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Interviews

"Roboter könnten keine DJs sein"—The Algorithm im Interview

The Algorithm ist eine Einmannband, die die Grenzen der Musik sprengen will und sich dafür sogar einen Computerchip ins Gehirn implantieren lassen würde.

Das Musikgeschäft ist eine billige Hure. Es spricht die niedrigsten Bedürfnisse von viel zu vielen an. Und weit schlimmer: Früher oder später lassen sich manchmal auch die Besten im Spinnenetz fangen. Und schwupps, wird aus Kellerklub-EDM flockiger Sommerschlager, auf Rotation gebürstet und glatt geschliffen. Zielsetzung: hauptsache Radio-Hit. Dahinter steckt eine ganze Armee von Produzenten—eine Maschine, die Hits analysiert und nach Schema F baut.

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Zum Glück gibt es immer noch hier und da die Ausflucht vom Zwang zur Konformität. The Algorithm ist seit sieben Jahren auf dem Streifzug, die Fesseln musikalischer Einengung zu sprengen. Drum and Bass, Prog Rock, Djent, Dubstep, Black Metal—er vermischt, was ihm gefällt und selbst Kleinkinder zum Lachen bringt. Ein Weltenwanderer, der neue Symbiosen erschließt und Geister öffnet. Warum er dabei alleine vorgeht, das fußt auf seinen Hang zur Selbsterweiterung und -erkenntnis.

Erst wer sich selbst ergründet, kann andere veränderen. Und wenn das bedeuten würde, man müsste sich roboterartige Sehnen und Glieder in die Arme einbauen lassen, um der schnellste Gitarrist der Welt zu werden, warum nicht? Transhumanismus heißt diese Denkrichtung, dessen Fortschritt bereits in vollem Gange ist. Und was erst, wenn künstliche Intelligenz Musik erschafft? Wäre doch spannend. Gibt es auch schon. Irgenwann wird es eh Programme geben, die per analytischem Verfahren einen Hit nach dem anderen schreiben können. Also wer braucht schon noch Menschen auf der Bühne? Hologramme tun es doch auch. Rémi Gallego aka The Algorithm zerdenkt diese Zukunftsvisionen im Interview.

Warum machst du Musik als Einmannband?
Rémi Gallego: Vor Jahren war ich in einer Metalcore-Band [Anm.: Dying Breath]. Als sie sich aber auflösten, wollte ich weiter Musik machen, kannte aber keinen, der mit mir eine Band starten wollte. Also habe ich Audio-Software heruntergeladen.

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Du bist großer Dillinger-Escape-Plan-Fan. Wie kam das dann, dass dein Sound so voller Electronica steckt?
Meine ersten Tracks waren Mathcore, inspiriert von The Dillinger Escape Plan, Psyopus und solch chaotischem Metal. Ich schrieb mit der Gitarre und einem Drum-Emulation-Programm. Ich weiß nicht warum, aber ich fing an, viele Synthesizer-Plugins runterzuladen. Ich habe Cracks für sie gefunden und hatte Spaß daran. Erst eigentlich nur, um meine Freunde zum Lachen zu bringen, als dann zufällig im Metalsong plötzlich ein Technobeat auftauchte. Je mehr ich aber mit diesen Ideen experimentierte, desto mehr mochte ich sie. Das Konzept entwickelte sich völlig natürlich.

Im Vergleich zu EDM-DJs: Wie viel spielst du live bei einem Algorithm-Set?
Alle Akustik-Drums werden live [von Jean Ferry] gespielt, die meisten Gitarren auch, nur manchmal gibt es Backing-Tracks.

Sind im Gegensatz zu dir EDM-DJs nicht relativ nutzlos? Warum kann Dangermouse nicht einfach ein Roboter sein, der die Play-Taste drückt?
Bei mir liegt die Herausforderung darin, die Songs live zu spielen. Ich habe immer noch die Knöpfe wie Delay oder Reverb, um ein anderes Level an Kontrolle über den Sound zu gewinnen. Für EDM-DJs ist das ganz anders. Sie konzentrieren sich darauf, die Songs abzuspielen und die Übergänge zu gestalten; sie lassen Tracks zusammen funktionieren. Ein DJ ist dazu da, die Leute glücklich zu machen. Nur ein DJ kann verstehen, wie der Vibe der Nacht ist und wie die Leute auf die Tracks reagieren, um die gegenseitige Erfahrung noch mehr auszuschöpfen. Da spielen so viele Parameter eine Rolle, darum wäre es heute viel zu kompliziert, diese Aufgabe einem Computer zu überlassen. Ein Computer kann zwar Übergänge zwischen Songs kreieren. Dafür wird er nie verstehen, wie die Tracks in einer bestimmten Location klingen oder wie die Leute darauf reagieren könnten. Also nein, Roboter könnten keine DJs sein.

