Warum heute Nacht in Wien Kloschüsseln mit dem Tag „Heinz-Christian Strafe“ aufgetaucht sind
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Warum heute Nacht in Wien Kloschüsseln mit dem Tag „Heinz-Christian Strafe“ aufgetaucht sind

Wir haben die Guerilla-Kunstaktion begleitet und die Urheber gefragt, was sie uns damit sagen wollen.

Wenn man in einer Freitagnacht um 4:30 Uhr früh in einen mit Kloschüsseln gefüllten Mini-Van steigt, ist das ein guter Moment, um über ein paar Dinge nachzudenken.

Zum Beispiel darüber, warum genau man eigentlich Journalist werden wollte. Oder auch, was wohl der tiefere Sinn dieser Kunstaktion ist, die uns vor wenigen Tagen in einem kryptischen Telefonat angekündigt wurde und über die ich bis zur Abfahrt nicht sehr viel mehr weiß, als dass sie mit Protest und eben einem Haufen Toiletten zu tun hat. Man könnte auch fragen, warum auf den Kloschüsseln in dicken Edding-Buchstaben der Schriftzug „Heinz-Christian Strafe" steht—und warum die Künstler sich entschlossen haben, ihre Keramikvisitenkarten an mehreren gut einsehbaren Punkten rund um den Wiener Ring aufzustellen.

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Andererseits haben zu viele Fragen in der Kunst noch nie irgendwas besser gemacht. In der Regel gibt es nämlich nicht viel zu enträtseln. Kunst ist auch nicht gleich tiefsinnig, nur weil ihre Macher manchmal filterlose Zigaretten rauchen und Bullshit-Bingo mit philosophischen Diskursworten spielen (Diegese, Dispositiv, gewonnen!). Und das ist keineswegs negativ gemeint—gute Kunst versucht es in der Regel gar nicht erst mit geschwurbelter Tiefsinnigkeit. Wenn überhaupt, geht es hier nicht ums Verstehen und Entschlüsseln (was zugegeben auch meinem Zustand und der Uhrzeit entgegenkam), sondern darum, dass jeder seine eigenen Antworten findet.

Das habe ich schnell gelernt, als ich die Künstler fragte, ob sie mir ein paar Worten zu ihrer Aktion sagen könnten und sie mir antworteten: „Wer ist Heinz-Christian Strafe, ich bin Heinz-Christian Strafe, du bist Heinz-Christian Strafe, wir sind Heinz-Christian Strafe." Für mich klang das Ganze nach einer Sanitäranlagen-Version von „Ich bin Spartacus".

Als wir mit ziemlich viel Geschepper in Wien Neubau losfuhren, dachte ich an all die Toiletten, die mir zum Thema Kunst einfielen: von Marcel Duchamps „Fountain"—dem Readymade-Kunstwerk aus einem Pissoir an einer Museumswand—bis hin zur transzendentalen Scheißmuschel in Trainspotting. Der King of Swing Elvis ist sogar auf seinem Töpfer-Thron gestorben und auch die Klomuschel von Hitler wurde an ihrem neuen Heimatort in New Jersey zu so etwas wie einem Stück perfider Popkultur.

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Rückblickend kam mir vor, als wäre das gesamte 20. Jahrhundert von der Idee dominiert, wortwörtlich unseren privaten Scheiß an die (kunstversierte) Öffentlichkeit zu zerren. Kein anderes Objekt symbolisiert diesen Drang (no pun intended) so gut wie eine ins Scheinwerferlicht verpflanzte Klomuschel. Toiletten schockieren (oder haben schockiert), weil sie uns daran erinnern, wie banal und basal wir Menschen im Grunde immer noch sind—egal, wie sehr wir uns in unseren zwischenmenschlichen Spielchen darum bemühen, wie aufgeklärte Intellektuelle mit Melone und Monokel zu wirken.

