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Die moderne Metalszene—Frauenfeindlichkeit im Auto-Tune-Gewand

Während sich die Empörung auf jegliche Entgleisungen von Rappern entlädt, singt die neue Generation der Metalcore-Liga unbeschadet ihre frauenfeindlichen Texte.

Im Juni postete die englische Band The Hell einen offenen Brief auf ihrer Facebook-Seite, in dem sie sich von den frauenfeindlichen Texten ihres 2013 erschienenen Albums distanzierten. Bei der Produktion der Songtexte seien damals einfach zu unüberschaubar viele „Idioten“ involviert gewesen, als dass sich ernsthaft Gedanken um die transportierten Inhalte gemacht wurde. Die aktuellen Sänger hätten diese Songs auch bei keinen ihrer Auftritte mit den originalen Lyrics performt.

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The Hell ist eine noch junge Band aus dem Metalcore. Dass sich eine Band aus diesem Genre für ihre Texte entschuldigt ist so unüblich, wie keinen Breakdown nach einer Pop-Hook folgen zu lassen. Eben weil es ein Kernelement dieser Spielart ist, brutale Geschichten zu erzählen, soziale Missstände in sadistische Gewaltfantasien einzubetten oder kitschig über eine verflossene Liebe zu jammern. Manchmal waten die Texte bis zu den Knien in Blut, doch auch diese Freiheit trifft irgendwann auf ihre Grenzen.

Denn The Hell ließen die Gelegenheit nicht ungenutzt und schossen in ihrer Entschuldigung gleich in Richtung Emmure und Attila, sowie den Großteil der US- und UK-Metalcore-Szene. Bereits vor einem Jahr hatten sich The Hell in einem offenen Brief sehr capslockig darüber beschwert, dass so viele Genre-Kollegen ihre T-Shirts an „Zehn-bis Zwölfjährige, die wie eine verflucht frauenfeindliche Version von Adventure Time aussehen“, verkaufen würden. Wenn man sich manche T-Shirt-Designs der Bands Asking Alexandria, Attila, Emmure oder auch I Declare War anschaut, kann tatsächlich der Eindruck entstehen, diese Bands hätten ein tiefergehendes Problem mit Frauen. Ihre Fans sehen mit dem Spruch „I will find your fucking bitch and fuck her right in front of you“ auf jeden Fall nicht besser aus als der Typ im „Eat, Sleep, Rape, Repeat“-Shirt.

Es ist schon eigenartig, dass erst eine Band aus der Szene die Diskussion um Frauenfeindlichkeit im Metal anstößt, die sonst nur auf vereinzelten Blogs geführt wird. Angenommen, ein Rapper würde mit Lines wie „Slipping a rope around your throat / Makes me laugh as you choke […] With this broken bottle I rape“ (Six Feet Under) um sich schmeißen; Sittenwächter würden wild wichsend vor dem boshaften Einfluss dieses Psychopaten warnen. Aber nicht doch, das sind ja nur Six Feet Under. Worüber zum Teufel willst du denn sonst bestialisch grunzen, wenn nicht über die Abgründe des Menschseins? Die Hysterie, die diese Band vielleicht am Anfang ihres Schaffens auslöste, hat sich längst in Akzeptanz durch den Rock-Mainstream gewandelt. Was für eine aufgeklärte und nicht für eine durch Metal verdorbene Gesellschaft spricht. Eine Gesellschaft, die sich weiterentwickelt hat, in der sich Frauen immer mehr Rechte erkämpft haben, in der Erinnerungen an Songs wie „It’s so easy“ („Turn around, bitch, I’ve got a use for you / Besides, you ain’t got nothing better to do, and I’m bored”) von Guns N’Roses nur noch ein „War halt eine andere Zeit“-Schulterzucken provozieren.

