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Die unerschöpfliche Genialität des Jon Hopkins

Die Kritiker lieben ihn. Der Producer versorgt uns mit ein paar Einzelheiten zu seiner nächsten Veröffentlichung und erklärt, warum er nicht aufhören kann, mit Immunity rumzuspielen.

Auf einem grasigen Hügel hinter einem Zelt sitzen Jon Hopkins und ich beim unglückseligen Hudson Project-Festival nebeneinander auf zwei aus Plastik und Metall bestehenden Bauten, die augenscheinlich Stühle darstellen sollen. Er schaut mich durch eine Aviatorbrille mit braunen Gläsern an und schafft es dabei irgendwie, sein Paul Smith T-Shirt nicht vollzuschwitzen. Wenn ich den plappernden Kameramann in der Ecke ignoriere, oder die Tatsache, dass weit und breit weder ein Schinkensandwich, noch eine Tasse Tee zu sehen sind, könnte ich fast so tun, als wäre ich hier auf einem privaten Picknick mit dem hochgelobten Producer aus Großbritannien—nur wir beide, im kühlen Schatten eines nahestehenden Baums.

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Obwohl—nein, das kann ich nicht. Plötzlich ertönt aus nicht allzu weiter Ferne ein dumpf wummernder Sound von einer der Bühnen und zerstört die Illusion idyllischer Gelassenheit. „Oh Gott, das ist laut. Das klingt wie Kopfschmerzen“, sagt Hopkins lächelnd.

Man kauft ihm allerdings nicht so richtig ab, dass die unablässig wummernden Basslines ihn wirklich stören: Hopkins tourt mittlerweile seit vierzehn Monaten unermüdlich durch die Welt, um sein viertes und bislang erfolgreichstes Album, Immunity, zu promoten. Darunter waren Auftritte auf Londons Field Day, Barcelonas Sónar, Glastonbury und dem Electronic Beats Festival in Köln.

„Ich muss mich immer noch daran gewöhnen, vor vielen Menschen aufzutreten“, gibt Hopkins zu. „Früher habe ich viele kleine Shows gespielt. Jetzt kann ich ambitionierter sein, mehr Visuals einbauen und die Gigs an sich zu einer größeren Sache machen.“

Mit seinen 34 Jahren hat Hopkins Karriere eine dramatische Wende genommen. Obwohl sein, ohne Frage vorhandenes und ziemlich verkopftes, Talent nie angezweifelt wurde, hat er sich viele Jahre hinweg einfach unter dem Radar bewegt und konnte nie eine große Anhängerschaft für sich gewinnen, die seinen guten Kritiken ebenbürtig gewesen wäre. Es hat durchaus seine Gründe, dass sich Hopkins auf Twitter etwas abwertend als „Ivor Novello Award and double Mercury Prize losing artist“ bezeichnet.

Nachdem er klassisches Klavier am Royal College of Music in London studiert hatte, fing Hopkins als Tour-Keyboarder für Imogen Heap an und lies daraufhin 2001 sein Debütalbum Opalescent folgen. Die Platte erntete überall positive Kritiken—einige Tracks wurden sogar für Sex and the City lizensiert—sein Nachfolger Contact Note ging allerdings ziemlich unter. Dank einer Bekanntmachung über seinen Freund Leo Abrahams begann Hopkins 2004 damit, mit Brian Eno zusammen zu arbeiten, der ihn als Co-Producer für Coldplay mit ins Boot holte. Hopkins arbeitete an einigen Tracks von dem 2008er Album Viva La Vida mit, ging mit der Band im gleichen Jahr auf Tour und war Co-Producer von „Midnight“, der zweiten Single von Ghost Stories, Coldplays aktuellem Album.

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Hopkins drittes Album, Insides, wurde 2008 veröffentlicht und bekam auch wieder durchwegs positive Reviews für seine Eno-esken, emotionalen Ambient-Elektronika-Passagen. Trotzdem sollte es noch bis zum 2013er Immunity dauern—seinem bis dato cluborientiertesten Album—,dass Hopkins endlich sein Durchbruch als eigenständiger Künstler gelang.

