Warum es so schwer ist, ein Computerspiel zu machen

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Warum es so schwer ist, ein Computerspiel zu machen

Den Großteil ihrer Entwicklungszeit fristen Videospiele als Grey Boxes und Kompromisse.

Es sollte gar nicht so schwer sein, ein Computerspiel zu kreieren. Es sollte nicht Jahre mühevoller Arbeit, mehrere Monate Überstunden und hundertköpfige Teams benötigen, um einen Punkt auf dem Bildschirm in Bewegung zu setzen und in Richtung seines Zieles hüpfen zu lassen. Aber in Konkurrenz mit Spielen wie Rockstars epischem Grand Theft Auto V und neuen Technologien wie Virtual Reality ist es in der Regel genau das, was es braucht, um technisch aktuell zu sein—und etwas zu erschaffen, das Publisher und Spieler glücklich macht.

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Als jemand, der seit etwa sieben Jahren beruflich mit Computerspielen zu tun hat, habe ich eine ungefähre Ahnung davon, was für einen Aufwand die Entwicklung bedeutet und was dabei alles auf dem Spiel steht. Allzu oft habe ich beim Testen von Demos in die nervösen Gesichter der Entwickler geblickt, die inständig darauf hoffen, dass ich bloß diese eine Tür nicht öffne, die das ganze Spiel zum Absturz bringt. Oft genug bekam ich in Interviews die Worte zu hören: "Darüber reden wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht."

Fast jeder hat eine ungefähre Ahnung davon, wie schwer es ist. Nicht selten wird diese Anerkennung allerdings in einem Atemzug mit Kritik genannt: "Ja, das war bestimmt schwer auf die Beine zu stellen, aber ich hätte da schon mehr erwartet." Diese Kritik ist in den meisten Fällen auch fundiert, aber wie viel wissen wir Laien eigentlich wirklich darüber, was die Entwickler hätten ändern "können" oder "müssen"?

Die bestehenden Strukturen, die Menschen aus der Spieleindustrie daran hindern, über ihre Arbeit offen zu sprechen, helfen uns dabei bestimmt nicht weiter.

Um einen Blick hinter die Polygonenfassade zu werfen, habe ich die rosarote Brille abgelegt, die man mir in meinen sieben Jahren als Spiele-Journalistin aufgesetzt hatte. Ich habe Entwickler in den unterschiedlichsten Positionen dazu befragt, was es tatsächlich braucht, um ein Computerspiel zu schaffen. Vor allem wollte ich wissen, was die Arbeit so schwierig macht.

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Mit verbundenen Augen

"Ein Spiel zu machen, ist manchmal so, als würdest du versuchen, mit verbundenen Augen ein Haus zu bauen", schreibt mir Ryan Benno in einer E-Mail. Benno ist Environment Artist bei Insomniac Games, seine Artworks kannst du aber auch in Walking Dead von Telltale, der Wolf Among Us-Serie und Call of Duty: Infinite Warfare sehen. "Du kannst planen, wo die Wände hinkommen, wie die Räume beschaffen sind, wie du alles stabil und funktional bekommst—bevor du am Ende schließlich in dem Raum stehst, kannst du davon nichts mit Sicherheit sagen."

Nachdem ich mit acht verschiedenen Entwicklern gesprochen habe, scheint mir diese Analogie noch die einfachste Art zu sein, den Ablauf eines solchen Mammutprojekts zu beschreiben. Verschiedene Abteilungen arbeiten über verschiedene Zeiträume an unterschiedlichen Teilen des Ganzen. Es gibt ein bestimmtes Budget und es stehen nur bestimmte Werkzeuge zur Verfügung. Ein Team arbeitet vielleicht zusammen an dem gleichen Haus, aber jeder hat seine eigenen Prioritäten. Während sich einer um das Fundament kümmert, ist der andere vielleicht mit dem Design der einzelnen Räume beschäftigt.

Wenn sich die Räume ändern, muss auch das Fundament angepasst werden, damit es weiterhin das Gewicht halten kann. Künstler kommen rein und dekorieren die Räume, Besonderheiten wie Elektrizität werden ergänzt und feinjustiert. Jemand anderes kümmert sich um die Musik, die in jedem Raum spielt. Verschiedene Handwerker kommen rein und arbeiten fleißig an ihren Aufgaben. Währenddessen achtet ein Produzent darauf, dass alles weiterhin zusammenpasst. Jeder hält seine Deadlines ein, niemand bremst die anderen. So sieht es aus, wenn alles nach Plan läuft. Aber so ein Hausbau—die Spieleentwicklung—läuft leider nicht immer nach Plan.

