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Interviews

„Wenn du Haltung zeigst, begibst du dich auf dünnes Eis“—Ok Kid im Interview

Viel zu viele „gute Menschen“ wählen zurzeit die AfD. Wir haben uns mit Ok Kid getroffen, um über Ängste und eine klare Haltung zu sprechen.

Voriges Jahr, Mitte Oktober hatten sich Ok Kid zurückgemeldet. Nicht mit einem aufs Chartradio getrimmten Ohrwurm, sondern mit einem Song, der unangenehm zwiespältige Gefühle bereitete. Einerseits entspannte Karibik, andererseits bissige Gesellschaftskritik. Ja, „Gute Menschen“ war eine verstörend treffende Reflexion der Doppelmoral, die sich dank Pegida und Co. in großen Teilen der Bevölkerung lautstark entfaltete und bis heute gepflegt wird.

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Ok Kid ließen dem Song und vor allem dem schmerzhaften Video genügend Zeit, um verarbeitet zu werden. Erst gut vier Monate später kam mit „Bombay Calling“ die zweite Single, erst dann lief die Promophase für das zweite Album Zwei wirklich an. Diesmal ging es weniger politisch, dafür aber wesentlich Gin-niger zu. Und trotzdem, die erste Single blieb beim täglichen Blick in Newsfeeds und soziale Netzwerke oder bei Gesprächen mit Bekannten im Kopf. Dann sorgten erst die zweistelligen AfD-Wahlerergebnisse bei den Landtagswahlen in Ok Kids Heimatbundesland Hessen für schlechte Laune bei den gebürtigen Gießenern, wenig später zeigten noch die Wahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und vor allem Sachsen-Anhalt, dass es in Deutschland viel zu viele „gute Menschen“ zu geben scheint.

Wir haben uns mit Ok Kid getroffen, um mit Jonas, Moritz und Raffi über „Gute Menschen“, Ängste und Haltung zu reden.

Noisey: Die erste Single zum Album Zwei war „Gute Menschen“, was eine ziemlich deutliche Haltung zeigt. Warum seid ihr gerade mit dem Video als erstes rausgegangen?
Jonas: Der Song ist gar nicht auf die aktuelle Flüchtlingsthematik angewendet, den Song haben wir vor einem Jahr schon fertig getextet—bis auf die eine Roberto-Blanco-Zeile. Jetzt vor einem Jahr war diese Flüchtlingsproblematik noch gar kein großes Thema. Der Impuls für den Song war eher Pegida-geleitet. Es ging darum darzustellen, mit welchen abstrusen Argumentationsmustern Leute andere von ihrer chauvinistischen Weltanschauung überzeugen wollen. Wir fanden es extrem, wie Leute ganz klar rechts oder homophob sind, das aber argumentativ so umwandeln, das sie gut dastehen. Dann wurde das Thema so groß und wir fanden eh, dass das ein guter Track wäre, um damit rauszugehen. Wir wollten aber nicht, dass wir auf das Thema aufmerksam machen und unten steht dann „Ordere jetzt die funky Deluxe-Box“. Einfach den Song für sich stehenlassen und dann war es auch schnell wieder relativ ruhig bei Facebook.

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Also habt ihr den Song nur wegen Pegida geschrieben, oder auch aufgrund persönlicher Erfahrungen aus dem Umfeld?
Generell, wie Diskussionen geführt worden sind. Das war ja nicht nur Pegida, sondern auch Künstler wie Xavier Naidoo … Generell wie über manche Themen geredet wurde, war ekelhaft.
Raffi: Vielleicht nicht im direkten Umfeld, aber man hat gemerkt, dass dieses „Ja, aber“-Ding hochkam. Das war so ein 2015er Ding: „Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber das kann ja nicht sein, dass…“ Da wurden ganz platte Meinungen von Leuten kundgetan, von denen man das nicht gedacht hätte.
Moritz: Pegida war der Katalysator für die ganzen Leute.

