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Original und Fälschung

Original vs. Fälschung: Loreen vs. Cascada

Unser Plädoyer dafür, dass Cascada doch von der Eurovision-Vorjahressiegerin Loreen geklaut hat.

In unserer neuen Reihe „Original vs. Fälschung“ werden wir ab sofort Songs miteinander vergleichen, die eine gewisse Ähnlichkeit, mit Tendenz zu komplett geklaut, aufweisen. Den Anfang macht aus gegebenem Anlass ein Song aus Deutschland, oder sollte man vielleicht eher Schweden sagen? Heute Abend findet ja wieder mal der von uns so heiß ersehnte Eurovision Song Contest statt, diesmal in der 58. Auflage und in Malmö. Wir können uns hoffentlich wieder auf singende und tanzende russische Omis mit gebrochenem Englisch, schmachtende Italo-Romanzo-Einlagen und grenzdebile Songtexte in einer Aneinanderreihung des Worst-Of der europäischen Musik-„Kultur“ freuen.

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Auch Fremdschämen für Deutschland ist wieder angesagt, denn dieses Jahr lautet unsere Sonderbotschafterin für Sauerkraut und Weißwurst Natalie Horler, besser bekannt als (ihr könnt es euch wahrscheinlich schon denken) Sängerin des Eurotrance-Dreiers Cascada. Als ich das erste Mal „ihren“ Song „Glorious“ hörte, musste ich so inbrünstig lachen, dass sich dieses Lachen irgendwann in den punktierten Rhythmus der zugrundeliegenden Synthesizer-Sounds transformierte. Denn der Song wurde offensichtlich von vorne bis hinten und von oben bis unten vom Vorjahressieger Loreen geklaut, die damals mir ihrem extrahierten Abklatsch aller Rihanna- und David Guetta-Produktionen die 120 Millionen Zuschauer an den transeuropäischen Mattscheiben überzeugen konnte.

Wie ich, erkannten auch weitere Personen diese Farce und schnell wurden Plagiatsvorwürfe laut, die ja spätestens seit Dandy von und zu Guttenberg total trendy sind. Die Sprachwissenschaftlerin Dr. Tina John von der Kieler Christian-Albrechts-Universität schreibt der deutschen Produktion Diebstahl der Gesangsmelodie, der Akzentuierung des Refrains und der Pausensetzung zu. Selbst die Atemstilistik soll Frau Horler abgepaust haben. Kurz darauf beauftragte der NDR, der in Koproduktion mit der ARD die deutsche Übertragung ausstrahlt, den renommierten Musikgutachter Matthias Pogoda, der ein rechtskräftiges Gutachten erstellen sollte. Nach Untersuchung der vokalen Melodik und des Arrangements beider Songs kam der Experte zu folgendem Urteil:

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„Für einen begründeten Plagiatsvorwurf wesentlich ist meines Wissens der Melodieschutz. Das Melodiewerk beider Musiken ist deutlich verschieden. […] Für einen begründeten Plagiatsvorwurf müssten m. E. detaillierte Übereinstimmungen einer längeren Begleitpassage vorliegen und weitere Arrangementbestandteile passgenau übereinstimmen. Dies ist hier nicht der Fall.“

Konfuzius hatte gesprochen und damit war die Diskussion beendet. Allerdings hegen sich bei mir einige Zweifel, inwiefern denn das Gutachten von Herrn Pogoda unabhängig ist. Nach eigenen Angaben ist er nämlich Gutachter für u. a. Universal Music Publishing und Peermusic. Universal Music Publishing ist ebendieser Riesenverlag, bei dem Cascada die letzten zwei ihrer vier Platten umfassenden Diskographie herausgebracht hat; und Peermusic verlegte den Song „Glorious“. Wenn also irgendwie etwas anderes herausgekommen wäre, als dass der Song keine astreine individuelle künstlerische Leistung ist, hätte man sich schön selbst ins Bein geschossen und die anvisierte Top-Chartplatzierung mit der verlockenden Möglichkeit mal wieder ordentlich Aschen in diesem korrupten Business machen zu können, gleich abschmieren können.

Klar, dass hier kein Teil eins zu eins übernommen wurde – die Ähnlichkeiten sind dennoch zu krass, als dass man einfach sagen könnte es ist kein Plagiat und damit basta. Deshalb werde ich beide Songs für euch einmal auseinander nehmen, schließlich muss sich mein Musikwissenschaftsstudium ja irgendwann mal bezahlt machen. Hier kommt mein Plädoyer, warum der Track offensichtlich doch geklaut wurde.

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Vers

Steigen wir direkt am Anfang des Songs ein. Ganz sanft erhebt sich bei beiden Songs die Stimme der Sängerin aus dem instrumentalen Begleitteil. Fokussiert man sich einmal auf den Rhythmus der Synthesizer, so ist es schwer nicht festzustellen, dass der punktierte Beat in beiden Songs auftaucht. Ich empfinde diesen Beat als ziemlich eindeutiges Alleinstellungsmerkmal von Loreens „Euphoria“, den man so nicht in jeder beliebigen Rihanna oder David Guetta-Produktion auf Anhieb findet. Die deutschen Produzenten hat das wahrscheinlich nicht gejuckt, und so hat man auch glatt noch einige Intervallstrukturen übernommen. Damit es nicht zu abgekupfert klingt, haben sie noch schnell ein paar Zwischentöne rausredigiert, um den geneigten deutschen Zuhörer nicht zu überfordern, denn schließlich muss man ja auf die Altersgruppe 60+ zählen können – ansonsten wirft ja keiner sein Geld für die Anrufe oder SMS nach Malmö aus dem Fenster.

