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Sex

Eine Sexarbeiterin erklärt, wie man sich am besten mit Sexarbeiterinnen unterhält

Ich wäre blöd, wenn ich nicht verstehen würde, dass Sex und Geld sehr reizvolle Themen sind, aber du wärst auch ganz schön blöd, wenn du nicht verstehst, dass ich hier nicht zu deiner Belustigung da bin.

Foto Glenn Harper | Flickr | CC BY 2.0

Letztens habe ich neue Leute kennengelernt. Ich hatte mich einem Freund als Sexarbeiterin geoutet und traf nun zum ersten Mal seine Kumpels. Als er ihnen erzählte, womit ich mein Geld verdiene, machte ich mir schon ein paar Sorgen. Würde Pretty Woman das echte Leben widerspiegeln, würde einer seiner Freunde wohl versuchen, mich zu vergewaltigen, und wäre sehr sauer wegen irgendeiner nebulösen Abmachung, die etwas mit einem alten Mann zu tun hat? Ich wusste nicht wirklich, was mich erwarten würde.

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Die ganzen Sorgen waren aber unbegründet. Wenn es irgendein Unbehagen gab, dann hatte ich es—wie so oft—wahrscheinlich selber mitgebracht. Ich merkte aber mehrmals in dieser Nacht, dass einer dieser Freunde und Nicht-Vergewaltiger sehr aufmerksam meinen Antworten auf ganz grundlegende Fragen lauschte. Vielleicht wartete er nur darauf, dass ich jeden Moment in Tränen ausbreche oder dass ein massiver Vaterkomplex zum Vorschein kommt.

Dann fiel mir aber ein, dass ich wahrscheinlich die erste Sexarbeiterin war, mit der er sich einfach so unterhalten hatte.

Das passiert ziemlich oft. Ich gehe offen mit meiner Tätigkeit um und habe viele normale Menschen in meinem Freundeskreis. Klar könnte ich auch viel diskreter damit sein, aber ich habe jetzt schon zu oft mit anderen Leuten beim Brunch gesessen und irgendein vages Gestammel über einen angeblichen Beruf als Hilfsköchin von mir gegeben. Alles, was ich davon hatte, waren gefühlte 20 neugierige Folgefragen. Ich hasse es, mich in ein komplexes Lügengebilde zu verstricken, aber zum Glück wohne ich in New York, einer Stadt, die so groß ist, dass man sich leicht aus dem Weg gehen kann, wenn man nicht einer Meinung ist. Also scheiß ich einfach drauf.

Unerwartet oft ist es aber überhaupt kein Thema. Ich weiß jetzt nicht, ob das daran liegt, dass ich immer nur mit super-rationalen Leuten abhänge, oder ob sich die Welt einfach verändert hat. Auf jeden Fall bekomme ich immer öfter ein bloßes, „Ah, OK", zurück. Bei vielen Computerprogrammieren habe ich das Gefühl, dass sie einen bestimmten Geldbetrag für jede erdenkbare Tätigkeit im Kopf haben, den sie dann verlangen, und in ihren Augen bin ich wahrscheinlich nur jemand, der seine Zeit optimal nutzt. Für alle anderen möchte ich hier aber ein paar Ratschläge geben für den Fall, dass sie in einer angesagten Bar, einem Club oder vielleicht sogar von Richard Gere persönlich einer Sexarbeiterin vorgestellt werden.

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Du darfst Fragen stellen

Ich wäre schon ziemlich blöd, wenn ich nicht verstehen würde, dass Sex und Geld sehr reizvolle Themen sind. Du wärst andersherum ziemlich blöd, wenn du nicht verstehen würdest, dass ich nicht bloß zu deiner Unterhaltung hier bin. Wenn du neugierig bist, nur zu! Aber versuch, dich von Ecken und Kanten fernzuhalten und geh nicht zu schnell zu sehr in die Tiefe. Tu einfach so, als würde ich beruflich Tiere einschläfern—nicht etwa, weil mein Beruf ähnlich deprimierend ist, sondern weil du in so einem Fall extrem sensibel vorgehen würdest. Du würdest ja auch nicht direkt mit „Fühlst du dann auch, wie die Seele den Körper der Katze verlässt?" loslegen. Und hey—allein schon unserer gemeinsamen Freunde zuliebe—stell mir bitte beim Essen keine Fragen zu Geschlechtskrankheiten.

Entspann dich

Definitiv gibt es Frauen auf dieser Welt, die von kriminellen Banden verschleppt und zu Sexarbeit gezwungen werden oder diesen Beruf aus anderen furchtbaren, nicht freiwilligen und unglaublich traumatisierenden Gründen ausüben. Sollte dir jemand mit einer solchen Geschichte über den Weg laufen, dann tu dein Bestes, dieser Person zu helfen. (Außerdem, wo in Gottes Namen treibst du dich eigentlich rum?)

