FYI.

This story is over 5 years old.

Features

Was macht Meghan Trainor so erfolgreich?

Meghan Trainor hat einen Song über Speck an den richtigen Stellen geschrieben und ist damit aus dem Nichts auf Platz eins in UK, US und Deutschland gegangen.
Emma Garland
London, GB

Wenn 2013 das „Jahr des Selfies“ war und 2014 das „Jahr des Hinterns“ ist, dann setze ich für 2015 auf das „Jahr des durchschnittlichen bis kleinen Penises“. Vielleicht gehen uns irgendwann die Körperteile aus, von denen wir besessen sein können, und wir sind gezwungen, das „Jahr der Bescheidenheit“ oder das „Jahr der Teammanagement-Fähigkeiten“ auszurufen, aber bislang sind wir noch meilenweit von einer Welt entfernt, in der das Aussehen zweitrangig ist, also sind es wohl die Hintern.

Anzeige

Von Nicki Minaj bis zu Iggy Azalea und J-Lo—dies ist definitiv das Jahr, in dem die Musikindustrie einstimmig beschlossen hat, dass Fett am Hintern ein Garant für schnelle Verkaufszahlen ist. Sogar die Vogue hat vor kurzem die Headline „Dawn Of The Butt“ gewählt und wenn ein führendes Modeunternehmen, in dem sonst hauptsächlich Leute Beachtung finden, deren Cellulite nur sichtbar wird, wenn sie ins Gesicht transplantiert wurde, Kurven feiert—wenn auch nur um bei dem Trend mitzumachen—dann ist unbestritten: der Hintern bedeutet Geschäft. Aber hinter jedem großen Hintern steht eine große PR-Strategie und an dieser Stelle kommt Meghan Trainor ins Spiel.

Für einen Song, der runde Kurven unterstützt, kam Meghan Trainors Pro-Hintern-Hymne „All About That Bass“ aus dem ziemlichen Nichts. Das am 30. Juni veröffentlichte „Big Girl, You Are Beautiful“ der Candy Crush-Generation hat mittlerweile ungefähr 122 Millionen Views und alleine in der letzten Septemberwoche 1,17 Millionen Streams gesammelt. In Großbritannien ist der Song erst am 5. Oktober erschienen, aber da digitale Streams mittlerweile in die Berechnung für die Charts mit einbezogen werden (wobei 100 Streams einer verkauften Single entsprechen), ist „All About That Bass“ auf Platz 33 eingestiegen bevor es die Single überhaupt zu kaufen gab, Das macht es zum ersten Song, der ohne eine physisch oder digital verkaufte Kopie die Top 40 in Großbritannien erreicht hat. Es überrascht nicht, dass er durch die Einbeziehung der Verkaufszahlen in der Woche darauf direkt auf Platz Eins katapultiert wurde. In Deutschland steht die junge Dame sieben Wochen nach Chart-Einstieg ebenfalls auf eins, in den USA sowieso.

Anzeige

Es ist 2014 und absolut niemand ist mehr von dem sehr modernen Phänomen schockiert, dass jemand über Nacht international bekannt wird, aber während der Starstatus von Leuten wie Rebecca Black und Chris Crocker sich auf eine Ansammlung an Soundschnipseln oder Screenshots beschränkt, hat Megan Trainor es wirklich geschafft, den britischen Markt zu erobern, was für einen Nicht-Britischen Künstler nicht einfach ist (und auch der Grund warum ihre Single dort erst drei Monate nach dem US-Debüt erschien). Die amerikanischen Charts sind voll von frechen Südstaaten-Schönheiten, doch „All About That Bass“ ist die erste südlich klingende Platte, die erfolgreich in den UK-Charts gelandet ist seit Kid Rocks „All Summer Long“ (obwohl Meghan selbst nur so tut, als ob, denn sie ist in New England aufgewachsen). Wie hat diese vorher unbekannte 20-Jährige es in einem Sommer von einem Kleinstadt-Phänomen an die Spitze der britischen Charts geschafft?

undefined

Wie bei allen Sachen, die aus dem Nichts kommen und alles in den Schatten stellen, hat „All About That Bass“ tatsächlich eine Weile gebraucht, bis es veröffentlicht wurde. Fast niemand schafft es ohne eine sorgsam kalkulierte Kombination aus schlauer PR und gutem Timing aus dem Nichts auf Platz eins. Der Song wurde von Trainor selbst geschrieben, aber sie hat monatelang versucht, ihn an alle möglichen Leute im Musikgeschäft zu verkaufen, was natürlich erfolglos war, denn niemand im Musikgeschäft, außer Adele, ist etwas dicker und Rap-beeinflusste Breakdowns sind eher nicht ihr Stil. Letztendlich haben sich Epic Records dem angenommen und Trainor hat die Single selbst gesungen.