Für neun Monate hatte sich Hopkins in seinem Londoner Studio eingeschlossen, um mit Immunity eins dieser seltenen Meisterwerke zu erschaffen, das gleichzeitig verkopft und sinnlich, treibend und doch meditativ, üppig ausgestattet und trotzdem von eleganter Einfachheit ist. Manche Lesarten sehen dieses Album als eine Art emotionaler Odyssee. Es beginnt mit dem Geräusch eines klimpernden Schlüsselbundes—Hopkins, der sein Studio aufschließt. Man kann sagen, dass das Album zweigeteilt ist: Die erste Hälfte ist auf treibende Technorhythmen ausgelegt, während die zweite Hälfte mit deepen Ambient-Strudeln langsam zur Ruhe kommt. Über beide Hälften ist ein hypnotisches Muster aus Analogsynthesizern, hellen Klaviertönen und Field-Recordings gewebt—darunter finden sich auch Aufnahmen des Eröffnungsfeuerwerks der Olympiade, quietschende Wassermühlen und die Geräusche der Wasserleitungen in einem New Yorker Hotelzimmer.

Es war auch Immunity, das Hopkins seine zweite Nominierung für den Mercury Prize einbrachte und ihn auf eine unendlich lange Tour verfrachtete, die erst Ende diesen Jahres ihr Ende findet, wenn er in Londons Royal Festival Hall eine spezielle Show spielen wird, die Werke aus seiner ganzen Karriere umfasst.

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Hopkins in seinem Londoner Studio

Zwischen den ganzen Auftritten gab es aber auch einige Atempausen. „Ich bin kurz davor, eine neue EP mit Sachen fertigzustellen, die ich im Februar in Reykjavik aufgenommen habe“, sagt er. „Es ist eine weitere Vertiefung einiger Tracks von Immunity. Ich habe das Gefühl, das wir so viele Singles und Remixes veröffentlicht haben, die sich eher mit der treibenden, harten Seite des Albums beschäftigen“—Pangaea, Objekt, Karenn, Four Tet, Modera und Nosaj Thing haben alle den Tracks ihren Stempel aufgedrückt—„Ich will eine EP machen, die eher die langsameren, filmischeren Aspekte auslotet.“

Ich frage ihn, wie er es nach den dutzenden Remixen und hunderten Auftritten immer noch schafft, sich in Immunity zu vergraben und neue Ideen hervorzubringen—mit den Tracks weiterhin zu spielen. Letzten Monat erst hat er sich mit Lulu James zusammengetan, um an einer neuen Version von „We Disappear“, dem Opener von Immunity, zu arbeiten. „Breathe This Air“, ein weiterer Track des Albums, bekam ebenfalls durch eine Kollaboration mit Purity Ring ein neues Gewand verpasst.

„Es gibt darin immer noch eine Menge Sachen, die ich weiter erforschen kann“, sagt Hopkins. „Nehmen wir ‚Open Eye Signal’. Der Track besteht aus Bass, Drums und einem Chor-Element—das ist meine Stimme, aber stark bearbeitet und in vielen Schichten übereinandergelegt. Dieses Gesangsstück funktioniert auch als eigenständiges Musikstück und es wird einer der Tracks von der EP sein. Es ist sehr dronig, sehr ambientlastig.“

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„Ich gehe Dinge gerne an, als wären sie Erzählungen“, führt er fort. „Wäre ‚Open Eye Signal’ ein Film, dann wäre [dieser Track] eine Nebengeschichte—ein Sub-Plot, wenn du so willst.“ Das ist ein essentieller Teil von Hopkins Herangehensweise: Musik in filmischen und sogar räumlichen Dimensionen zu sehen. „Wenn ich mixe oder einen Track fertigstelle, platziere ich Sounds, als wären sie räumliche Objekte“, erklärt er. „Ich habe dann Elemente, die befinden sich meilenweit entfernt, andere wiederum sind sehr nah. Die Höhen sind hier vorne, der Bass ist dort unten. Sound ist so viel mehr als einfach links und rechts—es ist ein dreidimensionaler Ort in meinem Kopf.“