Irgendwann im 21. Jahrhundert war dieser Zug dann aber sowieso abgefahren und wir am Bodensatz der öffentlichen Selbstdarstellung angekommen. Wer öffentlich scheißt (und dabei noch Selfies macht), lässt sich von einer Keramikschüssel im Museum auch nicht mehr schockieren, könnte man sagen.

In China, wo das mit dem Schockieren vielleicht noch etwas einfacher ist, gab es übrigens erst 2009 eine Keramikausstellung mit einer gigantischen Wand aus WC-Muscheln , die für mich als kapitalistisch gehirngewaschenen Westler zum ersten Mal seit langem wirklich eine subversive Sanitärbotschaft hatte. Vor dem Hintergrund der Großen Chinesischen Mauer und den vielen Zensurmaßnahmen des kommunistischen Regimes kam mir die Installation weniger wie eine Zurschaustellung der tollen chinesischen Keramikkunst vor, sondern mehr wie eine Statement, das zwischen den Spülungen sagt: „Zwischen uns und der Freiheit liegt eine Mauer aus Scheiße (und viel rauschendem Wasser)".

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Womit wir auch wieder bei gestern Nacht wären. Als wir mit dem MuseumsQuartier und der Secession die ersten Knotenpunkte abfuhren und ich dabei zusah, wie die Künstler eine Kloschüssel nach der anderen mit Plastikhandschellen und schnellen Handgriffen in Wien anketteten, musste ich irgendwie an Sonntagszeitungsaustragen denken, nur mit WCs statt Zeitungstaschen (auch wenn der Inhalt manchmal ähnlich ist).

Bei der Secession, dem Kunsthistorischen Museum und einigen Stationen dazwischen verlief das Aufstellen so unglaublich problemlos, dass es mir fast unheimlich war. Auch wenn ich nur als Beobachter dabei war und hin und wieder wie ein Passant die Kamera auspackte, hatte ich insgeheim doch mit zumindest einem Wahnsinnigen gerechnet, der sein Geschäft verrichtet, noch während die Muscheln aufgestellt wurden, oder einem Betrunkenen, der sie uns aus der Hand reißen und zum Angeben in die Passage mitnehmen wollte.

Erst beim Parlament wurde die Angelegenheit für die drei etwas knifflig, als sie der Polizei, dem Verkehr und den Überwachungskameras ausweichen mussten. Insgesamt gab es nur genau einen Zwischenruf und der lautete: „Wer ist Heinz-Christian?"

Laut eigenen Angaben stammt die Inspiration für die Aktion selbst von einem Klo-Spruch: „Letztens haben wir ‚Heinz-Christian Strafe' als Tag in einem WC gelesen und uns selbst gefragt, was das soll", erzählen die Macher der Aktion. „Jeder ärgert sich, jeder wählt ihn. Genau wie das Bedürfnis zu scheißen, ist auch Heinz-Christian Strafe einfach nicht wegzukriegen."

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Um ziemlich genau 5:30 Uhr war die Guerilla-Fahrt wie geplant wieder vorbei. Pünktlich zum Jahresende und vor dem Auftakt zum großen Wahljahr 2015 war das HC-WC an 10 Punkten im touristischen/historischen Kern von Wien ausgeliefert worden, wo sie als keramische Mahnmale an die politischen Ausscheidungen des nahen Parlaments erinnern.

Zum Abschluss machten mir die Künstler doch noch ein Geständnis dazu, warum sie WC-Schüsseln für die Aktion gewählt hatten. „Klos waren einfach am Günstigsten. Die großen Muscheln kommen auf 15 Euro, die Pissoirs haben uns sogar nur 8 Euro gekostet." Wie gesagt: Es gibt nicht viel zu enträtseln. Eine Antwort darauf, was uns Heinz-Christian Strafe sagen will, muss am Ende jeder für sich selbst finden.

Wenn ihr Markus auch die Nacht rauben wollt, erzählt ihm am besten auf Twitter von euren Kunstaktionen: @wurstzombie

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