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Ich habe während der Krise in einem Plattenladen gearbeitet und es war total beschissen

Nichts konnte mich darauf vorbereiten, bei der Arbeit immer wieder das schlimmste Kings of Leon-Album überhaupt hören zu müssen.

Ich war 13, als ich mir zum ersten Mal den 90er-Jahre-Kultfilm Das Empire Team (bzw. Empire Records) anschaute. Damals waren schon beinahe zehn Jahre vergangen seit seiner Veröffentlichung. Trotzdem, nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit durch meine örtliche Videothek gestreunt war, hatte es mir vor allem der Look von Liv Tylers Rock angetan und ich schlug zu. Es war um mich geschehen: Der lässige Style der wunderschönen Corey; die junge Renee Zellweger als Gina; die nervigen-wenn-auch-liebenswürdigen Mätzchen von Mark (mit „K“); der schmachtende Schönling A.J. und—seien wir ehrlich—Debra war schuld an heftigen Auseinandersetzungen mit seinen Eltern über das Für und Wider eines kahlrasierten Schädels.

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Eigentlich ist Das Empire Team aber überhaupt kein Film über einen Plattenladen. Es ist mehr ein unglaublich in die Länge gezogenes Musikvideo—mehr Soundtrack als Handlungsstrang—aber es hat diesen Coming-of-Age-Touch, der Filme für Nostalgiker zu „Kultfilmen“ macht. Die Handlung dreht sich um Lucas, der sich, als er entdeckt, dass der Laden kurz davor ist, von der großen Kette Music Town aufgekauft zu werden, dazu entscheidet, die wenigen Rücklagen von Empire Records beim Glücksspiel zu vermehren. Natürlich geht der Plan nicht ganz auf und so folgen wir dem Film durch ein paar kurzweilige Enthüllungsmomente; Liv Tylers Versuche, Rex Manning (einen angesagten Popstar, der eine Autogrammstunde in dem Laden abhält) zu betören; eine gestellte Beerdigung für Kollegin Deb, bei der alle ihre tiefsten Ängste äußern, und dann ist da noch der 14-Jähriger Ladendieb, Warren, der mit Platzpatronen um sich schießt, weil er eigentlich in dem Laden arbeiten möchte. Am Ende kommt natürlich doch noch genug Geld zusammen, um den Laden zu retten, was dann standesgemäß mit einer Rooftop-Party gefeiert wird—womit in den 90ern so ziemlich alle Erfolge, groß wie klein, gefeiert wurden.

Während ich mir anschaute, wie die Charaktere den Laden zum leichtverdaulichen Altrock von Queen Sarah Saturday tanzend den Laden aufmachten, keimte in mir das dringende Verlangen auf, meine ganzen CDs in dieser kessen, zeitlosen Zellweger-Art abzustauben. Ich war angefixt! Ich wusste nicht wirklich, was ich mit meinem Leben anfangen wollte—ich war ja schließlich erst 13 und überhaupt—aber wenn die Arbeit in einem Plattenladen nur ansatzweise so war wie in dem Film, dann wollte ich unbedingt dabei sein. Dieses Gefühl sollte mich auch so schnell nicht mehr loslassen und als 2010, kurz nachdem ich mit der Schule fertig war, mein örtlicher HMV neue Mitarbeiter suchte, stürzte ich mich mit Mark-esquen Enthusiasmus auf die Sache. HMV mag vielleicht mehr die seelenlose Musikkette gewesen sein, die den alteingesessenen Indie-Stores das Leben schwermachte—also mehr Music Town als Empire Records—, aber immerhin kam ich so der Erfüllung meines langgehegten Traums einen Schritt näher.

