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Die Freakshows von Hans Entertainment und Co.—Ein Kommentar

Wahlweise wird eine Frau mit Silikonbrüsten als DJ angeboten oder der DSDS-Dauergast Menderez darf hilflos „Billie Jean“ performen. Und dann gibt es natürlich noch Hans Entertainment.

Es ist heiß in dem Bierzelt irgendwo in der Provinz. Die Stimmung ist gelöst bis ekelhaft. Überall Typen, die aus einem Werbetrailer der Jungen Union zu stammen scheinen und sich mal richtig einen hinter die Binde kippen. Echte Männer halt. Mit Karohemd und steiler Frisur. Endlich mal die Sau rauslassen. Daneben Mädels, die im Chor kreischen und ungefragt ihr Duckface den unzähligen Handykameras entgegen strecken. Dazwischen ein paar Weinköniginnen und lokale Radiomoderatoren, die als VIPs fungieren. Eine mittelmäßige Coverband spielt irgendwas von den Scorpions oder Aerosmith. Im Bierdunst bleibt die Musik nebulös, niemand ist hier, um Sir Simon Rattle beim dirigieren zuzuschauen. Das ist in Ordnung, muss man ja auch nicht. Der Dirigent wäre auch bestimmt nicht erschienen. Stattdessen erscheint ein dauergrinsender Moderator auf der Bühne und kündigt den Stargast des Abends an: Hans Entertainment. Unter Gelächter und hämischem Jubeln erscheint der Facebook-Clown und beginnt, sein übliches "Hoch die Hände, Wochenende"-Programm abzuspulen. Die Menge tobt.

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Einige Jahrzehnte früher. Menschen mit vogelartigen Gesichtern. Siamesische Zwillinge. Kleinwüchsige, sogenannte Affenmenschen, Kinder mit Albinismus oder ohne Gliedmaßen. Seit dem 19.Jahrhundert und bis tief ins 20. Jahrhundert hinein gab es Schausteller und Zirkusdirektoren, die mit der Zurschaustellung von angeblichen Abnormitäten Geld verdienten. Das war normal und gehörte zum Wochenendprogramm. Sie tingelten von Ort zu Ort, verlangten Eintritt und spielten mit der Faszination von eher einfachen Menschen an allem, was nicht ihrem Ebenbild entspricht. Schau mal, wie der aussieht! Auch Hollywood bediente sich in den 30ern immer wieder der Andersartigen, um zu schockieren. Mittlerweile ist so etwas natürlich längst verboten. Humanismus und so. Wir sind jetzt aufgeklärt und wissen, dass es schlecht ist, sich Menschen die anders als man selber sind zum persönlichen Vergnügen auf eine Bühne zu stellen. Zumindest so lange wir das eigentliche Elend nicht mitbekommen müssen.

Hans Entertainment hat glücklicherweise keine derartige Behinderung. Er ist auch mit Sicherheit nicht mit den als "Freaks" titulierten Rummel-Sensationen vergangener Jahrhunderte zu vergleichen. Seine wuchtige Erscheinung mag ungewohnt sein und seine Stimmbänder sind etwas verkümmert, das wars im Endeffekt auch schon. Aber die Szenerie, die ein Kamerateam vor dem Auftritt einfängt ist trotzdem erbärmlich. Da verkündet er gequält im Backstage, dass er sich mal wieder so richtig zusaufen werde, um das Ganze ertragen zu können. Anders ginge es nicht. Die halbherzigen Versuche seines Managers, ihn davon abzubringen scheitern. Als er auf der Bühne steht, wirkt er selbstbewusst und fröhlich. Oder halt einfach besoffen. So wie all die Leute, die jetzt vor ihm stehen und hunderte Fotos von dem ziemlich großen 200 Kilo-Mann schießen. Inzwischen reicht es offenbar schon ein paar Gramm mehr auf die Waage zu bringen, siamesische Zwillinge sind gar nicht mehr nötig. Hauptsache man kann sich von dem Witzbold abgrenzen, der sich da gerade auf dem Podest zum Affen macht.