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"Wenn du etwas Neues probierst, heißt das, dass du es grundsätzlich nicht sicher abschätzen kannst." – Samantha Kalman

Während der Vorproduktion müssen Entwickler herausfinden, welche Ideen für das Projekt am besten funktionieren und das geringste Risiko bergen. Ein Großteil dieser Arbeit basiert letzten Endes auf Mutmaßungen.

"Es gibt Dinge, die du einfach nicht weißt, bis du sie fertig hast", erklärt mir Bruce Straley am Telefon. Straley ist Co-Director bei Naughty Dog und für seine Arbeiten als Grafiker und Designer für Uncharted 2, The Last of Us und Uncharted 4 bekannt. Er betont, wie wichtig es ist, bei der Entwicklung die Vision und den Kern des Spiels im Auge zu behalten. "Das sind die Lektionen, die wir in der Produktion lernen—selbst in unseren Demos. Es ist alles spielbar, aber bestimmte Mechaniken sind einfach noch nicht komplett ausgereift. Ich weiß dann nicht, wie es im großen Ganzen funktionieren wird. Am Ende passt es vielleicht einfach nicht in das Spiel oder macht keinen Spaß. Ich tue in jedem Fall mein Bestes."

Die Entwicklung einer Jeep-Sequenz in Uncharted 4. Video mit freundlicher Genehmigung von Naughty Dog

Samantha Kalman, Indie-Entwicklerin und Gründerin von Timbre Interactive berichtet mir etwas Ähnliches. "Es gibt immer bekannte Unbekannte und unbekannte Unbekannte. Du kannst wirklich nur Dinge mit hundertprozentiger Sicherheit garantieren, die du schon mal gemacht hast", so Kalman. "Wenn du etwas Neues probierst, heißt das, dass du es grundsätzlich nicht sicher abschätzen kannst."

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Jede Entwicklung beginnt mit einem Pitch—einer internen PowerPoint-Präsentation zum Beispiel. Aber Ideen und ihre Ausführung sind zwei grundverschiedene Dinge. Die Verwandlung dieser Ideen in Prototypen kann den Entwickler eine bessere Vorstellung von der Richtung oder den Ideen geben, die sie in Zukunft verfolgen können. "Du kannst nicht sagen, wie sich dein Spiel spielt, bis du eine Menge davon fertiggestellt hast", sagt Alex Chrisman—Leiter der Produktion bei Certain Affinity, die für ihre Multiplayerarbeit für diverse First-Person-Shooter wie Halo bekannt ist. "Die Vorabvisualisierung ist sehr schwer. Du hast eine Menge wichtiger Teile und nicht selten merkst du, dass sie erst gegen Ende des Projekts zusammenkommen." Sein Kollege, Produzent Ryan Treadwell, beschreibt diesen Prozess als "Versuch, die Vision des eigenen Spiels zu verstehen." Entwickler brauchen diese Fähigkeit zum grenzenlosen Fantasieren. Gleichzeitig müssen sie sich aber auch mit sehr konkreten Problemen rumschlagen. Einige Features funktionieren vielleicht nicht, andere wiederum brauchen zu viel Zeit und müssen dann zugunsten des Gesamtprojekts hintenangestellt werden.

In der Vorproduktion wird auch Grundsätzliches festgelegt, wenn die Technologie und die Engine, mit der die Entwickler arbeiten, getestet und auf ihre Möglichkeiten hin ausgelotet werden. Hier bekommen alle eine Vorstellung davon, wie weit sie gehen können—wie hoch ist die Polygonzahl, was für Texturen und Animationen sind möglich usw. Diese Phase, in der Entwickler verwerfbare Prototypen erschaffen können, sei die richtige Zeit zum Experimentieren, sagt Antoine Thisdale, Game Designer bei Eidos Montreal.

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Ein sogenanntes "Grey Box"-Level aus der Entwicklungsphase von 'Deus Ex: Mankind Divided' | Screenshot mit freundlicher Genehmigung von Eidos Montreal

Aber Entwickler sind kreative Menschen und manchmal führt die Experimentierphase das Spiel in die falsche Richtung. "Es ist unfassbar leicht für Menschen, die eigentliche Spielerfahrung aus den Augen zu verlieren—oder das, was dein Spiel eigentlich vermitteln soll", so Thisdale am Telefon. "Die Leute vergessen schnell, was zuerst stehen muss. Mein Job als Game Designer ist es, die Spielerfahrung hinzubekommen. Dafür brauche ich meine drei Cs. Meine Controls, meine Cameras, meinen Character—und ich brauche meine Fortbewegungsmethode. Ich muss das Gefühl haben, meine Spielfigur tut das, was sie tun soll." Diese Grundlagen des Gamedesigns klingen vielleicht sehr unromantisch, aber sie sind essenziell, um die restliche Spielerfahrung erleben zu können. Auch wenn die Levels von minutiös ausgearbeiteten Pfaden diktiert werden und mit dekorativen Designs geschmückt sind, muss ihr Entwickler immer im Auge behalten, dass sie der allgemeinen Spielerfahrung gerecht bleiben.

