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Mein Musikjahr 2015: Jonas

Noisey-Autoren blicken zurück. Heute ist es Chefsache.

2015 war ein bisschen ein seltsames Musikjahr. Fast alles, was 2015 in Österreich und der Welt prägte, war irgendwie eine Verlängerung des letzten Jahres: Bilderbuch und Wanda lieferten die größten Alben unterhalb der Andreas Gabalier-Schwelle ab. Mehr Pop-Artists schafften den Hipster-Turnaround: Nach Taylor Swift 2014 war es heuer Justin Bieber. HipHop ist weiterhin die alles bestimmende Kraft im Business, sowohl als eigenständiges Phänomen als auch als Inspirationsquelle und Bezugspunkt. Drake wurde mit „Hotline Bling“ zu einer sich selbst tragenden Singularität, wie es Pitchfork schön ausdrückte.

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Andere Trends starben überraschend schnell. Dass PC Music so rasant verschwinden würde, hätte ich vor einem Jahr nicht gedacht.

Anyway, hier also ein paar persönliche und unvollständige Bemerkungen zum Jahr 2015 und das, was es für mich ausmachte.

Wiens Clublandschaft

Mit der Clubkultur in Wien scheint es ein bisschen zu sein wie mit dem Weltklima oder dem Ägyptischen Reich der Bibel: auf fette Jahre folgen magere, nach Warmzeiten wird es kälter. Nach den (verhältnismäßig) goldenen Jahren zwischen 2007 und 2012 schwillte alles ein bisschen ab und war zuletzt vielleicht ein bisschen überdimensioniert. 2015 war ein Jahr, in dem man sich noch so durchgeschleppt hat, jetzt war es offenbar Zeit für eine Flurbereinigung: Die Pratersauna, wie wir sie kennen, schließt: die Forelle verkleinert sich; die Camera ist weg, und auch vom Brut mussten wir uns halbwegs verabschieden. Das ist für die einzelnen Gastronomen tragisch oder auch nicht. Für Wien muss es das nicht sein. Bewegung ist natürlich kein Wert an sich, aber eine Clubszene braucht immer wieder Erneuerung und kann auf Dauer nicht über ihre Verhältnisse leben. Der Umbau der Pratersauna hinterlässt eventuell genau das Loch, dass einigen jungen Menschen die Möglichkeit gibt Neues im kleineren Rahmen auszuprobieren. Ich mache mir keine Sorgen. Ein Acker muss auch mal eine Zeit lang brach liegen, damit wieder etwas wachsen kann. Ok, das ist die dritte Metapher in einem Absatz, that's just bad writing. Bevor ich mich jetzt also weiter verstricke gibt's hier noch an kurzes Danke an Hennes und Stefan. Und einen Verweis auf Rudi Wranys sehr ausführlichen Clubkultur-Jahresrückblick.

The Next Big Thing lässt auf sich warten

2012/2013 schwappte mit HAM, Vihanna und in weiterer Folge dann Schwarzbrot etc eine Welle an HipHop-Partys über Wien, die auch außerhalb einer bestimmten Community begeistert aufgenommen wurden. Irgendwann später wurden dann Partyreihen wie Club mit oder On Fleek größer, auf denen man ungehemmt zu Guilty Pleasures tanzen durfte. Plötzlich wurde man recht oft zu Events mit „Strictly Italo Disco!“ oder ähnlichem eingeladen. Beide Trends setzen sich natürlich fort, ziehen aber eher ihre Communitys an, was ja auch völlig in Ordnung ist. Doch was könnte der neue Megatrend sein? Indie? Brauchen tut ihn Wien sowas auf jeden Fall nicht zwingend. Wie man auch am Fall des doch eher kurzen „Sommer der Open Airs“ gesehen hat, spielt mitterweile auch Wien solche Trends eher schnell durch.

