursachen für die verpfuschten Eingriffe, die er mit seiner Arbeit regelmäßig korrigiert. "Manche Influencerinnen und Influencer haben Angst davor, auf der Straße gesehen zu werden", sagt er. "Wenn man ein Frauengesicht extrem maskulin macht, sieht das in den sozialen Medien super aus. Aber wenn du diese Frau in echt siehst, wirkt es stattdessen, als habe man ihr einen künstlichen Kiefer angeheftet. Es sieht nicht gut aus."

Heute ist es leichter denn je herauszufinden, ob Promis kosmetische Eingriffe hinter sich haben. Gleichzeitig mit der Explosion der bezahlbaren Eingriffe sind zahlreiche Instagram-Accounts aufgetaucht, die die schrittweise Wandlung von Stars und Influencern dokumentieren. Ein solcher Account, Celebface, hat 1,3 Millionen Follower und vergleicht Videos und Fotos von Stars, die behaupten, völlig natürlich und authentisch zu sein. In einer Folge der Reality-Show Keeping Up With the Kardashians ließ sich Kim Kardashian 2011 den Hintern röntgen, um zu beweisen, dass sie keine Silikonimplantate in den Pobacken hatte. Ein paar Jahre später bestritt ihre Schwester Kylie Jenner, damals 17, Lippenfiller genutzt zu haben. Durch Plattformen wie Celebface wissen Normalsterbliche heute allerdings viel mehr über kosmetische Eingriffe als damals: Kim hätte sich etwa Fett ins Gesäß injizieren lassen können, was auf Röntgenaufnahmen unsichtbar bleibt. Kylie räumte das mit den Lippenfillern 2015 schließlich ein.

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Helena sagt, Celebface habe ihr die Augen geöffnet. "Es ist traurig, weil einem aufgeht, dass die Menschen, die einen mit ihrer Schönheit verunsichern, selbst an den gleichen Unsicherheiten leiden", sagt sie. "Der einzige Unterschied ist, dass sie das nötige Geld haben, um sich zu verändern."

Fühlt sich Helena beim Blick in den Spiegel besser, wenn sie sich vor Augen hält, was die Promis alles machen lassen? "Eher nicht", sagt sie. "Es ist einfach nur befremdlich, dass alle gleich aussehen."

Eine mögliche Antwort auf diesen Trend ist es, für mehr Vielfalt in der Mode, in der Beauty-Branche und im Influencer-Kosmos einzutreten. Das tut zum Beispiel Romany Francesca mit ihrer Modelagentur Rare Select Models. Sie gründete die Agentur 2017 in Reaktion auf die Einheitlichkeit in diesen Branchen. "Während meines Medien- und Kommunikationsstudiums haben wir Werbung analysiert und darüber geschrieben, was sie dem Publikum vermittelt", sagt sie. "Dabei ist aufgefallen, wie überwiegend Weiß die Werbefiguren waren."

Rare Select Models wurde zum Erfolg, einige von der Agentur vertretene Models waren bereits in der Zeitschrift Vogue zu sehen. "Ich denke, sie suchen gezielt bei Agenturen wie meiner nach Models, weil wir für Diversität stehen", sagt Francesca. "Als Schwarze Frau in dieser Branche ist mir das auch ein persönliches Anliegen. Den Leuten wird zunehmend klar, dass Vielfalt in der Modewelt wichtig ist."

Dennoch ist Esho nicht überzeugt, dass sich unser Ideal im Laufe des nächsten Jahrzehnts groß wandeln wird. Er sagt voraus, dass sowohl Frauen als auch Männer weiterhin nicht-chirurgische Eingriffe vornehmen lassen werden. Nur werde sich der Look im Laufe der Jahre in eine androgynere Richtung entwickeln. Und Hadids Status als "schönste Frau"? Der werde auch nicht ewig währen.

"Weiter in der Vergangenheit galt Marilyn Monroe als die schönste Frau der Welt", sagt Esho. "Aber heute bringt schließlich auch niemand mehr Fotos von ihr mit und sagt: 'Ich will aussehen wie Marilyn.'"

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