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Als Schwuler bei einem Männerrechtsseminar

Ihr hattet Spaß auf dem Gay Pride und alles, was ich bekommen habe, war eine scheiß Vergewaltigungsvorlesung.
Foto: imago/snapshot

Das ist der zweite Artikel zur „Roosh Lecture" in Berlin. Den ersten, in dem die ebenfalls dabei gewesene Autorin ihr Entsetzen über die Vergewaltigungsthesen der anwesenden Männer beschreibt, findet ihr hier.

„Schwule und Frauen sind höher gestellt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis man uns Männer in Umerziehungslager steckt." In dem holzgetäfelten Konferenzraum nicken die knapp 40 Typen stumm vor sich hin. Ich bin in einem Luxushotel im schicken Berliner Bezirk Charlottenburg und lasse gerade den Christopher Street Day sausen, um vier Stunden lang Gehirnwäsche über mich ergehen zu lassen. Keiner weiß, dass ich schwul bin. Ich habe mich auch extra geschmacklos angezogen, um als Hete durchzugehen. Was nicht nötig gewesen wäre, der Großteil der Männer sieht aus wie geleckt: Scheitel, gezupfte Augenbrauen, manikürte Fingernägel. Wäre ich nicht hier, bei der „Roosh Lecture", ich würde denken: alles Schwestern.

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Die traurige Welt der Antifeministen.

Der Kerl, der vorne redet, ist Roosh V, Männerrechtler und Blogger in der Manosphere. Vom Aussehen her die maskulinere Variante von Conchita. Den Bart akkurat zurechtgestutzt, freundliches Lächeln, sympathischer Stotterer. Würdest du ihm auf der Straße begegnen, vielleicht fändest du ihn ganz süß—bis er den Mund aufmacht. Doch genau deswegen sind die restlichen Männer im Publikum da; um Roosh V reden zu hören. Sie bezahlen bis zu 100 Dollar für das Seminar, in dem Roosh verspricht, „die Probleme, die Männer im Westen heute haben, zu diskutieren und zu lösen". Und wow, es gibt viele Probleme.

Alle Männer werden als Vergewaltiger gesehen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist in Gefahr. Männer werden nicht mehr gewürdigt. Und generell haben sie keinen Ahnung mehr, wie man ein richtiger Mann wird. In elf Thesen malt Roosh die Welt in den dunklen Farben der Meninists, während draußen vor der Tür halbnackte Schwule unterm Regenbogen zu Technobeats tanzen. Der Gedanke, dass alle Seminarteilnehmer auf dem Weg ins Hotel am Christopher Street Day vorbei mussten, ist der größte Trost an diesem Tag. Die Pride-Parade ist Roosh natürlich auch nicht entgangen: „Hier kann ich's ja sagen, wie widerlich dieser Umzug da draußen ist. Das ist der gesellschaftliche Abgrund. Würde ich das auf der Straße sagen, die würden mich sofort wegsperren." Diese Unter-uns-Männern-kann-ich's-ja-sagen-Stimmung hält an—und das, obwohl auch eine Frau im Publikum sitzt. Wahrscheinlich hätte sich Roosh noch weniger zurückgehalten, wären nur Typen anwesend.

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Nach einem kurzen historischen Abriss über den Verfall der Männlichkeit, den man mit „Die Geschichte des Selbstmitleids" betiteln könnte, geht es ans Eingemachte: Game-Tipps. Game ist nicht nur eine Technik, möglichst viele Frauen ins Bett zu bekommen, es ist eine Lebenseinstellung. Viele Anwesenden zücken Notizblöcke und schreiben Wort für Wort mit, was ihnen der Pick-up-Artist rät. In sieben Schritten zum perfekten Liebesleben mit Sex-Garantie:

  • Game ist vor allem ein Zahlenspiel. Date so viele Frauen, wie es nur geht, Tag und Nacht.
  • Konzentrier dich auf die ruhigen Mädchen. Die Frauen, die alleine unterwegs sind. Sie wartet nur darauf, dass ihnen der Himmel ein Zeichen gibt.
  • Putz dich heraus. Weg mit deinem hässlichen Style und dem schlechten Haarschnitt.
  • Fick sie beim ersten Date. Wenn sie dich nach eurem Date nicht zu Hause reinlassen will, frag sie, ob du ihre Toilette benutzen kannst. Kein Mädchen wird dir das ausschlagen.
  • Frauen lieben Sex. Du manipulierst sie nicht, wenn du Sex von ihnen willst, sondern du gibst ihnen, was sie wollen.
  • Mach öfter eine Pause vom Game.
  • Finde eine soziale Bezugsgruppe mit Männern und werde ihr Anführer.

Roosh ist um die Welt gereist und hat das Game monatelang überall gespielt und danach Sexführer darüber geschrieben. Wo es ihm am besten Gefallen hat? Polen, die Mädchen seien so bescheiden und leicht zu haben. Der Einfluss des dekadenten Westens versaue aber auch diese Frauen, immer mehr von ihnen hätten Smartphones und nutzten Social Media. „Und dann zeigen die Mädchen auf Instagram ihre Hintern"—je mehr Likes sie bekommen, desto mehr Bestätigung erfahren sie. „Dann geben sie sich doch mit einem Typen wie dir nicht mehr ab. Eine 8 wird keine 5 daten." Attraktivität ist objektiv messbar auf einer Skala von 1 bis 10. Und selbst wenn du nur eine 3 bist: „Dafür hat Gott Thailand erschaffen."

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Good for you, Roosh. Good for you.

Die Männer im Publikum wirken nicht erstaunt, als Roosh ihnen sagt, sie müssten den Großteil ihrer Freizeit opfern, um Fremdsprachen zu lernen, ins Fitnessstudio zu gehen, viel Geld zu verdienen und sich ganz allgemein aufs Auswandern vorzubereiten. Ja, auswandern. Denn im Westen wird keiner von ihnen ein Mädchen finden. Am ehesten in Osteuropa und in Russland. „Wer drauf steht auch in Afrika", dort seien weiße Männer ja eh Götter. Aber in den USA und Mitteleuropa seien die Frauen schon so manipuliert, dass sie sich für etwas Besseres halten. Wer manipuliert sie? „Die da." Und wer sind die da? „Die Medien, die Gender-Theoretiker, die Politiker"—eine ganz große Verschwörung, die auf die Ausrottung der Männlichkeit abzielt. „Ihr habt gesehen, was gerade in Amerika abgeht. Die haben jetzt die Schwulenehe. Es ist eine Schande."

Die westlichen Demokratien sind weichgewaschen, nur in werteorientierten Gesellschaften wie Russland würde man sich noch gegen den Einfluss der Homo- und Feministenlobby wehren. Daher sei es auch kein Wunder, wenn gekränkte weiße Männer im Westen eine Waffe in die Hand nehmen und Amok laufen. „Wenn ich eine Knarre hätte—oh man. Ich habe keine Waffe, aber glaubt mir, die Zeit wird kommen, wo wir nicht mehr tatenlos zusehen können", so lautet die unverblümte Werbung für die Roosh-Army. An die 40 Freiwillige hat er hier schon mal. „Wir sind eine schnell wachsende Bewegung, und ich glaube daran, dass wir eines Tages viel mehr sind und man endlich offen reden kann, über die Unterdrückung der Männer, über Game." Bis dahin muss sich Roosh noch in geschmacklos eingerichteten Konferenzräumen verstecken.


Titelfoto: imago/snapshot