Ansonsten landet man in Situationen, wie sie Thisdale schon mehrmals erlebt hat. Er erinnert sich an einen übereifrigen Modeller, der mit detaillierten Umgebungsobjekten wie Mülleimern weit über die Polygongrenze hinausgeschossen war. "Die brauchten so viele Polygonen, dass es uns ein ganzes Frame pro Sekunde gekostet ha, was in einer Spielewelt extrem viel ist", erzählt er. "Aus Erfahrung kannst du sagen, wie viele Polygonen, wie viel Textur du für jedes Objekt benutzen kannst. Kann ich einen UV-Filter verwenden, kann ich mir Bumpmapping erlauben, wird es direktes oder dynamisches Licht geben?" Diese vermeintlich kleinen, wenn auch visuell beeindruckenden Details, verlangen dem Spiel eine Menge ab. Es ist ein extrem minutiöser Balanceakt und manchmal musst du schöne Dinge zugunsten der allgemeinen Spielerfahrung opfern.

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Die Entwicklung von Computerspielen verlaufe nicht linear, beschreibt Kalman den Prozess. "Oft sind es zwei Schritte vor und ein Schritt zurück", sagt sie. Sie hat das am eigenen Leib während der Entwicklung von Sentris erfahren—einem Indie-Musikspiel mit Puzzle-Elementen. Ein Video zu den verschiedenen Stadien des Spiels kannst du hier sehen.

"Ich erwischte mich immer wieder dabei, Code zu überarbeiten und anzupassen, den ich eigentlich für fertig gehalten hatte. So etwas passiert oft, wenn man sagt: 'Oh, das wird ganz leicht. Ich schreibe einfach dieses Skript in Unity … Oh, OK, das hat diese Paramater und wie betrifft das eigentlich meine Ausführungsreihenfolge und die Performance?' Das passiert fast täglich."

Eine frühe Version des 'Sentris'-Tutorials | Screenshot mit freundlicher Genehmigung von Samantha Kalman

Das Spiel, das du in seiner finalen, vorzeigbaren Form siehst—oder selbst das Spiel, das du in Ausschnitten bei der E3 oder in irgendwelchen Trailern siehst—ist nicht das Spiel, mit dem die Entwickler die meiste Zeit über arbeiten. Stattdessen laden sie kleine Maps oder Levels hoch, testen Abschnitte und spielen verschiedene Episoden durch, um sicherzustellen, dass sie richtig funktionieren. "Wir verbringen unsere ganze Zeit in einer Grey Box", sagt Thisdale. "Das Spiel selbst braucht in der Regel viel zu lange zum Laden, also laden wir einfach den Übungsraum, den wir haben—in der Regel ein leerer Raum mit einem Licht in der Mitte und einer Box an der Seite—und machen darin, was auch immer wir müssen." Das kann Rennen, Schießen oder Springen sein, aber auch der Test von visuellen Effekten wie Regen oder Rauch. "Das ist das Spiel, das wir die meiste Zeit spielen", so Thisdale. "Das Spiel, das ich gerade veröffentlich habe [Deus Ex: Mankind Divided]—das ist der Zustand, in dem ich es vier Jahre lang gesehen habe."

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So sieht Spieleentwicklung aus: Grey Boxes und Kompromisse. Es ist ein ständiger Balanceakt zwischen Innovation und Sicherheit. Hast du die Zeit und das Budget, um zumindest einen Bruchteil deiner besten Ideen umzusetzen? "Es ist nicht bloß eine Obsession. Es ist der Versuch von uns als Schöpfern, etwas aus unserem Inneren zu übertragen und mithilfe eines Teams aus Programmierern, Grafikern, Musikern und all den verschiedenen Abteilungen zu manifestieren. Das ist die Herausforderung", sagt Straley von Naughty Dog. "Diese Vision, die du als Schöpfer in dir hast, ist bereits ein Segen. Der Versuch, diese zu extrapolieren … das ist die Freude und die Schwierigkeit eines jeden kreativen Unterfangens."