Die melodischen Grundzüge, so wie die Anordnung der Gesangsphrasen ähneln sich ebenfalls stark. Auf eine kurze, melodisch aufsteigende Frage-Phrase („Why“ bzw. „Do you know“) folgt immer eine etwas längere, melodisch absteigende Antwort-Phrase („can’t this moment last for evermore?“ bzw. „it’s time to let yourself go?“).

Ein letzter kleiner Blick gebührt dem Aufbau des Vers-Teils. Hier scheint Cascada tatsächlich eine Einzelleistung vollbracht zu haben, die sich aber schnell wieder relativiert. Im Loreen-Track setzt nämlich der Hands-Up- und 4-to-the-Floor-Beat erst später im Song ein, bei den deutschen Anwärtern auf die Krone der europäischen Popmusik geschieht das jedoch schon innerhalb des Verses. Gar nicht erst lange Fackeln, so dass die Damen und Herren im Fernsehgarten gleich wissen, wo die 1, die 2, die 3 und 4 ist und die Hände stupide im Takt mitklatschen können. Bei Loreen gerät das Anschwellen des Instrumentaltracks etwas subliminaler. Im zweiten Vers wird diese Diskrepanz dann aber angeglichen.

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Refrain

Wie ich das bereits angedeutet habe, ist einer der Hauptkritikpunkte beim Battle um Original oder Fälschung der auffällig ähnliche Aufbau der beiden Songs. Ich skizziere an dieser Stelle mal kurz das Muster beider Tracks: Vers, Refrain, Vers, Refrain, Interlude, Refrain. Ok, soweit nichts anderes, wie in wahrscheinlich jedem 3-minütigen Popsong, aber das Produzententeam um DJ Manian und Yanou hätte ja wenigstens das Interlude in ihrem Musizieren-nach-Zahlen-Stecksatz an eine andere Stelle packen können.

Innerhalb dieser Bausteine fällt aber auch die frappierende Ähnlichkeit bei der Unterteilung der jeweiligen Parts auf. Genau, wie das Anschwellen bei den Vers-Teilen findet man das gleiche Gestaltungsmerkmal nun im Refrain. Bei beiden Songs werden die Instrumentals kurz vorher runtergefahren, um den Gesang ins Epizentrum der Aufmerksamkeit zu stellen und danach wieder den Beat zu droppen. Pech für Cascada, denn die melodische Betonung der Wörter „Euphoria“ bzw. „Glorious“ ist so auffällig un-unterschiedlich, wie die Augenfarbe der Olsen-Twins. Erstaunlich, man könnte die Wörter einfach so austauschen und es würde keinen Unterschied machen. Vielleicht zählten die Macher hinter „Glorious“ auf das Alzheimergedächtnis der Zuschauer, die sich denken müssen, wow, klasse Melodie, die geht sofort ins Ohr bleibt auch die nächsten drei Minuten erst mal drin.

Wie schon beim ersten Vers-Teil hängt der Cascada-Dreier hinten an den Refrain als Alibi noch acht Takte Eurotrance-Geplänkel ran. Da haben DJ Manian und Yanou wahrscheinlich ganz nach der traditionell maskulinen Vergleichsideologie gehandelt – wenn der Song schon geklaut ist, dann ist er wenigstens länger! Beim zweiten Refrain folgt dann die zu erwartende Assimilierung beider Refrains – den Vers kurz am Ende stocken lassen und dann er Guetta-Drop und 16 Takte die Arme in die Luft, wie in Lloret de Mar, wohoo.

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Interlude

Wie das in einem Interlude nun mal gang und gäbe ist, wird an dieser Stelle des Songs alles runtergefahren. Das ist quasi der Teil des DJ-Sets in der St. Trop‘-Disco dieser wunderschönen spanischen Mittelmeerstadt, an dem der Bass kurz rausgedreht wird, um danach wie der Phönix aus der Asche aufzuerstehen. Beide Male wird kurz das namensgebende Wort eingestreut, damit man auch gar nicht vergisst, welchen Song man hier hört. Könnte ja auch sein, dass der DJ gerade heimlich von „Glorious“ zu „Euphoria“ gewechselt hat, auffallen würde es wohl kaum.

Am Ende des Interludes von „Glorious“ kommt meine Lieblingsstelle im Lied. Bisher war ja bereits alles aus den Trümmern von „Euphoria“ zusammengekleistert und recycelt, aber jetzt kommt der Höhepunkt. Äquivalent zu Loreens gestottertem „u-u-u-u-u-uw-u“, das vorher jeweils immer am Ende ihrer Refrains erschien, stammelt Frau Horler nun das äußerst eloquente „Glo-o-o-o-o-o“. So, Herr Musikgutachter Matthias Pogoda, wo sind Sie nun? Das war der bisher einzige melodische Teil, den Cascada unberührt gelassen haben, aber zum Ende des Songs fällt auch diese Mauer.

Gut Cascada, wir wünschen euch am Sonntag von Herzen satte „Zero Points from Sweden“ für euren Song „Euphoria“, äh, „Eugloria“, ach nee, ich meinte natürlich „Glorious“. Vielleicht solltet ihr lieber zu Hause bleiben, denn ich habe diese böse Vorahnung, dass die Sache ziemlich nach hinten losgehen wird. Aber so etwas sollte auch nicht ungestraft davonkommen. Ich freu mich schon auf die enttäuschten Gesichter, da macht das Fremdschämen doch mal wieder Spaß.

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