Ein Money Boy Konzert ist der perfekte Ort um der Schweizer Realität zu entfliehen

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Ein Money Boy Konzert ist der perfekte Ort um der Schweizer Realität zu entfliehen

Ich habe mit Money Boy Fans gesprochen und festgestellt, dass ich mich mit ihnen ganz gut verstehe.

Vergangenes Wochenende war Money Boy zusammen mit seinen Jüngern, der Glo Up Dinero Gang, zu Gast in Zürich. Das Werk 21 war ein Stop auf seiner "Goldrapper Tour". Ich war da und wollte in erster Linie mit jungen Menschen sprechen, die das Konzert besuchen, um so das Phänomen Money Boy (in der Version 2016) besser verstehen zu können.

Ich habe Money Boy vor einigen Jahren schon mal live gesehen, und seit "Dreh den Swag auf" verfolge ich seine Karriere, folge ihm auf Twitter und finde ihn ein merkwürdiges Phänomen. Wenn ich an Money Boy denke, muss ich vor allem eins tun: lachen. Ich finde den Boy extrem lustig und er unterhält mich seit einigen Jahren mit seinen Tracks und seinem Verhalten auf den sozialen Medien. Ich höre seit über 15 Jahren Rap und die HipHop-Kultur hat einen wichtigen Teil meines Denkens und meiner Identität geprägt. Trotzdem gehöre ich nicht zu denen, die Money Boy oder ähnlichen Künstlern vorwerfen, die Kultur zu verraten oder das Genre zu zerstören. Ich liebe diese Kultur, verstehe ihre Wurzeln und sehe mich mit ihrer Tradition verbunden. Aber mich nervt es kein bisschen, wenn neue Akteure dazu kommen, die das nicht tun. Mich nerven eher die Stimmen, die eine Subkultur zwanghaft konservieren wollen und dabei nicht merken, dass eine aktive und lebendige Jugendkultur genau davon lebt, dass sie immer wieder so einiges über Bord wirft, um sich neu zu erfinden und dabei jederzeit dem Etablierten einen Mittelfinger entgegenstreckt. Ich frage mich, ob diese HipHop-Konservativen nicht merken, dass sie sich inzwischen wie ihr Klassenlehrer im Jahr 1997 anhören, der den Wu Tang Clan als unsinnigen und inhaltslosen Lärm bezeichnete und sie aufforderte, was Anständiges zu hören. Ich vergleiche nicht den Wu Tang Clan mit Money Boy, nein. Ich vergleiche die hängengebliebenen HipHop-Polizisten mit dem, was sie selbst im Laufe der Jahre geworden sind: konservative Spiesser.

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Dass die Welt sich dreht und in ständiger Bewegung ist, hat ja bereits dieser Kopernikus vor einigen hundert Jahren herausgefunden. Dass aber 2011 ein Rapper namens Money Boy mächtig den Swag aufdrehen würde und mit einer deutschen Version von Soulja Boys "Turn my swag on" viel mehr als nur einen Youtube-Hit landen würde, konnte jedoch auch er nicht erahnen. Inzwischen hat die Kunstfigur Money Boy seinen Erfinder Sebastian Meisinger aufgefressen und diesen in ein Opfer verwandelt, dem nachgesagt wird, dass es ein psychisches Wrack ist und das offenbar so viel Drogen konsumiert, dass es vor einigen Wochen einen Aufenthalt in einer Reha-Klinik benötigte. Money Boy hat die totale Kontrolle über Sebastian Meisinger übernommen und stopft diesen nicht nur mit Fastfood und synthetischen Drogen voll, sondern hat sich auch von jedem Anschein einer Kunstfigur emanzipiert, als sie sich in Why SL Know Plug umbenannt hat.

