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Wir haben einen Tag mit Wiener Straßenmusikern verbracht

Man sieht die Welt, aber manchmal ist es auch richtig scheiße. Wir sind durch Wien gezogen und haben uns mit Straßenmusikern über ihren Alltag unterhalten.

Wenn man das Wort Straßenmusiker hört, denkt man einerseits an einen naiven Studenten, der auf der Straße auf seine große Entdeckung wartet, damit er den für ihn halbinteressanten Studiengang—den er nur macht, weil Musik bislang nicht das große Geld bringt—aufgeben und mit einer Karriere als Rockstar durchstarten kann. Andererseits denkt man an einen armen Mann, der sich mit seiner melancholischen Geigenmelodie ein paar Münzen für sein Abendessen erspielen möchte. Da das Straßenmusikerdasein viele Fragen aufwirft, haben wir uns dem Thema gestellt und in Wien mit Straßenmusikern geredet.

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Tetlav und seine 2 Freunde

Noisey: Wie heißt du und woher kommst du?
Ich heiße Tetlav, bin aus Rumänien und seit zwei Jahren in Österreich, um Straßenmusik zu machen. Wir sind zu dritt und wechseln uns bei dem Akkordeon spielen ständig ab.

Warum seid ihr Straßenmusiker?
Wir brauchen das Geld und es macht uns großen Spaß.

Führt ihr neben dem Straßenmusikerdasein auch andere Berufe aus?
Nein, wir sitzen den ganzen Tag entweder beim Stephansplatz, beim Museumsquartier oder zwischen den Museen und musizieren.

Habt ihr auch schon in anderen Ländern oder Städten auf der Straße musiziert?
Ja, bevor wir nach Österreich gekommen sind, haben wir Akkordeon in Paris und in mehreren Städten Deutschlands gespielt.

Wie viel verdient man am Tag als Straßenmusiker?
Meistens verdienen wir ca. 100 Euro am Tag. Die teilen wir dann durch drei und dadurch bekommt jeder von uns zwischen 25 und 35 Euro pro Tag.

Hast du ein Lieblingslied?
Ich habe kein bestimmtes. Ich mag französische, russische und österreichische Musik sehr gerne—nur Mozart mag ich nicht.

Was empfindest du, wenn ihr gefilmt oder fotografiert werdet?
Wir haben uns schon daran gewöhnt. Anfangs war es natürlich unangenehm, aber mit der Zeit legt sich das und wird zur Routine.

Flad und Jan

Wer seid ihr und woher kommt ihr?
Wir heißen Flad und Jan und kommen aus der Schweiz.

Warum seid ihr Straßenmusiker?
Weil wir das erste Mal ohne Geld reisen und die Straßenmusik unsere Einnahmequelle ist. Wir trampen von der Schweiz nach Lettland und schlafen jede Nacht in einem Zelt. Die Straßenmusik ermöglicht uns, ohne Geld ein neues Land zu erkunden.

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Habt ihr auch schon in anderen Städten oder Ländern auf der Straße musiziert?
Ich habe schon in Schweiz auf der Straße Musik gemacht, aber für meinen Freund Jan ist es das erste Mal.

Welches Gefühl habt ihr, wenn ihr auf der Straße musiziert und euch die Leute dabei anschauen?
Es ist unglaublich schön, weil wir lebensfrohe Menschen sind und mit unserer Musik unsere Fröhlichkeit zu den Leuten auf der Straße transportieren.

Was verdient ihr am Tag?
An jedem Tag ist es anders. Manchmal verdienen wir in einer Stunde 10 Euro und manchmal 30 Euro. Es reicht aber immer aus und wir freuen uns über alles.

Habt ihr auch schon mal etwas anderes als Geld bekommen?
Ja, meistens bekommen wir Schokolade und gestern, als es geregnet hat, haben wir einige Heiße Schokoladen bekommen. [Von uns haben sie ein Schokoladeneis bekommen]

Nehmt ihr Musikwünsche an?
Nicht immer, denn unserer Repertoire beinhaltet nicht alles. Wir spielen englische, französische, spanische und japanische Musik.

Habt ihr den Traum, dass ihr gefilmt, auf YouTube gestellt und dann große Stars werdet?
Nein, nicht unbedingt. Wir machen das, um Fröhlichkeit austauschen zu können und um Geld zu verdienen. Aber wenn wir Stars werden, haben wir auch nichts dagegen.

Habt ihr ein Lieblingslied?
„Me And Julio Down By The Schoolyard“ von Paul Simon.

