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Darf man sich über 20 Grad im Februar freuen?

Ja, aber. Wir haben mit ZDF-Meteorologe Özden Terli über den frühen Frühling gesprochen.
Eine Gruppe Menschen geht an Blumen vorbei, das We im Februar sind so ungewöhnlich hoch, dass wir uns fragen p
Foto: IMAGO / Ralph Peters

Nach einem Winter im Lockdown scheint es, als hätten wir einen frühen Frühling verdient. Bei fast 20 Grad in der Sonne zu sitzen, fühlt sich fast wieder nach ein bisschen Normalität an. Innerhalb einer Woche schießen die Temperaturen von den zweistelligen Minusgraden in die zweistelligen Plusgrade. Ganz normal kann das nicht sein im Februar. Um herauszufinden, warum die Temperaturen so schwanken und ob man ein schlechtes Gewissen haben soll, wenn man sich über die Februar-Wärme freut, haben wir mit Özden Terli gesprochen. Er ist Diplom-Meteorologe, Redakteur und Moderator in der ZDF-Wetterredaktion.

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VICE: Darf man sich über 20 Grad im Februar freuen?
Özden Terli:
Klar! Ich freue mich darüber, wenn ich draußen mit meinem Kaffee in der Sonne sitze. Das ist doch grandios. Keine Frage. Sonnenschein nach einer dunklen Phase mit vielen Wolken ist ja etwas Angenehmes.  Aber im Radio wird vom Frühling und Wärme geschwärmt, obwohl wir immer noch im Winter stecken und das über Tage hinweg ohne mal nachzufragen, ob das in der Klimakrise denn normal ist? Das finde ich schwierig. Selbstverständlich habe ich auch gerade meinen Kaffee im T-Shirt draußen getrunken. Aber Ende Februar ist dieses ungewöhnlich milde Wetter mit zwanzig Grad nicht normal – vor allem in dieser Häufigkeit an so vielen Tagen.

Wie historisch ist dieser Monat? Gab es schon mal so lange so warme Tage im Februar?
Von 2001 bis 2020 gab es acht Fälle, bei denen zwanzig Grad erreicht oder sogar übertroffen worden sind. In den zwanzig Jahren davor ist das nur dreimal passiert. In den letzten zwei Jahrzehnten kommt es also zu einer Häufung. Jetzt ist 2021 und wir haben so eine Häufung innerhalb einer Woche wie nie zuvor in der Messgeschichte. Sechs Tage am Stück mit zwanzig Grad und mehr ist laut Deutschem Wetterdienst ein neuer Rekord. Aber auch in Österreich, Polen, selbst in Schweden wurden neue Rekorde an Stationen und sogar absolute für den Februar aufgestellt.  Es werden Temperaturen an Wetterstationen gemessen, die es dort nie zuvor geben hat. Es ist Winter! Wir haben Ende Februar. Es ist nicht Frühling. Das ist schon krass.

Wird so etwas jetzt öfters vorkommen?
Der Jetstream, als das Starkwindband, ist sehr stark in den Süden ausgewichen und hat die Wärme und den Saharastaub aus Nordafrika mitgebracht. Dieses Ausweichen der Strömung häuft sich sich in den letzten Jahren. Aber gleichzeitig verstärken sich die Hochs. Das hängt miteinander zusammen und kann fatale Folgen haben. Ganz prominent war das Jahr 2018, als die Strömung in der Nordhemisphäre immer wieder zum Erliegen gekommen ist. Der Jetstream ist nicht mehr durchgeschwenkt, so wie er das normalerweise macht, sondern ist stationär geblieben. Dieses stationäre Bleiben bedeutet immer, dass es zu Extremwetterereignissen kommt. Auch zu anderen Jahreszeiten. Am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung wurde festgestellt, dass das in den letzten zwei Jahrzehnten zugenommen hat und wahrscheinlich weiter zunehmen wird. Auch andere Extremwetter wie der Kaltlufteinbruch im Februar aus dem Norden wird auf die starke Auslenkung des Jetstreams zurückgeführt. Aber hier spielt eine komplexe Kausalkette von Ereignissen eine Rolle, die von renommierten Wissenschaftlern auf die dramatischen Eisverluste in der Arktis zurückgeführt werden. Der Eisverlust wird durch die deutlich stärkere Erhitzung der Arktis verursacht. Es sind komplexe Zusammenhänge und was in der Arktis passiert, bleibt nicht dort. Und da schließt sich der Kreis wieder zur Klimakrise.

Sind diese Temperaturen im Februar auf den Klimawandel zurückzuführen?
Erst einmal leben wir in einer Welt, deren Klima sich schon verändert hat. Es ist nicht mehr so wie vor 40 Jahren und das sehen wir mittlerweile überall. Die Klimasimulationen der 1980er Jahre sind eingetreten. Das ist erst einmal der Status Quo. Von daher ist vielleicht die Frage nicht mehr zeitgemäß. Wir leben mitten in der Klimakrise und die Extremwetter nehmen zu. Nicht nur in Deutschland und nicht nur im Sommer, sondern weltweit. Das "neue Klima" gibt es nicht. Es ist eine fortwährende Veränderung, die sich weiter fortsetzt und das führt zu einer weiteren Erhitzung. Zurück zu den Extremwetterereignissen. Dass die extreme Kälte und die neuen Wärmerekorde sowie die Anzahl der Tage einen neuen Rekord darstellen, zeigt das hier etwas Anormales geschieht. Wir in der Redaktion wundern uns schon seit Jahren darüber, was da passiert. Grundsätzlich aber gilt, wenn man die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht berücksichtigt, erzählt man nur die halbe Geschichte.

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