Hat er schon immer Sound als Raum gesehen? „Es ist präziser geworden. Ich kann jetzt jedes Detail aus einem Track raushören. Einige Tracks haben viele Elemente und ich weiß, dass sie alle da sind. Ich weiß, wo genau sie sich befinden“, so Hopkins. Wenn man seinen filmischen Ansatz zu Klang in Betracht zieht, macht es nur Sinn, dass der visuelle Aspekt ein wichtiger Teil seiner Live-Sets ist—aber nicht in der herkömmlichen, Epilepsie-induzierenden Art, die von vielen LED- und Laser-Enthusiasten bevorzugt wird. Bei seinen audiovisuellen Shows hat er schon mit allen möglichen Dingen—von mikroskopischen Aufnahmen chemischer Reaktionen, über die Skateboardodyssee des Jungen aus dem Video zu „Open Eye Signal“, bis hin zu den lebendig-psychedelischen Animationen von Vince Collins—experimentiert.

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Es ist auch nicht besonders überraschend, dass er auch schon Musik für einige Filme komponiert hat. Dazu gehören Arbeiten für Peter Jacksons In meinem Himmel und Gareth Edwards Science-Fiction-Horror-Indiefilm Monsters. Für Hopkins sind die musikalische Untermalung von Filmen und das Schreiben eigener Musik aber zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. „Ich habe sechs Wochen an ‚Open Eye Signal’ gearbeitet, da ich dort anfing, mich intensiver mit Techno und Analog-Synthesizern auseinanderzusetzen. Filmmusik ist nicht der richtige Ort, um mit neuen Klängen zu experimentieren. Das ist der Grund, warum es für mich wichtig ist, eigene Alben zu machen, weil ich nur so als Soundtüftler vorankomme.“

Hopkins Ideen für sein nächstes Album, das er „mehr als alles andere“ machen möchte, drehen sich um die Eindringlichkeit der tanzbareren Tracks, die die erste Hälfte von Immunity ausmachen—vielleicht wird er die treibenden Rhythmen dort noch weiter ausloten. In seiner unstillbaren Suche nach frischen Sounds und neuen Herausforderungen hat er sich dazu entschieden, seinem Yamaha-Piano, das er seit Kindesalter hat und das sich momentan in seinem Londoner Studio befindet, den Rücken zu kehren. Diese Nostalgie bringe ihn nicht weiter, sagt er. „Ich werde dieses Piano-Element fast vollständig entfernen. Die Sounds, mit denen ich arbeite, diktieren auch, wie das Album sich entwickelt. Ich habe inzwischen schon so viel Klaviermusik gemacht, das ich mittlerweile das Gefühl habe, mich davon trennen zu müssen.“

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Als ich ihn nach seinen Wunschkollaborationen für das nächste Album frage, zählt Hopkins Jónsi von Sigur Ros, den Radiohead-Producer Nigel Godrich und Thom Yorke auf. „Er ist einer meiner Helden“, sagt Hopkins über Letzteren. „Ich stehe allerdings nicht mit ihm in Kontakt. Ich wiederhole es einfach immer wieder in Interviews und hoffe, dass er es eines Tages lesen wird. Inzwischen habe ich das wohl oft genug gesagt …“ beendet er den Satz und lacht.

Aus einer Ecke nähert sich uns Hopkins Tourmanager. Wie es scheint, hat unser Pseudopicknick nun ein Ende. Ein junges Mädchen mit Zöpfen fährt in einem Buggy vor, um ihn zur Bühne zu fahren, wo er schon bald mitten in einem plötzlichen Gewitter ein introvertiertes und aufreibendes Techno-Set abliefern wird. Hopkins springt auf die Beine, schüttelt meine Hand und hüpft auf den Beifahrersitz. Auf dem Weg zur nächsten Bühne, zur nächsten Show, dem nächsten Stopp auf seiner niemals endenden Suche nach dem Anderen verschwindet er in der Menge.

Michelle Lhooq ist ein Techno-Freak und lebt auf Twitter - @MichelleLhooq

Dieser Artikel erschien zuerst auf Thump.

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