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Lily Allens rassistischer Feminismus-Ansatz

Weiße Künstler sollten damit aufhören, die Statussymbole des Raps dazu zu benutzen, ihr selbstgefälliges „Anti-Konsumdenken“ herauszustellen. Das gilt für Lily Allen genau wie Macklemore oder Lorde.

Wenn man bedenkt, wie viele Frauen in den letzten Jahren nur aufgrund ihres kindlichen Sprechgesangs einen Plattendeal bekommen haben, ist es beeindruckend, sich vor Augen zu führen, dass Lily Allens Alright, Still schon 2006 ihr Debüt feierte. Danach kam ein zweites Album und eine lange Pause. Das Ende dieser Auszeit bildet nun eine neue Single mit passendem Video, das sich mit Allens Image-Problemen auseinandersetzt, indem sie diese einfach auf farbige Menschen projiziert. Natürlich wird das als „vernichtende Kritik an der Frauenfeindlichkeit“ gepriesen.

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„Hard Out Here“ beginnt damit, dass Allen auf einem OP-Tisch liegt und eine Fettabsaugung bekommt, während ihr Manager sie blöd von der Seite anmacht. Es ist ein sehr persönliches Bild—Allen hat seit Jahren mit den böswilligen Spekulationen der britischen Boulevard-Presse über ihren Körper der zu kämpfen. Im Mai 2007 postete sie eine tränenreiche Nachricht auf ihrer Myspace Seite:

„Ich war mal stolz auf meine geistige Stärke und darauf, dass ich kein dummes Mädchen bin, das von ihrem Aussehen besessen ist. Ich war der Meinung, dass es egal ist, dass ich ein wenig chubby bin, schließlich bin ich kein Model, sondern eine Sängerin. Ich glaube, ich bin doch nicht so stark und der bösen Maschinerie zum Opfer gefallen. Ich schreibe euch aus einem Meer der Tränen, aus einem Bett in einem Hotelzimmer in Seattle. Die letzten Stunden habe ich damit verbracht, nach Magenverkleinerungen und Fettabsaugungen zu suchen.“

Etwas später wurde aus ihrer Kleidergröße 40 eine 34. Die Schlagzeilen dokumentierten ihr angespanntes Verhältnis zu ihrem Körper, von „Ich kümmere mich um Gewichtzunahme“ im Jahr 2001 bis hin zu „Ich habe eine dysmorphe Störung“ ein paar Monate danach.

Allens erster Solo-Single seit 2009 gelingt es nun, nicht nur Rapper, sondern auch schwarze Frauen als Sündenbock für all die Unsicherheiten hinzustellen, mit denen sie ihre ganze Karriere über zu kämpfen hatte. Der Song beginnt damit, dass sie sich über das lustig macht, was wie ein Rap-Video aussehen soll: schwarze Frauen in Shorts. Dann beginnt sie : „You'll find me in the studio and not in the kitchen / I won’t be bragging ’bout my cars or talking ’bout my chains.” Die in einem Elite-Internat ausgebildete Tochter eines reichen Schauspielers und Film-Produzenten findet solch offenkundigen Konsum widerlich.

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Von Lorde bis hin zu Macklemore—momentan gibt es diese Stimmung, die in ihrer Popularität unangenehm ist: Weiße Künstler sollten damit aufhören, die Statussymbole des Raps dazu zu benutzen, ihr selbstgefälliges „Anti-Konsumdenken“ herauszustellen. Der Punkt, den Allen verfehlt, während sie Felgen in einer Küche schrubbt, die mit Champagnerflaschen dekoriert ist, ist doch, dass es nicht um Anti-Konsumdenken handelt, wenn man nur auf eine bestimmte Gruppe der Konsumenten abzielt.

Rap hat eine einzigartige Geschichte im Vertonen des finanziellen Erfolgs in einem Land, das die schwarze Bevölkerung lange von diesem Erfolg ausgegrenzt hat. Diese Geschichte sollte nicht von weißen Künstlern als Gelegenheit genutzt werden, ihre Überlegenheit herauszustellen. Neben schlechtem Geschmack ist es schlichte Ignoranz eines latenten Rassismus, der sich mehr über Goldketten von Rappern echauffiert, als über die Armani-Krawatten von Hedge-Fonds-Analysten.

