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Rudis Brille

Rudis Brille: „Einmal Liste und a Banderl bitte“—Über die Gästeliste

Veranstalter zu sein ist aus vielen Gründen nicht einfach. Einer dieser Gründe ist die Gästeliste. Nein zu sagen ist nicht immer einfach—aber manchmal macht es auch Spaß.

Wenn heute Sven Väth die Kantine bespielt kann ich mir gut vorstellen, wie hoch der soziale Stellenwert der Veranstalter an diesem Tag steigt. Man hat wahnsinnig viele Freunde, die einem gerade zufällig an diesem Tag etwas zu sagen haben. Es gibt ja mittlerweile so viele soziale Netzwerke, da kann man schon mal plötzlich ausgerechnet genau über DICH stolpern, der du gerade heute ein großes Fest veranstaltest: „Hallo, schon lange nichts mehr gehört, wie geht es dir? (unnötiges Geplänkel—aber dann…) Du, ich hab gehört, bei Dir legt heute XY auf, ich war ja schon so lange nicht mehr aus und wollte dich fragen, ob du mich vielleicht plus 4 auf die Liste schreiben könntest. Ich bringe auch vier bezaubernde Freunde/innen mit (nona, Schiache brauch ma net), gibt’s vielleicht auch Backstagebanderl, ich will dem XY nur schnell Hallo sagen (also die ganze Nacht dort bleiben und wenn`s geht, free drinks abstauben) Aber wir könnten uns auch mal wieder treffen, haben uns ja schon soo lange nicht mehr gesehen (unnötiger Abspann).“

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So oder so ähnlich sehen Nachrichten aus, die man bekommt, wenn man Veranstalter ist und gerade eine großen, teuren Act gebucht hat. Die innere Ausgeglichenheit wird dadurch rapide unausgewogen, denn der Balanceact zwischen Arroganz und Freundlichkeit gleicht einem Kunststück am Hochseil. Ist Wien per se eine „Gästelistenstadt“ ? Nun, ich tendiere hier eher zu einem „ja“, obgleich es natürlich auch in anderen Städten Listen gibt. Berliner Clubs haben beispielsweise die berühmten „Hundemarken“ für C und D Promis der Szene ausgeteilt, sogar das anscheinend unüberwindbare Berghain gab diese einst aus. Freilich ging man damit sehr selektiv um und gemessen an der Größe und der globalen Bedeutung des Ladens ist der Anteil der „Listenpersonen“ verschwindend gering. Offiziell gibt es sie auch gar nicht.

Aber das ist eben das Berghain. Als die Grelle Forelle in ihren Anfangstagen dasselbe Konzept verfolgen wollte, gab es einen kollektiven Aufschrei—auch weil zwar viele der üblichen Verdächtigen genüsslich in der Schlange schmoren durften, andere „Freunde“ aber dennoch „gleicher als gleich“ waren. Mittlerweile hat man das System angepasst und eine Karte vergeben, die einem Personalausweis gleichkommt und bei extrem teuren Produktionen nur als fast lane Ticket gilt—ein durchaus begrüßenswertes System. Aber Wien ist eine hedonistische, leicht schnöselige Stadt, deren Bewohner schon immer etwas Besonderes waren und wenn es niemand anderes glaubt: Sie glauben es. Wien ist die Stadt der C Promis, A und B bleibt entweder daheim oder flüchtet ins Ausland. Und vor der Tür benehmen sich am Ende alle gleich, egal ob intellektueller Nerd oder weißhemdige Föhnwelle—frei nach dem Motto: „Ich zahl nix!“ und in der Schlange stehen geht schon gar nicht, wir sind ja nicht in London.

