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Interviews

Zwischen Wahnsinn und Normalität—Nicolas Winding Refn über die Rolle von Musik im Film

Der Mann hinter ‚Drive‘, ‚Bronson‘ und ‚Pusher‘ erzählt uns, warum er bei seiner Musikauswahl so gerne Extreme aufeinanderprallen lässt.

Von all den Regisseuren, die heutzutage aktiv sind, lassen nur wenige Musik und Bild so faszinierend und effizient verschmelzen wie Nicolas Winding Refn. Mit seinem Blitzerfolg von Drive im Jahr 2011 hat Refn den Mainstream erobert und plötzlich war seine Name von jedem innerhalb und außerhalb der Filmwelt zu hören. Er war nicht länger nur eine Kultfigur sondern eine treibende Kraft. Drive hat auch zum ersten Mal breites Lob für Refns ausgeprägtes musikalisches Geschick hervorgerufen—der Soundtrack wurde vielfach veröffentlicht und hat es sogar auf Platz 31 der Billboard 200 geschafft. Aber Drive war keine Ausnahme, kein Zeichen für einen Wandel des Regisseurs. Refn hat bezüglich Musik in all seinen Filmen einen ähnlichen Ansatz gewählt. Bei Drive hat er eine neue Komposition von Cliff Martinez mit bereits existierender Popmusik verbunden, aber auch seine früheren Arbeiten waren klanglich ebenso kompetent, obwohl er dafür keinen eigenen Soundtrack komponieren lassen hat, sondern ausschließlich bereits vorhandene Songs genutzt hat.

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Seit seinem dynamischen Debüt von 1996 mit Pusher hat Refn sich als kompromissloser Künstler etabliert, der dazu neigt, das Anspruchsvolle mit dem Ordinären zu verbinden. Mit Bronson war Refn in der Lage, die Grenzen dieser Gegenüberstellung auszutesten. Indem er klassische Tendenzen mit denen der New Wave vermischt hat, hat er eine harmonische Art von Chaos erschaffen. Während der Film fortschreitet, läuft nicht einfach nur ein Track nach dem anderen. Es ist vielmehr ein wahres Aufeinanderprallen von Bild und Klang. In den ersten Minuten des Films sehen wir Bilder schrecklicher Gewalt zu den Klängen des traumhaften Walker Brothers-Songs „The Electrician“. Das wird zum Thema des Films, da Refn den Zuschauer immer wieder zwischen gegensätzlichen sensorischen Polen positioniert. Bronson ist das reinste Beispiel für Refns Mixtape-ähnliche Ästhetik.

Refn hat sich für die erstmalige Veröffentlichung des Bronson-Soundtracks wieder mit dem kalifornischen Label Milan Records zusammengetan, mit dem er bereits für mehrere Veröffentlichungen zusammengearbeitet hat. Im Zuge der Veröffentlichung und um die Gründe hinter seinen Entscheidungen, die die Filmmusik beeinflussen, besser zu verstehen, haben wir mit Refn gesprochen. Im Laufe der Unterhaltung wurden viele Aspekte von Refns Prozess deutlich, aber nichts war so eindeutig wie seine komplette Liebe und Hingabe zum Film.

Noisey: Deine Filme scheinen besonders von Musik angetrieben zu werden. Wann hast du angefangen, Musik in Filmen zu bemerken?
Refn: Das ist angeboren. Ich habe schon immer alle möglichen Arten von Musik geliebt. Manche Leute kommen durch die Fotografie zum Filmemachen. Manche Leute kommen durchs Schreiben zum Filmemachen. Ich kam durch die Musik zum Filmemachen—obwohl ich nicht eine Note spielen kann. Ich habe keinerlei musikalische Fähigkeiten.

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Ich denke, du gehörst zu einer Minderheit von Filmemachern, die in der Lage sind, wirkungsvoll und kompetent bereits existierende Musik in ihren Filmen zu verwenden und dadurch etwas vollständig Einzigartiges zu erschaffen. Wie findest du den richtigen Song oder Sound, um deine Filme, Szenen und/oder Figuren zu definieren?
Es fängt normalerweise damit an, dass mir die Musik ein besonderes Bild vermittelt und dann wird dieses Bild Teil des Films. Musik hilft mir, ein Bild zu definieren. Ich höre ein Musikstück und denke: „Das wäre gut für diese Szene, denn die Szene bekommt damit mehr Subtext als ohne.“ Ein Beispiel dafür findet sich in Drive. Ich hatte diese Idee, dass in der Fahrstuhlszene der Driver einem Typen den Schädel einschlägt, aber erst nachdem ich mir Brian Enos „An Ending“ angehört hatte. Ich nutze Musik also sehr stark als Quelle der Inspiration. Ich nehme keine Drogen mehr, also muss ich woanders Inspiration finden. Musik verstärkt Emotionen.

