FYI.

This story is over 5 years old.

Features

Ich habe Lou Reeds „unhörbares Album“ gehört

Einige sind schon an Lou Reeds Metal Machine Music gescheitert. Ich will wissen, ob ich es schaffe.

Alle Fotos von Sebastian Rossböck

Lou Reed hat ganz schön viel Scheiße durchgemacht. Seine Eltern versuchten ihm zum Beispiel drei Mal die Woche mittels Elektroschock-Therapie seine homosexuellen Neigungen auszutreiben. Das ist ziemlich fucked up. Ob solche Ereignisse zu einem Leben voller Drogen führen, kann ich nicht sagen—jedenfalls zog er sich schon mit 16 Jahren das erste Zeug rein und durchlebte eine jahrelange Heroinsucht. Die war vor allem in seiner Musik deutlich spürbar. Vielleicht kennst du ja seine Klassiker wie „Take A Walk On The Wild Side“ oder „Perfect Day“. Was du vielleicht nicht kennst—und das nimmt dir niemand übel—ist das kranke Zeug, das er 1976 rausbrachte. Sein fünftes Soloalbum Metal Machine Music ist der wichtigste Release der (modernen) Noise-Rock-Bewegung. Laut Reed ist es auch der Ursprung von Heavy Metal—aber laut Reed hätten auch die Beatles oder am besten gar kein Engländer je Musik machen sollen. Man darf nicht alles glauben, was Reed sagte.

Ursprünglich wollte er das ultimative Gitarrensolo aufnehmen—das endete in einem einstündigen Feedbackgepläre und Rauschmustern. Weder Songs, noch irgendeine Struktur sind zu erkennen—es wurde aber trotzdem in vier Abschnitte geteilt. Rhythmus ist ein Fremdwort. Es war zu erwarten, dass dieses Album einen regelrechten Shitstorm auslösen wird: Kritiker bezeichneten es als praktisch „unhörbar“ oder als „nicht mehr als ein Ohren zerstörender Elektro-Dreck, der jeden Menschen in einer Rekordgeschwindigkeit aus den Raum jagt“. Auf der anderen Seite gab es Sound-Puristen, die so ein Umgang mit Gitarren-Feedback extrem faszinierend fanden. Nach diesem Release wurde vor allem Reeds Glaubenswürdigkeit als Musiker in Frage gestellt—nicht mal er hat es über den dritten Abschnitt hinausgeschafft. Ist das Ding wirklich so arg? Ich muss zugeben—all diese Fakten haben mich ziemlich neugierig gemacht.

Anzeige

Da mein Gehör im Laufe meines Lebens schon einiges ertragen musste, war die Noise-Bewegung kein Fremdwort für mich. Ich habe selbst schon einige Acts gesehen, die etwas noisy waren. Unter anderem hat mich schon ein Drone Doom-Konzert von SUNN O))) abgehärtet. Die Chancen stehen gut, nach diesem Experiment nicht völlig geisteskrank zu werden. Irgendwo bin ich aber trotzdem etwas besorgt: Erlebe ich jetzt etwas, das so intentsiv ist und vielleicht ewig in meinem Hirn herumschwirren wird? Ich höre mir das Album nun zur Gänze an und verwende dazu In-Ear-Kopfhörer. Mal sehen, wie weit ich komme.

METAL MACHINE MUSIC, PART 1

Es ist weird. Sehr, sehr weird. Ich werde von einem Haufen Sounds überschüttet, die mich an creepy Karussellmusik erinnern. Ein ständiges Klirren bohrt sich in meinen Kopf. Ich weiß echt, nicht was ich damit anfangen soll.

Minute 3: Alles wieder cool. Es ist schon sehr strange, aber auf einer sehr merkwürdigen Art erlebe ich ein harmonisches Wirrwarr. Dauernd habe ich diese Trompeten im Kopf, wie man sie bei Pferderennen hört. Ich bilde mir ein, dass auch eine alte, kaputte Schallplatte solche Geräusche von sich geben könnte. Dann wird es ziemlich creepy: Ich höre Melodien, die mich an Weihnachten erinnern, wo aber alle Horror-Figuren gemütlich zusammen bei Tisch sitzen und ein Opfer verspeisen. Oh, jetzt landet ein UFO und nimmt sie alle mit. Das klang grad ziemlich spacey.

Anzeige

Minute 8: Jetzt wäre ich froh, wenn es langsam Ruhe reinkäme. Alle Gedanken von vorhin vermischen sich. Ein flatternder Tinnitus schickt mein rechtes Ohr in eine digitale Hölle.

Minute 12: Es wird heftig. Ich wusste nicht, dass E-Gitarren schreien können. Die hohen Töne sind besonders anstrengend.

METAL MACHINE MUSIC, PART 2

Der zweite Teil beginnt mit einem Sound-Monster, das mich sofort verschlingt. Ich höre quietschende Geräusche, die mich an digitales-LSD-Delfin-Gepläre erinnen. Zum Glück passen die Töne halbwegs gut zusammen und sorgen dafür, dass ich nicht auf das Experiment scheiße. Sie sind der Grund, warum ich die Kopfhörer noch drinnen habe.