Ja, auf einmal haben sich viele Leute getraut, Sachen offen auszusprechen, die schon lange in ihn schlummerten. Aber wie geht ihr damit um, wenn plötzlich eure eigenen Familienmitglieder solche Sachen sagen?
Jonas: Wir haben das Glück, das wir das nicht haben. Wir leben in einer Zeit, wo sich Meinungen so extrem spaltet wie noch nie zuvor. Die AfD hatte letzte Woche 12% oder so gehabt. Finde ich erschreckend. Unsere Leute, unsere Eltern sind zum Glück alle auf der „guten“ Seite. Trotzdem merkt man, wie eine große Angst herrscht—auch nach der Silvesternacht in Köln. Jeder fühlt sich unsicher und wenn man in solchen unsicheren Zeiten auch noch mit der Angst spielt, dann lassen sich einige Leute manipulieren. Das ist schlimm.

Ihr habt den Song vor gut einem Jahr geschrieben. Wie hat sich das gesamtgesellschaftliche Bild seitdem verändert?
Jonas: Leider, leider, leider nicht viel. Das war eine andere Thematik, aber die Gedankenmuster, die man damals erahnt hat—Angst vor Islamisierung, vor Anschlägen, dass immer mehr Terroristen nach Europa kommen. Jetzt heißt es auf einmal: Wir schaffen das nicht, wir haben viel zu viele Flüchtlinge. Wenn man Lust hat, findet man immer wieder neue Gründe, um solche Haltungen einzunehmen. Es ist echt schade, dass man so viele Sachen auf diesem Niveau diskutieren muss.

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Seht ihr euch oft diese Reportagen an, wo Teilnehmer von Pegida- oder AfD-Demos befragt werden?
Jonas: Letztes Jahr habe ich mir sogar so einen Pegida-Livestream angeschaut. Um zu sehen, was da eigentlich abgeht und was die eigentlich aussagen. Ich habe mir gedacht: Wenn du jetzt schon jemanden kritisierst, musst du dir das auch reinziehen. Das ist der größte, hohle Scheiß … Das sind genau die gleichen populistischen Themen, mit einer Rhetorik … So richtig Rattenfänger-mäßig.
Raffi: Wir in Köln sind wie ihr hier in Berlin an dieses Multikulti-Ding gewöhnt. Da ist das eben ganz normal. Aber es gibt nunmal einen großen Teil von Deutschland, wo das nicht so ist. Dort sind genau die Leute, die vor sowas Angst haben. Ich habe mit Leuten gesprochen, die im Vorort von Rostock wohnen, die kamen nicht auf das Stadtbild von Köln klar. Die hatten mega Schiss vor Ausländern, obwohl sie nie mit Ausländern zu tun hatten. Von solchen Leuten gibt es viele, die gar nicht mit einer alltäglichen Problematik etwas zu tun haben, sondern nur darüber lesen und sich so eine Meinung zusammenzimmern—die total für den Arsch ist.
Jonas: Da muss man aufpassen, Leute, die Angst haben, pauschal als „Nazis“ zu beschimpfen. Weil dann fühlen sie sich noch mehr in eine Ecke reingedrängt und genau das ist das Auffangbecken für AfD-Leute. Man muss die Ängste ernst nehmen und mit denen reden, damit sie positive Erfahrungen machen.
Moritz: So Unsicherheiten sind ja auch nicht schlimm. Es sind ja große Herausforderungen, die da auf uns zukommen. Ich habe keine Unsicherheit, aber ich kann verstehen, dass Leute verunsichert sind und Ängste vor dem Unbekannten haben.

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Früher gab es die Vorstellung, dass man immer miteinander reden kann. Jetzt baut sich jeder seine Blase und es ist schwierig, zu argumentieren. Seht ihr da eure Musik oder ein Song wie „Gute Menschen“ als Brücke, einen Dialog wieder anzustoßen?
Jonas: Was „Gute Menschen“ bezwecken sollte, war, dass es Leute entlarvt, die so handeln wie die Leute in dem Video und dem Song. Dass man vielleicht sich selbst darin erkennt und sein Handeln hinterfragt—inwiefern das gradlinig ist oder voller Widersprüche. Es spielt mit Klischees, aber Ironie funktioniert auch nicht anders. Hätten wir die Klischees weggelassen, hätte man den Song auch misinterpretieren können.