Zurück ins Hier und Jetzt und ans Konzert im kleinen Werk 21: Geflankt von seinen beiden Schützlingen Medikamenten Manfred und Hustensaft Jüngling kommt der Boy (fast) zur kommunizierten Zeit auf die Bühne. Diese wird bereits von acht anderen Jungs belagert, die offensichtlich auch zur Crew gehören. Ihre Namen kenne ich nicht, aber sie machen ihren Job ziemlich gut: Ihre Skills als lebende Dekoration sind nicht von der Hand zu weisen. Als die Show startet, bin ich überrascht, wie sauber alles klingt und wie eingespielt das Trio wirkt. Ich begebe mich zum Mischer, um herauszufinden, wie viel vom Dargebotenen live ist und was ab Band kommt. Der Soundengineer bittet mich mit einer einladenden Geste in den für ihn abgesperrten Bereich und streckt mir Kopfhörer entgegen. Er mutet auf dem Kopfhörer alle Live-Mikrofone, und ich stelle belustigt fest, dass die Jungs eine Full-Playback-Version ihrer Songs vorführen. Dann schaltet er mir die drei Spuren der Mikrofone auf die Kopfhörer, und ich komme in den Genuss eines bis anhin ungehörten Adlib-Kanons, wobei Hustensaft Jüngling den Ton angibt und Medikamenten Manfred damit beschäftigt scheint eben diesen zu treffen. Dass da noch ein 4/4-Takt im Spiel ist, macht die Sache für Medi Mani nicht gerade einfacher. Der Boy hält sich zunächst zurück, um mit einem unerwarteten "Riiiiiiich" und einem virtuosen "Sheeeeesh" aus dem Hinterhalt vorzupreschen und dem Playback den nötigen "Swaaag" zu verleihen. Dem entschlossenen "Tschea" Medikamenten Manfreds entgegnet Hustensaft Jüngling mit der angebrachten Frage "Whuat?". Money Boy lässt sich nicht lumpen, bringt sich mit einem klassischen "Yurgh" à la Pusha T in Stellung, erzeugt mit einem leisen "True" einen unerwarteten Spannungsbogen und schiesst den Vogel schliesslich mit einem gekonnten Dreifach-"Skurrt" ab. Weltklasse.

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Die knapp 200 Gäste sind begeistert und rappen alle Texte enthusiastisch mit. Mit meinen 32 Jahren gehöre ich eindeutig zum ältesten Prozent im Saal. Ich bin umgeben von Bucket-Hats tragenden jungen Menschen, und mir fällt auf, dass knapp vier Fünftel des Publikums aus Jungs bestehen. Selbstverständlich liegt Grasgeruch in der Luft. Dies obwohl im Werk 21 striktes Rauchverbot herrscht. Leben am Limit. Ich fühle mich hier, im Keller des Jugendhauses Dynamo, in die Zeit zurückversetzt, als ich selber noch gekifft habe und das im Raum vorhandene Gras für mich knapp eine Tagesration gewesen wäre. Gangster.

Ich bin aber nicht der Älteste im Raum. Ich beobachte eine knapp 40-jährige Frau, die in der Ecke steht, und erinnere mich, weshalb ich eigentlich hierher gekommen bin: Ich möchte mit den Menschen an einem Money Boy Konzert sprechen. Und diesen einen Menschen, den ich nun anspreche, hätte ich hier gar nicht erwartet.

Annelies (Name geändert), 42 Jahre "Ich wäre froh, wenn du kein Foto von mir veröffentlichst und vielleicht noch meinen Namen abänderst. Ich arbeite als Sozialarbeiterin und bilde mich gerade weiter. Ich möchte nicht, dass mir dieser Konzertbesuch dabei irgendwie in die Quere kommt. Ich bin mit meiner 17-jährigen Tochter hier. Sie ist irgendwo ganz vorne. Wir haben abgemacht, dass wir uns alle 30 Minuten hier hinten treffen, um sicherzugehen, dass bei beiden alles in Ordnung ist. Mir persönlich gefällt diese Art von Musik nicht besonders. Aber die Musik, die ich damals gehört habe, hat meinen Eltern auch nicht gefallen. Mich stört, dass in den Texten von Money Boy immer von 'Bitches' die Rede ist. Ich beschäftige mich in meiner Arbeit als Sozialarbeiterin intensiv mit Geschlechterrollen und glaube zu wissen, dass Money Boy echt ein Problem damit hat. Wieso muss er die ganze Zeit erzählen, mit wie vielen Frau er Sex hat? Das kann ich nicht nachvollziehen."

