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Dan Deacon sucht den Sinn des Lebens

Und beginnt seine Suche bei sich selbst und seiner Heimat: Amerika!

Dan Deacon denkt momentan viel über den Sinn nach. Den Sinn hinter dem ständigen Konsum, den Sinn hinter nationalen Identitäten, den Sinn hinter Heimatgefühlen. Kurz: Dan Deacon sucht den Sinn des Lebens. Weil man bei so einer Suche bekanntermaßen bei sich selbst anfangen muss, hat der Musiker sich zuletzt ausgiebig mit seiner Herkunft (Baltimore!) und seiner Rolle in der Welt als Amerikaner beschäftigt. Bei diesem ersten Teil der Sinnsuche ist das Album „America" entstanden, ein opulentes Werk, auf dem Dan Deacon versucht, durch die Betrachtung seiner Heimat zu sich selbst zu finden. Grund genug für mich, ihn genau darauf anzusprechen.

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Noisey: Herzlichen Glückwunsch nachträglich zum Geburtstag.
Dan Deacon: Herzlichen Dank!

Es ist mir gleich aufgefallen, weil wir am selben Tag Geburtstag haben.
Oh, dann herzlichen Glückwunsch.

Danke.
Es ist der beste Tag.

Möglich. Johann Wolfgang von Goethe wurde auch an diesem Tag geboren. Ich weiß nicht, wie man seinen Namen auf Englisch ausspricht. Kennst du Goethe?
Ich glaube, ich weiß, wen du meinst.

Er ist Dichter. Vermutlich der berühmteste Deutsche aller Zeiten.
Oh, es gibt eine Menge sehr berühmter Deutscher.

Wen meinst du?
Ach, keine Ahnung. Ich denke, wenn Leute über berühmte Deutsche nachdenken, denken sie in erster Linie an …

Hitler?
(lacht) Ja, wahrscheinlich. Nein ich dachte eher an Bach, Beethoven, es gibt eine ganze Gruppe berühmter Komponisten. Aber ich schätze viele der alten Komponisten, die ich kenne, sind gar nicht deutsch, sondern Österreicher. Mozart?

Mozart war Österreicher.
Aber Wagner! (lacht)

Und schon wieder reden wir über Hitler. Anderes Thema: Ich habe auf deiner Homepage ein Statement von dir gelesen, in dem du beschreibst, wie es für dich ist, als Amerikaner in Europa zu sein. Und ich konnte deine Gefühle gut nachvollziehen, nur genau andersherum: Ich habe mich nie so deutsch gefühlt wie in Amerika. Woher kommt dieses Gefühl?
Du verlässt deine Umgebung, du verlässt deine Kultur und kaum dass du in dieser anderen Kultur bist, bemerkst du, wie wenig du dorthin gehörst. Es sind die kleinen Dinge, die vollkommen anders sind. Heimweh spielt eine sehr große Rolle, sogar wenn du deine Heimat hasst. Es gibt keine Möglichkeit, ihr zu entkommen. Ich glaube, dass das der wichtigste Grund ist, warum Leute so an ihrem Land hängen. Es ist ganz einfach: Ich habe nie realisiert, wie amerikanisch ich bin, weil ich Amerika nie verlassen hatte. Ich war immer umgeben von Amerikanern. Die Leute wirkten anders, weil ich anders war. Aber sobald ich außerhalb vom Amerika war, gab es viel weniger Menschen wie mich. Weißt du, was ich meine?

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Ja. Solange du in deiner normalen Umgebung bist, siehst du nur die Unterschiede zu deinen Mitmenschen. Wenn du in einem anderen Land bist, fallen dir plötzlich die vielen Ähnlichkeiten zu anderen Amerikanern auf.
Es ist wie mit dem eigenen Körpergeruch! Du nimmst ihn selbst nicht wahr, aber wenn du frisch geduscht bist und an deinen alten Klamotten riechst, denkst du „So habe ich gerochen!?" (lacht)

Bäh.
Wirklich eklig, haha.