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Wie technisch geht ein DJ vor?
Gute Frage. Wenn du einen DJ mit einem Gitarristen im Technical Death Metal vergleichst, herrscht da ein komplett anderer Anspruch. Man geht zu den Shows nicht aus den gleichen Gründen. Klar ist das nervig zu sehen, wie DJs einen Haufen Kohle kriegen und nicht so viel dafür tun. So ist es aber leider. Das heißt ja nicht, dass es nicht wichtig wäre, DJs zu haben. Falsch ist es natürlich, wenn der DJ nur so tut, als würde er viel machen. Das ist scheiße. Ein richtig guter DJ kann aber den Unterschied machen und dir eine gute Nacht bescheren.

Deine Musik ist völlig unvorhersehbar, aber dennoch wie EDM mathematisch analysierend. Auch wenn letztere auf Erfolg aus ist und du auf Grenzsprengung.
Der Grund, warum ich diese Musik mache, ist ein anderer als der von EDM-Produzenten. Die haben im Kopf, dass sie Songs schreiben für Clubs, um Leute zum Tanzen zu bewegen. Sie brauchen ein gewisses Maß an Vorhersehbarkeit. Es muss fließen, easy listening sein. Ich denke nicht, dass jeder Dance-Produzent Mist macht. Es wird nur mit einer anderen Idee im Kopf geschrieben. Mein Kernkonzept ist, Unvorhersehbares zu erschaffen. Das kommt aus dem Metal, verrückte Rhythmen; nichts, zu dem allzeit leicht getanzt werden kann. Selbst wenn ich Techno und Drum and Bass drin habe, erscheinen diese Elemente nur für eine kurze Zeitspanne. Es ist nicht leicht, dazu zu tanzen, weil es sich ständig verändert. Das ist nicht sehr willkommen in der Dance-Szene.

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Warum ist es so wichtig für dich, deine eigenen Grenzen und die der Musik zu sprengen?
Erstens macht es Spaß, das ist wichtig zu sagen. Es macht Spaß, über den Tellerrand zu schauen, mich selbst dazu zu zwingen, etwas zu machen, das kein anderer versucht—Masturbation fürs Gehirn. Der Prozess der Grenzsprengung bringt andere Menschen dazu, auch die eigenen Grenzen ihrer Welten zu sprengen. Als Beispiel Elon Musk, der die Tesla-Autos entwickelt hat—elektronische Autos. In sehr amerikanischen Sinne verkörpert er die Idee der Auflösung von Limits. Das inspiriert mich, solche Dinge zu versuchen. Vielleicht schaffe ich es ja mal, Menschen zu inspirieren und Denkweisen zu verbessern?

Aber wie weit kann man gehen, um sich selbst zu entwickeln? Folgst du den philosophischen Sichtweisen vom Transhumanismus?
Nein, ich folge diesem Trend nicht, habe keinen Roboterpart in mir. Aber die Idee ist interessant und es wird so oder so in der Zukunft passieren. Noch ist es aufregend. Die Grundidee ist ja, menschlich zu bleiben und seine Kräfte und Fähigkeiten zu erweitern, durch die Nutzung von Computern und elektronischen Elementen. Ich denke, das versuche ich auch mit der Musik, die ich kreiere. Ich nehme bereits existierende, menschliche Elemente—Metalmusik mit Gitarren und Drums—und erweitere sie durch Computer. Wir sind Menschen, spielen mit unseren technischen Skills, aber die werden verbessert durch das Equipment, das wir haben. Das ist viel interessanter als all die Laptop-DJs, die auf ihre Computer vertrauen. Sie versuchen nicht, sich selbst auszudrücken. Darum geht es aber in der Musik.

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Die Musikwelt geht in Virtualität auf: Digitale Verstärker namens Kemper Amps, Gitarren mit Buttons statt Saiten—magst du diese Evolution?
Es ist hilfreich, all dieses Zeug um uns herum zu haben, weil wir dadurch fähig sind, mehr zu erschaffen. Es ist nicht unbedingt leichter: Wenn du ein Synth-Plugin auf dem Computer hast und Musik schreibst, dafür nur Presets verwendest und die vorgegebenen Midi-Melodien, dann nutzt du nur, was schon da ist; du erschaffst nichts. Interessant ist, wie man die Technik nutzt, um es menschlich und relevant zu machen. Dann muss man arbeiten und darüber nachdenken. Die Entwicklung führt also nicht dazu, dass wir fauler werden.

