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Ich habe neun Stunden lang den YouTube-Kanal von Burzum geschaut

Die umstrittene Black-Metal-Legende Varg Vikernes ist jetzt auch ein YouTuber. Grund genug, sich mal stundenlang von dem überzeugten Rassisten die Welt erklären zu lassen.

Im Vergleich zu dem, was Anfang der 90er in der norwegischen Black Metal-Szene abging, ist der Twitterbeef der Gangster-Deutschrapper Kindergeburtstag. Statt sich darauf zu beschränken, Mütter zu ficken, wurden Briefbomben verschickt, Kirchen angezündet und Musiker abgestochen. Heute sind diese Zeiten lange vorbei und alles, was an die wilden Tage des Black Metal erinnert, sind die Platten von damals und obskure Vintage-Dokumentationen über das Phänomen Black Metal im VHS-Look. Lediglich ein einziger Protagonist der damaligen Szene scheint in den Köpfen der Black Metaller nicht verblassen zu wollen: Die Rede ist von Varg Vikernes, besser bekannt als Kopf hinter dem Black Metal/Ambient-Projekt Burzum.

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Das liegt vor allem daran, dass Varg durch das Anzünden von Kirchen eine gewisse Realness innewohnt und er wegen Mordes an Øystein „Euronymous“ Aarseth zu 21 Jahren Haft verurteilt wurde. Varg lebte die Black-Metal-Kultur wie kein Zweiter und erzählt heute auf seinem YouTube-Channel „ThuleanPerspective“ jedem, der es hören will, was in einem Kopf so vorgeht. Der Boss tickt auf Kilobasis, doch wie tickt Varg Vikernes? Indem ich alle Videos seines YouTube-Channels schaue, versuche ich auf diese Frage eine Antwort zu finden.

Fangen wir mit den Fakten an: Aktuell besitzt Varg 39.484 Abonnenten weltweit und seit dem Beitritt zur Videoplattform am 26.07.2012 hat er 2.725.649 Klicks eingefahren. Jedoch ist nach Vargs Beitritt gut ein Jahr vergangen, bevor er selbst aktiv auf der Plattform wurde. Was hat Mr.Burzum also bis dahin so auf der Plattform getrieben? Seine Videoabos von „World Jew Watch“, „Holocaust Hoax Museum“ und „FailArmy“ könnten den Schluss zulassen, dass er das getan hat, was alle Antisemiten machen: Gegen Minderheiten hetzen und ab und zu gepflegt über die Fails Anderer LOLen. Doch wer wirklich wissen will, was in Varg vorgeht, der muss seine Videos schauen:

Der Anfang

Die ersten Videos sind lediglich neue Burzum-Tracks, die ein wenig nach „Naturheilkunde trifft auf 90ies Synthesizer“ mit einem Schuss LSD klingen. Ich sitze noch nichtmal eine Stunde vor ThuleanPerspective und schon fange ich an, mich zu langweilen. Zwischendurch präsentiert Varg seine ausgeprägten Windows Movie Maker-Fähigkeiten, indem er ohne erkennbares System, Sätze wie „Burzum: using music to promote European culture“ oder „Protect our blood and soil“ erscheinen lässt. Wenigstens lässt er von Anfang an keine Zweifel daran aufkommen, dass er ein Rassist ist. Ich frage mich das erste Mal, ob ich auf das, was kommen wird, wirklich Lust habe.

Die ersten zwei Stunden

Endlich zeigt sich Varg in voller Pracht, nachdem er mir eine gefühlte Ewigkeit präsentiert hat, was er als die musikalische Rettung Europas betrachtet. Ich weiß nicht, was ich von seiner Erscheinung erwartet habe, jedoch wurden diese Erwartungen bei weitem nicht erfüllt. Da sitzt er, mit schrulliger Tarnkleidung und etwas schüchtern vor der Kamera und versucht aus dem Gedächtnis, alte Burzum-Songs nachzuspielen. Als ich sehe, dass er eine komplette Küchenrolle auf seinem Schreibtisch stehen hat, frage ich mich, ob Varg Pornos schaut und ob er dann vor jeden Suchbegriff das Wort „European“ setzt. European Blowjob. European Gangbang. European BBC.

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Die dritte Stunde

Plötzlich kommt etwas Bewegung in die Sache. Varg stellt auf einmal das Rollenspiel „The One Ring“ vor und ich frage mich, ob der Verlag dieses Buch geschickt durch Product Placement in seinem Kanal platziert hat, ähnlich wie es Modeunternehmen bei YouTubern wie Dagi Bee und Bibi tun. Mir fällt auf, dass ich versehentlich ein Video übersprungen habe, obwohl dieses den Titel „The Burzum RPG“ trägt. Kurz glaube ich, dass Varg irgendwie ein Entwicklerstudio gefunden hat, das eine rassistische Version von Fallout 4 auf den Bildschirm zaubert, indem der Protagonist (Varg) Europa verteidigen muss. Jedoch handelt es sich bei dem Burzum RPG lediglich um MYFAROG (Mythical Fantasy Role Playing Game), ein von Varg höchstpersönlich entwickeltes Pen & Paper-Rollenspiel, welches den fünf Menschen, die noch Pen & Paper-Rollenspiele spielen, die europäische Kultur näher bringen soll.