Hattest du wo etwas wie ein amerikanisches Erweckungserlebnis?
Ich war in Irland und unterhielt mich mit ein paar irischen Freunden. Ich sagte, „Ich bin auch Ire, meine Vorfahren kommen aus Irland". Und sie fragten, woher genau meine Familie kommt und ich wusste es nicht. Dann fragten sie, wann meine Vorfahren ausgewandert sind und auch das konnte ich nicht sagen. Vor ein paar hundert Jahren, keine Ahnung … Und sie sagten: „Weißt du, Dan, du bist überhaupt nicht irisch." Und ich sagte: „Wahrscheinlich habt ihr Recht, ich schätze, ich bin einfach Amerikaner." In diesem Moment verstand ich, dass meine Wurzeln nirgendwo sonst liegen, außer in Amerika.

War das schwer für dich?
Weißt du, was schlimmer ist? In einer Gruppe von Menschen, werde ich sofort als Amerikaner erkannt. Ich dachte immer, ich sähe nicht sehr amerikanisch aus. In den USA schauen mich die Leute komisch an, weil ich einen bestimmten Style habe, bestimmte Kleidung trage … aber hier ist es ein komisches Gefühl. Ich fragte mich ständig, „Gott, warum wissen es alle?"

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Wenn du als Deutscher in Amerika bist, kommen ständig Menschen auf dich zu und erklären dir, dass sie auch Deutsche sind. Weil ihr Ur-Ur-Ur-Ur-Großvater irgendwann mal ausgewandert ist.
Ja, niemand möchte Amerikaner sein. Wir wollen alle etwas anderes sein.

Warum?
Ich weiß es nicht. (lacht) Weil wir scheiße sind, haha. Ich glaube, es ist einfach Teil unserer Geschichte. Wir legen immer noch Wert darauf, wo wir hergekommen sind. Das Bild von Amerika als Melting Pot der Kulturen bleibt sehr stark verankert, das konstante Aufeinanderprallen, Austauschen und Vermischen unterschiedlicher Kulturen. So passiert es, dass Afro-Amerikanische Kultur und Weiße Amerikanische Kultur bei allen deutlichen Unterschieden zum selben Kulturkreis gehören. Aber trotzdem identifizieren sich die Leute lieber mit ihrer unterschiedlichen Herkunft. Das ist Grundlage Amerikas: das es eben nicht eine Kultur ist, sondern eine Zusammenkunft verschiedener Kulturen, eine Kulturenfabrik.

Eigentlich ist das doch toll, oder?
Aber jeder hasst es. Weil eben jeder so viel Wert auf die eigene Herkunft legt. Und die Leute versuchen jeweils das in Amerika zu sehen, was sie selbst ausmacht. Oder im Gegenteil: Die Leute sehen genau das in Amerika, was sie nicht sind. Das gilt vor allem für Jugendliche oder Minderheiten.

Was siehst du in Amerika?
Ich finde, dass genau diese Mischung Amerika ausmacht, wir sind alle Amerika! Keiner von uns glaubte anfangs an dieselben Dinge, niemand hatte in derselben Umgebung gelebt und dann wurden wir alle in diesem einen verrückten, bekackten Land vereint.

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Dieser Melting Pot ist ja auch, was Amerika vom ersten Tag an sein wollte. Und bis heute auch ist.
Einhundert Prozent, absolut. Aber es wurde damit nie glücklich. (lacht) Die erste Generation der Einwanderer hasste die zweite Generation und andersherum. Unter dieser Verkleidung des „Ihr seid alle willkommen" haben sich die Menschen schon immer gehasst. Aber es ändert sich täglich zum Besseren oder zum Schlechteren. Es ist wie ein verrücktes Experiment - das gibt es nirgendwo sonst!

Als du damals in Irland dieses amerikanische Erweckungserlebnis hattest, wie hast du dich gefühlt?
Weird. Das war wirklich ein komisches Gefühl. Aber ich hatte auch Heimweh. Ich war vorher nie außerhalb Amerikas gewesen und ich war allein und es war mein Geburtstag. Ich weiß auch nicht … Es war ein verrücktes Jahr für mich, das Jahr, in dem ich erstmals einigermaßen bekannt wurde und nicht mehr nur vor 50, sondern plötzlich vor hunderten von Leuten spielte. Und noch dazu in fremden Ländern, wo ich die Leute nicht verstehe. Erstmals in meinem Leben war ich der Außenseiter. Das Lustige ist, dass ich mich auch in Amerika immer als Außenseiter gesehen habe. Aber dieses Mal war ich wirklich ein Außenseiter. Als ich dann nach Hause geflogen bin und das erste Mal eine amerikanische Flagge gesehen habe, dachte ich: „Ich kann nicht glauben, dass ich mich freue, diese Flagge zu sehen. Crazy. Ich habe diese Flagge immer gehasst!"