Abgesehen von den Komponisten, mit denen du zusammengearbeitet hast, wie eng arbeitest du mit anderen—Produzenten oder musikalischen Verantwortlichen—zusammen, um den richtigen Sound zu finden?
Das ist ziemlich einfach, es sind nur ich und mein Cutter Mat Newman. Mat hat seit Bronson an all meinen Filmen mit mir gearbeitet. Wir holen einfach unsere Musikarchive hervor und probieren verschiedene Dinge aus. Ich habe nie einen Verantwortlichen für Musik gehabt. Ich meine, ich hätte gerne, aber du musst mittlerweile ja nur iTunes anmachen und kannst so viele Dinge ausprobieren.

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Noisey: Und was ist der Soundtrack zu deinem Bezirk?

Der Soundtrack von Bronson erinnert mich auf verschiedene Weise an 2001: Odyssee im Weltraum. Besonders in der Hinsicht, dass Musik essentiell für die Bilder ist, aber nicht immer in konventioneller Weise. War Kubrick ein Einfluss für den Soundtrack?
Naja, nicht spezifisch, aber natürlich. Wahrscheinlich mehr als 2001 war es noch Kubricks Arbeit mit Wendy Carlos für Clockwork Orange. Da geht es um mehr, als nur wunderbare klassische Referenzen zu Bildern hinzuzufügen, die eine ganz neue Empfindung erschaffen. Bei Clockwork Orange war es eine Revolution, wie diese Art von Musik verwendet werden kann.

Welche anderen Filme oder Filmemacher haben Soundtracks, die dich besonders inspiriert haben?
Es gibt einige Filme, die die Kombination von Musik und Bildern definieren. Die größte Errungenschaft bei diesem Zusammenwirken ist natürlich Spiel mir das Lied vom Tod. Das ist der konsequenteste, orgastischste Schauplatz von Musik und Bildern. Da denkst du dir: „Scheiße. Wie machen die das?“ Und dann gibt es noch Schlacht um Algier von Gillo Pontecorvo und Ennio Morricone. Es gibt Psycho von Alfred Hitchcock und Bernard Herrman und obwohl Der unsichtbare Dritte, Das Fenster zum Hof und Vertigo bessere Soundtracks haben, ist es Psycho, wo es wirklich auf eine besondere Art und Weise zusammenfindet. Natürlich gibt es Fellini und viele von Dario Argentos frühen Filmen, besonders seine Arbeit mit Goblin. Suspiria ist wunderbar. Du hast natürlich auch Martin Scorseses Fähigkeit, Musik in Filmen zu nutzen. Ich erinnere mich daran, als ich mit neun Jahren Hexenkessel gesehen habe und erinnere mich an die Szene, in der Robert DeNiro zu „Jumpin’ Jack Flash“ (Rolling Stones) hereinkommt und sich so verhält, als wüsste er jetzt genau, wie es läuft.

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Absolut, Scorsese hat die Verwendung von Popmusik im Film irgendwie transformiert.
Ja, es ist einzigartig, aber weißt du, was komisch ist? Alles, ob nun Kubrick oder Scorsese oder sogar die Arbeiten, die Pino Donaggio mit Brian De Palma gemacht hat—und da haben wir die ganze asiatische Welt außen vor gelassen, all die japanischen Filmemacher, die auf gute Art Komponisten einsetzen, ist auf einen Film zurückzuführen… Scorpio Rising von Kenneth Anger. Das war das erste Mal, dass ein Filmemacher Popmusik seiner Zeit genutzt hat, um die Emotionen der Bilder zu unterstreichen. Es ist sehr interessant, dass alles auf diesen Film zurückgeht.

Du hast ausführlich über die Beiträge diverser Komponisten zu Filmen gesprochen, trotzdem hat Bronson keinen eigens geschriebenen Soundtrack. Denkst du, dass es befreiend sein kann, die Kontrolle darüber zu behalten, wie die Musik mit deiner Arbeit interagiert?
Ich mag die Kombination. Ich mag es, mit Cliff [Martinez] zusammenzuarbeiten. Ich liebe es. Ich denke, er bringt auf die gleiche Weise Dinge in die Filme ein wie jeder großartige Schauspieler. Er hebt das Niveau der Filme. Ich mag diese Kollaboration also. Ich mag es auch, Songs zu nehmen, die ich gehört habe, während ich schreibe oder einen Film entwickle. Manchmal funktioniert es nicht, manchmal funktioniert es. Ich mag die Kombination, aber es ist sehr wichtig, dass die Kombination ein Thema hat, damit es nicht beliebig wird. Es gibt nichts Nervigeres, als wenn es nur zum Hintergrund verkommt.