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Wie kommt man auf so eine Liste? Was muss man sein? DJ, Producer,Veranstalter, It-Girl, Grafiker, Szenefriseur, Werbetexter, Szenekellner, einfach cool, armer Student, Geburstagskind…? Die Liste wäre zu lang um sie zu komplettieren. Fakt ist, dass man nach einer gewissen Zeit einfach einen Stamm an Leuten hat, denen man einfach keinen Wunsch abschlagen kann (oder darf?). Ich sehe es auch durchaus als legitim an, wenn DJs oder Veranstalter sich nicht gegenseitig abkassieren, doch gibt es gerade in Wien Menschen, bei denen man bis heute nicht weiß, was „eigentlich ihre Leistung“ war. Er/sie war einfach da und bringt immer fesche Begleitungen mit, die natürlich auch umsonst rein müssen. Gerade im FLEX war und ist dies immer eine sehr spannende Geschichte geblieben. Der dortige Backstageraum galt seit jeher als soziales Zentrum—als leicht angestaubter Chatroom, aber natürlich auch als Chillout Zone. Naja oder eben um sich menschlich näher zu kommen. Schon in den Glanzzeiten des Crazy trafen sich Veranstalter und DJs dort jeden Dienstag, um sich auszutauschen, neue Pläne zu schmieden und vielleicht auch mal einen free drink zu genießen (als es noch den legendären, bis zum Rand gefüllten Kühlschrank gab). Um „nach hinten“ zu gelangen brauchte man das „Banderl“, das nun ebenfalls in vielen Läden zum Handschmuck der VIPs gehört. Es waren die Bänder, die Freundschaften zerstören konnten, denn wer es nicht hatte, wurde immer wieder rausgebeten. Das hat schon zu vielen herzzerreißenden Szenen geführt. „Ich muss da rein, meine Freundin is da drinnen“ oder „Warum darf ich nicht rein, der XY ist auch da drin?“, sind noch die harmlosesten Fragen. Andererseits verwechselt das Szenevolk den Backstageraum auch oft mit einem geheimen Floor und versteht nicht, wenn es ab und an tatsächich Künstler gibt, die wirklich ihre Ruhe brauchen und nicht 50 pofelnde, sich weg schießende Adabeis.

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Aber klar, ein leerer Backstageraum gibt auch nichts her. Im Gegenteil, er zeugt von einer schwachen Party: Denn wenn es keine VIPs gibt, dann gibt es auch meist weniger Gäste. In der Pratersauna, die ja per se keinen Backstagraum hat und wo seit Anbeginn mit den Gästen großzügig via Hausliste umgegangen wird, hat sich der Fokus spannenderweise immer auf das „Büro“ verlegt. Es macht schon einen gewissen Reiz aus, wenn man stets auffällig lange klopfen muss, um irgendwo reinzukommen, um dann festzustellen, dass man nichts von der Musik hört und nur ruhig rumsitzen kann. Da machte es wenig Wunder, dass einmal im Zuge der „Verkehrten Welt Party“ das Büro als Floor für alle genutzt wurde und so voll war, dass man nicht mehr reinkonnte. Die Leute mögen es offenbar klein und eng.

Manche Clubs leben aber auch davon, dass sie viele Leute zur Party einladen—in der Hoffnung, sie mögen dann ordentlich tanken. So etwa im Volksgarten, wo es ebenfalls schicke Clubkarten gibt und man es nicht schwer hat, wenn man sich rechtzeitig anmeldet. Es sei denn es ist Life Ball. Dort hat es ganz Wien verstanden, dass es keine Gästelisten gibt, auch nicht beim legendären Side Event im Volksgarten. Doch hier gilt das Prinzip: „Seien wir freundlich beim Eintritt, die Gäste sind dann freundlich beim Konsum—für mich eines DER Erfolgsrezepte des Traditionsclubs. Ähnliches gilt für das SASS, das ja am Donnerstag quasi einen eigenen „Gästelisten“-Club eingeführt hat. Wer sich auf Facebook anmeldet kann for free hinein. Doch heißt for free nun auch for free? Nicht mehr ganz, denn es gibt ja den berüchtigten Vergnügungssteuer-Euro. Die von allen Promotern ja so heiß geliebte Vergnügungssteuer hat nämlich die Veranstalter dazu angeregt, für ihre „Gäste“ eine eigenen Kategorie einzuführen. Für die gilt es die Minimalabgabe von 1.- zu entrichten gilt. Das führte vor einigen Jahren bei den Tausenden an „Gästen“ natürlich zu kollektivem Kopfschütteln. Denn einige weigerten sich beharrlich, zu verstehen, wozu dies gut sei.

