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Kann man mit dem gezielten Auslöschen von Erinnerungen Drogensucht therapieren?

Es klingt wie die Geschichte von Michel Gondrys Vergiss mein nicht!: Eine Gruppe von Wissenschaftlern forscht daran, bestimmte mit dem Drogenkonsum verbundene Erinnerungen zu löschen, um Abhängige zu therapieren.

Neuronale Zellkultur, via Thomas Vaissière

Für die meisten sind fehlende Erinnerungen etwas, worauf gedankenschwere Filme basieren und chaotische Wochenenden hinauslaufen. Was aber wäre, wenn du bestimmte Ereignisse einfach aus deinem Gedächtnis löschen könntest, ohne dabei dem Rest deines Gehirns zu schaden? Man denkt dabei vielleicht zunächst an Michel Gondrys Vergiss mein nicht!, doch ein Team von Wissenschaftlern des gemeinnützigen Scripps Research Insitute erforscht tatsächlich, ob das Löschen bestimmter Erinnerungen eine neue Methode der Suchtbehandlung sein könnte. Die Leiterin der Forschergruppe Courtney Miller setzt große Hoffnung auf diesen Ansatz, solange er ethisch vertretbar bleibt. Ich habe mit ihr gesprochen, um mehr über ihre Forschung zu erfahren.

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VICE: Kannst du versuchen, mir eure Arbeit zu erklären? 
Courtney Miller: Unser Labor untersucht, welche Rolle das Gedächtnis bei Abhängigkeiten und insbesondere bei Rückfällen spielt. Nach einer Entzugskur ist es für die Suchtpatienten sehr schwer, auch außerhalb der Klinik clean zu bleiben, weil zwischen ihrer Umgebung und dem Drogenkonsum viele Assoziationen entstanden sind. Diese Assoziationen führen zu Gelüsten, gegen die man schwer anzukämpfen hat. Wir versuchen, nur diese bestimmten Erinnerungen zu schwächen oder auszulöschen, damit Betroffene eine Chance bekommen, clean zu bleiben.

Das heißt, wenn man beim Simpsons-Schauen immer Meth genommen hat, sorgt das Medikament dafür, dass man beim Fernsehen nicht mehr an Meth denken muss?
Genau das ist die Idee.

Wie kann man bestimmte Erinnerungen löschen, ohne dabei andere Erinnerungen oder sogar das Hirn selbst zu schädigen?
Wir haben ein paar Versuche gemacht, bei denen wir Tieren beigebracht haben, Dinge in ihrer Umgebung mit Drogenkonsum in Verbindung zu bringen. Bei unserer Methamphetamin-Studie lernen sie, dass eine bestimmte Umgebung sie zu Meth führt und eine andere nicht. Dabei haben wir herausgefunden, dass das Gehirn die Drogen-Erinnerungen an einem gesonderten Ort abspeichert. Durch ein Medikament, das auf diese Region abzielt, hat das Tier diese bestimmte Erinnerung verloren. Weil die anderen Erinnerungen nicht auf die gleiche Art und Weise entstanden sind, blieben sie davon unberührt.

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Der Prozess, in dem sich mit Drogen assoziierte Erinnerungen bilden, scheint sehr schnell abzulaufen, deshalb haben wir ein Medikament eingesetzt, das diesen Prozess unterbricht. Auf normale Erinnerungen hat das Medikament keine Auswirkungen, denn der Zyklus läuft so langsam ab, dass sich das Gedächtnis wieder auffrischen kann, bevor es vom Medikament beeinflusst wird.

Würden die Leute dann die gesamte Erinnerung an ihren Methkonsum verlieren? Also an die gesamte Zeit, die sie in ihrem Leben damit zugebracht haben? 
Das wissen wir noch nicht. Wir versuchen, das herauszufinden, aber anhand von Tieren ist das anspruchsvoll. Das Gehirn ist jedoch sehr komplex und gut darin, viele Dinge miteinander zu verknüpfen. Auch wenn vielleicht ganze Stränge mit dem Drogenkonsum verbunden sind, habe ich die Hoffnung, dass nur die direktesten Erinnerungen betroffen sein werden.

Wie weit ist man von Testläufen mit Menschen entfernt? 
Leider ziemlich weit. Wir arbeiten gerade an einem sicheren Weg, auf diesen Prozess im Gehirn zu zielen. Im Moment leiten wir unseren Ratten das Medikament direkt ins Hirn, aber bei Menschen können wir das natürlich nicht machen. Sie werden das Medikament wahrscheinlich oral einnehmen oder am besten spritzen. Wir arbeiten an einem sicheren Weg, denn es kann zu Problemen wie Muskelkrämpfen und Zellteilungen kommen.

Es gibt Probleme?
Ja, aber das ist eine Frage von Sicherheitstests. Die interessanteren Herausforderungen liegen wahrscheinlich auf ethischer oder moralischer Ebene. Hier müssen wir viel mehr Experimente durchführen, um die Grenzen unseres Ansatzes zu verstehen. Auf vielen Seiten wurde über unser Paper geschrieben, und es ist interessant, sich die Kommentare anzuschauen. Die Leute denken entweder, dass es sich dabei um die tollste Sache der Welt handelt, oder sie fürchten, dass das Werk böser Wissenschaftler zu einer unheilvollen geschichtlichen Wiederholung führen wird.

