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Wie eine Schwangerschaft dazu führte, dass ich mein Partyleben in den Griff bekommen habe

Gibt es ein Leben nach der Party? Ja. Zum Glück.

Foto via Flickr | icanteachyouhowtodoit | CC BY 2.0

Linda*(Name von der Redaktion geändert) hat während ihrem Studium viele Partys besucht. Sie würde sich selber als ehemaliges Party-Girl betiteln. Linda ist jetzt Mutter und ist verlobt. Wir haben sie gebeten uns zu erzählen, wie die Umstellung war und ob ihre Vergangenheit einen Einfluss auf ihr jetziges Leben hat.

Als ich 2005 maturiert habe, bin ich nach Wien gezogen, um zu studieren. Inskribiert war ich für BWL, aber das Studium hat mich nicht interessiert. Ich bin relativ schnell durch Kollegen auf der Uni und Freunde aus dem Bundesland in Wiens Nachtleben integriert worden. Single, jung und keine Ahnung von der Zukunft. Ich hab dann angefangen, relativ viel fortzugehen. Zuerst ging es nur ums Trinken—in Beisln, im U4 und auch draußen im Park. Meine Eltern merkten natürlich ziemlich schnell, dass ich das Studium nicht ganz so ernst nehme. Da sie meine einzige finanzielle Quelle waren, habe ich immer wieder Prüfungen belegt, einfach nur damit sie zufrieden sind. Party machen kostet aber sehr viel Geld. Deshalb habe ich angefangen neben dem Studium zu jobben. Als Kellnerin. Ich war oft betrunken—in der Arbeit und in der Freizeit. Natürlich wusste ich schon nach einem Semester, dass ich in BWL nie einen Abschluss schaffe, aber ich war zu sehr mit meinem Rausch beschäftigt. Oder damit beschäftigt, mich von meinem Rausch zu erholen. Ich hatte Angst vor dem Gedanken an meine Zukunft und ich hielt mich auch schön beschäftigt, um den Gedanken aus dem Weg zu gehen.

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Irgendwann, wahrscheinlich 2006, fing ich an zu kiffen. Zuerst habe ich nur mitgeraucht, aber relativ schnell hatte ich jeden Tag Gras zuhause. Das hat meiner Produktivität natürlich nicht geholfen. Eine meiner Bekannten, die auch nach Wien gezogen ist, hat mich mal auf eine Free-Party mitgenommen. Da habe ich dann auch mit Partydrogen angefangen. Das hat alles natürlich nicht besser gemacht. Ich war nun bis zu vier Mal die Woche weg, manchmal drei Tage am Stück nicht daheim. Mir war klar, dass es falsch ist und ich diesen Lebensstil nicht ewig aufrecht erhalten kann. Ich hatte aber kein Ende in Sicht. Alle meine Freunde waren im Nachtleben unterwegs, ich zahlte in den meisten Discos keinen Eintritt. Ab und zu packte mich phasenweise der Ehrgeiz und ich studierte wieder mehr. Aber es gab definitiv mehr Wochen in denen ich fort war, als Wochen, in denen ich zuhause blieb. Meistens war ich sehr stolz auf mich, wenn ich ein Wochenende daheim blieb. Meine Eltern bekamen das nicht wirklich mit—sie dachten, ich bin ein fauler Student. Ich weiß nicht mal mehr, ob ich in der Zeit wirkliche Ambitionen oder Pläne hatte. Wenn, dann habe ich nie die nötigen Schritte unternommen, um sie zu verwirklichen.

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Überhaupt war mein Leben ein ganzes Chaos. Ich schaffte es mich zu ernähren und mein WG-Zimmer zu zahlen, aber alles darüber hinaus war eine Herausforderung. Ich lebte von Party zu Party. Die Zeit zwischen den Partys habe ich mit Energie-Aufladen und Pizza verbracht. Meine Wohnung war ein Chaos. 2009 war ich dann ungefähr im dritten Semester und hatte noch immer absolut keine Ahnung, was ich machen möchte. Ich half meinen Freunden, die Veranstalter waren, zu flyern. Es drehte sich alles nur um irgendwelche Partys. Eine Beziehung hatte ich auch nicht, immer nur Gspusis, die mir entweder zu fad waren oder nichts von mir wollten. Mein Leben war wild, laut und chaotisch. Ich kann mich an fünf Jahre meines Lebens nur dunkel erinnern. Lustig war es schon—erfüllend war es nicht.