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Umso verwunderlicher, dass solche lyrischen Auswüchse bis in die „emanzipierte“ Neuzeit nachhallen und sich in den Songtexten der neuen Generation an Metalbands wiederfinden. Denn natürlich bleibt es nicht bei den—nun ja, die Bezeichnung „frauenfeindlich“ passt schon ganz gut—Designs, auch in den Songs sorgen die relativ jungen Metalcorer für eine gerunzelte Stirn. Asking Alexandria, eine unverschämt erfolgreiche Band, die durch ihren Zuckerwatte-Pop-Mosh-Gewichse vor allem ein Teenie-Publikum ansprechen, schildern in „Not The American Average“ ihre Version einer romantischen Liebesnacht: „Girl, get down. It's almost over! Take it all the way! You stupid fucking whore!“ (Der Song ist nebenbei ihr beliebtester Song auf Spotify—mit großem Abstand.) Selbst Epitaph, das ehemals großartige Punk-Label all unserer Lieblingsbands, hat jetzt Bands wie Survive This! unter Vertrag, die mit Zeilen wie „Just wait until I get my hands on you / Bleed bitch bleed […] Tell me the truth, bitch / Where have you been? / I’ve never beat a woman / But you’re wearing me fucking thin“ kreative Eifersuchtsphantasien ausleben. Könnte man dank des androgynen Schmachte-Refrains glatt überhören. Das zugehörige Album wurde von Ronnie Radke—seines Zeichens Sänger von Falling in Reverse (ebenfalls bei Epitaph)—produziert, der bei diesem Song sicher eine Träne der Rührung verdrücken musste.

Immerhin wurde Radke 2012 verurteilt, weil er seine damalige Freundin (eine Mitarbeiterin von Epitaph) verprügelt hatte. Und erst im Juni wurden Anschuldigungen laut, er habe eine 25-Jährige vergewaltigt. Nachdem sie die Vorwürfe öffentlich gemacht hatte, wurde sie auf Facebook heftig von Fans der Band angegriffen und als Hure beschimpft. Was wohl auch Memphis May Fire gefallen dürfte, deren Song „Jezebel“ freizügig gekleidete Mädchen aka Groupies als Krankheit bezeichnet: „She's worn out & worn down from all the one night stands / Never any interest in a real man […] We're all better off without your disease.“

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Und im deutsprachigen Raum? Da mussten sich die Elektro-Metaler Eskimo Callboy schon öfters für ihre sexistischen Texte wie „I will fuck every girl in this room tonight / Just get on your knees and take it fucking deep“ („Transilvanian Cunthunger“) rechtfertigen. Weil ihre Songs ja aber ironisch gemeint sind und sie auch auf Konzerten klarmachten, wie sie zu Sexismus stehen (sie sind keine Sexisten, schließlich holen sie eine leicht bekleidete Dame mit großer Oberweite auf die Bühne), atmeten alle feministischen Fans schnell auf. Schaden haben Eskimo Callboy von diesen Vorwürfen jedenfalls keinen davongetragen.

Während sich also die Empörung in allen Farben der bunten Hasspalette auf jegliche Entgleisungen von Rappern entlädt, stopft die neue Generation der Metalcore-Liga unbeschadet ihre frauenfeindlichen Texte in tausende Teenie-Kehlen. Gilt da noch die Rechtfertigung, dass es doch Metal sei und die Texte eben von Natur aus härter sein müssen? Klingt das nicht befremdlich vertraut nach der Rap-Entschuldigung „So spricht man eben auf der Straße, wir spiegeln nur die Gesellschaft wider“? Und irgendwie macht diese ähnliche Argumentation ja sogar Sinn: In beiden Szenen haben Frauen nach wie vor einen schweren Stand. Vor allem, wenn sie aktiv Musik machen wollen. Sie in Songs als Sexobjekt oder Gewaltfantasie zu stigmatisieren, fällt da schon leichter. Weil das vielen bewusst ist, aber trotzdem an rostigen Männlichkeits-Dogmen festgehalten wird, erstrahlt auch die Entschuldigung nicht gerade im besten Licht. Vielleicht sollten wir also endlich verstärkt Metal-Bands hinterfragen, die sich gerne frauenfeindlich geben, bzw. ihre sexistischen Ansichten in Auto-Tune-getränkten Songs zum Besten geben oder dumme Shirts verkaufen. Damit es irgendwann keine faulen Rechtfertigungen, sondern klare Statements und vielleicht sogar ein, zwei weitere Entschuldigungen gibt.

Julius ist auch bei Twitter: @Bedtime_Paradox

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