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Bei meinem Vorstellungsgespräch drehten sich die Fragen des Filialleiters vor allem um meinen Musikgeschmack, was meine Hoffnungen nur weiter wachsen ließ—hier konnte ich endlich über obskure Madder-Rose-Alben und meine Leidenschaft für Indiefilm-Soundtracks reden, ohne wie ein blasiertes Arschloch zu klingen. Mein Filialleiter war jetzt nicht wirklich wie Joe, der Chef von Empire Records mit seiner Boybandfrisur und väterlichen Art gegenüber seinen Angestellten. Nein, er war mehr von der ausgelaugten, pessimistischen Art: ein ehemaliges Mitglied einer Metalband, das sich noch verzweifelt an seinen Teenagertraum vom großen Durchbruch klammerte. Mit der Kraft meiner Fantasie schaffte ich es aber, großzügig darüber hinwegzuziehen.

Ich habe schon eine Menge im Einzelhandel gearbeitet. Ich musste mich mit Umkleidekabinen rumschlagen (mit Abstand das Schlimmste), um 5 Uhr morgens Regale auffüllen und Scheiße/Kotze/diverse andere Flüssigkeiten aufwischen, aber nichts davon konnte mich auf die Reise in das Tal der Enttäuschung vorbereiten, die ein Vollzeitjob in einem Plattenladen darstellt. Ich weiß, dass viele Menschen HMV nicht unbedingt einen Plattenladen nennen würden (nein, auch vor sechs Jahren nicht), aber als ‚Head of Audio’ hing ich noch der naiven Vorstellung hinterher, dass ich vielleicht in den Genuss kommen könnte, mit anderen menschlichen Wesen über Musik zu sprechen.

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Über die Weihnachtszeit zu arbeiten, war mein erster Fehler. Wenn du aus welchem Grund auch immer mal richtige Folter erfahren möchtest, dann hör dir bitte den ganzen Tag Michael Bublés Weihnachtsalbum an, jeden Tag, für drei Monate! Ernsthaft, es wird dich zu einem anderen Mensch machen. Meine tagtäglichen Aufgaben bestanden größtenteils darin, unablässig CD-Stapel in die Abteilung mit den Sonderangeboten zu schleppen—eine wunderbare Metapher für den momentanen Zustand der Tonträgerindustrie—und Pink Floyd-Auslagen zu kreieren, in denen auf jeden Fall mindestens drei ihrer Produkte zu sehen waren (wir sprechen hier eher in den Kategorien Kaffeetassen und Schlüsselanhänger, nicht Alben). „Ich dachte, ich bringe mich lieber um, als Rex Manning zu treffen“, sagte Empires Deb. Bublés „Silent Night“ führt einen zu ganz ähnlichen Gedankengängen.

Über eine Betontreppe ging es vier Absätze nach oben in einen eisigkalten Verschlag—der Ort, an den CDs zum Sterben gingen und in dem sich die Lagerangestellten in ihrer Straßenkleidung über einen lustig machten. Ich danke Gott, dass ich in dem Laden arbeitete, bevor die pinken Hemden eingeführt wurden. Du wirst vielleicht überrascht sein, wie nihilistisch man werden kann, wenn man mitbekommt, wie viele N Dubz-Alben von der britischen Bevölkerung zur Weihnachtszeit gekauft werden. Es war dementsprechend eine wahre Freude jedes Mal diese zweifelhaften Stufen hoch zu rennen, um die höchst ungeduldige, mein-Sohn-wird-alles-zu-Weihnachten-bekommen-was-er-sich-gewünscht-hat-und-ich-gehe-nicht-bevor-ich-es-habe Mutter zufrieden zu stellen. In Wahrheit waren jedoch die einzigen Alben, die wir jemals bei uns im Lager hatten, Rod Stewarts Greatest Hits oder irgendeine Disney Compilation. Alles andere befand sich in den Regalen. Kein Kunde wollte mir das je glauben, ganz egal wie sehr ich ihn auf die harten Fakten aufmerksam machte, die auf dem Display des Ladencomputers zu sehen waren.