Was ist scheiße am Straßenmusikerleben?
Die Polizei macht uns öfters Probleme, weil sie uns sagen, dass es nicht erlaubt ist. Und schlechtes Wetter ist auch scheiße.

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Was war euer verrücktestes Erlebnis auf der Straße während dem Musizieren?
Das war erst gestern, wir haben Musik gemacht und plötzlich ist ein Mädchen zu uns gekommen. Sie hat unsere Musik so schön gefunden, dass sie uns das Angebot gemacht hat, bei ihr zu übernachten.

Habt ihr dieses Angebot angenommen?
Ja klar, wir haben seit Tagen im Zelt übernachtet. Es war schön wieder einmal in einem Bett zu schlafen und sie hat ein wirklich schönes Haus.

Was macht ihr neben dem Straßenmusikerleben und dem Reisen?
Wir sind beide Studenten und studieren Japanisch/Chinesisch und Musik.

Viktoria und Patricia

Wer seid ihr und woher kommt ihr?
Wir heißen Viktoria und Patricia, sind 23 und 24 Jahre alt, kommen aus Polen und wir studieren gemeinsam Musik auf der Musikakademie Krakowie.

Warum seid ihr Straßenmusiker?
Wir machen das, weil wir großen Spaß dabei haben und Wien sehr lieben. Letztes Jahr waren wir schon einmal hier und es hat uns so gut gefallen, dass wir nochmal kommen wollten. Da hatten wir die Idee, hier Straßenmusik zu machen, um noch mehr von Wien zu sehen und jetzt haben wir einen zweiwöchigen Aufenthalt in einem Hostel.

Wie viel verdient ihr am Tag?
Es ist sehr unterschiedlich und schwer zu sagen, denn manchmal ist es sehr viel und manchmal gar nichts.

Was ist hart am Straßenmusikerleben?
Die Leute sind uns gegenüber sehr oft negativ eingestellt, aber es gibt auch viele, die sehr nett sind. Ein weiterer Faktor, der das Leben als Straßenmusiker auch sehr hart machen kann, ist das Wetter. Wenn es zu heiß ist, macht das Spielen keinen Spaß. Das merken die Leute dann auch und so bekommen wir weniger Geld.

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Wie ist das Gefühl, wenn ihr musiziert und die Leute euch dabei anschauen?
Es ist sehr komisch, überhaupt wenn wir einen Platz gefunden haben und unsere Instrumente auspacken, dann schauen die Leute immer sehr gespannt auf einen und das kann schnell unangenehm werden.

Was ist euer Lieblingslied?
Hallelujah—und wir lieben Mozart.

Was war der verrückteste Moment, als ihr auf der Straße musiziert habt?
Es passiert öfters, dass Leute Drogen nehmen und dann ganz verrückt zu unserer Musik auf und ab tanzen. Das macht uns schon manchmal Angst, aber passiert ist uns dabei noch nie etwas.

Viktoria, Aglis und Christa

Wie heißt ihr?
Wir sind Viktoria, Aglis und Christa aus Lettland und studieren dort Musik.

Warum seid ihr Straßenmusiker?
Wir machen das um in der Welt herum zu kommen. Zwar sind wir—bis auf Aglis—das erste Mal außerhalb von Lettland in einer Stadt unterwegs, haben aber vor, das ab jetzt öfters zu machen. Es ist eine Chance andere Städte zu sehen und es macht Spaß, von fremden Leuten beklatscht und angeschaut zu werden.

Wie viel verdient ihr am Tag?
Wir verdienen in zwei bis drei Stunden ca. 40-60 Euro.

Was war der verrückteste Moment als ihr auf der Straße musiziert habt?
In Lettland haben wir einmal in einer Stadt unsere Instrumente ausgepackt und dann sind plötzlich andere Straßenmusikanten zu uns gekommen. Sie haben uns angeschrien und gesagt, dass wir weggehen sollen, weil wir ihren Platz weggenommen haben. Wir sind dann wirklich weitergezogen, die waren echt unheimlich.

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Wie lange werdet ihr noch in Wien bleiben?
Das wissen wir noch nicht. Ein paar Tage werden es auf alle Fälle noch sein, aber es bleibt noch unklar, da wir jeden Tag im Auto schlafen und das schnell unangenehm werden kann.

Wurdet ihr schon mal beschimpft?
Nein, überall wo wir bisher gespielt haben waren die Leute sehr nett—bis auf die anderen Straßenmusikanten.

