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„Refugees Welcome“ ist der deutsche Anglizismus des Jahres – zu Unrecht

Während auf der einen Seite die Willkommensbanner geschwenkt werden, zeigt Deutschland immer mehr auch seine hässliche Seite. Das schönzureden, ist gefährlich.

Foto: imago | Gerhard Leber

Wenn eine wie auch immer geartete Jury irgendein Wort dafür auswählt, für eine bestimmte Entwicklung zu stehen, die in einem Jahr stattgefunden hat, dann klingt das Ergebnis oftmals etwas fragwürdig. Als beispielsweise das im aktiven Sprachgebrauch den meisten Unbekannte „Smombie" (Smartphone + Zombie) zum Jugendwort des Jahres gewählt wurde, machten sich Internetnutzer über die Weltfremdheit des Begriffs lustig. Uns gegenüber erklärte ein Mitglied der Jury allerdings, dass es bei solchen Wahlen vor allem darum gehe, ein Wort zu finden, das eine bestimmte gesellschaftliche Entwicklung auf den Punkt bringt. In diesem speziellen Fall: Das stetige Starren auf den Smartphone-Bildschirm.

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Der Anglizismus des Jahres 2015 wurde vergleichsweise spät verkündet, bezieht sich allerdings auch auf ein etwas wichtigeres, ernsthafteres Thema: die Asylpolitik. Die Wahl der Jury fiel auf „Refugees Welcome", weil sich der schon in den 90ern verwendete „Slogan aus seinem ursprünglichen aktivistischen Zusammenhang löste und auf breiter gesellschaftlicher Ebene zu einem sprachlichen Ausdruck gelebter Willkommenskultur und einer selbstbewussten Antwort auf das althergebrachte ‚Ausländer Raus' des rechten Lagers wurde. Die Wirkungsmacht des Slogans zeigte sich auch daran, dass er bald zum sprachlichen Bezugspunkt für konservative Kritik an der allgemeinen flüchtlingsfreundlichen Stimmung wurde."

Sieht man „Refugees Welcome" als einen Platzhalter für die Flüchtlingsdebatte, die auch in diesem Jahr noch das vorherrschende Thema zu sein scheint, dann muss man der Jury in ihrer Wahl zustimmen. Als Stimmungsbarometer einer Nation kann dieser Begriff allerdings schon lange nicht mehr gesehen werden.

„Mit Refugees Welcome überwand die deutsche Sprachgemeinschaft einerseits die unmittelbare Sprachbarriere zu den Flüchtlingen und signalisierte andererseits fast nebenbei Weltoffenheit", heißt es in der Begründung der Jury und gerne würde ich in die Hände klatschen und sagen: Ja, das sind wir hier: Weltoffen. Barrierefrei. Tolerant. Trotz oder gerade wegen unserer Vergangenheit. Die Realität ist aber leider eine andere. Während auf der einen Seite die Willkommensbanner geschwenkt wurden, zeigte sich in den vergangenen Monaten zunehmend eine andere, ziemlich hässliche Seite. Die totgeglaubte Bewegung Pegida erstarkte wieder, spontan organisierte Bürgerwehren instrumentalisieren sexuelle Gewalt dafür, nicht mehr nur zu den einschlägigen Kundgebungen breitbeinig und „besorgt" durch Innenstädte zu ziehen, und immer mehr Menschen scheinen es für nötig zu halten, sich zum Schutz vor „kriminellen Asylbewerbern" bewaffnen zu müssen.

Die Forderung nach belastbaren Zahlen und Fakten, jeder Versuch der Vermittlung und Kommunikation scheinen zum Scheitern verurteilt—was dem rechtspopulistischen Horizont widerspricht, ist im Zweifelsfall sowieso nur gelogener Gutmenschenscheiß der linksversifften Lügenpresse. Man kann sich darüber lustig machen, dass vor Rechtschreibfehlern strotzende Hasskommentare von absurden Verschwörungstheorien zur Auslöschung der deutschen Rasse fabulieren. Oder dass dieselben Leute, die auf Integration und Achtung „unserer Regeln" pochen, sämtliche Maximen unseres Rechtsstaats verletzen, wenn sie Flüchtlingsheime anzünden, und dieser Widerspruch scheinbar ihr beschränktes Weltbild überschreitet. Man kann sich aber auch fragen, wo das alles noch hinführen soll. Es ist sicherlich nicht die Aufgabe irgendeiner Wort-Jury, ebenso komplexe wie verfahrene Sachverhalte in einer im Grunde doch recht irrelevante Wahl zum „Anglizismus des Jahres" zusammenzufassen, aber der schale Nachgeschmack bleibt. Auch deshalb, weil der rechte Sektor diesen Anglizismus für ihren neuen Schlachtruf „Rapefugees Welcome" adaptiert hat.

Vielleicht war der Großteil Deutschlands 2015 für eine gewisse Zeit „Refugees Welcome", doch die Stimmung scheint immer mehr zu kippen. Vielleicht ist es ein verzerrtes Bild, aber: „Refugees Welcome" wirkt eher wie eine fromme Hoffnung als ein tatsächlich gelebtes Motto. Wenn wir uns in einem Jahr nicht mit „German Angst" als maßgeblichem Anglizismus herumschlagen möchten, müssen wir Wege finden, diesem Stimmungsumschwung entgegenzutreten. Ohne Beschönigungen, ohne Relativierungen, aber vor allem eben auch ohne verschwörungstheoretische Hörensagen-Schauergeschichten, Selbstjustiz und blanken Rassismus. Bis dahin gilt: Die Beantragung von Asyl ist und bleibt ein Menschenrecht. Egal in welcher Sprache.

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