Grime

Dazu muss man nicht mehr so viel sagen, haben andere an dieser Stelle eh schon getan. Dass Grime in UK irgendwann wieder eine Hochphase haben würde, ist jetzt eigentlich nicht so überraschend. Das zentrale Element des jetzigen Höhenflugs ist, dass auch die Amis angesprungen sind. Und dass es eine gut ausbalancierte Horde an Artists gibt: Wiley ist der alternde König; Skepta sein Statthalter; Stormzy der Herausforderer und Big Narstie das Meme. Das Ganze wird kommen und vergehen, aber bis dahin dürfen Freunde des Sounds durchaus durchatmen.

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Österreichs Live-Landschaft

Der Bereich der Live-Konzerte befindet sich aktuell wohl am meisten im Umbruch. Große deutsche Konzertagenturen drängen auf den Markt, gründen mit lokalen Partnern wie Joint Ventures wie Arcadia Live oder veranstalten mit dem Rock in Vienna einfach mal groß selbst. Das setzt vorhandene Kräfte unter Druck, eh klar. Allerdings war das Bild medial schon ein wenig verzerrt: Skalar ist immer noch der relevanteste Player am Markt, mit der größten Kriegskassa und dem größten Team. Es ist nicht schlecht, dass neue Konkurrenz aufkommt, neue Festivals gründet und am Markt herumgräbt. Dass sieht man allein daran, dass sich Skalar bewegen musste und neue Formate entwickelt hat. Aber auch die Neuen werden irgendwann den Bonus des sympathischen Klassenneulings verlieren. Arcadia Live muss sich darauf einstellen, irgendwann ein bisschen öfter und offener kritisiert zu werden. Ist ja auch nicht schlimm. Wer arbeitet, der wird kritisiert.

Deutschrap ist nicht gleich Deutschrap

Ja, Deutschrap hat einen Moment, wie man immer so schlimm sagt. Es wird wieder Geld reingesteckt, und verschiedene Trends liefen neben-, über- und teilweise gegeneinander. Hipster-Rap blieb groß. Junge Netzrapper wie LGoony, Crack Ignaz oder Yung Hurn wurden von Netzphänomenen zu Rapphänomenen, die ihren Ursprung im Netz haben. Gleichzeitig machten Leute wie die 187 Straßenbande etwas ganz anderes: dreckigen Deutschrap von der Straße. Es bleibt zu hoffen, dass das keine kurzfristige Blase bleibt.

Memefication

Könnt ihr euch noch daran erinnern, wie im Juli Drakes „Hotline Bling“ erschien, alle dazu tanzten und sich den Song exzessiv bei jedem DJ von HipHop-Party bis Studentenfestl wünschten? Nein? Ich auch nicht. „Hotline Bling“ wurde erst durch sein Video im Oktober zu einem der Hits des Jahres. Genauer gesagt: Durch die visuelle und kulturelle Verarbeitung im Netz, die zahlreichen Gifs des tanzenden Drake, der es irgendwann auch auf Christmas Sweater schaffte.

Memefication muss nichts Schlimmes sein. Die Remixkultur im Netz gehört zu den wunderbarsten Dingen, die uns das 21. Jahrhundert gebracht hat. Sie hat aber auch ihre Schattenseiten. Sie dreht Phänomene so schnell durch einen gigantischen Fleischwolf, dass man kaum die Möglichkeit hat zu blinzeln, bevor sie grau und ausgelaugt vor einem liegen. Dass man von grundsätzlich sehr guten Dingen wie dem Claire Danes-Berghain-Video oder eben Drakes Tanzstil so schnell genervt ist, liegt natürlich an dieser gigantischen Netzfabrik, ihren angeschlossenen/verwandten (sozialen) Plattformen und Online-Medien. Ja, natürlich auch uns. Das Problem sind halt zwei Dinge: Erstens werden dadurch Dinge gehypt, die bei genauerer Betrachtung einfach nicht so gut sind. Majorlabels hätten früher nie so viel Geld in einen Rapper wie Romano gesteckt, da hätten ihm auch nicht die schönen Zöpfe, das Motorrad oder das noch nicht popkulturell abgegraste Köpenick geholfen.