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Deshalb achte ich immer besonders darauf zu betonen, dass unsere Arbeit nur auf wirklich, wirklich problematische Fälle mit psychiatrischen Störungen ausgerichtet ist. Aber wir müssen auch sicherstellten, dass das alles ist, was passiert.

Warum?
Ich wage zu behaupten, dass man, wenn man es wirklich darauf anlegt, überall eine dunkle Seite finden kann. Wir arbeiten nach wie vor daran, die Grenzen unseres Ansatzes herauszufinden. Aber wir sind voller Hoffnung, denn es sieht so aus, als ob nur pathologische Gedächtnisse beschädigt werden könnten. Ähnliche Erinnerungen wie beispielsweise Essen wurden von unserer Manipulation nicht beeinträchtigt.

Hast du Angst, dass eure Forschungsergebnisse für Gedächtnisbehandlungen genutzt werden könnten, die weniger therapeutisch und möglicherweise auch weniger ethisch sind?
Ehrlich gesagt bereitet es mir mehr Sorgen, wenn mir Leute mailen und mir erzählen, wie ihr Leben durch Posttraumatische Belastungsstörungen und Sucht zerstört wird.

Kannst du dir neben Sucht und PTBS auch andere Anwendungsfelder für eure Ergebnisse vorstellen?
Diese Frage kommt als nächstes. Wir sind im Moment dabei zu erforschen, wie viele und welche Arten der Erinnerung in dieser einzigartigen Weise gespeichert werden. Eine Frage, an der wir arbeiten, ist, ob die Methode auch mit anderen Drogen wie Heroin, Oxycodon oder sogar Nikotin oder Alkohol funktioniert.

Eine weitere Frage hängt mit traumatischen Erinnerungen und Dingen, die in Zusammenhang mit PTBS stehen, zusammen. Sind diese Erinnerungen ebenfalls an unterschiedlichen Orten abgespeichert? Wir haben Anlass, davon auszugehen. Es könnte sein, dass sehr starke Erinnerungen separat abgespeichert werden.

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Betrachtest du die Erinnerungsauslöschung als einen letzten Ausweg? Oder ist es eher eine Abkürzung, mit der man eine fünfjährigen Therapie umgehen könnte?
Ich glaube, es wäre ein guter Zusatz zu einer Therapie. Im Moment sind Leute abhängig von Psychostimulanzien wie Methamphetamin oder Kokain. Es ist ein großes Problem, wenn eine Therapie die einzige Behandlungsmöglichkeit darstellt. Denn Therapien sind leider nicht wahnsinnig effektiv. Sie funktionieren, aber die Rückfallquoten sind sehr hoch.

Du willst also auf eine Ergänzung der Standard-Therapie hinaus. 
Ja, und ich glaube, dass der Rückfall mit der Besonderheit der Erinnerungen zu tun hat. Wenn es sich um Erinnerungen an Drogen oder PTBS-Erinnerungen handelt, schießen sie dir immer wieder plötzlich und ohne Grund durch den Kopf—anders als typische assoziative Erinnerungen, die du bewusst abrufen kannst. Wenn die Leute wieder draußen sind, ihr Leben wieder in die Hand nehmen und clean bleiben wollen, dann richtet sich alles in ihrer Umgebung gegen sie.

Man kann die Sache leicht aufbauschen. Als ich vor dem Interview Einträge in Foren gelesen oder mit Freunden gesprochen habe, wurden oft Bezüge zur Science-Fiction hergestellt. Ist diese Aufmerksamkeit für die Wahrnehmung eurer Arbeit von Vor- oder Nachteil?
Ich glaube, weder noch. Sie bewirkt aber, dass wir die Gefahren im Hinterkopf behalten und uns auf unser Ziel konzentrieren: Dass es uns wirklich um psychische Störungen geht und darauf beschränkt bleiben muss, um therapeutisch zu sein. Wenn man versucht, sein Leben unter Kontrolle zu bringen, will man nicht gleich die Erinnerungen an seine Großmutter verlieren.

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Das hängt wahrscheinlich von der Großmutter ab. Von den Leuten im Internet einmal abgesehen: War die wissenschaftliche Gemeinde empfänglich für den Ansatz?
Ja, ich glaube schon. Einer der Gründe, warum mein Job so interessant ist, ist die Tatsache, dass man das Thema von Natur aus interessant findet. So geht es mir jedenfalls. Es geht um Fragen wie: Wie speichert unser Hirn Erinnerungen? Wie werden sie erzeugt? Wie kommt es, dass wir einige Erinnerungen ein Leben lang behalten? Es ist unfassbar, wenn du dir vorstellst, was im Gehirn alles passiert. Letzten Endes werden Erinnerungen aus Proteinen gebildet, die zerfallen und ersetzt werden müssen. So gut wie jedem macht es Spaß, darüber nachzudenken, was diesen langfristigen Prozess am Leben erhält.

Wie ich vorher schonmal gesagt habe: Erinnerungen machen uns zu dem, was wir sind. Deshalb wollen wir nicht daherkommen und alles auslöschen—ganz offensichtlich ist das keine therapeutische Option.

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