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The Up Close and Personal Issue

Blutige Nasen und K.-o.-Schläge – Beatdown im Hinterland

Beatdown ist die pure Auf-die-Fresse-Musik: schwere Gitarren und gepresstes Geschrei über Zusammenhalt, die scheiß Gesellschaft und unterdrückende Arschlöcher.

12.03.2016: Ich fahre zu einem Beatdown-Fest, um die extrem harte Seite des Hardcore zu erleben. Beatdown ist die pure Auf-die-Fresse-Musik: schwere Gitarren und gepresstes Geschrei über Zusammenhalt, die scheiß Gesellschaft und unterdrückende Arschlöcher. Im Moshpit wird als gelernter Bruce-Lee-Nachahmer komplett ausgerastet. Aber Beatdown ist auch dafür verrufen, auf politische Korrektheit zu scheißen und gewaltgeil, frauenfeindlich und homophob zu sein. Und genau deswegen wird dieses Subgenre oft vom Rest der Szene mit hochgezogener Augenbraue als "Bauern-Hardcore" verpönt.

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Zwar war der Ruhrpott die Brutstätte von Beatdown, doch gerade in Ost-Deutschland ist die Szene zurzeit viel aktiver. One Life One Crew sei dank. Das in Sachsen-Anhalt beheimatete Unternehmen hat sich Beatdown in Sachen Labelarbeit und Merchandising verschrieben und einen gewissen Ruf in der deutschen Hardcore-Szene "erarbeitet". Bands mit illustren Namen wie Cunthunt777 und knapp bekleidete Frauen auf Shirts kommen in der linken Szene nicht an. Auf einer Hardcore-Show in Sachsen gab es schon ein Verbot von OLOC-Merch.

13:03 Uhr Berlin-Hoppegarten
Es ist Samstagmittag und ich sitze auf der Rückbank eines Ford Fiestas, während Sidos "Ausm Weg" durchs Auto dröhnt. Der alten Zeiten wegen hat es der Fahrer reingemacht. Bei Mitfahrgelegenheiten kannst du dir die Musik nicht aussuchen. Vorher sind schwere Beatdown-Riffs durch die Boxen gescheppert, zur Vorbereitung auf den Tag. Wir fahren irgendwo ins Hinterland bei Magdeburg, zum vorläufigen Beatdown-Showcase des Jahres: dem OLOC-Fest in Lutherstadt Eisleben.

16:10 Uhr Lutherstadt Eisenach
Der Ford fährt auf einen großen Parkplatz, der gefüllt ist mit Menschen in großflächig bedruckten Hoodies, Jogginghosen und Snapbacks. Viele Männer, klirrende Bierflaschen, glückliche Gesichter und gegröltes Wiedersehen alter Bekanntschaften. Wer die Fahrt zum Label-Fest auf sich genommen hat, wird mit den Vorzeigebands der europäischen Szene belohnt: Nasty, Words Of Concrete, Whatever It Takes und Reduction. Umso fröhlicher die Stimmung am Einlass.

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16:19 Uhr Bistro der Location
Im Bistro-Raum sitzt ein ca. 20-Jähriger neben mir. Schmerzerfüllt starrt er an die Decke, hält seinen linken Arm und stöhnt immer wieder verzweifelt. Plötzlicher Aufruhr, vier Leute tragen einen Bewusstlosen rein. Da wacht der schon wieder auf, fragt verwirrt, was passiert ist und will gleich wieder reingehen, weiter moshen. Erleichtertes Gelächter. Nur der Typ neben mir stöhnt weiter. Ich frage, was los ist: "Arm ausgekugelt." Und das gleich beim ersten Song des Tages. Dabei habe er sich vorgenommen, dass diesmal nichts passiert. Sanitäter kommen und fahren ihn ins Krankenhaus.

16:31 Uhr Konzertsaal
Der Konzertraum ist eigentlich ein weitläufiger Tanzsaal. In schätzungsweise zehn Meter Deckenhöhe hängt ein Kronleuchter, der einen krassen Kontrast zu den Karate-Kicks-ausführenden Moshern im Pit bildet. Bei einer normalen Hardcore-Show beschränkt sich der Moshpit meist auf den kleinen Raum vor der Bühne, hier nimmt er fast die gesamte Breite des Saals ein. Genügend Platz, ohne Körpertreffer zu ris­kieren. Aber um auf Toilette zu gehen, muss man kurz Teil des dünnen Publikumskreises werden, in den immer wieder Tänzer Bein voraus mit Schwung reinspringen. Keine Auszeit, mitmachen oder kassieren. Wie der Typ auf der Herrentoilette, der über dem Waschbecken hängt und sich das Blut aus seinem Gesicht wischt.

17:21 Uhr Hinter der Bühne
Ich treffe Samis, den Sänger von Reduction. Die Band machen seit über zehn Jahren Musik, blieb aber immer Untergrund. Das hat seine Gründe: "Wir wollen mit unserer Musik auf Themen hinweisen, die in der Gesellschaft falsch laufen." Extrem auch die Lyrics, die homophob und sexistisch klingen und betont asozial daherkommen. Samis versichert, dass er, dessen Onkel schwul sei, weder was gegen Homosexuelle hätte, noch Frauen beleidigen will. Er habe seinen Sprachgebrauch nun mal seiner Umwelt angepasst und das sei nicht der Unicampus oder eine "Müslikommune", sondern Bochum Hamme.

20:18 Uhr Reduction spielt
Samis macht auf der Bühne eine Ansage: Jeder, der morgen bei den Landtagswahlen ein Kreuz bei der AfD oder NPD machen wolle, solle sich sofort verpissen. Lauter Applaus. Einen Tag später wird die AfD unfassbare 24 Prozent bei den Wahlen holen.

00:12 Uhr Autobahn Richtung Berlin
Wieder sitzen wir im Ford Fiesta. Heute habe ich zehn verschiedene Bands gesehen, alle feuerten die Männer und Frauen im Pit an. Jetzt reicht es aber allen. Es ist Sonntagnacht und ich hänge auf der Rückbank eines Ford Fiestas, während laut Dubstep durchs Auto dröhnt.