Besorgte Bürger und pressegeile Politiker – So wurde der Flüchtlingsbus am Berliner Kanzleramt empfangen

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Besorgte Bürger und pressegeile Politiker – So wurde der Flüchtlingsbus am Berliner Kanzleramt empfangen

Ein bayerischer Politiker ließ Syrer von Landshut nach Berlin karren, um gegen die Flüchtlingspolitik zu demonstrieren. Am Schluss war nur einer mit der Aktion zufrieden.

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Ende Oktober ging im Berliner Kanzleramt ein brisanter Anruf ein. Der Landshuter Landrat Peter Dreier (Freie Wähler) klagte, seine Kommune sei an der Belastungsgrenze angelangt—aufgrund des nichtabreißenden Zustroms von geflüchteten Menschen. Sollte sich alsbald nichts an der Lage ändern, drohte er, würde er die Flüchtlinge in einen Bus setzen und sie zum Kanzleramt nach Berlin karren lassen. Im Kanzleramt zeigte man zuerst Verständnis, dann einen Versuch einer Intervention. Doch es half nichts. Die aktuelle weltpolitische Lage veranlasst nach wie vor Hunderttausende Menschen, ihre Heimat zu verlassen und in Europa Zuflucht zu suchen. Also machte der Landrat seine Drohung wahr und setze am Donnerstag um 10 Uhr in Landshut eine Gruppe Syrer, die sich freiwillig gemeldet hatten, in einen Bus Richtung Berlin. Die Kosten dafür sollen Privatleute aus der Gegend um Landshut getragen haben. Wie würden die Behörden in Berlin auf diese fragwürdige Protestaktion reagieren? Und wer genau würde die ungewöhnliche Reisegruppe vor Ort in Empfang nehmen? Natürlich wollten wir uns davon persönlich überzeugen.

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Als ich gegen 16 Uhr am Kanzleramt eintreffe, treffe ich erst einmal nur eine Horde nervöser Kamerateams und Journalisten an. Ich frage nach dem Flüchtlingsbus und merke dabei, dass sich nicht nur die deutsche Presse eingefunden hat. Mehrere Gruppen stammen auch aus Frankreich und Russland. Irgendwann verrät mir ein ORF-Mann, dass sich die Ankunft des Busses verspätet, da die Reisegruppe Refugee auf einer Raststätte angeblich einen Passagier verloren hätte und diesen nun wieder einsammeln müsse.

Währenddessen gibt der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Freien Wähler in München, Hubertus Aiwanger, in astreinem bayuwarischen Dialekt Statements in Kameras. Der Mann gehört zur selben Truppe wie der Landrat, der diese Aktion ins Leben gerufen hat, und wird nicht müde zu betonen, dass in seiner Region die Freien Wähler die wahren Macher seien. Schließlich sitze er, Aiwanger, im bayerischen Landtag, sei dort sogar Fraktionsvorsitzender und wisse quasi aus erster Hand, dass Horst Seehofer nur große Töne spucke, in Wahrheit aber ganz nah bei der Merkel wäre. Im Wesentlichen beklagt er wie viele anderen Politiker auch, dass überall zu viele Flüchtlinge ankommen und die Kommunen überlastet sind—was man ihm ja durchaus abnehmen kann.

Als die Kameras aus sind, gibt er allerdings auch folgendes Zitat von sich: „Dann schauen wir mal, was passiert. Ob gleich noch jemand im Bus sitzt oder schon alle geflohen sind." Ein Gag, über den leider nur sein geschniegelter Assistent lacht. Der Rest aller Anwesenden schaut beschämt zu Boden.

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Nach einer Weile treffen zwei sonderbare Typen ein. Einer trägt eine Deutschlandfahne bei sich, der andere die israelische. Die beiden werden sofort von Kameras umzingelt und beklagen ihre Angst vor dem Islam und generell allen Muslimen (außer den lieben). Ich frage einen der beiden, ob sie mit PEGIDA sympathisieren, was sofort verneint wird. „Wir sind einfach nur besorgt. Ganz normale Berliner". Aha, sage ich. „Sie sind also besorgte Bürger"—eine Aussage, die ich mir scheinbar lieber gespart hätte.

