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White Cube Maidan—zwischen Kunst, Politik und Business

Wenn Außenminister Kurz die Ausstellungs-Besucher begrüßt und eine Künstlerin meint, ihre Werke dienen nun als Übungs-Zielscheiben für Separatisten in der Ostukraine, dann ist irgendwas passiert.

In unserer Zeit, in unserer Gesellschaft, hat sich die Kunst schon längst das Privileg der Freiheit erworben. Kunst erfüllt keinen Zweck. Sonst wäre es ja Design, Handwerk, Marketing, Propaganda oder einfach Illustration. Es ist vielmehr so, dass Kunst zwecklos ist und gerade darum sinnvoll. So wie Analsex, dry aged Beef Burger oder Plateau-Stiefel. Also eine Art Luxus. In dieser Art-pour-Art Atmosphäre ist es natürlich schwierig, rational und objektiv Kunst zu bewerten. Stattdessen fallen wir in eine Art Fetischisierung rein. Wenn irgendwas auf einem Podest steht, wenn es in einem White Cube stattfindet oder gratis Wein ausgeschenkt wird, dann ist es eben Kunst. Auch wenn es eine Luftmine ist.

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Ich habe schon als Kunstuni-Geschädigter Probleme, bei abendlichen Vernissagen und überkuratierten Ausstellungen die Rolle von Kunst in der Gesellschaft zu sehen. Wenn in einer Ausstellung jedoch Außenminister Sebastian Kurz per Videobotschaft die Ausstellungs-Besucher begrüsst, linksdeklarierte Galeristen Agenden mit Investment-Bankern teilen und Videomaterial zu einer Demonstration als Kunst durchwinken und eine Künstlerin erzählt, ihre Kunstwerke dienten nun als Übungs-Zielscheiben für Separatisten in der Ostukraine, ist irgendwas passiert: Eine Revolte am Maidan in Kiew. Diese Revolte war wiederum Ausgangspunkt (und Grund) für die Ausstellung "Maidan And Beyond" dieser Woche in Wien.

In dieser ganzen politischen Verwirrung sahen ein paar engagierte, wohlhabende Förderer der Ausstellung anscheinend die Kunst als einen Ort der Zuflucht.
Ein Ort, wo man mit seiner Ratlosigkeit nicht so alleine ist. Einer der Förderer der Ausstellung, Marc Milo Lube, Investment-Berater in Kiew, meinte in seiner Eröffnungsrede, dass die Kunst auch in Bezug auf den Maidan ihrer Zeit voraus war.
Gleich hinter ihm stand von Nikita Kadan das Werk "Sockel ohne Denkmal", aus dem Jahr 2009. Jetzt im Jahr 2014 zerbricht die Ukraine weiterhin wegen der Frage welches Idol man nun auf dem Sockel haben möchte: Den Nazi-Kollaborateur und Freiheitshelden Bandera oder Lenin. Also ein Land zwischen Nationalismus-Verklärung oder Sowjet-Romantik.

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Außenminister Kurz vor einer Ziegelwand in Form der Ukraine. Auf der Vorderseite verkohlt, auf der Rückseite eine nette Wohnzimmertapete.

In der Ukraine ist der Alltag schon von so surreal geworden, dass kaum jemand mehr eine Erklärung für das Geschehene hat. Zu viele Perspektiven gibt es und zu viele Facetten ein und desselben Geschehens. Vitali Klitschko kann die Antwort auf eine korrupte Politikerkaste sein, aber ebenso sehr, eine vom BND eingesetzte Marionette, in manchen Augen. Eine Annäherung an die EU bringt westliche Werte, aber ebenso Wettbewerb, Privatisierungen und absurde Lebensmittelstandards, die es bald jedem ukrainischen Opa unmöglich machen werden, am Markt selbstgemachten Kefir zu verkaufen. Insofern hat die Politik in der Ukraine, und insbesondere am Maidan, etwas Manisches bekommen. Niemand weiß, was wirklich abgeht und wohin es geht, aber es gilt weiterzumachen. Auch wenn sich viele fragen, was jetzt der Zweck des ganzen war, so spüren sie, dass es Sinn gemacht hat. Ein ganzes Volk als wagemutige, gemartete, ambivalente Künstler halt.