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Genau wie Debra im Film war ich dafür bereit, mir die Haare abzurasieren und meine eigene Beerdigung zu inszenieren. Ich hatte mit der Zeit den Eindruck bekommen, dass ich in einem Land voller Vollidioten lebte. Eine Frau brachte ständig ausländische Filme mit der Bemerkung zurück, dass sie „einen Film sehen und nicht verdammt noch mal lesen [will]!“ Eine andere kam jeden Tag im Laden vorbei, um zu fragen, wann das Dschungelbuch auf Blu-ray erscheint. Die Angestellten von Empire Records mussten sich nie mit so einer Scheiße rumschlagen.

Eine Zeichnung, die die Autorin während einer besonders ereignisreichen Schicht angefertigt hat.

Es gab keinen Rückzugsbereich, in dem wir Musiknerds tiefgreifende Gespräche darüber hätten führen können, wie Joanna Newsom wie ein Alien rüberkommt, das anhand der Lyrics versucht, das menschliche Leben zu verstehen. Der Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter bestand aus einem Tisch, auf dem nichts als die Ausgabe der aktuellen Sun lag. Davor stand ein Sofa, auf dem sich ein paar fragwürdige Flecken gesammelt hatten, und ein Fernseher, der einzig und allein dafür benutzt wurde, um ein furchtbares Trainingsvideo mit irgendeinem Typen von Eastenders zu zeigen. Manchmal saßen ein anderes Mädchen und ich nur da und malten aus lauter Langeweile irgendeinen blöden Scheiß.

Das Schlimmste waren aber wahrscheinlich die Kundenkarten. Also ernsthaft: Warum sollte irgendjemand eine Kundenkarte KAUFEN wollen? Dieses Prozedere, jeden Kunden zu fragen, ob er zu seinem „zwei CDs für 9,99“-Deal nicht noch eine Kundenkarte kaufen möchte, war zermürbend und schmerzhaft. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich die Frage gestellt habe, aber wenn man bedenkt, dass es unter den Mitarbeitern einen Wettbewerb gab, wer die meisten Kundenkarten verkauft (mit einer Tabelle hinter der Kasse), dann müssen es mehrere tausend Mal gewesen sein.

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Dieses ewige Zusammenstellen von Progrock-Auslagen und passiv-aggressive Anmerken, warum Kunden überhaupt in Erwägung ziehen sollten, einen Pink Floyd Schlüsselanhänger zu kaufen, ließ mich mit einigen Fragen zurück. Wo war meine Rooftop-Party? Wo war mein Gin-Blossoms-Soundtrack? Wo blieb mein Techtelmechtel mit dem minderjährigen Ladendieb? Alles, womit ich hier zu tun hatte, waren irgendwelche nervigen Trottel, die den Soundtrack von Toy Story 3 kauften, und, ach ja, die fröhliche Überraschung, wenn ich beim Aussteigen aus dem Bus einen Discount-Sticker auf meinem Hintern entdeckte.

Während besagter Weihnachtszeit machte auch noch die Nachricht die Runde, dass wir es dank der miserablen Verkaufszahlen nicht durch das nächste Jahr schaffen würden. Alle liebten Amazon und obwohl HMV nicht mal ansatzweise „indie“ war, machte uns allein die Tatsache, dass unser Laden in seinen letzten Zügen lag zu einer Art Underdog. Zum Glück beorderte unser Chef ein großes Meeting und versicherte uns, dass unsere Jobs sicher seien—die Filiale sei ein Flagship-Store und dementsprechend von den Kürzungen nicht bedroht. Und hier war es geschehen, der depressive Ex-Metaller hatte sich vor meinen Augen in Joe von Empire Records verwandelt. Ich war auf eine befremdliche Art erleichtert, einen weiteren Tag den Klängen von Bublé lauschen zu dürfen.

Dann bat er mich „auf ein kurzes Wort“ zu ihm.

