Die junge begabte Jurastudentin, die ihren Freund mit einer Heroin-Überdosis umbrachte

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Die junge begabte Jurastudentin, die ihren Freund mit einer Heroin-Überdosis umbrachte

1997 veranstaltete Anu Singh eine Dinnerparty, betäubte dabei ihren Partner und injizierte ihm anschließend eine Dosis Heroin nach der anderen. Die Geschichte wird nun in einem neuen Film aufgearbeitet.

Eines der eindringlichsten Fotos von Joe Cinque und Anu Singh—nachgestellt für den Film 'Joe Cinque's Consolation' | Foto bereitgestellt von Sotiris Dounoukos

Seitdem sie von einem Gericht schuldig gesprochen wurde, weil sie 1997 ihren Freund Joe Cinque getötet hatte, hat Anu Singh nur wenige Interviews gegeben. Gegenüber news.com.au sagte sie jedoch, dass die Macher eines neuen Films über ihr rätselhaftes Verbrechen nie auf ihre Kontaktversuche reagiert hätten. Sotiris Dounoukos, der Regisseur von Joe Cinque's Consolation, behauptet allerdings, dass sie sich nie bei ihm gemeldet hat. Es handelt sich also wohl nur um eine weitere Lüge, eine weitere Halbwahrheit, ein weiteres Geheimnis auf dem Stapel, der sich gebildet hat, nachdem Singh ihren Partner Cinque in der gemeinsamen Wohnung im australischen Canberra zuerst mit Flunitrazepam außer Gefecht gesetzt und dann mit einer Heroin-Spritze nach der anderen umgebracht hat.

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Laut Helen Garners Berichten von Singhs Gerichtsverhandlung war die damals 25-jährige Jurastudentin eine Meisterin der Manipulation—privilegiert, überempfindlich und narzisstisch. Sie lud ihre Kommilitonen zu "Abschieds"-Dinnerpartys ein und informierte dabei jeden außer ihren Freund darüber, dass sie plante, sich und Cinque umzubringen. Sie zwang ihre Gäste dazu, nichts zu verraten, ihr Geld zu leihen und ihr Heroin zu verkaufen. Und als der erste Versuch fehlschlug, zog sie das Ganze einfach noch ein zweites Mal durch.

Fast zwei Jahrzehnte später steht das Thema psychische Gesundheit vermehrt im Fokus der Öffentlichkeit und deswegen wirken Garners Einschätzungen zu Anu Singh inzwischen auch sehr drastisch. Sotiris Dounoukos wählt für seinen neuen Film eine etwas sanftere Herangehensweise: Er stellt zwar immer noch die Frage nach dem Warum, konzentriert sich jedoch darauf, warum niemand die junge Frau, die offensichtlich an psychischen Problemen litt, aufgehalten hat.

Dounoukos hat damals mit Anu Singh studiert. "Ich war im gleichen Jahrgang wie sie und viele, die in Helen Garners Erzählungen vorkommen", sagt er. "Aber selbst wenn man diese Leute kennt, ist die Geschichte immer noch so extrem, dass man sich trotzdem fragt, wie das Ganze passieren konnte. Wir reden hier von der gezielten Tötung eines Menschen, der Auslöschung eines Lebens."

In Dounoukos' Film sind die Dinnergäste nicht bloß Zeugen im Gerichtssaal, sondern richtige Persönlichkeiten, die in Momenten nicht gehandelt haben, in denen ein Einschreiten nötig gewesen wäre. Aber was hätte der Regisseur, der der schrecklichen Tat so nahe war, getan, wenn er von Singh und ihrer Freundin Madhavi Rao als Gast für die morbiden Dinnerpartys ausgewählt worden wäre?

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"Ich glaube, dass Anu und Madhavi sehr gut darin waren, leicht zu kontrollierende Menschen zu finden", antwortet er. Damit spielt er darauf an, dass die beiden jungen Frauen vor allem internationale Studenten einluden—also Leute, die keine wirklich starken sozialen Verbindungen hatten. "Diese Studenten waren weit weg von zu Hause und dementsprechend auch mehr mit sich und ihrem Alltag beschäftigt. Also wollten sie mit den Problemen ihrer Mitmenschen nicht viel zu tun haben", erklärt Dounoukos.

Madhavi Rao (links) und Anu Singh in 'Joe Cinque's Consolation' | Foto: bereitgestellt von Sotiris Dounoukos

Der sogenannte Zuschauereffekt spielt bei Joe Cinques Tod eine entscheidende Rolle. Dieses psychologische Phänomen beschreibt, dass die Wahrscheinlichkeit eines Eingreifens sinkt, je mehr Augenzeugen ein Verbrechen beobachten. "Der Film setzt sich unter Anderem mit dem Unterschied zwischen bloßen Zuschauern und richtigen Zeugen auseinander", erzählt Dounoukos. "Und auch mit der Gefahr, dass die Menschen nur zuschauen und so tun, als gehen sie die Geschehnisse um sie herum nichts an."