Wenn der Song etwas sollte, dann garantiert, dass man Sachen ausspricht und darüber redet. Wir wollten damit keine Leute an den Pranger stellen. Als „gute Menschen“, wie wir sie darstellen, wird sich eh keiner selbst sehen. Das ist das Gleiche wie mit Hipstern und Assis: Das sind immer die anderen. Deswegen ist auch der rechte Mob, von dem wir dachten, dass wir es jetzt volle Breitseite abbekommen, völlig ausgeblieben. Weil sich keiner so sieht, wie wir die Menschen in dem Video und Song beschreiben.

Stimmt, es gab in den Kommentaren recht wenig Kritik.
Moritz: Es ist halt eher ein Song, um unsere Meinung zu sagen und nicht, um die Welt zu verbessern.

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Was für ne Scheiß News aus unserer Heimat am Sonntagabend!Ca. 16% für die AFD bei der Wahl in Giessen ?!?Traurig zu…

Posted by

OK KID

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Sunday, March 6, 2016

Mit dem Song habt ihr Haltung gezeigt, das war ja schon ein Statement nach außen. Vermisst ihr das bei anderen Künstlern? Fehlt euch das allgemein in der Musik oder hat das einfach nichts im Radio zu suchen?
Jonas: Zeig Haltung, wenn du Haltung zeigen willst. Ich würde niemanden verurteilen, der das nicht macht. Denn natürlich: Wenn du Haltung zeigst, begibst du dich auf dünnes Eis. Du machst dich dadurch angreifbar und ich kann nachvollziehen, wenn Leute darauf keinen Bock haben. Du musst ja nicht automatisch politische Songs schreiben, um etwas zum Positiven zu verändern. man kann auch eine EDM-Spaßmach-Hymne schreiben und Leute, denen es schlecht geht, haben eine gute Zeit. Ich feiere das, wenn Leute den Mut haben, würde aber nie jemanden in die Verantwortung ziehen. Oft geht es dann, wenn Künstler meinen, sie müssten mal einen politischen Song schreiben, in die Hose.
Raffi: Es gibt Bands, die unterstellen ihre Musik ihrer politischen Identität. Ich war früher voll der große Rage Against The Machine-Fan, bin es immer noch. Die leben das. Oder Feine Sahne Fischfilet. Ich bin nicht der super Fan ihrer Mucke, aber die setzen einfach ein hartes Statement für ihre politische Richtung. Bei denen finde ich das dann geil. Aber wenn jetzt Popstar XY kommt und auch mal eine Strophe von wegen „Wir müssen Flüchtlingen helfen“ droppt, ist das ultra behindert. Dann hat das gar nicht den Gedanken eines politisches Statements, sondern man merkt, dass da ein anderes Interesse dahintersteht. Da glaube ich auch nicht, dass das irgendwas bringt. Das nimmt niemand ernst und schreckt eher Leute ab, sich damit auseinanderzusetzen.

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So wie der deutsche Band-Aid-Song?
Jonas: Auch wenn man es hated, trotzdem wurde irgendwas getan, damit Geld eingespielt wird. Leute kaufen den Song und dadurch hat man Geld, was man spenden kann. Die Qualität ist für den Arsch, aber trotzdem … Das ist ein schwieriges Thema.
Raffi: Das ist ja Charity, aber so politische Statements, um sich besser zu verkaufen—das gibt es ja ganz viel. Und das ist auf jeden Fall ziemlich whack.

Zwei erscheint am 08. April. Du kannst es bei Amazon oder iTunes kaufen.

Julius ist auch bei Twitter: @BackToSchoolius

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