Videospiele sind nicht, bzw. können gar nicht voll und ganz das Produkt exzentrisch-innovativer Ideen sein. Es gibt technische Einschränkungen und Verantwortungen gegenüber dem Projekt, die alle in Betracht gezogen werden müssen. Das beeinflusst natürlich den kompletten Entwicklungsprozess. Das heißt, man muss die Einschränkungen akzeptieren, mit denen man zu arbeiten hat. Für Kreative kein Leichtes. "Wir schämen uns am allermeisten für das, was in dem Spiel bestehen bleibt", sagt Benno von Insomniac Games. "Wir wollen etwas machen, worauf wir alle stolz sind."

Wie von Zauberhand

Die kreativen Entscheidungen der Entwickler sind nicht immer transparent und die Logik dahinter noch viel weniger. Nehmen wir zum Beispiel Springen. Ziemlich simpel, nicht wahr? Wir können quasi in Computerspielen springen, seit es Computerspiele gibt. Wenn Mario springen kann, warum dann nicht auch ein moderner Held? Aber etwas, das vordergründig so simpel ist wie Springen, erfordert einiges an Arbeit, um es dem Charakter vernünftig beizubringen. Und diese kreative Entscheidung—der Charakter kann springen—zieht wiederum einen ganzen Rattenschwanz an weiterer Arbeit nach sich. Der Blickwinkel muss entsprechend angepasst werden, damit es beim Springen keine Probleme gibt. Die Level müssen so kreiert werden, dass die Sprungfunktion sinnvoll zum Einsatz kommen kann und der Spieler nicht plötzlich in Ecken festhängt, in die er eigentlich gar nicht gelangen sollte. Es sind also bereits mehrere Menschen, die die Sprungfunktion in ihrer Arbeit berücksichtigen müssen. Und am Ende entscheidet man sich dann vielleicht doch, seine Prioritäten auf ein Deckungssystem zu verlagern, das der anvisierten Spielerfahrung besser gerecht wird.

Straley hat an The Last Of Us gearbeitet, einem Spiel ohne Sprungfunktion. "Der Code, den es braucht, um einen Spielcharakter auf dem Bildschirm hüpfen zu lassen, ist bereits unglaublich. Und der Code, den es braucht, um die Animations-Daten auszulesen und all die Texturen und Gewichtsfaktoren eines Charakters zu berechnen, um ihn vernünftig in Bewegung zu setzen—all das, ohne ihn tatsächlich durch den Raum zu bewegen—bedeutet bereits monatelange Arbeit für eine Person", erklärt er. "Das geschieht alles während des Prozesses, in dem man entscheidet, ob der Charakter springt, welche Konsequenzen dieser Sprung nach sich zieht, wie er springt, was diese Entscheidung für die Designer bedeutet, ihre Layouts und die Auswirkungen für die Grafiker—und das alles, während man dabei im Hinterkopf behält, dass es dein oberstes Ziel ist, den Spieler mitzureißen."

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"Spiele scheinen wie von Zauberhand zu funktionieren. Der weniger sichtbare Kram hält es aber genau so zusammen, wie all der andere Kram." – Nina Freeman

Ähnlich viele Überlegungen werden auch in eine andere, ähnlich simpel anmutende, wohlbekannte und häufig benutzte Mechanik gesteckt: die Deckung. Straley überlegte lange, wie sich ein Deckungssystem optimal in das 2013 erschiene The Last of Us integrieren ließe. "Ich spielte das Spiel für ein paar Monate und alle hatten sich an die Deckungsfunktion gewöhnt. Dann dachte ich noch einmal drüber nach. Ich dachte mir: 'Nein, wegen Ellie [einen Charakter, der den Hauptprotagonisten das Spiel hindurch begleitet], wegen dieses analogen Raums, wegen der Kriechfunktion, wegen all diesen Sachen will ich nicht noch einen Button haben, der die Bedienung unhandlich macht", sagt er. "Ich musste mich unglaublich entschuldigen und [dem Programmierer] sagen, dass ich zwar nicht weiß, was ich tue, er mir vertrauen müsse, dass das einer dieser Momente ist, in denen ich die richtige Entscheidung treffe. Ich würde auch dabei bleiben und er wiürde nicht das Rad neu erfinden müssen—schließlich würden wir den Deckungsbutton behalten." Am Ende erfand The Last of Us das Rad dann doch ziemlich neu. Sie implementierten einen Kriechbutton, der eine Art "abgeschwächte" Deckungsfunktion beinhaltet, wenn sich Joel (der Spielecharakter) einer niedrigen Wand oder einem Objekt nähert.