Die vierte Stunde

Varg sitzt wieder an seinem banalen Schreibtisch und klimpert auf seiner Schrottgitarre alte Burzum-Tracks. Ich bekomme wieder dieses Gefühl, dass das alles hier eine ziemlich beschissene Idee war, doch langsam fängt Varg an, mit seinen Zuschauern zu sprechen. Vermutlich hat er im Vorfeld intensiv die Videos seiner Lieblingskanäle studiert, denn seine Eigenen sind vom Aufbau her wie aus dem Lehrbuch. Erst stellt er mir eine oder mehrere Frage, dann zeigt er wie ein liebenswürdiger Onkel mit dem Finger auf mich und lockt mit der immer gleichen Phrase: „Let’s find out!“ Dann reißt er innerhalb weniger Minuten irgendeine abstruse Erklärung über die weiße Rasse oder Paganismus runter. Erinnert mich alles ein wenig an „Blau&Schlau“ für PEGIDA-Anhänger und KenFM-Hörer.

Ich gebe zu, ich habe schon längst abgeschalten. Varg erzählt irgendwas über Europa vor dem Christentum und wie Christen die traditionellen Religionen vertrieben haben. Folter, Krieg, Mord und wie eine Gruppe Hinterwäldler eine andere Gruppe Hinterwäldler vertrieben hat. Ich frage mich, ob er wirklich an diesen Blödsinn glaubt.

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Die fünfte Stunde

Plötzlich habe ich begriffen, wieso Varg diesen belanglosen YouTube-Kanal pflegt und seinen Zuschauern abwechselnd etwas über Rollenspiele und Paganismus erzählt. Zwischenzeitlich dachte ich einfach, er sei einfach ein riesengroßer Nerd, der irgendwann in seiner Märchenwelt hängengeblieben ist. Dabei ist ThuleanPerspective ein genialer Marketing-Kanal, um die Verkäufe von MYFAROG zu pushen. Varg liefert die perfekte Markenidentität zu MYFAROG. Edeka hat einen einsamen Opa, aber MYFAROG hat Varg Vikernes. Das kann dir keine noch so hippe Werbeagentur zusammenzimmern.

Irgendwann später

Plötzlich fällt mir auf, dass Varg Smileys verwendet. Einmal gesehen, fallen sie mir ständig auf. Wenn er kommentiert, in seinen Videobeschreibungen und sogar in den Text-Einblendungen während der Videos. Ich weiß nicht, wieso mich das verwundert—vermutlich hat mich sein Geschwafel über Paganismus und Europa mittlerweile mürbe gemacht. Benutzt Varg auch Emojis? Wenn ja, was ist sein Lieblings-Emoji? Ich tipp auf das Äffchen, das sich verschmitzt die Augen zuhält.

Die sechste Stunde

Endlich ist der Moment gekommen. Bisher war Vikernes ein 08/15 Rassist, die man tausendfach in den Kommentaren eines Spiegel-Online-Artikels zu Israel findet. Doch nun beweist er, dass er der Einäugige unter den Blinden ist. Varg ist nämlich nicht nur Vollblut-Antisemit, sondern auch Pick-up-Artist und erklärt er mir, wie man eine gute Frau findet. Er behauptet, dass man sich eine gute Frau verdienen müsse und dies insgesamt auch wichtig sei, um die Qualität unserer Rasse zu schützen. Das Ganze sei auch ganz einfach, man muss lediglich ein Held sein und dann läuft das Game von ganz alleine. Dieses Video beweist, dass er zu Höherem erkoren wurde. Ich überlege mir MYFAROG zu kaufen, nur um herauszufinden, ob sich sein krudes Weltbild bis in sein Spiel gezogen hat.

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Irgendwann zwischen der sechsten und siebten Stunde

Mit wem spielt Varg eigentlich seine Rollenspiele? Hat Varg Freunde?

Etwas später

Varg sagt, dass er die Rollenspiele oft mit seinen Kindern spielt. Irgendwie tut er mir leid.

Die siebte Stunde

Nach dem kurzen High ging es dann leider schnell wieder bergab. Varg kommentiert die Out-Of-Africa-Theorie, Varg hat aus Stock-Fotos ein Video gegen Feminismus gebastelt, Varg erzählt nichts, was nicht irgendein AfD-Wähler nicht schonmal gesagt hat.. Davon gelangweilt schaue ich nebenbei auf dem Smartphone, was eine Kopie von MYFAROG kostet. 70 Euro. Hat der noch alle arischen Latten an seinem europäischen Zaun? 70 Euro für ein Pen & Paper-Rollenspiel, also dafür, dass ich bis ans Ende meines Lebens Jungfrau bleibe? Nicht mit mir.

