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dein sound andere ära

In erster Linie Fan: John Peel

Wer wie ich kein Kind der Sechziger, sondern gut 20 Jahre später geboren wurde, lernte John Peel vielleicht auf ähnliche Weise kennen: in Klammern.

Wer wie ich kein Kind der Sechziger, sondern gut 20 Jahre später geboren ist, lernte John Peel vielleicht auf ähnliche Weise wie ich kennen: In Klammern. Sein Name fand sich beim Stöbern nach Musik der Lieblingsband hinter dem Songtitel: ‚Peel Session’. Beim ersten Mal dachte ich mir nichts dabei, vergaß es, beschäftigte mich mit anderer Musik, und dann: andere Lieblingsband, anderer Song. Hinter dem Songtitel: ‚Peel Session’.

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Ich dachte mir: Was zur Hölle sind nur diese Peel Sessions? Da ich kein besonders neugieriger Mensch bin, dauerte es weitere fünf Jahre, bis ich dahinter kam. Offenbar existierte da draußen mal ein Typ, der im Laufe von 30 Jahren nahezu all meine Lieblingsbands zu sich ins Studio geholt hatte, um sie für die BBC Sessions einspielen zu lassen. Nur, dass in diesem Fall das Ei vor der Henne kam: Höchstwahrscheinlich war John Peel der Grund dafür, dass ich diese Bands überhaupt kannte. John Peel war Radio-Moderator und DJ, aber er war viel mehr als das: er war der größte Populärmusikmultiplikator der Prä-Internet-Ära. Dutzende große Namen sind durch ihn und seine Show bekannt geworden. Die Liste reicht von David Bowie über The Clash und The Cure, New Order, Pulp, Roxy Music, The Smiths und so weiter bis zu den White Stripes. Es gibt ein komplettes John Peel-Wiki, in dem zu stöbern ein großer Genuss ist sowie eine großartige Autobiographie, die er selbst begann und die nach seinem Tod 2004 von seiner Frau beendet wurde.

John Peel hielt sich in seinen jungen Jahren lange in Amerika auf, arbeitete dort als schrulliger Außenseiter in Fabriken und studierte die Popkultur. Seine ersten Platten erhielt er von seinem Vater—der Grundstock einer der wohl ausuferndsten Plattensammlungen der Welt. Er interessierte sich für neue Musik, darum wechselte sein Publikum ständig. Als er während der Punk-Hochphase begann, Reggae und Dub zu spielen, bekam er Drohbriefe in Form von Paketen, in denen sich Exkremente befanden. Trotzdem hörte er nie damit auf, immer neue obskure Bands auszugraben. Er verbrachte einen Großteil seines Lebens mit dem Hören von Demotapes, schaffte es aber nie, alle abzuarbeiten, die er bekam. Im gerade veröffentlichten, übrigens ebenso empfehlenswerten Film “B-Movie” erzählt Mark Reeder, wie er in den Achtzigern Tapes von Malaria an Peel schickte. Viele Bands wurden aufgrund solcher Tapes zu Peels Sessions eingeladen, manche erlangten Weltruhm, andere blieben eine Randnotiz. Peel blieb dabei stets fehlermutig. Ihm ging es ausschließlich darum, gute unbekannte Musik zu finden und der Öffentlichkeit vorzustellen. Es ging nicht um Ruhm (den er vor allem im Herbst seines Lebens genoss) sondern um eine aufrichtige Leidenschaft für die Musik. Er spielte nie Bruce Springsteen in seiner Show, denn das war etablierte Musik, die eh überall lief—und außerdem in seinen Augen schlicht überproduziert war. Dagegen ist er der Legende nach bei der Session, in der er zum ersten Mal „Eat Y’self Fitter“ von The Fall hörte, ohnmächtig geworden wie ein Groupie während der Beatlemania.

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Apropos Beatles, Peel hat sich in Amerika während der Beatlemania als „Mann aus Liverpool” angebiedert und so erste Erfahrungen mit dem Medium Radio gesammelt. Er tat so, als sei er ein enger Freund der Beatles (Was damals auf alle zutraf, die angeblich aus Liverpool kamen) und legte ordentlich Mädchen flach. Das ging so lange gut, bis eines Tages der Vater einer dieser Eroberungen vor seiner Tür stand und ihn umbringen wollte. Peel konnte ihn besänftigen, beschränkte solcherlei Vergnügungen fortan auf ein Minimum und heiratete seine erste Frau. Später sendete er dann im Piratenradio. Mit dem Format „The Perfumed Garden” machte er mehr und mehr auf sich aufmerksam. Auch im Fernsehen war er zu sehen, anfangs jedoch relativ selten. Man hielt ihn für unberechenbar, weil er beispielsweise on air darüber plauderte, wie er sich mal einen Tripper eingefangen hatte—damals ein Skandal.

Die Peel-Sessions sind eine nahezu unerschöpfliche Fundgrube guter Musik. Es gibt eine von Peel-Freunden zusammengestellte Liste der 125 besten Sessions auf der Seite der BBC, aber eigentlich kannst du deine Lieblingsband aus den letzten vierzig Jahren und den Begriff ‚Peel Session’ eingeben und wirst mit großer Wahrscheinlichkeit fündig. Seine deutsche Lieblingsband war übrigens FSK. Meine persönlich favorisierte Session von ihnen ist die aus dem Jahr 2004. Sie ist nicht mal im Wiki aufgeführt, doch sie spielen eine späte, aber grandiose Version von „Fragen der Philosophie“.

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Es gibt eine Anekdote über Peel, die auch in seinem Buch auftaucht. Als Kind fuhr er einmal mit dem Fahrrad bei vollem Tempo in eine Glasscheibe, erlitt etliche Schnittverletzungen, aber weinte nicht, als der Doktor ihn (ohne Betäubung) nähte. Dadurch errang er den Ruf des „Kinds, das nicht weinte.“ Paradoxerweise weinte er gegen Ende seines Lebens sehr viel, auch in Fernsehshows—und angeblich, wenn er „Teenage Kicks“ von den Undertones hörte: Tränen des Glücks.

Legendär ist auch seine Liebe zu The Fall. Seine The Fall-Platten lagerte er in einem separaten Schrank, und sie haben bei ihm 24 Sessions in 26 Jahren gespielt.

Die Peel Show war eine komisch rituelle Sache, ein Phänomen, das heutzutage vermutlich in der Form nicht mehr stattfinden könnte. Ein Anachronismus. Wir brauchen heute keinen John Peel mehr, oder vielleicht bräuchten wir ihn gerade jetzt. Wie schon sein Kollege und Rivale Tommy Vance in den Siebzigern sagte: “No matter what John Peel has to say on the air in terms of disparaging remarks with regard to the people who listen to the Friday Rock Show (as far as he thinks, you’re all balding and got false teeth), I think it’s safe to remember that Peely really was at the forefront of a lot of great music, and probably still is.“

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