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Das sind nur zwei Beispiele monatelanger Arbeit, die auf dem Bildschirm wie selbstverständlich und von Zauberhand erscheinen. In den meisten Spielen drückst du 'A' und du springst. Du drückst 'B' und du duckst dich. Hinter dem Vorhang geht es aber wesentlich komplexer zu. "Es gibt da diese Ebene sichtbarer Dinge, die deine Spielerfahrung ausmacht und die auch einen Haufen Arbeit benötigt", erklärt mir Nina Freeman, Level Designerin bei dem Indie-Studio Fullbright, am Telefon. "Die weniger sichtbare Arbeit ist genau so wichtig, wie der optische Endschliff eines Spiels oder jede einzelne der aufeinander abgestimmten Mechaniken, die sehr intuitiv sind und von denen du weißt, dass sie da sind. Spiele scheinen wie von Zauberhand zu funktionieren. Der weniger sichtbare Kram hält es aber genau so zusammen, wie all der andere Kram."

Es ist nicht schwer, das Charakterdesign wertzuschätzen oder die Musik oder die Story. Es ist sogar ziemlich einfach, gute Animationen wertzuschätzen. Niemand überhäuft allerdings das Speicher/Lade-System mit Lob—oder die Kollisionserkennung. Außer Menschen wie Freeman natürlich: "Die Tatsache, dass du ein Tomb Raider-Spiel abspeichern kannst und die Tiere sich beim Neuladen alle an genau der gleichen Stelle befinden, wo sie beim Verlassen des Spiels waren, erfordert einen Haufen Arbeit. Das ist ein Feature." Diese Features mögen vielleicht nicht sehr spektakulär oder revolutionär sein, aber am Ende sind es auch nicht bloß Schalter, die umgelegt werden, sondern das Ergebnis harter Arbeit. Und diese Arbeit steht nicht selten unter strenger Beobachtung.

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Im Frühstadium der 'Uncharted 4'-Entwicklung sind die Levels noch sehr rudimentär | Screenshots mit freundlicher Genehmigung von Naughty Dog

Es braucht Zeit, diese ganzen Features ordentlich hinzubekommen. Je weiter das Projekt voranschreitet, desto mehr werden diese Features außerdem von den Berechnungen aller anderen beeinflusst. Zum Glück kommt das dem Spiel manchmal sogar zugute. Thisdale erinnert sich an so einen Vorfall, der sich während der Entwicklung von Mankind Divided ereignet hatte. Aus irgendeinem Grund schien sich der Protagonist Adam Jensen in der Außenansicht plötzlich etwas flüssiger zu bewegen. "Vor der Veränderung war ich wirklich genervt von dieser kleinen Latenz bei der Bedienung und versuchte, sie loszuwerden. Eines Tages war sie dann auf magische Weise plötzlich verschwunden", erzählt er. "Ich bin total durchgedreht und habe versucht, herauszufinden, was ich in der Version geändert hatte. Es war eine klitzekleine Sache. Wir haben schließlich herausgefunden, dass es mit der Art zu tun hat, wie der Code die Framerate behandelt hat. Ich kann nicht wirklich ins Detail gehen, aber etwas hatte die Latenz und die Bildwiederholrate beeinflusst. Als wir das ausgebügelt hatten, fühlte sich die Bedienung viel flüssiger an."

"Diese kleine Veränderung veränderte die Spielerfahrung grundlegend. Und von diesem Punkt an haben wir es ein Jahr lang mit Adleraugen beobachtet." Subtile Änderungen in der Entwicklung können drastische Veränderungen in der allgemeinen Spielerfahrung hervorrufen. Es gib Nuancen für winzige Details und vermeintlich zufällige Zahlen. Allein das Zurückverfolgen einer solchen Veränderung dauert allerdings seine Zeit. "An diesem Tag habe ich erst um 22 Uhr Feierabend gemacht", erzählt mir Thisdale. "Wir waren zu fünft im Büro und sind total durchgedreht. Wie die Verrückten sind wir durch die Gegend gerannt, haben uns Zahlen und die ganzen Daten aus den Build Logs angeschaut. Wir regelrecht besessen von dieser Sache."

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Kreativität nach Plan

Um wieder auf die Hausbau-Analogie zurückzukommen: Stell dir vor, da ist ein Vertragsmanager, dessen finanzielle Verantwortlichkeit darin besteht, das Projekt durchzuziehen. Das ist die Rolle des Spieleproduzenten. Andere setzen vielleicht die Steine aufeinander, aber der Produzent muss sicherstellen, dass das Team genügend Steine hat. Diese Produzenten sind vor einer Mutterfirma, einem Publisher oder einem Investoren verantwortlich oder repräsentieren diese. Besagte Instanzen haben mit der Einwilligung, das Projekt zu finanzieren, bestimmt, dass sie frühe Entwicklungsphasen der Vision des Hauses sehen könnten. "Die meisten großen Firmen haben Investoren", erzählte mir Thisdale.

