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Die Deutschen, die vor Flüchtlingen fliehen

Immer mehr Deutsche wandern nach Ungarn aus. Wegen niedriger Lebenshaltungskosten und schönem Wetter am Plattensee—aber auch Viktor Orbáns Politik ist gar nicht so stressig, wenn du mit der richtigen Hautfarbe geboren wurdest.

Idyllisch. Screenshot aus dem ARD Report München

Ungarn erscheint aus ganz unterschiedlichen Gründen attraktiv für ältere Deutsche: Von ihrer Rente können sie dort sehr gut leben, was in Deutschland bedeutend anders aussehen kann, sogar Immobilien stehen reihenweise leer und sind für einen guten Preis zu haben. Die Sonne scheint, die Puszta ist weit und frei, am Balaton kannst du es dir gutgehen lassen und die Polizei fährt die ganze Nacht durch den Ort und sorgt für Ruhe im Karton. Und nicht nur das: Viktor Orbáns stacheldrahtbewehrter Grenzzaun erscheint viel weniger bedrohlich und undurchlässig, wenn du in dem richtigen Land auf der richtigen Seite davon—Deutschland—geboren wurdest.

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Diesem Thema widmete sich auch die am Dienstag ausgestrahlten Ausgabe des Report München. Darin kommen mehrere Auswanderer aus Deutschland zu Wort, die vor allem ein Grund umzutreiben scheint: die "Flucht vor Flüchtlingen", wie die ARD plakativ titelt. Das erste Rentnerehepaar weiß ganz genau, wovor es jetzt in Deutschland Angst hätte: "Vor den vielen jungen Männern, die da jetzt kommen." Es ist die typische Besorgtbürger-Rhetorik: Gegen Refugees haben wir ja nichts, Familien sind völlig in Ordnung und den "Asylanten" aus Sri Lanka haben wir damals in Deutschland sogar zum Kaffee eingeladen. In der nächsten Einstellung sieht man die beiden dann bei der Völkerschau: "Guck mal, da läuft eine mit Kopftuch." Bei einem in Ungarn so seltenen Exemplar wird schon mal mit dem Finger draufgezeigt und die essenziell wichtige Frage diskutiert, ob da nun eine afrikanische, ungarische oder indische Muslima am Straßenrand läuft. Immer für eine Überraschung gut, diese neue Heimat.

Andere Interviewpartner haben sich noch früher aus dem Staub gemacht. Einmal gibt es die Angst darüber, was in der verlorenen Heimat noch kommen wird, "wenn da die ganzen Moscheen gebaut werden"—das Haus einer anderen Religion als Bedrohung an sich. Religionsfreiheit ist halt einfach schwer, vor allem, wenn sich auch noch nicht aus Mitteleuropa stammende Menschen dreisterweise das Recht herausnehmen wollen, dort zu wohnen, wo sie es für richtig halten. Ein AfD-Unterstützer aus NRW, der ebenfalls den Kampf ums Heimatland aufgegeben hat, nennt noch weitere ästhetische Gründe: Wenn du in deiner Stadt "kaum noch einen Satz, der grammatikalisch richtig gesprochen wird", hören kannst, ist das schon ein starkes Indiz für Überfremdung und ein Zeichen, schleunigst abzuhauen. Dieser stramme Informatiker mit seinem strengen Blick hätte sicher auch seine helle Freude an der Facebook-Gruppe "Auswandern Ungarn".