Ein Besucher der Ausstellung, der ukrainische Musik-Producer Dmytro Fedorenko, antwortet auf die Frage nach Zweck und Sinn der Revolte am Maidan: „Ich habe keine Ahnung, ob es gut war, was wir da gestartet haben, aber ich würde es wieder machen."

Kunstwerke, die dieser manischen Stimmung entsprangen, sind nun beim "Special Projekt for Vienna Art Week" ausgestellt.
Es ist ein verdammt banales und gleichzeitig gewagtes Konzept, ein gegenwärtiges politisches Ereignis zum Ausgangspunkt der künstlerischen Arbeit zu machen, denn es ist zwiespältig: Wenn Granaten auf Podesten stehen, sind wir von einer vergoldeten Ak-47 nicht mehr weit entfernt. Wenn diese Granate aber von Bewohnern der Strasse an die Künstlerin übergeben wurde, in der die Granate einschlug, dann bekommt das Werk schon eine andere Dynamik und wird fast zur reinen Dokumentation der Geschehnisse. So muss sich die Kunst den Vorwurf gefallen lassen, sie beliefere einfach den westeuropäischen Kunst-Markt mit „Realness", genauso wie sie sich in der Heimat dafür verteidigen muss, sie würde sich mit dem Blut der Straße schmücken, ohne wirklich etwas getan zu haben.
Andere Künstler ließen ließen angesichts der Ereignisse die Kunst sein und entwarfen Designs für die Sticker der neuen Uniformen oder stellten einfach direkt am Maidan aus.
​Dmytro Fedorenko, der aktiv an den Protesten teilnahm, drückt es so aus: „Ich weiß nicht, was richtig ist, aber ich würde keine Stipendien von Oligarchen annehmen. Ein paar der Künstler hier stellen sich mit dem Establishment gut, um dann aber für zehn Minuten auf den Maidan zu gehen und Selfies zu machen. Es ist einfach eine Art von Kunst, die der Westen erwartet und sie liefern es, aber ich kann wirklich nicht darüber richten. Es ist wirklich eine persönliche Entscheidung."

Mariya Kulykovska, aus der besetzten Krim, vor ihren Hand- und Fuß-Skulpturen aus Glycerin, das man sonst als Material für menschliches Gewebe benutzt. Als die Separatisten das Moderne Kunst Museum in Donezk erstürmten, ermahnten sie das Volk die „dekadente Kunst" für Schießübungen zu benutzen. Auch Maryias Arbeit, die ironischerweise schon damals aus Glycerin gefertigt war, war darunter.

Dass im westlichen Kunstkontext manches in der Ausstellung „Maidan And Beyond" schon Selbst-Therapie ist, was im knallharten politischen Alltag der Ukraine noch als künstlerische Reflektion durchgeht, ist völlig egal. Die Ausstellung ist als Gesamtkunstwerk jedenfalls schon aussagekräftiger als die meisten Zeitungsartikel und fast schon ein Museum der ukrainischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich. Wenn ein Suppentopf zum Symbol wird, oder ein dokumentarisches Video der Proteste zum Kunstfilm, merkt der Zuschauer, dass Zeit für Reflexion ein Luxus ist. Aber wenn dir eine die Künstlerin Masha Kulykovska erzählt, sie hätte sich die Haare blond gefärbt, seitdem ihre Haare über Nacht ergrauten, als die Krim plötzlich besetzt wurde, dann ist sogar schon der persönliche Alltag schon so eine absurde Performance, dass eine Bühne oder ein Podest nur noch banalisieren kann. Umso mehr muss man es den beteiligten Wiener Galeristen anrechnen, dass sie hier einfach ins kalte Wasser reingesprungen sind und sich bereit erklärt haben, bei so einer ungehobelten sperrigen Sache während der Vienna Art Week mitzumachen. Der österreichischen Industriellenvereinung war es übrigens zu kontrovers, diese Ausstellung zu sponsern.

​Die Ausstellung läuft während der Vienna Art Week im AzW im MQ bis zum 30. November und wird von einem Rahmenprogramm begleitet.