Gleichzeitig wird Lily Allens Antwort auf eine sexistische Industrie, die nach Schlankheit verlangt, ineffektiv, wenn sie sich gleichzeitig gegen Frauen richtet, die erfolgreich sind, ohne diesen Zwängen gerecht zu werden. Allen kritisiert nicht die Welt von Robert Thickes „Blurred Lines“ und Miley Cyrus, sondern beklagt verärgert, dass sie nicht gleichermaßen erfolgreich ist.

„Hard Out Here“ ist das Gegenteil der Mileywave. Anstatt schwarze Frauen als Requisite zu benutzen um die eigene Karriere zu beflügeln, beschuldigt Allen eben diese für deren Stillstand. In langärmligen Kleidern stellt Allen ihre Unfähigkeit zu Twerken dar, umgeben von farbigen Frauen, die enge Bodys tragen und ausgefeilte Tanzschritte zeigen, an ihren Fingern lutschen und sich im Schritt reiben. Ihr betagter, weißer Manager versucht diese Tanzschritte nachzuahmen, während Lily Allen singt: „Don’t need to shake my ass for you / ‘Cause I’ve got a brain.” Dazu werden schwarze Frauen beim Arschwackeln geschnitten—so viel zur schwesterhaften Solidarität.

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Das Fest sieht aus wie eine abgedroschener HipHop-Video-Abklatsch, von jemandem, der noch nicht viele HipHop-Videos gesehen hat. Allen schafft es nicht, die institutionalisierte Frauenfeindlichkeit auf einen Look herunterzubrechen. Die nicht-weißen Frauen in Allens Video verhalten sich wie entmenschlichte Vertreter des Patriacharts—unter der Annahme, dass sie weder Hirn noch Mittel besitzen—und Lily Allen straft sie zum Dank mit all ihrer Missachtung ab.

Während Rihanna Strip-Club-Hymnen veröffentlicht, die den weiblichen Blick ins Zentrum stellen und Nicki Minaj regelmäßig die Doppelmoral des Sexismus in der Musikindustrie ausnutzt, ist Allens bockige Moralbotschaft sowohl anachronistisch als auch rassistisch.

In einem Twitlonger Artikel, geht Allen auf die rassistischen Anschuldigungen ein, indem sie dem Kern einfach aus dem Weg geht:

„Das Video soll eine leichtherzige Satire sein, die sich mit der Versachlichung von Frauen in der modernen Popkultur auseinandersetzt. Es hat überhaupt nichts mit Rassismus zu tun… Wenn ich etwas mutiger gewesen wäre, hätte ich mir auch einen Bikini angezogen… Was ich sagen will ist, dass die Tatsache, dass ich so hochgeschlossen bekleidet bin, mehr mit meiner eigenen Unsicherheit zu tun hat und ich mich am Tag des Shoots einfach so wohl wie möglich fühlen wollte.“

Die Welt wäre sicher ein besserer Ort, wenn die Intention die Wirkung bestimmen würde. Das tut sie aber nicht, und Allens Fähigkeit, Hautfarben komplett zu ignorieren, überblendet nicht die vielen rassistischen Konnotationen. Allens Video benutzt schwarze Körper als Aggressoren ihrer eigenen Unsicherheit, indem sie dort als Masse von Körperlichkeiten zusammengefasst werden, die Allen nicht nachahmen kann, und deswegen auch als lächerlich empfindet. Der Song soll eine feministische Spitze sein und wurde auch als solche von Lena Dunham unterschrieben, die ihn akkuraterweise als „eine pure Rap-Game-Parodie“ interpretiert. Indem sie Rap macht und seine offensichtlichsten Teilnehmer zum leuchtenden Buhmann des sozialen Übels der Vereinigten Staaten erhebt, spricht sie das institutionelle Patriarchat frei.

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Das ist der Grund, weshalb farbige Feministinnen weiterhin mit den Augen in Richtung weißer Frauen rollen. Es ist nicht feministisch, sich über talentierte, farbige Tänzer lustig zu machen, die etwas drauf haben, das Allen nicht kann. Es ist nicht feministisch zu behaupten, dass Frauen, die kochen und provokativ tanzen genauso schädlich sind, wie Manager die einen anschreien, dass man abnehmen soll. Es ist nicht feministisch in einer Welt, die sich nun mal nach Hautfarben richtet, eine glücklicher Farbenblinder zu sein.

So lange die Ermächtigung weißer Frauen die Erniedrigung aller anderen bedeutet, ist dieser „Feminismus“ nur eine andere Bezeichnung für die weiße Vormachtstellung. Lily Allen bestätigt, „diese Glasdecke wird einbrechen“, und ihr Video deutet an, dass sie allein auf der anderen Seite stehen will.

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