Sein Kumpel ist sich jetzt nämlich sicher, dass er nachher wieder negative Meldungen über „besorgte Bürger" lesen wird. Es fallen noch Worte wie „Lügenpresse" und „Amerika". Kurze Zeit später werden die beiden von weiteren Anwesenden unterstützt und skandieren Parolen, wie sie Dresden jeden Montagabend zu hören bekommt. Ich will mehr über die Flüchtlinge im Bus erfahren und spreche mit dem Fraktionschef der Freien Wähler, Aiwanger. Die Flüchtlinge im Bus seien allesamt Syrer und hätten ihre Asylanträge bereits bewilligt bekommen, sind somit freie Leute in Deutschland, erzählt er. Viel mehr kann er über die Menschen nicht sagen, erwähnt aber sicherheitshalber nochmal, dass die Freien Wähler für eine bessere Flüchtlingspolitik stünden.

Irgendwann kreuzt dann der Bus mit den Flüchtlingen und Peter Dreier himself auf. Sofort wird der Mann von Journalisten umzingelt. Die Flüchtlinge harren im Bus aus, während sich davor der Landrat inszeniert. Er beklagt die desaströse Flüchtlingssituation im Landkreis und dass Deutschland allein diese Menge an Flüchtlingen nicht bewältigen wird. Die Kommunen seien schlicht überfordert. Während des Interviews rufen die „Besorgten" im Hintergrund, dass Merkel weg muss und dass sie die Aktion von den Landshutern ganz toll finden. Man merkt immer, dass man Scheiße gebaut hat, wenn man von den falschen Leuten Beifall bekommt—das ist auch dem Landrat bewusst. Er und sein Vorsitzender distanzieren sich von der Gruppe der lautstarken Zurufer.

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Die Polizei schirmt die Flüchtlinge im Bus ab und verhindert so, dass sich die wartende Presse auf sie stürzt. Die Syrer wirken derweil recht unbegeistert von dem ganzen Rummel. Ob ihnen im Vorfeld klar war, welche politische Tragweite dieser Ausflug nach Berlin haben soll? Wahrscheinlich nicht. Später werden sich einige von ihnen gegenüber Zeit Online verärgert über die Aktion äußern. Sie fühlen sich instrumentalisiert. Man habe ihnen in Berlin ein besseres Leben versprochen. Es sei der Eindruck entstanden, dass es bei der Fahrt nur um sie und ihre Situation ginge. Als die Gruppe während der Fahrt feststellte, dass ihr Bus Thema in den sozialen Medien ist, machten ihnen mitreisende Journalisten klar, dass ganz Deutschland auf diesen Bus schaut und dieser zu einem Politikum geworden ist. Damit hatten sie nicht gerechnet.

Wie es mit den angereisten Menschen jetzt genau weiter geht ist unklar. Für die Unterbringung von Flüchtlingen sind die Kommunen und Länder zuständig, nicht der Bund, an den diese Aktion gerichtet ist. Da die Asylanträge der Männer im Bus bereits bewilligt sind, ist auch das Landesamt für Soziales und Gesundheit (LaGeSo) nicht zuständig. Im Bus übernachten mussten die Syrer allerdings nicht. Das Land Berlin hatte zugesagt, sich um die erste Unterbringung der Menschen zu kümmern, bot den Angereisten allerdings nur die Übernachtung in Notunterkünften kann. Wie Spiegel Online berichtet, seien die Männer später in einer Pension außerhalb Berlins untergekommen—angeblich auf Kosten von Peter Dreier. Am Freitagmorgen ging es für den Großteil der Syrer dann zurück nach Landshut. Im selben Bus, in dem man am Tag zuvor gekommen war.

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Auch wenn sich das Ziel der Aktion, Angela Merkel, zu keinem Zeitpunkt blicken ließ: Aiwanger, Mitinitiator dieses Desasters, hielt die ganze Sache auf Nachfrage der Reporter trotzdem für gelungen. Als die Show vorbei ist, lese ich auf dem Heimweg in der S-Bahn, dass die Umfragewerte der Freien Wähler in München in den letzten Monaten sehr schlecht waren und Aiwanger deshalb unter Druck stehe. Wenn er die Kriegsflüchtlinge also wirklich dazu benutzt hat, um Wahlkampf zu betreiben, lässt sich zumindest eines feststellen: Bewiesen, dass sich Bayern erfolgreich der Flüchtlingspolitik entgegenstellen kann, hat er damit nicht.