Foto: Ninian Reid | Flickr | CC BY 2.0

Als ich in sein Büro kam, legte er mir zögerlich eine Hand auf meine Schulter und sagte gerade heraus: „Wir können es uns nicht leisten, dich weiter zu behalten. Musik verkauft sich einfach nicht mehr. Und seien wir mal ehrlich, du hast keine Ahnung von Computerspielen.“ Geschenkt, dass er mich nie gefragt hatte, ob ich mich mit Computerspielen auskenne (das tue ich wirklich nicht, aber hey). Ich schluchzte—diese Art von Kinderheulen, das unkontrollierbar, peinlich und ein bisschen eklig rüberkommt. Ich fühlte mich, als hätte Rex Manning sich geweigert, mir die Unschuld zu nehmen. Ich wollte immer noch semibekleidet auf das Dach rennen und dort wie Liv Tyler dramatisch und wunderschön zugleich rumheulen, während A.J. mir seine Liebe gesteht. Stattdessen fragte mich allerdings einer meiner Kollegen, als ich ihm auf dem Weg zu unserem Mittarbeiterraum begegnete: „Was ist los, Sarah?“ „Ich heiße Sammy“, entgegnete ich nur schniefend.

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„Ich dachte, ich weiß, was ich mache, aber das tat ich nicht. Ich gebe auf“, gibt Lucas in meinem heißgeliebten Film zu, als die Gang alles für verloren hält. Ich wollte nur noch das HMV-Logo auf meinem Oberteil durchstreichen und die ganzen vernünftigen Alben in eine „Bedrohte Musik“-Abteilung packen—genau, wie die Mädels im Film. Selbst als alles verloren schien, taten sie alles, was sie konnten, um ihren kleinen Plattenladen zu retten. Stell dir nur mal vor, also rein theoretisch, HMV würde eine totale Kehrtwende machen und die ganzen Beats-Kopfhörer aus dem Sortiment nehmen und sich stattdessen wie ein Laden präsentieren, der stolz darauf ist, Musik zu verkaufen. Ich war drauf und dran den Warren zu machen und mit Platzpatronen auf alle Kunden zu schießen, die nur kamen, um 3D-TV Blu-rays des neusten Fast and Furious-Films zu kaufen. Aber nein, ich packte meine Sachen und ging einfach.

Der Film hatte mich nie darauf vorbereitet, dass Kunden ständig CDs nehmen würden und sie an falscher Stelle wieder zurücktun würden. Er hatte mich auch nicht darauf hingewesien, dass uns bei der Arbeit nur erlaubt sein würde, das schlimmste Kings of Leon-Album überhaupt zu hören und dass ich zwei Jahre lang, jedes Mal, wenn ich einen Satz mit „Your“ begann, diesen mit „sex is on fire“ enden wollen würde. Der Film hatte mir auch nicht beigebracht, dass Menschen es offensichtlich für eine spitzen Idee halten, ein Telefonat anzufangen, sobald sie an der Kasse stehen. Er warnte mich nicht vor den niemals enden wollenden Kaffeetassen-Arrangements. HMV war quasi das, was Empire Records geworden wäre, wenn Mark gegen Ende des Films nicht mit der Idee für die Spontanparty angekommen wäre. Ich hätte mit meinen Erwartungen nicht weiter daneben liegen können.

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Bei einer Sache lag ich allerdings richtig: der Solidarität unter den Mitarbeitern. Als die Nachricht die Runde machte, dass ich die einzige war, die das Team verlassen musste, kauften sie mir alles, was ich mir für den Zeitpunkt zur Seite gelegt hatte, an dem ich endlich in den Genuss des Mitarbeiter-Rabatts kommen sollte; sie deckten mich mit Unmengen von Tequila bei meinem Abschiedsumtrunk ein und nickten enthusiastisch, als ich über die Filialleitung lästerte. Als meine Karriere im Plattenladen dann ihr Ende fand, war es bei mir nicht wie bei A.J.—ich entdeckte nicht in kurzer Zeit mein wahres Talent und wechselte auf eine Kunsthochschule. Nein, ich meldete mich arbeitslos—für etwa 18 Monate. Aber immerhin hatte ich jetzt diese schöne Geschichte zu erzählen.

Vielen Dank, Empire Team, du wundervolles, verlogenes Stück Scheiße.

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