Was hinter den aktuellen Groß- Razzien in der Frankfurter Clubszene steckt

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Was hinter den aktuellen Groß- Razzien in der Frankfurter Clubszene steckt

Wir haben mit einem Betreiber gesprochen, dessen Laden letzte Woche komplett ausgeräumt wurde.

In Frankfurt hatte die Clubszene​ in letzter Zeit öfters direkten Kontakt mit der Polizei. Im Mai wurden zehn Clubs kontrolliert. Schon im Januar gab es eine breit angelegte Razzia in mehreren Läden. Mit dabei waren oft auch die Kollegen von Gesundheits-, Gewerbe und Ordnungsämtern. Ihnen ging es um Hygiene, Jugendschutz, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und illegale Einwanderung. Ein Rundumschlag der Justizapparate also. Das Cooky's, seit 1978 als Diskothek in Frankfurt bekannt, musste vorübergehend schließen. Letzte Woche nun rückte man am Elfer ein.

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Das Elfer im Frankfurter Stadtteil Alt-Sachsenhausen ist kein klassischer Club. Neben Tanzveranstaltungen mit vielfältigen Genres gibt es auch Konzerte​, Lesungen und Kabarett. Dennoch geriet der Laden in das Fadenkreuz der Fahnder. Während der beliebten Veranstaltung "Loop" stürmten verdeckte Ermittler der Polizei das Elfer und durchsuchten neben den Räumen auch die Gäste. Dabei ging man, so Mitbetreiber Tim Piechatzek gegenüber THUMP, mit unverhältnismäßiger Härte vor. Der Grund der Maßnahmen sei ihm zudem vorenthalten worden.

In einer Pressemitteilung erklärte die Polizei derweil, dass sich die aufwandsintensive Razzia vor allem gegen vier mutmaßliche Drogendealer richtete: "Infolge intensiver polizeilicher Ermittlungen bestand der dringende Verdacht, dass dort umfangreich mit Drogen gedealt werden soll." Am Ende wurden 45 Personen festgenommen. Auch das Gesundheits- und Gewerbeamt begleitete erneut den Einsatz. Sie stellten laut Mitteilung Hygienemängel im Thekenbereich und Verstöße gegen den Brandschutz fest.

Aber rechtfertigt das den Umfang und das Vorgehen bei der Razzia? Wie war die Razzia für die anwesenden Gäste? Wie hat Mitbetreiber Tim, der gerade gehen wollte, ihn erlebt? NOISEY sprach mit ihm über seine Erfahrung in der Nacht und die Konsequenzen für seinen Club. Über die erhobenen Vorwürfe durch die Justiz wollte er sich aufgrund des laufenden Verfahrens nicht äußern.

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Tim, wie geht es dir?
Beschissen, anders kann ich es nicht sagen.

Wie hast du den Zugriff der Polizei erlebt?
Ich war als einziger von drei Betreibern an dem Abend anwesend. Die Veranstaltung lief ganz normal. Es war sogar ziemlich viel neues Publikum da, auch viele Touristen. Zum Beispiel Australier. Die kommen nach der Aktion der Polizei wahrscheinlich nie wieder nach Deutschland.

Mein Kumpel Emmanuel hat an dem Abend aufgelegt und ich wollte ihn mit dem Auto mitnehmen. Als er fertig war, wartete ich an der Tür. In der Sekunde stürmten mehrere Dutzend Polizisten mit Sturmhauben den Laden und haben alle Gäste brutal gegen die Wand gedrückt. Vor unserem DJ-Pult ist eine Blende aus Plexiglas komplett abgerissen, weil die Polizisten die Leute so brutal dagegen drückten.

Wie hast du reagiert?
Ich hab denen dann gesagt, dass ich der Betriebsinhaber bin, und gefragt, was das soll. Da wurde mir aber gar nichts gesagt, außer dass ich mal das Licht anmachen und die Musik ausstellen sollte. Dann kam erst mal lange Zeit nichts. Ich wurde hinter das DJ-Pult verbannt, musste die Hände immer auf dem Tisch lassen. Das hat dann eine halbe bis dreiviertel Stunde gedauert, bis die Polizisten ihre Sicherung gemacht hatten.

Und was war mit den Gästen?
Die waren gefesselt, teilweise mit Handschellen, teilweise mit Kabelbindern. Mir ist auch aufgefallen, dass alle Gäste, die auch nur vermutbar eine ausländische Herkunft hatten, noch brutaler behandelt wurden als alle anderen.