Wenn du aber auf eine selbstbestimmte Sexarbeiterin (Stripperin, Prostituierte, Camgirl, …) triffst—das kann in Großstädten öfter mal vorkommen—und du niemanden siehst, der sie mit einer Knarre bedroht, dann tu dieser Person den Gefallen, davon auszugehen, dass sie die Kontrolle über eigenes Leben hat. Tu dieser Person den Gefallen, davon auszugehen, dass sie ihre Entscheidungen aus einer vielleicht eigenwilligen aber trotzdem gültigen Kosten-Nutzen-Überlegung heraus getroffen hat. Tu ihr den Gefallen, nicht davon auszugehen, dass sie ihren Job hasst, liebt oder dass dir der Werdegang dieser Person irgendwie bekannt vorkommt—sei es, dass du darüber mal irgendwo irgendwas gelesen, im Fernsehen gesehen hast oder jemanden kennst, der jemanden kennte, der … Versuch nicht, den Gefühlshaushalt dieser Person in irgendeiner Weise zu deuten. Wenn dein Gegenüber entspannt genug ist, das Stigma ihres Berufs offen mit sich rumzutragen und die Wahrheit zu sagen, dann ist derjenige wahrscheinlich so sehr auf der Suche, verwirrt und fehlerhaft wie deine ganzen anderen Freunde. Und genau wie du will dieser Mensch nicht nur über seine Arbeit reden.

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Ich habe davor auch andere Sachen in meinem Leben gemacht

Die wahrscheinlich ärgerlichste Sache an meiner Tätigkeit als Sexarbeiterin ist die, dass sie so viele meiner Interaktionen mit anderen Menschen bestimmt und viel stärkere Auswirkungen auf meine wahrgenommene Identität hat als alles, was ich davor gemacht habe. Ich arbeite des Geldes wegen als Escort—genau, wie ich davor auch andere Arbeit des Geldes wegen gemacht habe. Als ich noch gekellnert habe, haben die Leute allerdings nicht Tausende Dinge mit mir assoziiert, nur weil ich Essen zu Tischen gebracht und Teller abgeräumt habe. Ich wurde nicht mit Fragen nach der wahren Bedeutung von Essen durchlöchert, es wurde nicht gefragt, ob meine Tätigkeit als Kellnerin mein emotionales Gleichgewicht beeinflusst, und niemand bestand darauf zu wissen, was ich machen werde, wenn ich keine Kellnerin mehr bin. Ich hatte nicht ständig das Gefühl, mich von meiner besten Seite zeigen zu müssen, um dem Beruf der Kellnerin einen möglichst guten Ruf zu verschaffen. Es ist verdammt anstrengend.

Klar verstehe ich, dass so gut wie jeder jemanden kennt, der kellnert. Aber genau so wenig, wie ich bloß eine Kellnerin war, als ich als solche angestellt war, solltest du verstehen, dass ich auch nicht an erster Stelle Escort bin.

Wenn ich mich über meinen Job beschwere, dann mache ich das, weil sich jeder über seinen Job beschwert

Manchmal habe ich auch harte Tage und das kann viele Gründe haben. Manchmal sind Leute zu spät. Manchmal habe ich zwei Klienten hintereinander, die sich als Tränentäler in der Gestalt von erfolgreichen Geschäftsmännern herausstellen. Manchmal habe ich es mit einem zu tun, der dort, wo sich seine Empathie für andere menschliche Wesen befinden sollte, lediglich zwei Bier aufbewahrt, und ich hasse ihn und muss das erst mal verarbeiten. Manchmal zickt auch Gmail rum und ich verliere Geld und, verdammt, macht mich das sauer! Wenn ich mich über solche Sachen beschwere, ist das vollkommen OK. Mir geht es OK. Dir geht es OK. Jeder meckert über seinen Job. Das heißt nicht automatisch, dass du dir sofort ernsthafte Sorgen machen oder ein tiefgründiges Gespräch beginnen musst, um ein guter Freund zu sein. Es wäre viel netter, wenn wir uns zusammen noch ein Gläschen Wein genehmigen würden und du dann anfängst, über DEINEN Job zu meckern.

Ich bin nicht sofort sauer, wenn du irgendwas über Prostitution sagst

Das ist natürlich immer eine Frage der Art. Wenn du mir irgendeinen stumpfen tote-Nutte-im-Kofferraum-Witz erzählst und dir danach den Arsch ablachst, dann bist du ganz klar ein furchtbarer Mensch. Der Meinung wäre ich aber auch, wenn ich nicht als Sexarbeiterin arbeiten würde. Solltest du stattdessen versehentlich über irgendein kulturelles Klischee stolpern, keine Panik, ich werde es wahrscheinlich nicht persönlich nehmen. Es ist in etwa so, wie wenn du mit einer schwarzen Person im Auto sitzt und plötzlich dieser Kanye-Song kommt: Dann singst du bestimmte Zeilen auch nicht mit, oder? Du kannst natürlich den Rest singen. Er und so viel mehr von Eezy sind schließlich Teil unserer Kultur.