Anzeige

Es ist ein wenig unangenehm, denn sie ist nicht wirklich „fett“. Das ist niemand im Video, bis auf den ulkigen, übergewichtigen Typen, der so traumhaft tanzt. Es repräsentiert höchstens die Sorte Frau, die sich vielleicht eine schlanker machende Korsage oder eine Bodyshape-Strumpfhose kaufen würde. Es ist sehr Bridget Jones-mäßig und deshalb haben es manche bereits als problematisch angeprangert. Wie Trainor selbst gesagt hat, gehen Song und Video in Sachen Wirkung Hand in Hand. Sie hat einen Song geschrieben, der versucht, die gesamte Existenz von Beth Ditto zu erklären und der kommerzielle Reiz bestimmter Songs, die sagen „HEY! ES IST OK, SO ZU SEIN!“ tendiert dazu, den kommerziellen Reiz von Künstlern, die das jeden Tag, bei allem, was sie tun, sagen, in den Hintergrund zu drängen.

undefined

Nicht, dass Popstars zu vergleichen irgendjemandem etwas bringt, aber von all den Künstlern, die in letzter Zeit die Kraft der Kurven lobpreisen, ist diejenige, die es sowohl in Großbritannien als auch in den USA auf Platz Eins schafft, natürlich ein weißes Mädchen in Pastellfarben mit einer Choreografie, die sich Zweitklässlerinnen auf dem Spielplatz hätten ausdenken können. Warum? Weil es lustig, ungefährlich und leicht verdaulich ist. Es erfordert kein großes Nachdenken, denn obwohl es die Nationalhymne für sogenannte Body Positivity ist, ist das einzig herausfordernde an „All About That Bass“ die Tatsache, dass Trainor nicht übertrieben dünn ist; sie ist einfach eine normalgewichtige Frau. Und das ist natürlich großartig, denn damit hilft sie, einer Kultur mit unmöglichen Standards ein nötige Balance zu verleihen, egal, ob das ihr Anliegen ist oder nicht (bedenke, dass der Song nie für sie gedacht war). Aber die Botschaft, dass es cool ist, kurvig zu sein, ist nicht ganz so aufrichtig, wenn sie immer wieder durch Songzeilen wie „Boys like a little more booty to hold at night“ oder „I got that boom boom that all the boys chase/ And all the right junk in all the right places" gerechtfertigt wird.

Anzeige
undefined

Es ist ziemlich sinnlos, die feministische Politik einer Frau anzufechten, die Feminismus offen abgelehnt hat, aber letztendlich sind die Gründe, warum es „All That Bass“ auf Platz eins geschafft hat, dieselben wie die, aus denen es „Blurred Lines“ geschafft hat. Beides sind minimalistische, trotzdem unbestritten eingängige Popsongs, die sich der vorherrschenden Einstellung gegenüber dem Körper einer Frau fügen—als etwas, das bewertet und sexualisiert werden muss. Es ist bestenfalls eine erbauliche Botschaft darüber, dich selbst zu lieben und das ist cool, aber es ist scheiße, dass wir nur bereit sind eine Message in Bezug auf Frauen zu feiern oder ernstzunehmen, wenn sie von weißen Mittelklassefrauen kommt, mit denen sich die meisten Eltern (und Männer) wohl fühlen (im Sinne von nicht davon bedroht). „All That Bass“ ist musikalisch toll, genauso wie „Blurred Lines“ musikalisch toll ist (sorry alle miteinander), aber inhaltlich machen sich beide gleichermaßen schuldig, leichtfertig einen Blickwinkel einzunehmen, der leicht zu verkaufen ist, da es genau das ist, was Leute hören wollen.

Folgt Emma bei Twitter: @emmaggarland

**

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.