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Das führt bei mir zu kollektivem Kopfschütteln, denn was mich als Fremdveranstalter betrifft, sind Gästelistenplätze maximal freundliches Entgegenkommen. Sie bringen mir genau nichts, denn an der Bar sind wir (eingemietete) nicht beteiligt, wir tragen alle Kosten selbst, zahlen Steuern, Gagen, Promotion und Miete und können eventuelle Einnahmen lediglich durch die zahlenden Gäste lukrieren. Würden wir also noch alle einladen, wir könnten uns von der nächsten Brücke stürzen, hätten aber kurz vor unserem Ableben noch eine volle Party gehabt. Denn eines ist klar: Keiner zahlt gerne, aber jeder meckert. Manche Clubs haben den „Vergnügungssteuer“-Euro dann auch geschickt weiterentwickelt. Aus einem wurden nun fast überall zwei, machmal sogar drei, in der Babenberger Passage sogar fünf Euro. Man entwickelt somit ein neues Phänomen: Man ist auf der Gästeliste und zahlt trotzdem Eintritt. Ich warte schon darauf bis es noch mehr kostet, nach dem Motto: „Gratuliere, Du bist auf der Liste, 10 Euro bitte…“ Hier hört mein Verständnis wieder etwas auf, denn das grenzt ein wenig an Verhöhnung des gesunden Menschenverstandes.

Was für Konzerte und Festivals selbstverständlich ist—nämlich keine Gästelisten anzulegen—gilt für die Wiener Clubs in keinem Fall, und ich muss kein Prophet sein um vorauszusagen, dass sich dies auch in den nächsten Jahrzehnten nicht ändern wird.
Ich könnte wohl schon ein kleines Buch mit Anektdoten füllen, vor allem wenn man mit Schweißperlen auf der Stirn auf die Gästelisten der Star DJs wartet, die sie dir dann handgeschrieben zum Zeitpunkt der Cluböffnung in die Hand drücken. Die Hochblüte der „Umgehungsgästelisten“ waren die G Stone Partys in Meierei und FLEX. Wer es beim Veranstalter nicht schaffte, rief den DJ an. Kruder und Dorfmeister waren zumeist so nett und befüllten DIN A4 Seiten mit Szenemenschen plus 4/plus 5.
Ich reagierte daraufhin oft mit dem Filzstift—und strich die Hälfte. (Aus den heiß geliebten plus 4 wurden plötzlich plus 1)
Und manchmal machte es mir diebische Freude, wenn ich in die schockierten Gesichter sah, als es hieß. „Ich kann dich hier nicht finden..“ meist folgte ein stammelndes „aber, aber…“.

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Gästelistenplätze sind für viele Weggeher aber auch ein notwendiges Übel: Wie oft habe ich schon den Satz gehört „ich will eigentlich gar nicht weg gehen, aber ich bin auf der Liste..“ also eine Art sozialer Zwang. Damit versuchen Promoter natürlich auch, viele „Freunde“ oder solche, die es noch werden wollen um sich zu scharen und ködern sie. Auch via Social Media. Das macht manche so sicher, dass dies überall funktionieren kann oder muss: Eigentlich wollten wir ja zu Hause bleiben und uns lieb haben, jetzt müssen wir rausgehen, irgendwelche Leute auf irgendwelchen Partys hinter dem DJ tanzen sehen und uns aus Frust, weil wir keinen Platz dahinter mehr haben, mit Grey Goose zuschütten.

Aber es gibt durchaus Regeln, nach denen sich freundliche Gästelistenanfragen orientieren können. 1. Nie am Veranstaltungstag nachmittags oder abends (noch besser) fragen 2. Nie einfach WhatsApp oder Facebook Messages schicken und sich dann aufregen, wenn man nicht antwortet. Von SMS ganz zu schweigen. 3. Immer freundlich sein: „He, bitte schreib mich“..geht echt nicht 4. Absagen akzeptieren, das schlechte Gewissen des Veranstalters ist euch gewiss und das nächste Mal geht’s dann, es hat einen Grund 5. Nie „unverschämt“ mehr als plus 1 verlangen, das ist ein no go. Wenn man nur geschlossen gratis rein will, dann bitte ans Christkind schreiben. 6. Auf Blabla verzichten. „Ich hab heute Geburtstag“ oder „Ich will endlich wieder mal ausgehen“ sind völlig unwichtig. Entweder es geht oder es geht nicht 7. „Was soo teuer ?“ tut weh, es gibt Kalkulationen, keiner traut sich in unserer Branche noch, wirklich unverschämt zu sein.

Und zumeist hat man ja ein weiches Herz und verteilt Geschenke. So wie einer unserer Lieblingssender: Auf FM4 gab es eine Zeit lang den legendären Gästelistenjingle vor Verlosungen: „Ihr wollte auf die Gästeliste? Und Eure Cousine auch, und die Freundin der Cousine und deren zwei Freunde…“ es folgte schallendes gelächter, ähnlich des Telefonisten des „Dorsia“ in American Psycho. Wenn es doch immer so einfach wäre, nein zu sagen.

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