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Bis ich Mitte 2009 Christian auf einer Party kennenlernte. Seine Lebenszustände waren ähnlich, aber er hatte sich ein bisschen mehr im Griff. Wir verliebten uns und waren fortan nur noch zusammen weg. Mein Leben verbesserte sich allmählich, Christian war ein Grund, um öfters zuhause zu bleiben. Dennoch waren wir noch immer fast jede Woche aus. Im Februar 2010 kam dann der Schlag ins Gesicht—ich bin trotz einer Verhütung und meinem Lebensstil schwanger geworden. Natürlich war das Kind nicht geplant. Wir überlegten lange, wie wir vorgehen—und ich kam zu dem Entschluss, dass eine Abtreibung egoistisch wäre und ich sie nicht verkraften würde. Wir entschieden uns das Kind zu bekommen.

Es war klar, dass ab sofort Schluß ist mit Party machen. Keine Rauschmittel mehr. Das Kiffen und das Rauchen haben mir am Anfang gefehlt. Aber ich hatte ein Projekt. Ich hatte einen Grund, an mir zu arbeiten. Ich lernte kochen, ich lernte den Haushalt zu schmeißen. Die Partys vermisste ich nicht. Christian war in der Zeit auch nur drei oder vier Mal weg—wir haben uns auf „mitgehangen, mitgefangen” geeinigt. Freitags zu kochen und am Samstag Kinderkleidung zu shoppen, war für mich eindeutig erfüllender, als auf eine Party zu gehen. Mein Leben auf die Reihe zu bekommen, ein Zuhause zu schaffen—das sind ja alles schöne Dinge.

Meinen Freundeskreis benachrichtige ich erst kurz vor der Geburt. Davor habe ich alle Einladungen grundlos abgesagt—die Gerüchteküche brodelte. Es hieß, ich sei abgestürzt. Auch habe ich Gerüchte mitbekommen, in denen es hieß, dass ich Probleme mit der Polizei habe. Ich vermisste die sozialen Kontakte, aber da mich mit den meisten nichts weiter verband, als fortzugehen, ließ ich alle fallen. Als ich das erste Mal besucht wurde, hat man meinen Bauch wie das achte Weltwunder angesehen. Ich habe die Besuche relativ schnell nicht leiden können. Ich verstand nicht, dass es für ihre damalige Lebenswelt unvorstellbar war. Ich verstand auch nicht, dass diese Menschen mich teilweise jahrelang jede Woche betrunken gesehen haben. Und so ein schwangerer Anblick sicher arg war. Ich habe Gott sei Dank keine gesundheitlichen Probleme aus meiner Phase davon getragen. Ein paar meiner Ex-Bekannten leiden bis heute an Depressionen und Psychosen. Oder sind stark süchtig.

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Foto via Flickr | icanteachyouhowtodoit | CC BY 2.0

In den meisten Schwangerschaftskursen waren die meisten Ehepaare älter und irgendwie organisierter. Sie haben ihre Kinder geplant bekommen. Ich habe mich oft wie ein Versager gefühlt. Die einen haben mir die Mutterrolle nicht zugetraut, die anderen sprachen über mich, als wäre ich ein sozialer Absteiger, der jetzt halt schwanger ist. Freundschaften zerbrachen und ich hatte viele Selbstzweifel. Das war keine schöne Zeit.

Gleichzeitig packte mich der Ehrgeiz, ich wollte es allen—aber vor allem meinem Sohn—beweisen. Nach der Stillzeit war ich die erste Nacht weg—in einem Cocktail-Lokal. Ich war nicht entspannt, trank nur einen Cocktail und wollte schnell wieder Heim. Seitdem hat sich nicht viel geändert—das Ausgehen bereitet mir keine Freude mehr. Aber die Partys haben mich schon in der Schwangerschaft angewidert. Also, da geht es ja um nichts. Mein damaliger Freundes- und Bekanntenkreis bestand ja aus Party-Menschen. Das waren ein paar gebrochene Persönlichkeiten, ein paar Menschen ohne Struktur und Halt. Ich wollte und will es auch nicht mehr.