Habt ihr auch schon etwas anderes als Geld bekommen?
Ja, vor drei Jahren in Deutschland hat Aglis einen Korb voller Bier bekommen.

Rafal

Wie heißt du?
Ich bin Rafal. Dieser Name ist für dich wahrscheinlich sehr ungewöhnlich, das liegt daran, dass er wie ich aus Polen kommt.

Warum bist du Straßenmusiker?
Ich reise von Stadt zu Stadt und finanziere mir meine Reise, zum Beispiel mein Ticket für den Zug, durch Musik auf der Straße. Es ist ein simples System, dass für mich sehr effektiv ist. Man verdient zwar nicht viel, aber für mich ist es genug. Als Straßenmusiker sieht man die Welt. Meine Urspurngsidee zur Straßenmusik war aber eine andere, denn ich hatte eigentlich den Wunsch eine Band zu gründen und mit ihr auf Tour zu gehen. Aber das ist sehr schwierig und hat nicht funktioniert, also habe ich mich für das Reisen entschieden.

Wie lange bist du schon Straßenmusiker?
Seit vier Jahren, aber seit zwei Jahren mache ich es international. Mit der Zeit habe ich mich an die polnische Musik gewöhnt und dann spiele und singe ich die Lieder nicht mehr mit dem gleichgroßen Elan wie zu Beginn. Das ist der Grund weshalb ich auch in anderen Ländern Musik mache. Ich war schon in deutschen Städten wie Berlin und Frankfurt, aber auch in anderen wie Paris, Zürich, Bern. In Wien bin ich schon öfters gewesen.

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In welche Stadt möchtest du nach Wien?
Ich fahre erstmals wieder nach Hause, denn dort habe ich einen Job ergattert. Reisen, die ich durch musizieren auf der Straße verdiene, mache ich nur, wenn ich Zeit habe.

Welches Lied spielst du am liebsten?
Oh, das ist eine schwere Frage, weil es sehr auf meine Stimmung, die Stimmung der Leute und das Wetter ankommt. Es ist auch ein Unterschied, ob ich ein Lied erst ein paar Mal gespielt habe oder seit Jahren spiele. Denn wenn es neu ist, spiele ich es kraftvoll und voller Elan und wenn es schon älter ist, eher cool und mehr von innen. Ich glaube mein Lieblingslied ist aber „Riders On The Storm“ von The Doors. Dieses Lied ist aber nicht gut für die Straße, es ist zu traurig.

Wie viel verdienst du am Tag?
Sehr unterschiedlich. Von 5 bis 60 Euro. Es hat mich mal ein Mann bezüglich eines Musikwunsches angesprochen. Ich nahm diesen an und der Mann war so begeistert, dass er mir 50 Euro dafür gegeben hat. Ich war total verwundert und „OH MAN, WTF,“ war meine Antwort auf seine Großzügigkeit. Er meinte, dass ich es verdient habe, weil ich ihn zum Weinen gebracht habe.

Wo schläfst du?
Das hängt von meinem täglichen Verdienst ab, wenn der genug ist, schlafe ich in einem Hostel. Wenn er nicht reicht, habe ich zur Sicherheit immer meine Schlafsachen mit. Ich bin auch gerade dabei, Couchsurfing auszuprobieren. Das ist wirklich praktisch, aber man muss vorsichtig dabei sein.

War es anfänglich unangenehm?
Ja klar, ich war sehr gestresst. Es gehen viele Leute in der Straße entlang. Manche sind glücklich, manche traurig, manche gehen zur Arbeit, manche kommen von der Arbeit, manche beachten einen und manche ignorieren einen. Es war anfangs hart, die richtige Musik zu finden. Der Umgang damit, nicht immer Geld zu bekommen, obwohl man seine ganze Energie ins Singen steckt, war auch nicht leicht. Es war und ist manchmal einfach echt scheiße, um ehrlich zu sein.

Was war der verrückteste Moment den du beim Musizieren auf der Straße erlebt hast?
Da sind viele Momente in meinem Kopf, vielleicht als Beispiel ein Erlebnis von hier. Als ich das letzte Mal in Wien gespielt habe, kam ein Rastaman ohne Schuhe und langen Dreadlocks zu mir und sagte: „Deine Stimme ist so schön, lass uns improvisieren. Spiel Reggea für mich." Ich spielte und er war verrückt danach und schrie die ganze Zeit: „Oh Rastafaria." Er war mit Sicherheit betrunken, aber nicht gefährlich, sondern freundlich und friedlich, es machte großen Spaß, eine Stunde mit ihm zu spielen.

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