Es gibt sehr viele Bedenken, wie wir künstliche Intelligenz nutzen sollten. Wir erfahren nur langsam die Verlagerung von menschlichen Gehirnen zu künstlichen. Es wird soweit kommen, dass diese künstlichen Gehirne intelligenter werden als wir, irgendwann. Was danach passiert, ist unmöglich hervorzusagen. Wichtig ist, was davor passiert: Soll so etwas passieren? Kommen wir da drum herum? Wird das zum Teil von uns? Werden wir zur künstlichen Intelligenz? Es eröffnet uns Möglichkeiten, mehr zu erschaffen. Aber die Schattenseite wäre, uns auf diese Werkzeuge zu verlassen.

Wie weit würdest du für deine persönliche Entwicklung gehen? Würdest du dir Technologien in die Arme einsetzen lassen, um schneller Gitarre spielen zu können oder einen Chip ins Gehirn?
Nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Es ist noch alles sehr neu. Ich bin aber sehr offen für solche Ideen, würde nicht sagen, ich würde es niemals tun. Man weiß nie, was passieren wird und wie sich die Technik entwickeln wird.

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Kannst du dir Cyborgs, genetisch veränderte Musiker oder Computer, die von selbst Musik erschaffen, vorstellen?
Es ist schon der Fall, dass Musik von Computern gemacht werden kann und sogar gespielt! Zum Beispiel war da diese japanische Band aus Robotern, die per Midi gesteuert wurden. Sie spielten echte Instrumente, technisch gesehen kannst du also Computer dazu bringen, Musik zu schreiben und sogar zu performen. Wenn du es bist, der Musik macht, bist nur du es. Du entscheidest, wann es anfängt und aufhört, es gibt Kontrolle. Bei Computern gibt es keine Intention, sondern Kälte, Imitationen von menschlichen Fähigkeiten. Ein Umschwung wäre es, wenn Computer Intentionen erbringen könnten und Emotionen von sich selbst wiedergeben würden, zumindest die Illusion geben. Aber auch wenn es eine Illusion ist, kann man sie ja immer noch fühlen, selbst wenn man um die Illusion Bescheid weiß. Das ist verrückt. Wir können angetrieben sein von Dingen, selbst wenn sie nicht echt sind, Imitationen. Dahinter steckt die Idee, das uns Computer kontrollieren könnten. Klingt wie ein verrücktes SciFi-Konzept. Es ist furchterregend, aber deswegen ist Forschung nötig, damit wir diese Intelligenz eingrenzen können. Damit sie nicht über den Punkt schießt, uns zu kontrollieren.

So wie WhatsApp-Emojis unsere Kommunikation verändert haben. Besonders aber die genetischen Eingriffe sind echt heftig. Wir würden vergessen, was es heißt, ein menschliches Wesen zu sein. Die Wirtschaft würde am Ende regulieren, welche Art von Menschen auf diesem Planeten wohnen darf.
Ja, das Problem mit Gentechnologie ist: Die Leute mit viel Geld können Körper verbessern und das nutzen, um Macht über die zu haben, die kein Geld haben. Das macht die Dinge nur noch schlechter. Aber die gute Seite ist ja: Gentechnik schürt Hoffnung, dass man Krankheiten wie Krebs besiegen kann. Es ist aber traurig, dass wir in dieser kapitalistischen Geisteshaltung leben, was zu Problemen führen kann. Dafür müssten Regulierungen oder Gesetze her, damit reiche Menschen diese Technik nicht übernutzen.

Was hast du vor, wenn die Technik voranschreitet: Würdest du Features mit künstlicher Intelligenz eingehen?
Eine künstliche Intelligenz, die du regulieren und mit ihr jammen könntest—damit würde ich gern experimentieren. Ein wenig kann man das schon mit Ableton machen, das Programm zufällige Musik spielen lassen. Aber wenn ich zu Hause wäre und niemanden zum Reden habe, könnte ich per Computer einen Musiker kreieren und mit ihm spielen, das wäre doch interessant. Aber ich weiß nicht, wie schnell wir dahin kommen könnten. In näherer Zukunft will ich mehr mit Gitarrensounds und -tönen experimentieren. Verrückte Automationen da drauf haben und etwas, was ich live modulieren könnte, sodass ich mit dem Computer gleichzeitig Gitarre spielen können.

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