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Ich verabschiede mich von Annelies und gehe kurz Richtung Bar, wo ich Dominik und Toni anspreche und sie frage, warum sie hier sind, was sie an Money Boy mögen und ob und welche Drogen sie konsumieren. Sie haben überhaupt keine Hemmungen und gehen offen und direkt auf meine Fragen ein.

Dominik & Toni, 16 & 17 Jahre

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"Seit dem Namenswechsel von Money Boy auf Why SL Know Plug ist der Hype schon ein wenig ins Stocken geraten. Aber wir sind immer noch grosse Supporter des Boys und des ganzen Movements. Am meisten gefallen uns die Ironie und der Humor. Das alles kann gar nicht ernst gemeint sein. Wir selber gönnen uns auch hart." Die Gönnung an sich ist ein wichtiges Element des Movements. Natürlich nehmen wir auch ab und zu mal einen Hustensaft zu uns. Wir sind uns aber bewusst, dass man vorsichtig sein muss, und reden diesbezüglich auch offen mit unseren Eltern. Wir mögen einfach das warme Gefühl, das man bekommt, wenn man leant. So viel anders als der Flash beim Kiffen fühlt es sich eigentlich gar nicht an. Aber wir sind halt oft auch bekifft, wenn wir Sizzurp trinken. Der Drogenkonsum von Money Boy hingegen ist definitiv zu krass."

Codein ist gerade der letzte Schrei unter Teenagern, Dominik & Tonis Aussagen schockieren mich  nicht wirklich. Die beiden Jungs wirken ziemlich intelligent und sind eloquent. Mein nächster Gesprächspartner wirkt diesbezüglich ein wenig grober, lauter und unbeholfener. Er hat sechs Plastikuhren am Arm und trägt einen Stahlhelm, den er mit dem Aufschrift "FLY" angeschrieben hat.

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Rägäbogähueresohn, 18 Jahre 

"Ich habe einen Rucksack dabei und habe mich erst vor dem Eingang umgezogen. Ich laufe schon nicht mit einem Stahlhelm durch ganz Zürich, keine Angst. Eigentlich höre ich eher Punk, aber der Boy hat es mir auch angetan. Ausserdem finde ich, dass er auch ein wenig ein Punk ist. Ich glaube, dass er sehr viele Drogen konsumiert. Ich finde in seinem Blick hat sich was verändert. Früher sah er in Interviews frisch und unverbraucht aus, heute hat er irgendwie den Glanz in den Augen verloren und wirkt energielos. Aber mir ist das egal. Jeder muss für sich selbst entscheiden, wie viele Drogen er konsumieren will. Dass ich sechs Uhren trage hat natürlich einen bestimmten Grund: Ich will einfach immer genug Zeit haben. Ich rappe übrigens selber auch und nenne mich Rägäbogähueresohn. Ihr werdet bald von mir hören."

Seinen richtigen Namen will mir Regenbogenhuso nicht nennen. Ich verabschiede mich von ihm und gönne mir weitere Songs der Glo Up Dinero Gang. Danach gehe ich weiter zum Merchandise-Stand, der von einer 20-jährigen Österreicherin bedient wird. Lisa sagt mir, sie sei die Freundin des DJs, auf der ganzen Tour mit dabei und für den Verkauf der Merchandise-Artikel zuständig.

