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Ich war an einem Sado Maso-Konzert und es war toll

Das Konzert der „Grausamen Töchter“ bot alles, was das Sado Maso-Herz begehrt: Beats, Blut und Brüste.

Ein Setting wie aus dem Tatort, wenn der in „exotische” Milieus abtaucht: Kurz nach Einbruch der Dunkelheit irrten unser Fotograf und ich durch Spiez auf der Suche nach dem im Dezember eröffneten Underground-Kulturlokal „Das O“. Ein „unvergessliches Erlebnis“ hatte uns die Noisey-Redaktion dort versprochen; beim Industrial-Electro-Konzert einer Sado Maso-Band mit dem vielversprechenden Namen „Grausame Töchter“ —mit Blut und allem, was eben so dazugehört.

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Nach einer Tour durch die Nebenstrassen von Spiez, des „Kraftortes am Wasser“, fanden wir das gut versteckte „O“. Eine kurze Diskussion um unseren Gratis-Eintritt und einen Kompromiss später (Unterstützt die Spiezer Bastion des Guten! Geht alle in „Das O“!) standen wir im hübsch ausgeschmückten Kellergewölbe. Um uns rum: Goths in glänzenden Lack-und-Leder-Outfits, unscheinbare SMler und stinknormales Dorfpublikum.

Beim Rauchen klärte mich eine überdrehte Goth-Frau mit lilafarbenen Haaren über die „schwarze Szene“ auf. „Wir sind ganz friedlich!“, rechtfertigte sie sich und ihre Szene gleich zu Beginn reflexartig. Nie komme es zu Schlägereien. Ausserdem sei der Zusammenhalt innerhalb der Szene riesig. Die „Mutter“, wie sie sich selbst vorstellte, würde sofort in ihr Auto steigen, um einem Szenemitglied den Arsch zu retten.

Nach dem von einem Bruchteil der Besucher runtergezählten Countdown und einem heftigen Strobo-Gewitter stürmten sechs Frauen und ein Drummer auf die Bühne—die „Grausamen Töchter“. „Ich will nur Lust und meinen Tod“ singt Frontfrau Aranea Peel, dazu tanzen zwei Backgroundsängerinnen in funkelndem Latex wie Marionetten. Rechts von ihnen: Die als einzige nicht in schwarz gekleidete Bassistin (Aranea Peel: „Sie ist meine Sklavin“) und eine zwanghaft böse schauende Peitschen-Domina mit Petruskreuz-Tattoo auf der Brust. Am linken Bühnenrand derweil: Der unscheinbare Drummer und noch eine Latex-Frau, die auf eine Drum einhämmernd schon mal einen Vorgeschmack darauf gab, was uns in den nächsten eineinhalb Stunden erwartete: Harte Beats und weiche Brüste.

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Die durchchoreografierte Show steigerte sich von Song zu Song. Nach einem verhaltenen Anfang befahl Aranea Peel den vorderen Publikumsreihen, dass sie sich auf den Boden setzen sollen. Die gehorchten ganz artig und gaben den Blick auf die Bühne frei—gerade rechtzeitig! Die Bühne verdunkelte sich. Nebel. Strobo. Und schon präsentierte uns Aranea Peel ihre glattrasierte Vagina. Das schien nicht nur mich zu beeindrucken, sondern auch ihre Sklaven-Bassistin. Sie räkelte sich zwischen Aranea Peels breitbeiniger Pose und platzierte ihr Gesicht gekonnt unter der Vagina. Wieder Nebel, wieder Strobo … Pisste Aranea Peel ihre Sklavin gerade an oder war das meine von Blitzen getränkte Fantasie?

Was für mich—trotz inniger Beziehung zum Internet—ein erstes „Woah!“-Erlebnis war, schien den Rest des Publikums kalt zu lassen. Der glatzköpfige Typ vor mir hatte seine muskulösen Arme um die Taille einer Dame gewickelt. Gemeinsam wippten sie in bester Kuschelrock-Manier im Takt.

Und so ging es weiter: Der Reihe nach knieten sich Typen auf die Bühne und liessen sich von der Peitschen-Domina den Arsch versohlen. Aranea Peel sorgte mit brutal inszenierten Messer-Schnitten dafür, dass ihre Sklavin für den Rest des Gigs nackt auf der Bühne stand. Und auch wir Zuschauer wurden von der Band wahlweise mit Fake-Pistolen oder Messern mit dem scheinbaren Tod bedroht. So wurden auf der Bühne die Kleider immer weniger und die Brüste immer mehr. Das Publikum schmuste und tanzte und irgendwann unterwarf sich der scheinbar grösste „Grausame Töchter“-Groupie zum dritten Mal den sorgfältig im Takt verteilten Hieben der Peitschen-Domina.

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Ein weiteres Performance-Highlight: Nach „Auf, auf zur Penetration“-Gesang ist wieder die splitternackte Sklaven-Bassistin im Mittelpunkt. Aranea Peel umgarnte sie, in der Hand eine Zigarette—und alle ahnten: Gleich muss es geschehen! Nach zwei, drei, vier weiteren theatralischen Zügen drückte Aranea Peel das ungesunde aber schicke Tabakerzeugnis so tief in den Rücken ihrer Sklavin, dass es erlosch. Kunstblut zierte den Sklaven-Rücken. „Was mir gehört, das wird zerstört“-Lyrics. „BRAVO!“-Rufe aus dem Publikum.

Ein paar Songs später hatte mein zu wenig alkoholisiertes Ich genug gesehen. Ich hatte einen Einblick in mir fremde Szenen bekommen. Hatte erfahren, dass SMler Goths als prüde und langweilig ansehen (und mich auch). Dass mir Menschen, die ihr eigenes Ding durchziehen von Grund auf sympathisch sind. Und dass ein Erfahrungsbericht inklusive Interview zu lang wird. Deswegen hier noch die zitierwürdigen Highlights aus meinem Gespräch mit der Sängerin Aranea Peel:

„Man muss nicht in Songs Liebe heucheln, wo gar keine Liebe ist.“

„Egal ob Leute das, was ich mache, gut finden oder ob sie es scheisse finden: Ich werde das machen. Weil ich es machen muss.“

„Was hinter der Bühne passiert, ist noch viel schlimmer als das, was auf der Bühne passiert.“

„Ich setze auf der Bühne keine Grenzen. Wir können aber nicht alles praktizieren, zumal es ja nicht pornografisch, sondern immer noch Kunst ist.“

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„Zahnarzt-Praktiken sind auch sehr schön. Das ist im Prinzip wie beim Zahnarzt – nur ohne Betäubung.“

„Blut ist eine tolle Sache! Goethe hat schon gesagt: Blut ist ein ganz besonderer Saft.“

„Ich hab zwischendurch auch normalen Sex. Eine Schiene zu fahren, wäre mir zu langweilig.“

„Ich habe schon viele Zuschriften bekommen: Danke! Danke! Danke! Ich habe mich nach dem Anhören eurer Musik endlich getraut meine Neigungen zu leben.“

„Ich lebe BDSM lieber, als dass ich in 50 Shades of Grey daraus lese.“ Folgt Sebastian Sele auf Twitter: @nitesabes

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