Zu Besuch bei einem polnischen Einsiedler, der auf das Ende der Welt wartet

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Zu Besuch bei einem polnischen Einsiedler, der auf das Ende der Welt wartet

Seit 20 Jahren lebt Edward nun schon alleine auf einem Hügel, der aus dem Schutt des Zweiten Weltkriegs besteht.

Ein paar Kilometer vor der polnischen Stadt Breslau lebt ein Mann ganz alleine auf einem Hügel. Das ist die Quintessenz der vielen Geschichten, die mir meine Freunde von dort über "so einen Freak und einen Haufen Hunde" erzählt haben. Meine Freunde reden zwar viel, wenn der Tag lang ist, aber diese Story wollte mir nicht mehr aus dem Kopf gehen.

Breslau liegt in einer sehr flachen Gegend im Südwesten Polens. Ich fand bald heraus, dass der Hügel, auf dem der Mann lebte, von Menschenhand geschaffen geworden war und es sich um einen riesigen Haufen Schutt aus dem Zweiten Weltkrieg handelt. Nach dem Krieg wurden die ganzen Reste der zerstörten Gebäude an dieser einen Stelle zusammengesammelt und im Laufe der Zeit setzte sich dann Mutter Natur durch. Immer mehr Bäume wuchsen aus dem Boden und das Areal hinter einer großen Chemiefabrik verwandelte sich langsam in einen richtigen Hügel.

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Als ich zum ersten Mal auf Edward, den Einsiedler, traf, schrie er mich weder an, noch jagte er mir seine Hunde auf den Hals. Das deutete ich als gutes Zeichen. Und dennoch schien er aufgrund meines unangekündigten Besuchs nicht gerade glücklich zu sein. Er erzählte mir, dass er nun schon seit 20 Jahren auf das Ende der Welt wartete, denn die Natur hat schon genügend Hinweise für die baldige Apokalypse geliefert. Für einen Einsiedler wusste Edward erstaunlich gut über aktuelle Geschehnisse wie etwa Wirbelstürme oder andere Naturkatastrophen Bescheid. "Das alles ist Gottes Werk", erzählte er mir.

Edward hatte nichts dagegen, dass ich Fotos schoss, während ich ihm stundenlang zuhörte. So erfuhr ich auch, dass er eine Offenbarung hatte: In den 90ern arbeitete er noch als Maurer und eines Tages ist ihm während der Arbeit Jesus erschienen. Der Sohn Gottes hat ihn angewiesen, ein Haus auf einem Hügel zu bauen. Edward ist anschließend auf den Schuttberg gestoßen und hat sich ans Werk gemacht.

Im Laufe der darauffolgenden zwei Jahre bin ich immer wieder nach Breslau gefahren, um Edward zu treffen. Während dieses Zeitraums sind einige seiner alten Hunde von uns gegangen, aber dafür kamen immer wieder neue nach. Nachts besuchten ihn außerdem immer mal wieder Rehe.

Vor meinem ersten Besuch hatte es Edward bereits geschafft, zwei Hütten auf dem Hügel zu bauen. Eine dritte war gerade in der Mache. Ihm war es gelungen, den Schutt und die Asche in fruchtbares Land zu verwandeln sowie eine Unterkunft für die Obdachlosen von Breslau zu erschaffen. Im Winter schaute dann oft die Polizei vorbei, um die Obdachlosen abzuholen und in eine offizielle Unterkunft der Stadt zu bringen. Edward lud die Beamten dann immer auf eine Tasse Tee ein, um ihnen so zu zeigen, dass sein Zuhause auf dem Hügel trotz der klirrenden Kälte einen warmen Platz bot.

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Edward arbeitete sechs Tage die Woche an seinen Hütten. Ab und an machte er zwischendurch einen Spaziergang zu einem nahegelegenen Badeteich, um sich etwas Wasser zu holen. Mit einer Digitalkamera dokumentierte er seine kleine Welt und der nächste Nachbar archivierte die Fotos. Edward war sich immer im Klaren darüber, was um seinen Hügel herum geschah. Diese Welt verärgerte ihn jedoch meistens, weil sie voller Menschen sei, die gegen den Willen Gottes agieren. Er ging davon aus, dass der Herr hier bald schon einschreiten und allem ein Ende setzen würde.

Viel geredet hat Edward nie. Während unserer Gespräche wich er vielen meiner Fragen aus und erzählte lieber weiter von den Themen, die ihm wichtig waren. Also stellte ich keine Fragen mehr, denn ich wollte mich nicht zu sehr in sein Leben einmischen—ein Leben, das ja auch von gewollter Einsamkeit und Isolation geprägt war.

Seit meiner letzten Reise nach Breslau waren schon wieder zwei Jahre vergangen. Deshalb entschied ich mich vergangenen Monat dazu, für diesen Artikel mal wieder dorthin zu fahren. Als ich den Hügel hinaufstieg, machte ich mir ein wenig Sorgen, dass Edward nicht mehr länger dort lebte. Als ich dann jedoch bei seinem Zuhause ankam, war alles so wie immer. Nur die dritte Hütte stand kurz vor der Fertigstellung und die Hunde waren natürlich etwas älter geworden. Edward selbst hatte sich kein bisschen verändert. Als er mich erblickte, meinte er direkt, dass es für September viel zu kalt wäre. Für ihn war das natürlich ein handfester Beweis dafür, dass unsere Welt kurz vor ihrem Ende steht.