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Sex

Die Nutten sind gefickt

Wir waren bei den vor Kurzem eröffneten Zürcher Verrichtungsboxen, dem ersten staatlich subventionierten und vom Stimmvolk abgesegneten Schweizer Strichplatz, einem „Sex-Drive-In“.

Fotos von Evan Ruetsch

Von aussen sieht es beinahe aus wie ein ganz gewöhnlicher Parkplatz. Autos fahren hinein, Autos fahren heraus. Es ist fast still. Alles, was man hört, ist das ferne Rauschen der Stadt, das tiefe Brummen der Motoren und das Zirpen der Grillen. Sobald man aber am Eingang steht, wird einem unmissverständlich signalisiert, wo man hier ist. Wir stehen vor den Toren der vor Kurzem eröffneten Zürcher Verrichtungsboxen, dem ersten staatlich subventionierten und vom Stimmvolk abgesegneten Schweizer Strichplatz. Der „Sex-Drive-In“,wie etwa die Bild oder die britische Sky News titeln, ist ein Thema, an dem sich die Geister scheiden. Befürworter unterstreichen, dass dank dieser Neuerung den Prostituierten ein Mindestmass an Hygiene, Sicherheit und Privatsphäre vor Gaffern geboten werden kann.

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Gegner empören sich oft darüber, dass die Frauen wie Warenartikel dargeboten werden. Dennoch ist das Medienecho überraschend, zumal das Konzept weder eine neue noch eine Schweizer Erfindung ist. Verrichtungsboxen gibt es europaweit, die ersten Exemplare wurden 1986 in Utrecht installiert. Das Prinzip ist also schon 11 Jahre älter als die jüngsten Anschaffenden auf den Strassen Zürichs. Die Geschichte der Zürcher Sexboxen ist schnell erzählt. Mit dem Inkrafttreten des Schweizer Schengen-Beitritts im Dezember 2008 begann das zentral gelegene Sihlquai mit bettelarmen Mädchen aus dem Osten überflutet zu werden. Es dauerte nicht lange, bis das Geschehen verelendete. Selbst im Februar standen Minderjährige die Nächte durch im Stringtanga auf dem Asphalt. Die Preise fielen in den Keller. Aus Gebüschen wurden Fickstuben und Kloaken. 2012 beschloss die gentrifi zierungswütige Stadt, diesen Schandfl eck endgültig vom Erdboden zu tilgen. Mit der Eröffnung der Boxen am 26. August wurde das Anschaffen am Sihlquai strikt verboten. Die von aussen kaum sichtbare Einrichtung ist eine anonyme Mischung aus Club und Hochsicherheitstrakt.

Einlass für Prostituierte ab 18, für Freier nur mit dem Auto, ein Freier pro Wagen. Keine Kameras, keine Mikrophone. Öffnungszeiten täglich von 19 bis 5 Uhr. Gegen die Regeln hineinzugelangen, ist beinahe unmöglich. Bevor man zu den Unterständen, wo die Frauen auf ihre Kunden warten, gelangt, steht eine Kontrollbaracke. Fast das ganze Areal ist kameraüberwacht. Drei Meter hohe, inzwischen vollgesprayte Holzwände umzäunen das gesamte Gelände. In regelmässigen Abständen fährt ein Streifenwagen vorbei. Es ist Sonntagabend, 20 Uhr. Die Luft schmeckt nach Herbst, es ist nass und gerade noch warm genug, um mit einem dicken Pullover nicht zu frieren. Es gelingt uns—wie ein paar alte Spanner—auf dem Gelände nebenan Stellung zu beziehen. Kaum sind wir zehn Minuten hier, sind schon acht Autos hineingefahren. Manche drehen mehrere Runden, bis sie eine der jungen Frauen zu den Boxen mitnehmen. Andere nehmen den direkten Weg zum Ziel. Der Takt, in dem die Männer einfahren, sich ihr Lustobjekt aussuchen und ihr Geschäft abwickeln, ist beunruhigend gleichmässig. Das Geschehen auf dem Platz wirkt seltsam gelassen.

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Auf der Veranda vor der Aufenthaltsbaracke reden ein paar Frauen miteinander. Aber die meisten stehen oder sitzen alleine da und schweigen versunken in die Nacht hinein. So geht das die nächsten paar Stunden. Alles läuft diskret, emotionslos und lautlos ab. Ein ziemlich klinisches Gebilde. Und das Sihlquai? Strahlt blitzeblank. Selbst Wochen nach der Schliessung sieht man weit und breit keine offene Prostitution. Stellt sich also die Frage, wohin alle Minderjährigen gegangen sind. Oder jene, deren Zuhälter es nicht zulassen, an einem Ort anzuschaffen, der sich ihrer unmittelbaren Kontrolle entzieht. Möglichkeiten gibt es einige. Etwa die Brunau, die Langstrasse oder das Niederdorf. Oder irgendeine Absteige. Was wohl geschieht, wenn der Konkurrenzdruck an einem dieser Orte steigt? Die Stadt erklärte, „alles daran zu setzen, dass kein zweites Sihlquai“ entsteht. Die Verrichtungsboxen sind eine Insel. Die politische Massnahme besteht darin, das offensichtliche Elend von den Strassen zu bannen. Was sich ausserhalb der sichtbaren Zonen abspielt, kann bleiben wie bisher.

Da es keine Schlafplätze gibt, bleiben die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Prostituierten und Zuhältern unberührt. In die Preisbildung wird nicht eingegriffen. Freier können mit finanziellen Mitteln weiterhin Druck auf die Frauen ausüben. Und wie es in Bordellen zu- und hergeht, ist eine ganz andere Frage. Es gibt in der Schweiz kein Prostitutionsgesetz. Alles, was es gibt, ist ein loser Haufen von Verordnungen, Reglementierungen und Artikeln aus zahlreichen Gesetzestexten. Weder die Regierung noch das Stimmvolk unternehmen derzeit politische Vorstösse, dass sich etwas daran ändert. Ob und was die Verrichtungsboxen ändern werden, ist auch davon abhängig, wie Prostitution als Ganzes wahrgenommen wird. Ein Sex-Drive-In sind die Sexboxen allemal. Doch bei näherer Betrachtung wird klar, dass das Konzept die Prostituierten nicht verhöhnt, sondern die Prostitution entlarvt. Die Boxen sind nur deshalb eine Massenabfertigung, weil das Gewerbe es selbst schon ist. Und die Frauen sehen aus wie Artikel im Supermarkt, weil ein käuflicher Körper eben nichts anderes ist als eine Ware. Genau weil sie so viel verhüllt, ist die Architektur schonungslos transparent.

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