"Diese Leute wollten an den Dinnerpartys teilnehmen und ihre innere Stimme sagte: 'Das Ganze geht mich ja nichts an.' Und dennoch trieben sie Anu an, denn sie waren quasi ihr Publikum. Für einen Narzissten ist ein Publikum überlebenswichtig." Aber selbst nach Dounoukos' Film bleibt die Frage bestehen, ob Singh ihr Verbrechen nicht auch ohne Publikum begangen hätte. Die junge Jurastudentin hatte sich nämlich eingeredet, dass ihr fürsorglicher Partner ihr das Brechmittel Ipecac verabreicht hatte. Dazu war sie noch fest davon überzeugt, an einer seltenen Krankheit zu leiden, die ihre Muskeln zerstörte. Singh erzählte ihrem Umfeld, dass sie Cinque für all das bestrafen müsste. In anderen Berichten heißt es, dass Cinque die Nase voll von der Beziehung hatte und dass diese Entscheidung bei seiner Freundin das Fass zum Überlaufen brachte.

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Erlitt sie einen schweren Nervenzusammenbruch oder wusste sie genau, was sie da tat? Sowohl Garner als auch Dounoukos kommen hier auf Singhs Notruf zurück, den sie am 26. Oktober 1997—also am Tag nach dem zweiten Tötungsversuch—gegen 12:00 Uhr tätigte, um Hilfe für ihren Freund zu holen.

"Könnten Sie bitte einen Krankenwagen vorbeischicken? … Hier hat jemand eine potenzielle Heroin-Überdosis erlitten", sagt sie. "Potenzielle Heroin-Überdosis?", fragt der Mann in der Notrufzentrale. "Nun, er kotzt viel Blut. Ist das ein schlechtes Zeichen?", will Singh wissen. Zu diesem Zeitpunkt hat sie schon den ganzen Morgen sowie die vorangegangene Nacht dabei zugesehen, wie sich Cinques Zustand immer weiter verschlechtert hatte—sein Atem war immer langsamer geworden und seine Lippen waren blau geworden. Der Notruf dauert insgesamt 20 Minuten und der Mann in der Zentrale versucht immer wieder, Singh dazu zu bringen, ihm ihre Adresse zu verraten. Das Ganze ist zu gleichem Maße Chaos und Kalkül.

Anfangs klagte man Singh noch wegen Mordes an, aber letztendlich wurde sie dann nur wegen Totschlags für schuldig gesprochen. Experten, die während der Verhandlung in den Zeugenstand traten, wiesen auf eine Borderline-Persönlichkeitsstörung hin und sprachen sich damit für eine verminderte Schuldfähigkeit aus. So sprach der Richter auch nur eine Haftstrafe von zehn Jahren aus, aber Singh wurde nach vier Jahren schon wieder freigelassen. Im Gefängnis machte sie ihren Abschluss und schrieb ihre Doktorarbeit über gewalttätige Verbrechen von Frauen. Cinques Familie hat ihr bis heute nicht verziehen.

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2004 meinte Helen Garner drei Jahre nach Singhs Freilassung in der Fernsehsendung The 7.30 Report, dass sie immer noch über die Motive rätsle. "Ich verstehe nicht, warum sie das getan hat", sagte die etablierte Autorin, die sich 1999 monatelang mit dem Fall und der Gerichtsverhandlung beschäftigt hatte. "Mitgefühl hilft in diesem Fall auch nicht wirklich weiter."

Aber auch Singh selbst fehlen beim Rückblick auf ihr Verbrechen die Worte. "Ich weiß nicht … Psychisch gesehen ging es mir damals schlecht. Diese Tatsache und das Warum machen mir immer noch zu schaffen", erzählte sie gegenüber news.com.au. "Ich habe keine Ahnung. Es gibt einfach keine schlüssige Erklärung."

Und selbst Sotiris Dounoukos ist sich nach dem Dreh seines Films nicht sicher, warum seine ehemalige Kommilitonin die Tat begangen und warum es niemand verhindert hat. Er stellt aber auch eine Sache klar: Egal welche Besserung bei Singh auch erfolgte, sie ist immer noch ein Kontrollfreak. So hat sie laut dem Regisseur auch jeden seiner Versuche geblockt, Zugang zu den Beweismitteln aus der Gerichtsverhandlung zu bekommen.

"Sie hat uns die Einsicht in jegliche Beweise verwehrt, über die sie noch verfügt. Außerdem wollte sie nicht bei Helen Garners Buch mitwirken—egal wie oft die Autorin sie auch darum bat", sagt er. "Während des Gerichtsprozesses verweigerte sie zudem noch jegliche Aussage. In den wichtigsten Momenten schwieg sie lieber."

"Sie hat Joe umgebracht. Deshalb wollten wir es all die Jahre später vermeiden, ihre eigene Version der Geschehnisse von 1997 einfließen zu lassen. Sie hatte genug Zeit, um über die ganze Sache nachzudenken. Bei meinem Film geht es jedoch nicht um ihre Gedanken, sondern nur um das, was sie damals getan hat."