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Die Gruppe mit dieser charmanten Ellipse als Titel ist im Grunde ganz harmlos: ein Ort eben, an dem in Ungarn lebende Menschen aus Deutschland und solche, die es werden wollen, sich über ihren Alltag, Rechtshilfe, amtliche Fragen, Sprachkurse und Partys zu ungarischer Volksmusik austauschen können. Ein besonders fleißiges Mitglied postet gefühlt jeden Tag Bilder von sich und seiner Pferdekutsche "in der (wunderschönen) Puszta…", ansonsten ist die Gruppe vor allem voll mit vielen, vielen Immobilienangeboten. Doch wie von Facebook gewohnt, meinen immer noch irgendwelche Leute, ihren politischen Senf abgeben zu müssen. Und das, obwohl die Gruppenbeschreibung das mehr oder weniger verständlich verbietet:

Das Video aus der ARD-Mediathek kommt natürlich auch in der Gruppe gut an. Einige Stimmen melden sich zwar, dass es dem Ehepaar vom Anfang des Videos sicher nur um die Rente gehe, mit der in Deutschland nichts zu holen sei, ein anderes Mitglied scheint aber ganz auf ihrer Seite zu sein und hat durch ungarische Medien auch schon den Durchblick:

Deutschland wird mal eben kaputtgemacht und die Westpresse verschweigt die finsteren Machenschaften, die ganz sicher hinter den Fluchtursachen stecken. Zwar mit fragwürdiger Grammatik und Interpunktion, aber ansonsten ganz in der Rhetorik des Sprachschützers aus dem Report: "Das Durchwinken der Flüchtlinge [nach Deutschland] hatte ja keine Notwendigkeit. Die Leute waren ja nicht am Verhungern, die wollten einfach weiter". Diese Aussage kommentiert schon die ARD mit Bildern aus Budapest, die für sich sprechen: Refugees, die sich auf engstem Raum in der prallen Sonne zusammenkauern und ihr Schicksal erwarten. Auch ein anderer Post ist nach fast einem Monat noch immer lesbar und interessiert die Administration scheinbar nicht:

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Der verlinkte Blog dokumentationsarchiv.at fällt nicht nur mit Artikeln über die SPÖ auf, die nach Ansicht der Betreiber die wahre Nazi-Partei Österreichs sei. Sie sammeln auch fleißig Kommentare zur "politischen Homo-Bewegung" sowie "Beispiel[e] für die aus der Homosexualität resultierenden Verhaltensstörungen und Aggressionen". Weiterhin sind die Betreiber der Seite, Ecotext-Verlag Mag. G. Schneewei, als Admins der umstrittenen Seite kreuz-net.info gelistet, die durch Rassismus, Antisemitismus und Homophobie auffiel und mittlerweile, wie auch schon die Vorgängerseite, offline ist. Ebenso werden Artikel der populistischen Plattform Opposition24 verbreitet, die beispielsweise für eine Auswanderung deutscher Fachkräfte nach Ungarn wirbt, Artikel mit "Trau keinem Moslem" betitelt und unter anderem schon Evelyn Hecht-Galinski als Gastautorin führte. Diese tat sich in letzter Zeit besonders durch ihre Beschreibung des Staates Israel als "rassistisch-faschistisch" und "Apartheids-Regime" hervor und hat auch keine Berührungsängste mit Ken Jebsen. Der ganz normale Wahnsinn einer Facebook-Gruppe oder bewusste Kulanz mit fragwürdigen Inhalten? Schauen wir doch mal, was es so alles zu Ariern zu diskutieren gibt:

Das Mitglied mit dem "Arier"-Spruch organisiert übrigens in der Gruppe das "Grilltreffen der Ungarn Freunde"—mit schöner ungarischer Volksmusik und viel leckerer deutscher Bratwurst. In dieser Umgebung fühlen sich deutsche Auswanderer wohl, nicht nur Leute, die flüchtenden Kindern ein Bein stellen, sind willkommene Nachbarn. Auch antiziganistische und antisemitische Rhetorik und Gewalt—privat wie auf institutioneller Ebene—sind kein Problem. Diese wurden übrigens auch nicht von Refugees importiert, sondern kommen direkt aus dem rechten Lager Ungarns. Aber so lange es nur keine Moscheen in der Stadt gibt, ist die Welt in Ordnung und die größte Sorge der Auswanderer, dass sie am Balaton nicht genügend Sonnencreme eingepackt haben.