Lisa, 18 Jahre

"Die Jungs sind alle sehr angenehm und liebenswert. Ich kenne sie zwar nicht wirklich lang, aber gehöre trotzdem schon ein wenig zur Familie. Auf den ersten Blick wirken sie vielleicht ein bisschen unsympathisch und unnahbar, aber wenn man sie kennenlernt, sind sie alle ganz nett. Das Merchandise verkauft sich in allen Städten ganz gut. Wenn Du magst, kann ich Money Boy fragen, ob ihr nachher noch kurz backstage kommen könnt, was meinst du?"

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Ich lehne dankend ab und entschliesse mich, kurz nach draussen zu gehen, um eine Zigarette zu rauchen. Dort treffe ich auf ein paar Jungs, die im Kreis stehen und freestylen. Sie haben sich einen atmosphärischen Cloud-Beat gepickt und stehen der Glo Up Dinero Gang in Sachen Adlibs in nichts nach. Praktisch jede Line, egal wie schwach sie war, feiern sie hart. Qualitativ habe ich auf jeden Fall schon besseren Newcomer-Rappern zugehört, aber die Jungs haben sichtlich Spass. Ich komme mit Leroy ins Gespräch, der gerade mitgecyphert hat.

Leroy, 18 Jahre 

"Ich finde die Rapszene in der Schweiz ziemlich langweilig. Ich komme zum Beispiel aus Zug und da passiert Rap-mässig einfach nicht viel. Klar, es gibt zum Beispiel Fratelli-B, aber das trifft überhaupt nicht meinen Geschmack. Mir ist das alles viel zu ernst, und es swagt einfach nicht. Mir gefällt es, dass Künstler wie eben Money Boy oder Yung Hurn die Szene parodieren und manchmal auch ins Lächerliche ziehen. Mal ehrlich: Rap soll ja schon die Funktion haben, abzubilden, was im Alltag passiert, nur ist das Problem, dass der Alltag in Zug langweilig ist. Es ist eine verdammte Bonzenstadt mit Bonzenproblemen. Was soll ich da den Alltag reflektieren. Da rappe ich viel lieber einfach irgendwas, das Spass macht, anstatt so zu tun, als müsste ich irgendwelche Probleme verarbeiten." Danach treffe ich auf eine junge Frau, die sich als die interessanteste Gesprächspartnerin des Abends herausstellt. Sie sagt mir, sie sei 19 Jahre alt und konsumiere täglich irgendwelche Drogen. Ihr Haupt-Rauschmittel sei Cannabis, aber sie stehe auch total auf MDMA und Codein. Natalia, 19 Jahre

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"Ich finde die Welt ist ein ziemlich kaputter Ort. Ich meine, schau dir mal die Nachrichten tagtäglich an. Da bevorzuge ich es echt, einfach die ganze Zeit stoned zu sein. Die Realität, die mir die Medien eintrichtern wollen, ist auch nur ein Ausschnitt der Gesamtrealität—und ich habe kein Bock auf sie. Da schaffe ich mir viel lieber meine eigenen Wahrheiten, höre Money Boy und versuche ab und zu auch selbst mal was zu rappen. Ehrlich, das ist immer noch besser, als mir die Realitäten dieser Welt reinzuziehen."

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob mich Natalia auf den Arm nehmen will, und frage darum nochmal nach, ob sie das alles ernst meint und ob sie sich wirklich täglich was reinzieht. Sie bestätigt. Das macht mich zunächst traurig und ich merke, wie mich das Gefühl beschleicht, ich müsse ihr helfen. Doch schon im nächsten Moment reicht mir mein Begleiter einen Flachmann, den wir vorher mit Absinth gefüllt und heimlich in die Venue geschmuggelt haben. Wir holen uns nochmal eine Runde Drinks und hoffen, dass der Absinth bald wirkt.

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Alle Fotos von Stipe Svalina Ugur mag Money Boy auch auf Twitter.

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