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" … mehr Kilos auf den Rippen als Reiner Calmund"—Aus dem Promotext zur Single "Eskalation"

Künstlermanagments, die auf die Ware "Skurrilitäten" setzen gibt es jede Menge. Dabei handelt es sich natürlich nicht mehr um Behinderungen. Wahlweise wird eine Frau mit leblos wirkenden Silikonbrüsten als DJ angeboten oder jemand wie der DSDS-Dauergast Menderez darf hilflos "Billie Jean" performen. Dörfliche Großraumdiskotheken nehmen solche Angebote mit Kusshand, das Publikum giert offenbar danach. Die Frage bleibt: Was erwartet man von einem solchen Künstler? Einen guten Auftritt? Oder reicht es schon, jemanden zu haben, neben dem sich irgendein zukünftiger Versicherungsangestellter einfach nur geiler fühlen kann. Jemand der allen anderen im Raum zeigt: Du bist vielleicht auch nicht der spannendste Mensch der Welt, aber der hier, der ist definitiv das größere Opfer. In manchen Fällen ist es einfach nur armselig. Bei anderen muss man sich ernsthaft Sorgen machen, wie der Fall Gillette Abdi zeigt. Ein Blick in den Werbetext der Promo-Agentur von Hans Entertainment lässt einen ernsthaft am Verstand dieser Menschen zweifeln. Wird Anfangs noch mit idiotischen Vergleichen wie "mehr Facebook-Likes als Lothar Mätthäus" hantiert (Achtung, Flachwitz: Mehr Ehefrauen, das wäre eventuell eine Leistung), kommen wir bald schon zu einem anscheinend wichtigeren Punkt: "Mehr Kilos auf den Rippen als Reiner Calmund". Aha, gut zu wissen. Und wem weder Facebook-Likes noch Kilozahl genügen, um ein paar Tausender locker zu machen, der wird mit der fragwürdigsten Aussage seit Christoph Daums "Ich tue das, weil ich ein absolut reines Gewissen habe" konfrontiert. Ohne jede Ironie ist dort nämlich von "Deutschlands wichtigstem Newcomer" die Rede. Nach dieser kleinen Lüge wird der "22-jährige Party-Irokese" dann weiterhin angepriesen wie Nackensteaks. Man zahlt offenbar pro Kilo und bekommt dafür was zu lachen. Bis auf das ausgestellte Nackensteak für alle Beteiligten eine Win-win-Situation. Aber besonders den Zirkusdirektor freut das Geschäft natürlich.

Kennt ihr diesen Hans Entertainment-Moment, wenn ihr trotz seiner offensichtlichen Fehler in der Vergangenheit das Gefühl nicht los werdet, dass Hans noch der Normalste in diesem ganzen Zirkus ist? Das Problem ist ganz sicher nicht der Künstler an sich. Die Motivation bleibt ungewiss. Vielleicht geht es um die Aufmerksamkeit, vielleicht um das Geld oder einfach nur, weil man eben gerade die Möglichkeit hat, etwas derartiges zu tun. Das Problem sind nach wie vor die Leute vor und hinter der Bühne. Halbseidene Geschäftsmänner, die ihren Porsche von Auftritten ihrer Zöglinge abzahlen und sensationsgeile Deppen, die sich vor der Bühne über die Zirkusattraktion amüsieren. Aber wie immer ist es eine Frage von Angebot und Nachfrage. Solange Menschen Geld bezahlen, um sich eine "Freakshow" anzuschauen, solange wird es andere Menschen geben, die damit Geld verdienen wollen. Die bereit sind, so jemanden zu buchen, der sich öffentlich demütigen lässt. Die in einem Bierzelt stehen und grölend Selfies mit dem "Monster" machen wollen. Das Problem seid ihr.

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