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Das zweite Problem ist, dass es für diesen Komplex keine Lösung gibt. Es ist ja nicht der Fehler des Einzelnen, sondern systembedingt. Wer sich ein bisschen in der Ökonomie auskennt, wird sich an das Allmende-Problem erinnert fühlen: Je mehr Aufmerksamkeit wir (Netz und Medien) auf ein Phänomen werfen, desto schneller ist es durch.

Enttäuschung des Jahres

Dass ich ein großer Verehrer der Musikszene Schottlands und speziell Glasgows bin, ist kein Geheimnis. Dementsprechend ist es in einem eher durchwachsenen Musikjahr auch eventuell ein bisschen folgerichtig, dass meine größten Enttäuschungen ebenfalls aus der Ecke stammen. „Enttäuschungen“ geht da vielleicht ein bisschen zu weit, weil weder Hudson Mohawke noch Rustie wirklich schlechte Alben herausgebracht haben. Aber irgendwie waren beide leider nicht das, was ich mir erwartet habe.

Das beste (Wiener)-Set des Jahres

Aus irgendwelchen Gründen neigt man bei Bestenlisten immer dazu, die erste Hälfte des Jahres überzubetonen. Weil man sich selbst nicht traut, und glaubt, dass einem bei guten Dingen aus der letzten Woche nur die noch frische Erinnerung einen Streich spielt. Aber in diesem Fall kann ich relativ klar sagen: Das beste Set, das ich 2015 in Wien erlebt habe, war letzten Samstag. Um halb sechs Uhr morgens kletterte Lena Willikens erneut auf die Kanzel der Grellen Forelle, gesellte sich zu Ben UFO, und die beiden begann b2b zu spielen. Ja, ich mag betrunken gewesen sein. Aber das war einfach große, große Klasse.

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Das Album des Jahres

Hier würde ich sehr, sehr gerne irgendwas Originelles schreiben. Aber ich kann nicht. Es war verdammt nochmal einfach To Pimp A Butterfly.

Ein paar Songs, die heuer super waren

Die anderen Listenschreiber sind sich (relativ) einig: „Alright“ von Kendrick Lamar, Drakes „Hotline Bling“ und Jamie XX „Good Times“, in sich änderender Reihenfolge. Das ist völlig nachvollziehbar. Ich will hier an dieser Stelle aber ein paar anderen Songs anführen, die ich dieses Jahr sehr, sehr oft gehört habe. Ohne spezifische Reihung.

Stormzy—„Shut Up“

K.I.Z.—„Boom Boom Boom“

The Weeknd—„Losers feat. Labrinth“

DJ Koze—„I Haven't Been Everywhere But It's On My List“

Grimes—„Flesh Without Blood/Life In The Vivid Dream“

Miguel—„Coffee (Fucking) feat. Wale“

Ein paar Fragen, die ich noch hätte

Wie manche von euch wissen, gebe ich die Chefredaktion zum neuen Jahr ab. Hier sind noch ein paar Fragen, auf die ich keine Antwort habe. Aber hoffe, dass sie vielleicht 2016 jemand anderes hat.

Gagen. Wanda und (auf mittlerweile etwas geringerem Niveau, weil ein bisschen geringe Strahlkraft in die Breite) Bilderbuch bekommen Gagen, von denen österreichische Bands vor Jahren noch geträumt hätten. Bringt das den anderen österreichischen Bands auch etwas, oder entsteht da letztlich nur eine Elite?

Kuratoren. Ich freue mich, dass kompetente Menschen wie Gerhard Stöger, Kathi Seidler oder Ankathie Koi 2016 die öffentlichen Festivals kuratieren. Aber wie groß ist der Einfluss der Kuratoren im System von Publikumserwartungen, Budget und Bookern? (Anmerkung: Die Frage stand hier anfangs anders formuliert und ging so in eine nicht beabsichtigte Richtung. Deshalb umformuliert)

Acts. Natürlich ist es unglaublich geil, wenn Leute wie Robert Hood oder Dubfire nach Wien kommen. Und es ist auch super cool, dass man kleine, relativ billige Partys mit Locals schmeißen kann. Aber wie geht sich der Mittelbau aus, ohne dass Leute draufzahlen?

Folgt Jonas auf Twitter: @L4ndvogt