"Das sind [Börsenunternehmen]. EA und Ubisoft haben Aktien. Diese Menschen investieren und brauchen etwas im Gegenzug. Die sagen: 'Mein Quartal oder mein Jahresabschluss steht bevor, ich brauche etwas im Gegenzug.'" Sie kontrollieren das Geld und manchmal werden die Ressourcen anhand der im Vorfeld ausgehandelten Zwischenziele freigegeben. Das können sogenannte Greenlight-Pitch-Meetings oder die Vorstellung eines frühen Prototyps sein. Solange das Studio die internen Deadlines einhält, gibt es Geld und alle können weiter an dem Projekt arbeiten.

Die Deadlines selbst—egal, ob an ein Zwischenziel oder den internen Produktionsplan gebunden—werden auf der Basis von Erfahrungen eingeschätzt und festgelegt. Die Grafiker sagen, dass sie etwa drei Wochen brauchen, um die benötigten Umweltelemente fertigzustellen. Rein theoretisch passt dieser Zeitpunkt vielleicht perfekt zu der Deadline, die sich die Designer für die Präsentation ihrer Konzepte zur Spieleumgebung gesetzt haben. Dann geraten die Designer aber aus irgendwelchen Gründen ins Hintertreffen (das kann auch durch kreativen Widerstand des Publishers während eines Kontrollmeetings passieren) und irgendjemand muss richtig in die Tasten hauen, um alle wieder zurück auf den Zeitplan zu bringen.

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Plötzlich verwandeln sich die Deadlines, die bis dahin noch Vorschläge waren, in feste Termine. Diese Stichtage, vor allem wenn sie mit dem Erreichen eines Zwischenziels verbunden sind, diktieren letztendlich, wie die Entwickler weiter fortfahren. Ein Kreativdirektor bei einem von einem Publisher finanzierten Studio, der allerdings anonym bleiben möchte, sagt mir am Telefon: "Es gibt einen ständigen Druck, die eine Sache nicht zu tun, die du in Videospielen eigentlich tun musst, nämlich Iteration. Die traurige Wahrheit sieht nämlich so aus, dass sich Iterationszeit (oder einfach Zeit, um den richtigen Weg zu finden) für Finanzmenschen nicht gut anhört und auf dem Arbeitsblatt nicht gut aussieht." Das bedeutet, dass eine Idee, die mit nur einer Woche mehr Gestalt angenommen hätte, unter den Tisch fällt, weil sie nicht in den Arbeitsplan passt."

Viele der Umwelteffekte von 'Uncharted 4' wurden erst in den Spätstadien der Entwicklung hinzugefügt. Screenshots mit freundlicher Genehmigung von Naughty Dog

"Manche Publisher lassen ihren Entwicklern natürlich auch viel mehr Freiheiten", fährt er fort. "Je nach Verhältnis kann ein Publisher auch vollkommen dem Studio vertrauen, anstatt ständige Kontrollmeetings abzuhalten, in denen ein Geschäftstyp einem Kreativen sagt, was er zu tun hat. Trotzdem läuft in manchen Studios der komplette Workflow immer noch unter Mikromanagement."

Obwohl Marketingerfordernisse—in der Form von Trailern, Demos und Betaversionen—oftmals noch mehr Arbeit für die Entwickler bedeuten, kann ein enggestrickter Zeitplan einem Studio auch durchaus zugute kommen. Ohne Deadlines wären die meisten Grafiker nie dazu bereit, ihre Babys den kritischen Augen der Öffentlichkeit auszusetzen. Es gibt immer etwas, das noch verbessert und das noch ergänzt werden kann. "Die Realität ist nun mal Folgende: Auf uns allein gestellt würden wir als Entwickler nie ein Spiel rausbringen, weil es immer etwas zu iterieren gibt. Es gibt immer neue Ideen oder weitere Verfeinerungen, die das Spiel besser machen würden", sagt Straley. "Es wird nie fertig sein, sondern lediglich abgeliefert."

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Kunst wird nie vollendet, nur aufgegeben

Das wohl größte Zwischenziel (und das eine, das allen Firmen, groß und klein, gemein ist) ist die erste richtige öffentliche Demonstration des Spiels—eine auf Hochglanz polierte, im besten Fall spielbare Kostprobe mit dem Zweck, den Titel einem Millionenpublikum bei den großen Spielemessen wie der E3 zu präsentieren. Bei diesen Veranstaltungen müssen die Studios nicht nur die Publisher und Investoren beeindrucken, sondern auch das Publikum.