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Wo wir gerade über das Thema reden, bei Bronson gibt es ein Aufeinandertreffen von New Wave und klassischen Tendenzen. Warum hast du das bei diesem Film für notwendig gehalten?
Bronson war ein sehr autobiografischer Film. Ich war in den 80ern Teenager, da hat sich meine musikalische Identität geformt, und anschließend war ich in New York, also mochte ich immer den rauen und synthetischen Klang. Was synthetischen Klang so interessant macht, ist, dass es moderne Komposition auf klassische Art war. Es war das Schreiben von Melodien mit Instrumenten, die im Prinzip zum Beispiel ein Ersatz für eine Geige waren. Du kannst es später durch ein digitales Element sogar noch bearbeiten, also musstest du nicht einmal wissen, wie man spielt, solange du eine Melodie daraus machen konntest. Es herrschte Chancengleichheit. Bronson ist sehr stark eine Kombination aus Musik, mit der ich aufgewachsen bin, und der klassischen Natur einer Oper. Danach habe ich hauptsächliche elektronische Musik genutzt.

Ist es das, was dich bei heutiger Musik noch anzieht, suchst du immer noch neue Bands?
Die ganze Zeit. Ich bin keiner dieser Leute, die jeden Namen von jedem Künstler und Song kennen, aber ich kann etwas im Radio hören und dann sagen: „Das gefällt mir“ oder etwas in einem Laden sehen und dann sagen, dass es mir gefällt. Jedes Mal, wenn ich in London bin, gehe ich in den Rough Trade-Laden und kaufe Unmengen CDs von mir unbekannten Künstlern und schaue, was dabei herauskommt. Manchmal ist es etwas Fantastisches, manchmal nicht. Ich mag alles und wenn ich es nicht verstehe, dann finde ich einen Weg, um es zu definieren.

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War es eine Frage des Budgets oder der Ästhetik, Bronson ohne einen Komponisten zu machen?
Es war eine ästhetische Entscheidung. Ich brauchte zu diesem Zeitpunkt für das, was ich haben wollte, keinen Komponisten. Ich habe mich mit den Pet Shop Boys getroffen und sie gefragt, ob sie komponieren wollen, ob sie im Grunde die musikalischen Referenzen der klassischen Einflüsse nehmen und etwas selbst komponieren wollen. Sie haben gesagt: „Sicher, aber du kannst dir uns nicht leisten, Baby“ (lacht). Und das stimmte. Aber sie waren sehr nett zu mir und haben mich einen ihrer Songs lizenzieren lassen.

Du nutzt Musik oft so, dass der Klang im Konflikt zu den Bildern steht. Was inspiriert dich an diesem Kontrast?
Naja, es geht um den Kontrast. Ich mag den heiklen Bereich zwischen Sex und Gewalt, Wahnsinn und Normalität, Romantik und Angst. Ich mag es nicht dazwischen. Ich mag Extreme und ich mag verschiedene Extreme zur gleichen Zeit, weil es Gefühle in dir hervorruft, die nicht identifizierbar sein können. Es wird unterbewusster und Unterbewusstheit führt zu Stimulierung, Stimulierung führt zu Erlebnis; Erlebnis führt zu Nachdenken.

Ich denke, dass deine Zusammenarbeit mit Milan Teil einer Reihe von Projekten ist, die wieder einen gestiegenen Wert auf die Arbeit des Komponierens legen, auf die Soundtracks. Im Gegenzug, denke ich, hat dies einen positiven Effekt auf die Zukunft der Film-Komposition, besonders mit der Veröffentlichung von etwas wie It Follows. Willst du diese Soundtracks deshalb gerne als physische Veröffentlichung sehen?
Ja, außerdem ist es eine wunderbare Kollaboration. Ob es nun It Follows ist, der ein wundervoller Film mit einem wundervollen Soundtrack ist; oder Robocop (den ich auch mit Milan mache); Battle Royale, der kein neues Material hat, aber bei dem die Kombination dieses Materials mit dem Film so herausragend war, oder The Dead Zone, das die beste Arbeit von Michael Kamen ist. Musik spricht unsere Gefühle an. Es ist Teil unseres Daseins. Warum sollte man das nicht vollständig ausschöpfen.

Der Soundtrack zu Bronson ist jetzt zum ersten Mal überhaupt über Milan Records erhältlich.

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