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Gaystapo, reloaded

Christian S. war früher ein Nazi. Jetzt ist er einer der Angeklagten im NSU-Prozess. Und davon abgesehen ist er schwul.

Schwule haben eigentlich eine echt gute PR. Alle denken, dass wir gutverdienende, geschmackssichere, gutaussehende Stecher sind, die tendenziell eher liberal eingestellt sind. Also sind wir ja auch. Aber es geht auch anders. Christian Carsten S. ist so eine Ausnahme. Hauptsächlich ist dieser Typ allerdings eine tragische Figur. Er hat sich mit Leuten eingelassen, die nichts weniger wollen, als jemanden wie ihn genauso abzuschlachten wie ihre anderen Opfer. Immerhin ist ihm das mittlerweile klar geworden; er ist ein offizieller Aussteiger und der einzige, der bisher im NSU-Prozess ausgesagt hat. (Schön natürlich, wie Bild.de es formuliert: „Bereitwillig hat S. über sein Leben gesprochen, auch vermeintlich unangenehme Themen wie seinen Einstieg in die rechte Szene und seine Homosexualität nicht umschifft.“ Klar, schwul, Nazi ist doch alles das Gleiche. Muss einem offensichtlich beides gleich peinlich sein.) S. hat nach seinem Outing alle Brücken abgebrochen und lange für die AIDS-Hilfe gearbeitet. Sicher unangenehm, wenn man eigentlich denkt, mit der Vergangenheit abgeschlossen zu haben, und dann steht plötzlich die GSG9 vor der Tür.

Die Verbindung zwischen Nazis und Homosexualität ist zwar bizarr, aber nicht so selten, wie man denkt. Wenn du, wie jeder gute Schwule, bei Gay Romeo angemeldet bist, ist dir wahrscheinlich nicht entgangen, dass es da draußen eine ganze Menge bizarre Fetische gibt. Pisse, Scat und Furrys sind da wirklich nur die alleroberste Spitze des Eisberges. Irgendwo in der Nähe des Wasserspiegels befinden sich Skinheads und Nazi-Fetische (und bitte komm mir jetzt nicht wieder mit dieser uralten Leier, dass Skinheads keine Nazis sein müssen, blablabla. Chauvinistische Arschlöcher sind chauvinistische Arschlöcher. Punkt.). Es gibt da draußen eine Menge Leute, die darauf stehen, sich entweder genau so anzuziehen wie die Typen, die Schwule im Idealfall anpöbeln und im schlimmsten Fall mit Baseballschlägern krankenhausreif- oder totschlagen. Oder eben sich von Typen ficken zu lassen, die so aussehen. Mal ganz abgesehen von einer Menge perfiderer Fantasien, bei denen es um SS-Männer, KZs und einige andere Dinge geht, die ich mir jetzt lieber nicht genauer ausmalen will.

Aber diese ganze Leni-Riefenstahl-Ästhetik hat ja auch was. Blonde, junge, muskulöse Hünen in schneidigen Uniformen und so. Katharine Burdekin hat schon 1937 die Homophilie des deutschen Faschismus in Nacht der braunen Schatten auf den Punkt gebracht. 700 Jahre nach der Machtergreifung Hitlers sind Frauen nur noch kahlgeschorene Gebärmaschinen, während wahre Liebe nur noch unter strammen Nazi-Männern denkbar ist.

Vermutlich wäre das eine ideale Welt gewesen für Michael Kühnen, der einer der wichtigsten Neonazis in West-Deutschland war und in der schönen Tradition von Ernst Röhm, nach seinem Outing 1986 schrieb, dass Männer ihren sexuellen „Überschuss“, den sie nicht zur Fortpflanzung benutzen doch idealerweise in „sexuelle[n] Beziehung[en] zu anderen Männern oder geschlechtsreifen Knaben“ abbauen könnten. HIV und AIDS sind vermutlich das Schlimmste, was den Schwulen dieser Welt jemals passiert ist, und man sollte um jedes einzelne Opfer trauern, aber Kühnen sei nach seinem AIDS-Tod 1991 ein ganz besonderer Platz in der Hölle gegönnt.