Das kann bedeuten, dass man Arbeitszeit aus der Produktion abzweigt, um einen möglichst aussagekräftigen Querschnitt des Spiels zu erstellen—also einen kurzen Ausschnitt, der stellvertretend für das Ganze steht. Entwickler nehmen dazu einen Level, eine Map oder einen Abschnitt, hübschen ihn mit Grafiken und Musik so weit auf wie nur möglich und präsentieren ihn der Öffentlichkeit als den aktuellen Stand.

"Du hast noch nicht einmal das komplette Spiel ausklamüsert; du weißt noch nicht genau, wie alles miteinander funktioniert", berichtet Straley. "Und du musst dich auf etwas festlegen und es öffentlich spielbar machen, live auf der Bühne. Du sagst der Öffentlichkeit quasi: 'So lässt es sich spielen, so sieht es aus. Das ist das Spiel, das du in acht Monaten von uns erwarten kannst.' Für die Produktion ist das allerdings unfassbar unpraktisch."

"Jeder bastelt an seiner eigenen Vorstellung von dem, was das Produkt sein soll, sein muss, sein will. Aber du vergisst dabei, was das Produkt eigentlich ist." – Antoine Thisdale

Im besten Fall kann ein Trailer oder eine Demo den aktuellen Fortschritt und eine Vorschau darauf liefern, wie das Endprodukt vielleicht aussehen wird. Selbst, wenn es sich bei diesem Querschnitt um ein komplett spielbares Level handelt, heißt das nicht, dass die Entwickler nicht noch ein paar Änderungen implementieren, die ihnen vielleicht erst aufgefallen sind, nachdem der Trailer oder die Demo rausgekommen sind. In vielerlei Hinsicht sind Änderungen und Iteration die Eckpfeiler der Videospielentwicklung. Alles, von der Frisur einer Spielfigur bis hin zu grundlegenden Spielmechaniken, kann sich während der Entwicklung eines Spiels noch verändern.

Anstatt diese Vorabversionen als einen Vorschlag dafür zu sehen, wie der Entwicklungsstand und die Vision des Spieles momentan aussehen, nimmt sie das Publikum in der Regel als Versprechen. Da es bei der Vermarktung heutzutage vor allem darum geht, einen Hype aufzubauen, prägen vielversprechende Trailer und Demos die Publikumserwartungen. Und falls sich dann irgendetwas ändern sollte—entweder, weil es das muss oder aus einer kreativen Entscheidung heraus—kommt ein Endprodukt, das zu stark von der frühen Querschnittsversion abweicht, oft einem Scheitern oder einem gebrochenen Versprechen gleich.

"Jeder bastelt an seiner eigenen Vorstellung von dem, was das Produkt sein soll, sein muss, sein will", sagt Thisdale. "Aber du vergisst dabei, was das Produkt eigentlich ist." Es ist nicht einfach, präzise vorauszusagen, wie ein Spiel in einem späteren Stadium aussehen wird. Schließlich wissen die Entwickler selbst nicht genau, womit sie es eigentlich zu tun haben, bis sie es erschaffen haben. "Dinge verändern sich", sagt Thisdale. "Animationen ändern sich. Unsere Spielfigur, Adam Jensen, hat ihre Animation etwa vier Mal gewechselt. Wenn ich dir heute etwas von vor drei Jahren zeigen würde, dann wäre das etwas komplett anderes. Es ist nicht das gleiche Modell, es ist nicht das gleiche Gesicht, nicht der gleiche Anzug, nicht die gleichen Texturen, überhaupt nichts ist gleich."

Andersherum zwingen Strukturen die Entwickler, Entscheidungen zu treffen. Auch wenn sie die bisweilen schwer nachvollziehbaren Erwartungen der Deadlines beklagen, haben manche Entwickler, mit denen ich gesprochen habe, das Gefühl, dass es ihnen auch bei der Arbeit hilft. "Jedes Mal, wenn wir versuchen ein Problem zu lösen oder eine Spielmechanik auf den Punkt zu bringen, tauchen 50 neue Fragen auf", sagt Straley. "Es gibt hunderte mögliche ästhetische oder Pipeline-Entscheidungen. Man glaubt schnell, dass die oberste Priorität darin besteht, in jede erdenkliche Richtung zu schauen und sich am Ende für die optimalste, die 'perfekte' Lösung zu entscheiden." Eine E3-Deadline im Nacken zu haben, bedeutet diese Entscheidungen umzusetzen, anstatt an den 50 Alternativen rumzudoktern, mit denen ein Team von Kreativen ohne Zweifel ankommen kann.