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Wie ging der Abend dann für dich weiter?
Das hat gefühlt alles ewig gedauert. Irgendwann kamen die beiden einzigen Herren ohne Sturmmaske und Polizeiuniform mit ein paar Checklisten zu mir. Einer war vom Gesundheitsamt, der andere vom Gewerbeamt. Die haben sich dann schön Zeit gelassen, um alles durchzusehen und dann eine Mängelliste zu erstellen. Währenddessen mussten die Leute alle mit dem Gesicht zur Wand stehen. Erst nach zwei Stunden durften sie was trinken. Da hat man ihnen das Wasser dann in den Mund gekippt wie bei einem Baby.

Was haben die zwei vom Gewerbe- und Gesundheitsamt gesagt?
Sie haben mir gesagt, dass sie den Laden vorerst zumachen, wegen hygienischer Mängel. Da war ich dann schon vollkommen verzweifelt.

Und dann war es vorbei?
Nein, leider nicht. Ich wurde dann nach vielleicht drei Stunden nach draußen gebeten. Und auf der Straße sah man dann das ganze Ausmaß. Die hatten die Gasse hier komplett mit Bauzäunen abgeriegelt. Hier standen alte Armee-Lastwagen mit Flutlichtanlage oben drauf. Dann hatten sie links ein Zelt aufgebaut für die Frauen und rechts eins für die Männer. Die Leuten wurden dann einzeln hochgebracht und kontrolliert. Ich musste draußen dann alle Räume öffnen, durfte aber meine Jacke nicht anziehen. Die Frauen mussten sich wohl nackt in dem Zelt ausziehen. Ich habe zumindest Schreie gehört. Irgendwann wurde ich dann wieder runterzitiert in den Club und dann festgenommen. Dann wurde ich im Zelt noch mal kontrolliert.

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Was ist auf der Wache passiert?
Ich wurde da erst mal von einem Komitee in Empfang genommen. Die haben sogar gelacht, mir blöde Fragen gestellt. In Frankfurt nehmen sie grad jeden Club aus fadenscheinigen Motiven auseinander. Jedenfall musste ich dann zum x-ten Mal meine Personaldaten angeben. Meine Geldbörse mit meinem Perso war nämlich in meiner Jacke, die ich ja nicht holen durfte. Dann wollte ich meine Freundin anrufen, damit sie sich keine Sorgen macht. Und pinkeln gehen wollte ich auch. Aber ich kam dann erst mal in eine Zelle, in der es saukalt war. Nur Kacheln. Ich hatte keine Schuhe und nur ein T-Shirt an. Ich hab dann mehrmals geklingelt, weil ich auf Toilette wollte, es kam aber niemand. Nach über einer Stunde kam jemand. Aber nicht weil ich geklingelt hatte, sondern nur so, um zu sehen, ob ich noch lebe.

Durftest du dann auf Toilette?
Ja, immerhin. Meine Klamotten bekam ich dann trotzdem nicht. Auch meinen Anruf nicht, obwohl es mir versprochen wurde. Ich hab irgendwann gegen die Tür geschlagen, bis meine Hand blutig war. Niemand kam. Irgendwann kam eine Beamtin, das war der einzige nette Mensch, den ich an diesem Abend getroffen habe. Dann kam ich endlich aus der Zelle raus. Anschließend wurden mir noch Fingerabdrücke abgenommen und Bild von mir gemacht. Ich saß viereinhalb Stunden in der Zelle.

Wie geht es jetzt weiter?
Wir haben letzte Nacht den kompletten Laden durchgeputzt, damit das Gesundheitsamt den Laden heute Abend wieder freigeben kann. Denn wir wollen heute eigentlich öffnen. Aber der zuständige Mensch vom Gesundheitsamt meinte dann heute, dass ich für alle Mitarbeiter noch eine Prüfung nach dem Infektionsschutzgesetz vorlegen müsse. Ein Anwalt prüft das gerade für uns. Eine unfassbar große Anzahl von Stammgästen und Freunden des Ladens eilen uns grad zur Hilfe. Man geht das Projekt gemeinsam an, dafür bin ich dankbar

Header: Diese Razzia war nicht in Frankfurt, sondern in Berlin. Foto: Imago.​ Andere Fotos: Nach der Razzia wurde im Elfer erstmal geputzt, mit tatkräftiger Unterstützung von Freunden. Foto: Tim P.​ Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP erschienen.

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