Die Ambient-Musik, welche Varg für jedes Video verwendet macht mich langsam mürbe im Kopf und ich fange an, ihm auf seine rhetorischen Fragen zu antworten.

„Do you need an iPhone?“ - Alle meine Freunde haben iPhones Varg, weißt du was das für ein Druck sein kann?

„Do you need a Discman?“ - LOL Varg, keiner hat mehr einen Discman, dafür gibt es doch iPhones!

„Do you need MakeUp?“ - Nur an richtig harten Tagen.

„Do you need Deodorant?“ - Varg… komm schon. Ein scheiß Deo kostet einen Euro, für jemanden, der Rollenspiele für 70 Euro verkauft muss das doch drin sein.

„Do you need a wristwatch?“ - Nein, dafür habe ich ja das iPhone verdammt!

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Obwohl ich den Bildschirm meines Laptops zynisch anbluffe, hat Varg mich zum Nachdenken gebracht. Macht Konsum mich wirklich glücklich? Ich streichle kurz über mein iPhone. Die Antwort lautet: ja.

Die achte Stunde

Varg hat es geschafft, einem Video mit dem Titel „About ISIS“ ganze 10 Sekunden über ISIS zu sprechen und die restliche Zeit damit zu verbringen, mal wieder über die Verbrechen des Christentums im Mittelalter zu sprechen. Ich bin maßlos enttäuscht. Ich hatte erwartet, dass mir Varg auf seinem Kanal Verschwörungstheorien präsentieren würde, bei der sogar Ken Jebsen feuchte Hände und Xavier Naidoo eine zittrige Stimme bekommen würde und was ist? Alles was ich bekomme, ist irgendeine verwirrte Märchenscheiße darüber, wie wir wiedergeboren werden und dann ist auch noch ständig der Video-Hintergrund fokussiert und Vargs Gesicht unscharf. Was ist los mit dir, Varg?

Die neunte Stunde

Ich hab gar keine Ahnung mehr, ob wirklich schon neun Stunden vergangen sind. Zeit hat keine Bedeutung mehr. Vargs Ambient-Musik fesselt mich vor den Laptop und zwingt mich, durch den doch sehr einfachen Verstand des Varg Vikernes zu kriechen. Antisemitismus hier, kurz was zu Rollenspielen und Rassismus da. Varg versteckt sich grundsätzlich hinter va(r)gen Äußerungen und einer beständigen und ruhigen Aussprache. Sicherlich auch, weil er vor nicht allzu langer Zeit in Konflikt mit der französischen Strafverfolgung geriet, als er mal wieder gegen Minderheiten auf seinem Blog hetzte. Als Rollenspielfans MYFAROG jedoch Rassismus vorwarfen, tat Varg das, was jeder YouTuber, der etwas auf sich hält, in so einem Fall tun würde: Er liefert eine Videoantwort. Und plötzlich erlaubt er mir einen Blick hinter seine sonst unverwüstliche Fassade.

Für zwei Sekunden erlebe ich die zynische und genervte Seite des Varg Vikernes, als er seine Kritiker mit „It’s racist!“ nachäfft. Von jetzt an erscheint mir Varg viel menschlicher und näher als bisher. Ich mag Varg jetzt noch weniger als zu Beginn meiner Odyssee.

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Immer noch die neunte Stunde

Varg zeigt seinen 14-Jährigen Zuschauern, was für ein verwegener Haudegen er ist: Er erzählt eine Geschichte davon, wie er mal zu IKEA gefahren ist. Dort war die Drehtür kaputt, was dafür sorgte, dass immer mehr Menschen wie versteinert vor der Tür stehen blieben und darauf warteten, dass ein IKEA-Mitarbeiter diese reparieren würde. Doch Varg wäre nicht die letzte Hoffnung für das weiße Europa, wenn er nicht in seinen Tarnklamotten und mit erhobenem Haupt an allen vorbeigehen würde und die Drehtür einfach von selbst wieder anstoßen würde. Ich frage mich, ob Hollywood die Rechte an dieser Story gekauft hat, jedoch habe ich mittlerweile aufgehört mich zu fragen, wie ich hier gelandet bin.

Das Ende

Vor diesem Experiment dachte ich, dass Varg ein größenwahnsinniger und rassistischer Typ sei, welches auf einem französischen Bauernhof tote Krähen sammelt. Nach diesem zähen YouTube-Marathon weiß ich jedoch, dass Varg ein langweiliger rassistischer Typ ist, welcher auf einem französischen Bauernhof lebt und scheinbar keine toten Krähen sammelt. Die NSBM-Szene, welche sich gern als unpolitisch beschreibt, dann aber doch irgendwie „den Juden“ an allem die Schuld gibt, hat Varg als ihre Gallionsfigur erkoren und beide Parteien haben sich definitiv verdient. Burzum teilt sein rassistisches, antisemitisches Weltbild, ohne dabei Unterhaltungswert durch vollkommene Lächerlichkeit zu bieten, wie zum Beispiel Dennis Ingo Schulz oder Dr. Axel „Muss man wissen“ Stoll. Ich bin enttäuscht.

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