"Grey Box"-Level sind ein nötiger Schritt, um komplexe Levels zu bauen | Screenshot mit freundlicher Genehmigung von Eidos Montreal

Die E3 Produktdemos ermöglichen es den Entwicklerteam selbst, ihr Spiel komplett mit Texturen, Animationen und Musik spielen—vielleicht sogar zum ersten Mal. Das bietet dem Team selbst die Gelegenheit, einen Blick in die mögliche Zukunft ihres Spiels zu werfen. Außerdem bekommen sie dadurch ein Gespür dafür, was funktioniert und was nicht. "Bis zu diesem Zeitpunkt befindet sich die Vision des Spiels verstreut über die Köpfe Hunderter Menschen", erklärt Straley. "Deadlines helfen uns dabei, diese Vision zu vereinheitlichen."

Es ist nicht nur inspirierend, zu sehen, wie sich die eigene Kreation zusammenfügt, sondern gleichzeitig eine Gelegenheit, sich an diesem Gefühl in der Öffentlichkeit zu erfreuen. So ein großer Aspekt der Spielentwicklung wird öffentlich mit einem einfachen "darüber sprechen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht" beantwortet. Die E3 und Kostproben wie Trailer-Deadlines und Beta-Versionen sind eine Gelegenheit für die Entwickler, das zu zeigen, woran sie die letzten drei Jahre gearbeitet haben. Endlich können sie darüber sprechen.

Videospiele werden nie die perfekte, zwanzigdimensionale Vision sein, die im Kopf eines Kreativen heranwuchs. Es gibt realistische Einschränkungen für das, was aus dieser Vision in eine spielbare Erfahrung übertragen werden kann. Sie sind abhängig von den Einschränkungen der Technologie und den Strukturen der Spielentwicklung. Und trotzdem hatten wir viele Gelegenheiten, Spiele zu spielen, die stellvertretend für die besten Ideen eines Studios waren—so beschnitten und zerpflückt sie auch gewesen sein mögen.

"Manchmal funktionieren unfertige Arbeiten einfach besser", sinniert Straley am anderen Ende der Leitung. "Das Schöne am Erschaffen von Kunst—jeder Form von Kunst—ist, dass sie eine Momentaufnahme eines temporären Raums, Zeit und Psyche ist. Wie ging es dir an dem Tag, als du das Bild gemalt hast? Du hast eine bestimmte Menge Licht festgehalten—eine Essenz deiner selbst ist darin eingeflossen. Hast du eher breite Striche verwendet oder sehr detailliert gearbeitet? Diese Entscheidungen, die wir als Schöpfer treffen, sind das, was Kunst so besonders macht. Ich kann mir zwei unterschiedliche Künstler anschauen und sehe zwei komplett unterschiedliche Interpretationen des gleichen Moments. Das ist die Aufgabe. Das ist die Schönheit der Aufgabe."

Es gibt so viele Perspektiven, aus denen ich diesen Artikel hätte heraus schreiben können. Zuerst hatte ich mir vorgenommen, über diese Vorstellung zu schreiben, die ich vor mehreren Monaten über die Computerspielentwicklung hatte. Mit einer bestimmten Narrative im Hinterkopf interviewte ich zehn Entwickler. Das, was es am Ende nicht in den Text geschafft hat, sind über fünftausend aufgegebene Wörter, die ihr Dasein nun in diversen Dokumenten fristen. Dieser Artikel ist das Ergebnis eines Neustarts und von acht Interviews. Und wie bei der Entwicklung eines Computerspiels brauchte ich länger, als ich ursprünglich geplant hatte.

Und auch dieser Artikel erlebte einige Veränderungen. Selbst danach hatte ich noch dutzende Ideen, mit denen ich arbeiten wollte—so viele Theorien und Gründe dafür, warum die Entwicklung von Videospielen so schwer ist. Gleichzeitig hatte ich aber nur eine bestimmte Zeitspanne, die ich meinen Lesern zumuten konnte. Das bedeutete, Kompromisse zu finden und zu entscheiden, welche Geschichten sich am besten mit den Ressourcen, die ich zur Verfügung habe, erzählen lassen. Und das gilt wirklich für jeden kreativen Prozess. Unsere Ideen werden wahrscheinlich in unseren Köpfen immer größer sein als auf dem Papier—oder dem Bildschirm.

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