Foto: WikiCommons I Jennifer Morrow I CC BY 2.0

Heute besuche ich Geburtstagsfeiern oder ab und zu ein Beisl. Das letzte Mal richtig dicht war ich vorletztes Silvester. Und davon erhole ich mich psychisch bis heute. Ich bin ein Spießer geworden. Ich bin jemand, über den ich vor fünf Jahren gelacht hätte. Aber ich bin so viel glücklicher. Aus der Zeit habe ich viele oberflächliche Kontakte mitgenommen—einem davon verdanke ich meinen jetztigen Job. Früher haben wir auf einer Afterhour geblödelt, heute ist er mein Chef und ich seine Sekräterin. Meine jetzigen Hobbys sind nähen und kochen. Wenn ich das so schreibe, dann muss ich grinsen. Hätte man mich 2007 gefragt, was aus mir wird, hätte ich alle möglichen Antworten gegeben, aber nicht diese. Weitere Dinge, die mir die Party-Zeit gebracht hat: Lebenserfahrung. Umgang mit Stress und vielen Persönlichkeiten. Eine ganz neue Betrachtung und Einstellung zu allen Rauschmitteln. Vor allem aber viel Wissen über mich selbst. Ich bin eine extreme Persönlichkeit, die eher übertreibt und sich mit der goldenen Mitte schwer tut. Daran arbeite ich noch.

Ich bin auch entspannter. Am Anfang haben mich die ehrgeizigen, konservativen Mütter fertig gemacht. Als unverheiratete, nicht fertig studierte und junge Mutter wurde ich seltsam beäugt. Ich habe eine kleine Gruppe von Freunden, die meisten sind Eltern. Sie wissen alle von meinem Party-Leben, verurteilen mich aber nicht. Mein ehemaliger Freundeskreis ist auseinandergebrochen. Ein paar Leute haben jetzt auch eine Familie und sind da ausgestiegen. Manche haben Familie und sind noch immer im Nachtleben tätig. Ein paar andere versuchen sich mehr schlecht als recht als DJs oder Veranstalter. Sie haben das Party-Leben auch jenseits der 30 nicht ablegen können. Das Problem mit dem Nachtleben ist, dass man in der Nacht schnell „Jemand” ist. Auf Partys gelten andere gesellschaftliche Regeln. Die meisten Nachtmenschen, die ich kenne, haben unter der Arbeitswoche absolut nichts zu melden und sind einsam. Ich sehe sie nur noch auf Facebook.

Ein paar sind auch abgestürzt. Und das macht mir furchtbare Angst. Also ich weiß, dass man tief reinrutschen kann und es ein Teufelskreis ist. Ich finde es auch schade, dass ich erst eine Schwangerschaft gebraucht habe, um mich in den Griff zu bekommen. Leider habe ich zu viel gesehen, um komplett liberal sein zu können. Anderseits war ich selbst nie ein Spießer. Ich werde wohl versuchen mein Kind objektiv aufzuklären, viele meiner Erfahrungen nicht zu erwähnen und einfach schauen, dass es sich nie verloren fühlt. Die Erfahrungs-Storys sind dann etwas für meine Enkelkinder. Mein Freund ist aber jetzt schon lockerer in allen Belangen, ich denke meine Angst und seine Lockerheit werden die Erziehung und Aufklärung ganz gut machen.

Ab und zu kiffen wir abends, meistens aber schauen wir einen Film oder gehen fein aus. Im Sinne von Essen gehen. Davor wird gekocht und mit dem Kleinen gespielt. Als nächstes möchten wir heiraten, ich möchte mein Studium wiederaufnehmen und abschließen. Ein zweites Kind steht auch am Plan. Ich mag mein Leben und bin glücklich und froh über alle Entwicklungen. Ein geregeltes Leben zu führen, Ziele und Pläne zu haben—das macht mehr Spaß, als man denkt. Ich wünschte jemand hätte mir damals gesagt, dass sich das Zuhause bleiben und weiterdenken lohnt. Schöne Erinnerungen an die man sich auch erinnert, sind mehr wert, als eine berauschte Partynacht.

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