Minute 5: Ich befinde mich erstaunlicher Weise in einem sehr, sehr ruhigen Zustand. Die Töne werden von einem Flattern im Hintergrund begleitet und wirken überraschend entspannend. Unglaublich, dass ich irgendsowas wie Monotonie spüren kann. Aber im Moment entspannt das Zeug sogar.

Minute 10: Ich fühle mich eigentlich ganz gut. Mir kommt es wirklich so vor, als würde ich eine Geräuschtherapie machen, die mich von dem Alltagsscheiß befreit. Ich konzentriere mich nur noch auf mich selbst. Alle Dinge, die mir den Kopf zerbrechen, sind im Moment nicht so schlimm, wie ich sie sonst empfinde. Ich brauche keinen Psychologen mehr. Part 2 bleibt bis zum Schluss entspannend. Vielleicht zieh ich ihn mir zukünftig öfters rein.

METAL MACHINE MUSIC, PART 3

Teil 3 ist leider wieder sehr, sehr anstrengend. Das ständige Zugedröhne von allen denkbaren Tonlagen eines Tinnitus macht die Explosionsgeräusche im Hintergund auch nicht besser. Ich habe eine Space-Orgie im Kopf. Erst jetzt lerne ich zu schätzen, wie wichtig Rhythmus ist. Dieser freie, schwebende Sound gibt mir durch das Fehlen einer Taktvorgabe irgendwie ein Gefühl von Verlorenheit. Das macht mich nervös und langsam etwas unruhig.

Anzeige

Minute 5: Ich fühl mich leicht benebelt. Es fühlt sich irgendwie so an, als würde man mir einen schweren Stein um den Hals binden, der mich ständig runterzieht. Wieder mal Pferdetrompeten. Das wird alles etwas random. Kurz erlebe ich ein rhythmisches Pulsieren in Form von Feedback. Das hat echt gut getan.

Minute 12: Ich bin sehr schläftig geworden. Ich bemerke auch, dass mein Puls viel niedriger ist als sonst. Ich denke, dass die ganze Anstrenung mich einfach müde gemacht hat. Ich finde es gerade ziemlich beschissen, dass ich noch 20 Minuten vor mir habe.

METAL MACHINE MUSIC, PART 4

Im vierten Teil begrüßen mich wieder mal die digitalen LSD-Delfine und zeigen mir eine Welt, wo ich auf mehr LSD-Delfine stoße. Zusammen quietschen sie mir ihre Drogen-Hymnen vor. Die Explosionen dröhnen mir die Ohren zu. Ich möchte einfach nur, dass es aufhört.

Minute 5: Ich bin einfach nur erledigt. Mir ist schon alles egal. Ich würde echt gerne wissen, warum ich so müde bin. Würde mir am liebsten die Kopfhörer runter reißen und ins Bett springen.

Minute 13:30: Mich überrascht plötzlich ein ziemlich cooler Beat. Irgendeine kranke Mischung aus Einstürzende Neubauten und Nirvana-Feedback. Ein Beat ist das, wonach ich mich nämlich am meisten gesehnt habe. Dieser Rhythmus, der mich mitnicken lässt und vor dem ganzen Lärm ablenkt, kommt leider erst zum Schluss. Schade, dass ich erst nach so langen Minuten erst damit belohnt wurde. Scheiß drauf. Es ist jetzt vorbei.

Anzeige

Geschafft. Ich hatte wirklich keine Ahnnung, was mich mit Metal Machine Music erwartet. Ich finde es unglaublich, dass Lou Reed bereits 1976 so experimentelles Zeug gemacht hat. Zu der Zeit war dieser Herr ein hoch geschätzter Musiker. Obwohl das Album von den meisten als „unhörbar“ eingestuft wird, hat es für mich einen hohen künstlerischen Wert. Was sagt denn ein Album aus, das unhörbar ist? Wieso ist Musik wichtig, die nicht gehört wird? Hat es einen Grund, genau um diese Zeit so ein derartiges Sound-Massaker zu präsentieren? Dieses endlose Gitarren-Feedback war zu der Zeit in so einem Ausmaß völlig neu. Es zeigte der Welt, wie weit man gehen kann und stellte in Frage, was man noch überhaupt als Musik bezeichnen kann. Ein anderes Extrem, was mir zu dieser Frage einfällt ist John Cages „Four minutes, thirty-three seconds“, was eben aus vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden Stille besteht. Das Stück wurde sogar schon von einem ganzen Orchester aufgeführt und soll zeigen, dass man immer etwas hört, wenn man genau Acht gibt—so etwas wie Stille gibt es nicht.

Obwohl Metal Machine Music im Bereich Noise vieles angestoßen hat und ich irgendwie auch stolz bin es auf einmal durchgehört zu haben, möchte ich mich endlich von diesem Album verabschieden. Vielleicht komm ich nochmal darauf zurück, wenn ich wieder auf einen pseudo-philosophischen Musiktrip bin.

**

Folgt Noisey bei Twitter und Facebook.