Wenn du nicht weißt, was du sagen sollst, dann stell ermutigende Fragen und hör zu

Das ist ein unglaublich wertvoller Ratschlag fürs Leben. Ich habe ihn bei meiner Arbeit als Escort gelernt, da die Klienten zu den Sexarbeiterinnen auch immer ihre Probleme mitbringen. Wir machen oft Witze darüber, dass wir eigentlich nackte Therapeutinnen sind. Weil unsere Zeit sprichwörtlich kostbar ist und natürlich auch noch andere Sachen von uns erwartet werden, fangen die Klienten ihre Geschichten meistens in der Mitte, bzw. der emotionalen Mitte, an. Ich muss dann versuchen, ohne den Hintergrund oder irgendeinen Kontext zu kennen, möglichst behutsam darauf zu reagieren und in kein Fettnäpfchen zu treten. Ich hör also einfach zu und lass die Kunden reden. Mit der Zeit fühlen sie sich dann besser und man versteht auch langsam, worum zur Hölle es eigentlich geht—und das ist eigentlich auch schon alles, was dein Gegenüber erwartet (konversationstechnisch jedenfalls).

Wenn eine Sexarbeiterin mit irgendetwas ankommt, das du nicht direkt verstehst oder mit dem du einfach noch nie zu tun gehabt hast, dann kann es schwer werden, angemessen zu reagieren. Ist sie gerade tief verletzt? Redet sie sogar von einer Vergewaltigung? Ist sie einfach nur genervt? Wenn du nicht wirklich schlau daraus wirst, dann versuch es einfach mit einem, „Und was ist dann passiert?" Wahlweise kannst du auch einfach bestätigend nicken. Irgendwann wirst du wissen, woran du bist, und das Gehirn deiner Gesprächspartnerin wird langsam wieder auf andere Gedanken kommen. Und weißt du, was am besten ist? Sie wird nicht das Gefühl haben, sie hätte sich dir gegenüber geöffnet und du wärst deswegen durchgedreht, woraufhin sie es war, die dich beruhigen musste.

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Wenn du nicht willst, dass dein Kind in diesem Geschäft landet, dann spar schon mal für seine Ausbildung / sein Studium

Ich muss mich gerade wieder an das Wochenende mit dem Freund und Nicht-Vergewaltiger und seine Fragen erinnern. Er hat Kinder und ich glaube, er versuchte die ganze Zeit herauszufinden, wo ich meinen Knacks wegbekommen hatte, bzw. wie er seine Liebsten vor meiner Lebensrealität bewahren kann. Tja, ich kann dir sagen, die eine Sache, die alle mir bekannten Menschen, die früh als Sexarbeiterin angefangen haben, gemein hatten, war: finanzielle Unsicherheit. Nicht alle leiden unter einem Vaterkomplex, sind mal missbraucht worden oder Scheidungskinder (ich kann mit nichts davon dienen). Ich stand einfach vor der Wahl: Anschaffen oder das Studium schmeißen.

Ich bin zufrieden mit meiner Entscheidung und ich würde sie jederzeit wieder so treffen

Falls du also nicht willst, dass dein geschätzter Nachwuchs jemals weiß, wovon ich hier rede, kann ich dir nur den Rat geben, dir einen guten Steuerberater zu suchen und mit dem Sparen anzufangen. So banal und so simpel ist das.

Ich möchte nicht behaupten, dass das hier Gesagte auf alle und jeden zutrifft. Ich bin mir bewusst, dass ich eine sehr privilegierte Sexarbeiterin bin: Ich verwende den Begriff Sexarbeiterin, habe eine Liebes/Hass/Beine-breit-mach-Beziehung mit der höheren Bildung und diskutiere das Stigma meines Berufs gerne bei einem leckeren Steinpilzomelette. Meine Erfahrungen stehen bestimmt nicht stellvertretend für alle, aber ich würde schon sagen, dass bestimmte Regeln immer gelten. Respektier die Entscheidungen anderer Menschen, triff so wenige Annahmen wie möglich und begegne jedem Menschen mit einem Mindestmaß an Respekt—ganz egal, wie die Umstände auch sein mögen.

Ich behaupte nicht, dass ich die Hure mit dem goldenen Herzen bin, aber ich möchte gerne als solche behandelt werden.