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Kommt dieses Gefühl, ein Außenseiter zu sein, aus deinem Inneren? Oder wird dir das von den Menschen um dich herum vermittelt?
Wahrscheinlich ist es ein bisschen von beidem. Aber es gibt eine Menge negativer Stigmata bezogen auf Amerikaner. Eine Menge Menschen mögen Amerikaner nicht. Als ich das erste Mal in Südamerika war, fing dieses Mädchen an, mich anzuschreien. Sie schimpfte auf Bush und den Krieg, und ich sagte: „Ich stimme dir zu." Und sie rief: „Fick dich, du Scheiß-Amerikaner!" Und ich sagte: „Du bist rassistisch. Du hasst mich, wegen meiner Herkunft, auch wenn ich nichts mit diesen Dingen zu tun habe, die du eigentlich hasst. Sonder aktiv dagegen demonstriere." Mir wurde dabei klar, wie einfach es ist, Amerikaner offen zu hassen. Aber das, was die Menschen hassen, kommt von amerikanischen Unternehmen. Oder von der Regierung. Alle definieren Amerika über die Armee und die Unternehmen.

Weil sie die Welt beherrschen.
Ja! Sie sind unfassbar aufdringlich und sie durchdringen alle anderen Kulturen. Deswegen haben alle dieses negative Bild von Amerika. Aber für mich ist das nicht wahr. Insbesondere nicht in der Zeit, als ich länger in Europa war und dort DIY-Style und fern von jeden Konsumismus gelebt habe—und noch immer von allen als der typische Amerikaner gesehen wurde. Da entstanden ein paar innere Dialoge, die zu den meisten Ideen auf diesem Album geführt haben.

Wie ist dieses Konzeptalbum letztlich entstanden?
Ich weiß es selbst nicht. Ich habe die Punkte verbunden, und, weißt du, ich hatte nicht von Anfang an ein festes Konzept vor Augen. Dieses Konzept oder eher die Stützpfeiler entwickelten sich ganz natürlich. Als ich die Songs schrieb, bemerkte ich zunehmend, dass es da ein festes Thema, einen roten Faden gab. Und ich bemerkte, dass dies der Fall war, weil ich mich gedanklich sehr mit diesem Thema beschäftigte: Diese Konflikte, denen ich ausgesetzt bin, weil ich in diesem System lebe. Wie kann ich es verändern? Wie kann ich meine eigenes Leben verändern? Welche Möglichkeiten habe ich? (Dan zeigt auf den Tisch vor uns, darauf eine Obstschüssel mit Weintrauben und eine Teller mit Keksen.) Ich habe dieses Bild schon häufiger verwendet, aber die grundsätzliche Frage ist für mich: Warum esse ich noch immer die Cookies und nicht die Trauben? Ich will die Trauben essen, ich weiß, dass die Trauben gesund sind, dass ich mich besser fühle, wenn ich sie esse. Aber die Cookies schmecken so geil.

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Haha, ja!
Verstehst du, was ich meine? (lacht) Das ist dieses riesige Problem unserer Kultur. Wir haben immer Bock auf die leckeren Cookies. DABEI SCHMECKEN DIE TRAUBEN NOCH NICHT MAL SCHLECHT, SIE SCHMECKEN SUPER!

Ja, Trauben sind sehr lecker.
ABER ES SIND EBEN KEINE COOKIES! (lacht) Trauben sind sooo lecker, aber Scheiße, Mann, COOKIES! Ich glaube nicht, dass das nur ein amerikanisches Problem ist.

Auf keinen Fall.
Es ist wahrscheinlich ein kapitalistisches Problem. Und Amerika ist das Las Vegas des Kapitalismus.

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Dan Deacons America ist bei Domino Records erschienen.